"Left Detachment" in Goscinnys und Sempés "Le petit Nicolas"

Eine formale und funktionale Analyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

23 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.) Corpus

2.) Theoretische Grundlagen
2.1) Informationsstrukturelle Parameter
2.2) Topic

3.) „Left Detachment“ im „Petit Nicolas“ – formale und funktionale Analyse
3.1) Formale Analyse der LD-Konstruktionen
3.1.1) LD mit Subjekten: NP+ c’(est)/ ça
3.1.2) Spezialfälle
3.1.2.1) Hanging Topic
3.1.2.2) Mehrfaches LD
3.1.3) Problemfälle
3.2) Funktionen von LD im Diskurs
3.2.1) Topic- Beibehaltung
3.2.2) Topic- Etablierung
3.2.3) Topic- Reetablierung 14 3.2.4) Topic-Hervorholung
3.2.5) Topic- Ableitung 15 3.2.6) Moi, je - Topic- Markierung des Sprechers

4.) Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit innerhalb einer Sprache ist wohlbekannt, lange jedoch wurde nur die geschriebene Sprache linguistisch untersucht, da man die gesprochene Sprache als fehlerhaft und damit als der Wissenschaft unwürdig erachtete (cf. Ewert-Kling 2010:19). Ein Absehen von normativer Beschreibung und eine damit einhergehende Hinwendung zur deskriptiven Sprachwissenschaft führte schließlich zu der Erkenntnis, dass die gesprochene Sprache den „Regeln“ einer eigenen Grammatik folgt, die aktuell immer größeres Forschungsinteresse genießt (cf. Wehr/Thomaßen 2000: 1). Diese „Grammatik“ der gesprochenen Sprache[1] steht in engem Zusammenhang mit den Anforderungen mündlicher Kommunikation, welche sich laut Koch/Oesterreicher durch Schnelligkeit, Spontaneität und Ungeplantheit auszeichnet (Koch/Oesterreicher 1990:11, zitiert nach Ewert-Kling 2010: 15). Diese Charakteristika und das Streben nach einer gelungenen mündlichen Kommunikation erfordern vom Sprecher einen flexiblen Umgang mit der Sprache und führen so zur Entstehung neuer Konstruktionen zur „Verpackung“ von Information, die den speziellen Anforderungen der mündlichen Kommunikationssituation entsprechen und als funktional zweckmäßig, also keineswegs als fehlerhaft, anzusehen sind: „Jede Einzelsprache stellt dem Sprecher eine Reihe syntaktischer Muster zur Verfügung, deren Anwendungsbereiche sich teilweise überschneiden […] und es hängt wesentlich von der Intention des Sprechers ab, in welcher syntaktischen Form er seine Mitteilung „verpackt“ […]“ (Dudtenhöfer 2000: 186).

Geschriebene und gesprochene Sprache unterscheiden sich bezüglich der „Verpackungsverfahren“ ihrer Inhalte, ein und derselbe außersprachliche Sachverhalt kann somit auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht, sprich „verpackt“ werden, wobei zwischen „unmarkierten“ und „markierten“ Konstruktionen zu unterscheiden ist. Als „markierte“ Konstruktion ist auch das so genannte „Left Detachment“[2] (im Folgenden auch LD) zu beschreiben, das als „universelle[s] [Merkmal] gesprochener Sprache“ (Ewert-Kling 2010: 37) gilt.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist nun die formale und funktionale Analyse des „Left Detachment“ im français parlé[3], einer Konstruktion, die aufgrund ihrer besonderen pragmatischen Eigenschaften (nicht nur) im gesprochenen Französisch wichtige Funktionen erfüllt:

„Um eine erfolgreiche sprechsprachliche Kommunikation gewährleisten zu können, ist es erforderlich, dem Gegenüber das Gesprächsthema deutlich anzuzeigen. Eine Möglichkeit hierfür bietet die Verwendung Topic-markierender Left Detachment- und Right-Detachment-Konstruktionen […], die sich durch ihre besondere syntaktische und pragmatische Beschaffenheit als ideale Topic-Anzeiger im Gespräch auszeichnen“ (Ewert-Kling 2010: 15).

Als ein Beispiel für diese Konstruktion im gesprochenen Französisch dient bei Barnes folgender Satz: (1) La soeur de Jean-Pierre, je l’ai rencontrée au cinéma (Barnes 1985: 60).

Im Anschluss an einige kurze Vorbemerkungen bezüglich des ausgewählten Corpus sollen in einem ersten Schritt wichtige theoretische Grundlagen gelegt werden, die für die Beschreibung der Syntax des français parlé und vor allem für den Konstruktionstypus des LD unerlässlich sind. Hierzu zählt vor allem die Kategorie „Topic“, dessen Definition die Basis für eine adäquate Analyse des zu untersuchenden Materials darstellt. Im zweiten, empirischen Teil der Arbeit soll LD unter formalen wie funktionalen Gesichtspunkten untersucht und anhand ausgewählter Beispiele aus dem „Petit Nicolas“ von Goscinny/Sempé veranschaulicht werden.

1.) Corpus

Als Corpus für die vorliegende Untersuchung dient „Le petit Nicolas“ von Goscinny/Sempé aus dem Jahre 1959, ein Text, der sich nicht nur in Frankreich großer Beliebtheit erfreut. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von 19 kurzen Geschichten, deren Held der etwa siebenjährige Grundschüler Nicolas ist. Aus der Ich-Perspektive lässt er den Leser an seinem Leben als „Lausbub“ teilhaben, berichtet auf liebenswerte und sympathische Weise von sich und seinen Freunden, gemeinsamen Erlebnissen und nicht selten auch Streits, die in Prügeleien enden.

Die Besonderheit des Textes, die diesen für die vorliegende Arbeit und die Untersuchung des „Left Detachment“ so interessant macht, ist dessen sprachliche Nähe zum français parlé, die Imitation gesprochener Sprache, die sich wie eine Art Stilmittel durch den gesamten Text zieht .

Ausdrücklich zu erwähnen ist hierbei jedoch, dass es sich lediglich um imitierte gesprochene Sprache handelt, genauer gesagt fingierte Kindersprache, und keinesfalls um authentische gesprochene Sprache. Dies ist bei der Untersuchung stets zu berücksichtigen: „Auch schriftliche Corpora, in denen gesprochene Sprache imitiert wird, können herangezogen werden, wobei man allerdings nie aus den Augen verlieren darf, daß solche Daten nicht für authentische Sprache repräsentativ sein können“ (Wehr 2000: 250). So merkt auch Dudtenhöfer in seiner Untersuchung zum „Right Detachment“ im gesprochenen Französisch an, dass diese Konstruktion in geschriebener Form meist zur Imitation gesprochener Sprache verwendet wird (cf. Dudtenhöfer 2000: 184), sind schließlich die Grenzen zwischen geschriebener und gesprochener Sprache keineswegs als starre und unüberwindbare Konstrukte anzusehen: „[…] il est évident que le code écrit peut se matérialiser dans la parole de même que le code parlé peut être fixé par l’écriture“ (Bossong 1981: 237).

2.) Theoretische Grundlagen

2.1) Informationsstrukturelle Parameter

Um den Informationsstatus von Konzepten, d.h. von Referenten einer NP, im Diskurs zu bestimmen, gibt es verschiedene Ansätze, die sich vor allem bezüglich der Anzahl der zur Verfügung gestellten Parameter unterscheiden. Die vorliegende Arbeit orientiert sich diesbezüglich an Ewert-Kling, die, in Anlehnung an Wehr, die beiden Parameter [+/-IDENTIFIZIERBAR] (abgekürzt [+/-IDENT]) und [+/-NEU] verwendet, welche dank ihrer Kürze besonders gut anzuwenden sind (cf. Ewert-Kling 2010: 79).[4]

[+/-IDENTIFIZIERBAR], bei Wehr durch das Parameter [+/-GEGEBEN] bezeichnet, bezieht sich „auf die Identifizierbarkeit eines Konzepts durch das Gegenüber“ (Wehr 2000: 248), ist somit also abhängig von der (subjektiven) Einschätzung des Sprechers. Ein Konzept ist nach Meinung des Sprechers für den Hörer [+IDENTIFIZIERBAR], wenn es Teil dessen Weltwissens ist, in der Situation präsent oder im Text vorerwähnt ist oder aber von einem anderen identifizierbaren Konzept (für welches die gerade angeführten Bedingungen gelten) ableitbar ist. Das informationsstrukturelle Parameter [+/-NEU] bezieht sich hingegen auf die Vorerwähntheit im Text (cf. ebd.).

Diese beiden Parameter sind für die syntaktische Kodierung von Topics und damit für die Untersuchung des LD als Topic-markierender Konstruktion von besonderer Bedeutung (cf. ebd.: 249).

2.2) Topic

Gilt die kanonische Wortstellung S-P-O im geschriebenen Französisch als unmarkiertes syntaktisches Muster, so ist sie im gesprochenen Französisch hingegen weniger beliebt, denn „die orale Syntax bricht, fast wo sie will und wie sie will, aus dem Korsett der starren Abfolge S+P+O aus“ (Söll ³1985: 158, zitiert nach Thörle 2000: 207). Für die adäquate Beschreibung der Syntax des gesprochenen Französisch im Allgemeinen und für die Analyse des „Left Detachment“ im Besonderen ist daher die pragmatische Diskurskategorie „Topic“ von zentraler Bedeutung.

Der Begriff „Topic“ bezeichnet „das Konzept, über das (i.a. eine Zeitlang) gesprochen wird […]. Es handelt sich dabei um eine pragmatische Funktion, die syntaktisch gekennzeichnet sein kann, und zwar um eine Diskursfunktion“ (Wehr 1994: 621, Hervorhebung im Original). Als Nebenfunktion, auf die in Kapitel 3.2.6 noch genauer eingegangen wird, ist darüber hinaus die „Mitteilung aus der Perspektive von…“ in Bezug auf Sätze des Typus moi, je… zu nennen (cf. Wehr 2000: 253[5]).

Eine Möglichkeit, das Topic als Konzept, über das gesprochen oder auch etwas erfragt wird, zu identifizieren, ist die Umschreibung mithilfe der Paraphrase À propos de (cf. auch Furukawa 2003: 12) oder auch En ce qui concerne… beziehungsweise „Was … angeht“.

Es ist durchaus möglich, dass ein Satz mehrere Topics hat, wobei zwischen Satztopic (ST) und Diskurstopic (DT) zu unterscheiden ist. Während ein Satztopic innerhalb der Grenzen eines Satzes (intraphrastisch) gültig ist, meist in Form eines Subjektes kodiert ist und im Diskurs keine weitere Verwendung findet, geht ein Diskurstopic über die Satzgrenzen hinaus und wird transphrastisch definiert (cf. Ewert-Kling 2010: 66f.):

„A DT is, roughly, that thing which a segment of discourse larger than the sentence is about, i.e. about which it supplies information. […] the DT may be an entity as well as a proposition. […] Though there is no simple syntactic test for DT, given its suprasentential scope, the notion is perhaps intuitively clearer than that of ST“ (Barnes 1985: 28).

Genau wie ein Satz kann auch ein Diskurs mehrere Diskurstopics haben, die oft in einer hierarchischen Beziehung zueinander stehen: „Liegt solch eine Topic-Hierarchie vor, spricht man von „Sub-Topics“: „Sub-Topics“ sind hierarchisch untergeordnete Topics, die von einem Diskurs-Topic abgeleitet sind“ (Dudtenhöfer 2000: 191).

Die Funktion „Topic“ ist nicht nur vom Informationsstatus der das Topic repräsentierenden Nominalphrase (NP) unabhängig, sondern als pragmatische Funktion zudem „eine von formalen Kriterien unabhängige Kategorie“ (ebd.: 190) und somit an keine syntaktische Position gebunden, auch wenn es bevorzugt als Subjekt in der Position links vom Verb kodiert wird (cf. Wehr 2000: 254). Dennoch ist es keinesfalls mit der Kategorie „Subjekt“ gleichzusetzen, da diese eine syntaktische Funktion darstellt. Der Zusammenfall von ST und Subjekt kann als syntaktisch und pragmatisch unmarkierter Fall angesehen werden (cf. Ewert-Kling 2010: 69, auch Dudtenhöfer 2000: 192), für diese Arbeit relevant sind jedoch die Fälle, in denen ein Element durch das „Left Detachment“ als Topic markiert und der Satz damit unter pragmatischen Gesichtspunkten in die Kategorien „Topic“ und „Comment“ geteilt wird:

„All descriptions […] consider them to be topic-comment structures, i.e. a way of overtly marking the articulation of a sentence into two parts, the first referring to what it is the sentence is about (topic), and the second expressing what the sentence has to say about that referent (comment). Thus, while the elements of ordinary sentences (without any detachments) may be described in terms of the topic and comment functions, it is only in left detachment (LD) constructions (and certain other similar constructions) that this distinction is overtly signalled” (Barnes 1985: 9).

Im Folgenden sollen anhand ausgewählter Beispiele aus dem Corpus die formalen sowie funktionalen Eigenschaften der LD-Konstruktion dargestellt werden.

3.) „Left Detachment“ im „Petit Nicolas“ - formale und funktionale Analyse

3.1) Formale Analyse der LD-Konstruktionen

„Unter einer LD-Konstruktion mit pronominaler Reprise ist eine Topic-markierende Konstruktion zu verstehen, bei der eine lexikalische ([-PRON]) oder pronominale ([+PRON]) Nominalphrase (NP), eine Präpositionalphrase (PP), eine Infinitivkonstruktion oder auch ein Nebensatz als Topic in satzinitialer Position steht, d.h. links abgesetzt ist, und innerhalb des Kernsatzes durch ein koreferentielles klitisches Pronomen gleicher syntaktischer Funktion wieder aufgenommen wird. Das LD-Element trägt im Deklarativsatz einen ansteigenden oder schwebenden Intonationsverlauf […]. Der darauf folgende Comment steht im Tiefton“ (Ewert-Kling 2010: 111).[6]

[...]


[1] Für eine Übersicht über die zentralen Merkmale des français parlé sei an dieser Stelle auf die Darstellungen bei (Lambrecht 1981: 5), (Barnes 1985: 3f.) sowie (Ewert-Kling 2010: 28ff.) verwiesen.

[2] In der vorliegenden Arbeit findet durchgängig der englische Terminus „Left Detachment“ nach Barnes Anwendung. Von alternativen Termini, wie etwa „Dislokation“ (frz. „dislocation à gauche“) oder „Linksversetzung“ ist abzusehen, da diese implizieren, ein Element stehe nicht an der richtigen Stelle, was, wie noch gezeigt werden soll, keineswegs der Fall ist (cf. auch Ewert-Kling 109f.).

[3] Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann auf die Diskussion bezüglich des Status des français parlé (Varietät? Register?) sowie die Beziehung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache nicht näher eingegangen werden. Hierfür sei an dieser Stelle auf das Modell von Göran Hammarström (1976) verwiesen, das dieser Arbeit zugrunde liegt (cf. die Abbildung des Modells in Wehr 2000: 244). Als Terminus für den Untersuchungsbereich der vorliegenden Arbeit finden sowohl français parlé als auch die deutsche Übersetzung „gesprochenes Französisch“ Verwendung. Auf diesbezügliche Einschränkungen aufgrund der Verwendung eines schriftlichen literarischen Corpus wird in Kapitel 1 kurz eingegangen.

[4] Die theoretischen Grundlagen, besonders die Diskurskategorie „Topic“, werden in der vorliegenden Arbeit auf der Grundlage der beiden Aufsätze von Wehr (1994 sowie 2000) definiert. Auf alternative Darstellungen und Definitionen wird verzichtet, um die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit zu gewähren.

[5] Auf die Nebenfunktion „Rahmen, innerhalb dessen die folgende Mitteilung Gültigkeit besitzt“ (in Chafes Terminologie „Chinese style topics“ 1976: 50, zitiert nach Wehr 2000: 253) wird in dieser Arbeit nicht eingegangen, da sie im untersuchten Corpus nicht nachzuweisen ist.

[6] Auf Abweichungen von dieser Definition wird im Verlauf der Arbeit noch eingegangen.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
"Left Detachment" in Goscinnys und Sempés "Le petit Nicolas"
Untertitel
Eine formale und funktionale Analyse
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,0
Jahr
2010
Seiten
23
Katalognummer
V229844
ISBN (eBook)
9783656456575
ISBN (Buch)
9783656456995
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
left, detachment, nicolas, eine, analyse
Arbeit zitieren
Anonym, 2010, "Left Detachment" in Goscinnys und Sempés "Le petit Nicolas", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/229844

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