Niklas Luhmanns Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat

Ist seine Kritik am Wohlfahrtsstaat gerechtfertigt?


Hausarbeit, 2012

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Luhmanns Systembegriff

3. Der Wohlfahrtsstaat nach Luhmann

4. Luhmanns Kritik am Wohlfahrtsstaat

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Luhmanns Theorie ist Magie. Sie jongliert mit einem kleinen, genau bestimmten Satz von Grundbegriffen – wie Sinn, System, Umwelt, Kommunikation – und bietet eine scharfe und eiskalte Sicht der modernen Gesellschaft"[1]. Ein Zitat aus einem Nachruf zum im November 1998 verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann, das kurz und prägnant seine Betrachtungsweise darstellt. Ebenso nüchtern betrachtete Luhmann in seinem 1981 erschienenen 'Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat' den Wohlfahrtsstaat, wobei er sich auch nicht mit Kritik zurückhält. Dabei ist Luhmanns Kritik selbst nicht frei von Kritik. So sagt Lutz Leisering, Professor der Sozialpolitik an der Universität Bielefeld: "Luhmanns Wohlfahrtsstaatskritik ist dezidiert immanent".[2] Und Leisering ist nicht der einzige Soziologe, der Luhmanns Kritik als ein Produkt seiner Systemtheorie bezeichnet. Doch ist Luhmanns Kritik nur mit Hilfe der Systemtheorie zu erklären? Daraus ergibt sich die Kernfrage dieser Arbeit: ist Luhmanns Kritik am Wohlfahrtsstaat gerechtfertigt?

Der Begriff des Wohlfahrtsstaates zieht sich wie ein roter Faden durch diese Arbeit, deshalb muss an dieser Steller gesagt sein, dass sich dieser Begriff im weiteren Verlauf der Arbeit an der Klassifizierung nach Gøsta Esping-Andersen orientiert. Esping-Andersen unterscheidet drei Grundtypen, den liberalen, den konservativen und den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat.[3] Der liberale Wohlfahrtsstaat ist durch relativ geringe soziale Sicherheit durch die Politik, aber Rechtssicherheit am Markt gekennzeichnet.[4] Der konservative Wohlfahrtsstaat dagegen bietet mehr soziale Sicherheit durch Pflichtversicherungen, und der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat bindet eine stärkere soziale Sicherheit an das Bürgerrecht.[5] Die BRD und weitere West- und Mitteleuropäische Staaten fallen nach dieser Klassifizierung in den Typ des konservativen Wohlfahrtsstaates.[6] Wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit vom Wohlfahrtsstaat gesprochen, ist, nach der Esping-Andersen Klassifizierung, vom konservativen Wohlfahrtsstaat die Rede.

Um einen besseren Zugang zur Luhmannschen Kritik am Wohlfahrtsstaat zu gewährleisten, wird einführend im zweiten Kapitel die Thematik der Systeme nach Niklas Luhmann vorgestellt. Dazu wird neben Georg Kneer und Armin Nassehi mit 'Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme' auch auf Detlef Krauses Luhmann-Lexikon zurückgegriffen. Kneer und Nassehi ist es gelungen, Luhmanns Systemtheorie verhältnismäßig unkompliziert und wertungsfrei darzustellen. Ebenfalls unkritisch, dafür aber sehr genau führt Krauses Luhmann-Lexikon durch die hohe Anzahl der komplexen Begriffe. Diese drei Autoren bilden damit eine ausgezeichnete Grundlage um die Systeme nach Niklas Luhmann wertungsfrei darzustellen.

Ebenfalls hinführend, wird im Kapitel drei der Begriff des Wohlfahrtsstaates aus der Sicht von Niklas Luhmann dargestellt. Um eine bessere Differenzierung zu zeigen, wird dabei zuerst ein allgemeines wissenschaftliches Bild des Wohlfahrtsstaates gezeichnet, welches anschließend Luhmanns Bild des Wohlfahrtsstaates gegenübergestellt werden kann. Dabei wird besonders der historische Kontext um die Entstehung des Wohlfahrtsstaates berücksichtigt.

Das vierte Kapitel, Luhmanns Kritik am Wohlfahrtsstaat, ist stark an Luhmanns 'Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat' angelehnt, nicht nur mit seinen inhaltlichen Kritikpunkten, sondern auch im Aufbau. Denn die Strukturierung führt sowohl zu den Ergebnissen, wie diese auch die problematischen Zusammenhänge aufzeigt. Nachdem die Kritik und Problemfelder dargestellt wurden, wird mit Hilfe von Susanne Lütz`s 'Der Wohlfahrtsstaat im Umbruch' und Manfred G. Schmidts 'Wirkung der Sozialpolitik' untersucht, ob anerkannte Wissenschaftler zu ähnlichen Beobachtungen gekommen sind. Lütz, aber besonders Manfred G. Schmidt genießen in der deutschen Politikwissenschaft ein hohes Ansehen und, ebenfalls besonders Schmidts Werk, ist relativ stark Kritik resistent. Sollten sich die Ergebnisse von Luhmann und Lütz und Schmidt also stark annähern, kann Luhmanns Kritik am Wohlfahrtsstaat nicht als Grundlegen falsch dargestellt werden.

Abschließend wird in der Schlussbetrachtung die Kritik Luhmanns am Wohlfahrtsstaat nochmals kurz aufgegriffen und mit aktuelleren Kritiken gegenübergestellt um somit die Forschungsfrage zu beantworten.

2. Luhmanns Systembegriff

Eine treffende Definition für ein System bezeichnet dies als „Ein aus einzelnen Teilen (Teilsystemen) bestehendes […] [System], das auf einer […] stabilen Ordnung beruht, eine bestimmte Integrationsleistung erbringt und gegenüber anderen [Systemen] einen bestimmten Grad an Geschlossenheit aufweist“[7]. Einfach betrachtet bildet dies auch einen Minimalkonsens des Luhmannschen Systembegriffs, doch orientiert sich eben dieser strukturell stärker an dem fachübergreifenden Systembegriff nach Ludwig von Bertalanffy und legt besonderes Augenmerk auf die Geschlossenheit, die Beziehung zwischen System und Umwelt.[8] Dabei bildet ein System (System A) die Grenze zu einem anderen System (System B).[9] Folglich gehört, wenn das zu beobachtende System System A ist, System B zur Umwelt von System A und im Umkehrschluss System A zur Umwelt von System B, da alles was nicht zu dem beobachteten System gehört zu dessen Umwelt zählt[10]. An diesem Punkt kommt ein weitere wichtiger Begriff zum Tragen, das Beobachten. Der Begriff Beobachten bedeutet in Luhmanns Systemtheorie nichts anderes „als Bezeichnung-anhand-einer-Unterscheidung[11]. Im Falle der Systeme A und B bedeutet dies, dass zuerst die Systeme nach A und B bezeichnet und dann System A von System B, hier als Umwelt, unterschieden werden.[12] Ein System begrenzt einen Handlungsbereich,[13] oder einfacher dargestellt, „Das, was ausgeschlossen ist, ist nichts weiter als das, was nicht eingeschlossen ist“[14]. Die Umwelt eines Systems ist dabei stets komplexer als das betrachtete System, und aus dieser Komplexität heraus ist es dem System nicht möglich seine ganze komplexe Umwelt zu erfassen.[15] Luhmann unterscheidet drei Grundformen von Systemen, das biologische System, also den Organismus, das psychische System, welches Bewusstseinsabläufen entspricht und das soziale System.[16]

Das soziale System erhält von Niklas Luhmann, als Soziologe, besondere Beachtung. Anders als andere Soziologen löst Luhmann die Bindung eines sozialen Systems von vorher definierten Wertmustern.[17] Ein soziales System nach Luhmann entsteht „immer dann, wenn die Handlungen mehrerer Personen miteinander verknüpft werden“[18]. Soziale Handlungen, die kausale Beziehungen bilden, bilden folglich ein soziales System, welches wiederum von seiner Umwelt abgegrenzt werden kann[19]. Den Knotenpunkt der sozialen Systeme bildet dabei das Gesellschaftssystem.[20] Die Gesellschaft ist dabei nicht etwa etwas das exklusiv aus Personen und Beziehungen, Territorien oder Wertvorstellungen besteht, vielmehr bildet Kommunikation die Gesellschaft.[21] Kommunikation ist ebenfalls ein zentraler Begriff. Kommunikation ist das Minimum sozialer Systeme, das Austauschen, Abgeben und Aufnehmen von Informationen, was einen Selektionsprozess beinhaltet.[22] Kommunikation entsteht aus der Wechselbeziehung von Information, Mitteilung und Verstehen, wichtig hierbei ist, dass die Kommunikation nicht zwischen psychischen Systemen stattfindet.[23] Das Gesellschaftssystem ist hier nur ein Teilsystem des sozialen Systems. Durch Differenzierung können die funktionalen Teilsysteme des Gesellschaftssystems, bzw. des sozialen Systems als Oberbegriff, beobachtet werden.[24] Zu den Teilsystemen der Gesellschaft zählen etwa das politische, das wirtschaftliche, das rechtliche sowie das Gesundheitssystem als Teilsystem.[25] Als abschließender Punkt die Systeme betreffend muss noch erwähnt werden, dass diese Systeme und Teilsysteme nach Codes operieren.[26] Diese Codes folgen einem binären Muster und ermöglichen somit eine Differenzierung.[27] Diese Differenzierung, als Selektionsleistung, ermöglicht die Operationen komplexer Systeme, da somit Begebenheiten, welche die jeweiligen Systeme betreffen, der einen oder der anderen Seite des binären Codes zugeordnet werden können.[28] Ähnlich wie bei der Beziehung Systeme – Teilsysteme gibt es auch bei den Codes eine Zweit-Codierung, die in der Abhängigkeit zum ersten binären Code steht.[29] Als Beispiel gibt es im politischen System den binären Code Macht haben – keine Macht haben mit der Zweit-Codierung Regierung – Opposition.[30] Somit ist es dem System möglich die Regierung/Opposition in mächtig, bzw. machtlos einzuordnen.

[...]


[1] Lindemann, Thomas: Luhmann lesen ist wie Techno zu hören, 2008, in: http://www.welt.de /kultur/article2674164/Luhmann-lesen-ist-wie-Techno-zu-hoeren.html (letzter Zugriff am 28.12.2012).

[2] Leisering, Lutz: Wirklich die beste aller welten? Die soziologische Kritik am Wohlfahrtsstaat, in: Mayer, Karl Ulrich (Hrsg.): Die beste aller Welten? Marktliberalismus versus Wohlfahrtsstaat. Eine Kontroverse, Frankfurt a.M./New York 2001, S. 121.

[3] Vgl.: Schildberg, Cäcilie: Politische Identität und Soziales Europa. Parteikonzeptionen und Bürgerstellungen in Deutschland, Großbritanien und Polen, Wiesbaden 2012, S. 123.

[4] Vgl.: Ebd. S. 123 f.

[5] Vgl.: Ebd.

[6] Vgl.: Lepperhoff, Julia: Wohlfahrtskulturen in Frankreich und Deutschland. Gesundheitspolitische Reformdebatten im Ländervergleich, Wiesbaden 2004, S. 29-35.

[7] Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): System, 2011, in: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18325/system (letzter Zugriff am 23.11.2012).

[8] Vgl.: Kneer, Georg/Nassehi, Armin: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung, 4. unveränderte Auflage, München 2000, S. 17 – 20.

[9] Vgl.: Ebd. S. 20.

[10] Vgl.: Ebd.

[11] Ebd. S. 96.

[12] Vgl.: Ebd.

[13] Vgl.: Krause, Detlef: Luhmann-Lexikon, 4. Auflage, Stuttgart 2005, S. 10.

[14] Ebd.

[15] Vgl.: Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1987, S. 248 ff.

[16] Vgl.: Peters, Malte L.: Vertrauen in Wertschöpfungspartnerschaften zum Transfer von retentivem Wissen, in: Corsten, Hans u.a. (Hrsg.): Information – Organisation – Produktion, Wiesbaden 2008, S. 147.

[17] Vgl.: Kneer 2000, S. 38.

[18] Kneer 2000, S. 38.

[19] Vgl.: Ebd.

[20] Vgl.: Krause 2005, S. 35.

[21] Vgl.: Krause 2005, S. 61.

[22] Vgl.: Kneer 2000, S. 82-93.

[23] Vgl.: Ebd. S. 95.

[24] Vgl.: Krause 2005 S. 43 ff.

[25] Vgl.: Ebd. S. 48.

[26] Vgl.: Ebd. S. 243.

[27] Vgl.: Ebd. S. 132.

[28] Vgl.: Luhmann, Niklas: Macht, 4. Auflage, München 2012, S. 41.

[29] Vgl.: Ebd. S. 42.

[30] Vgl.: Krause 2005, S. 236.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Niklas Luhmanns Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat
Untertitel
Ist seine Kritik am Wohlfahrtsstaat gerechtfertigt?
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die politische Theorie und Ideengeschichte
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V229870
ISBN (eBook)
9783656461210
ISBN (Buch)
9783656461708
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
niklas, luhmanns, politische, theorie, wohlfahrtsstaat, kritik
Arbeit zitieren
Stefan Fischer (Autor:in), 2012, Niklas Luhmanns Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/229870

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