Krisenbewältigung: Junge Erwachsene und die Krise der Kirche


Term Paper (Advanced seminar), 2010

37 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Wie ticken Jugendliche? Eine milieuorientierte Vorstellung
2.1 Die Lebenswelten, die die Kirche durch die Pfarrei erreicht
2.1.1 Traditionelle
2.1.2 Bürgerliche junge Erwachsene
2.1.3 Postmaterielle junge Erwachsene
2.2 Kirchendistanzierte
2.2.1 Hedonisten
2.3. Kirchenferne
2.3.1 Konsum-Materialisten
2.4 Die jungen Milieus
2.4.1 Moderne Performer
2.4.2 Experimentalisten

3. Die Aufgabe des katholischen Modernisierungskonzeptes
3.1 Ein Blick auf das territoriale Pfarrprinzip
3.2 Das Scheitern des territorialen Pfarrprinzips und ein neuer Ansatz…
3.3 Modernisierung als Ernstnehmen der jungen Generation

4. Das Experiment Jugendkirche als konkretes Beispiel, Jugendliche zu erreichen
4.1. Die Relevanz von Jugendkirchen und ihre Gründe
4.2. Mission durch Jugendkirchen!?
4.3. Kritik am Konzept der Jugendkirche

5. Auflösung des Pfarrprinzips, Jugendkirche und dann…
5.1 Liturgie und Gottesdienst
5.2 Transparenz und Marketing
5.3 Menschen in der Kirche

6. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einführung

„Kirche in der Krise“ diese Worte hört und liest man in Zeiten der Missbrauchsfälle und der Debatten um die Abschaffung des Religionsunterrichts immer wieder. Immer weniger Katholiken in Deutschland besuchen regelmäßig den sonntäglichen Gottesdienst oder engagieren sich in einer kirchlichen Einrichtung.

Vor allem die jungen Generationen bleiben der Kirche fern. Sie identifizieren sich nicht mit ihr und auch nicht über sie. Kirche geht an den meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorbei. Worin liegt der Grund für diese Krise und wie kann die Kirche ihr entgegentreten?

Unter dem Titel „Wie ticken Jugendliche?“ veröffentlichte 2008 der BDKJ gemeinsam mit MISEREOR die Sinus – Milieustudie U27, die an die Erwachsenenstudie von 2005 anknüpft, jedoch Jugendliche und junge Erwachsene zum Fokus hat.

Die folgende Arbeit will diese Studie nun nutzen, um die Einstellungen junger Erwachsener zur katholischen Kirche herauszuarbeiten und sie will versuchen, Perspektiven aufzuzeigen, wie die Kirche auf die genannten Wünsche und Kritikpunkte reagieren kann.

Dazu sollen zunächst die einzelnen Lebenswelten der jungen Erwachsenen vorgestellt werden. Die 13-19-Jährigen, also die Jugendlichen, werden in dieser Arbeit immer wieder erwähnt werden, sollen jedoch nicht im Fokus stehen. Zentral soll es um die nächste Erwachsenengeneration, die 20-27-Jährigen gehen.

Eine Auswertung der Studienergebnisse erfolgt dann in den nächsten Kapiteln. Dabei soll es nicht nur konkret um die Kritikpunkte und die Wünsche der jungen Erwachsenen bezüglich der katholischen Kirche gehen, sondern auch um allgemeinere Überlegungen zur Überarbeitung und Organisation von Pastoral und Liturgie.

Selbstverständlich darf die folgende Arbeit nicht als Universalrezept für eine bessere Kirche verstanden werden, aber sie soll Anregungen geben, wie die katholische Kirche den Kontakt zu den jüngeren Menschen aufbauen und halten kann, wie sie ihnen erneut die Chance geben kann, zu Gott zu finden und sich in ihrem Glauben und ihrer Kirche zu Hause zu fühlen.

2. Wie ticken Jugendliche? Eine milieuorientierte Vorstellung

Menschen sind sehr unterschiedlich. Unterschiedliche subjektive Denkweisen prägen die unterschiedlichen Milieus. Die Milieus sind meist abhängig von Beruf, sozialem Stand oder Bildung. Sie existieren nicht als Gruppe, es sind nur von außen festgelegte Schablonen für Denkmuster.

Ein spezielles Modell zu dieser Milieu-Vorstellung wurde von Sinus-Sociovision entwickelt. Die verschiedenen Milieus entstehen auf der Dimension der Wertegenerationen A, B & C, und der Achse mit sozialen Schichten. 2008 wurde diese Studie im Auftrag des BDKJ und MISEREOR von Dr. Carsten Wippermann weiterentwickelt. Die sogenannte Sinus-U27-Studie beschäftigt sich mit Einstellungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Im Folgenden sind die sieben verschiedenen Milieus der jungen Erwachsenen zusammengefasst. Sortiert sind die Milieus in vier Gruppen: Die Lebenswelten die die Kirche durch die Pfarrei erreicht, Kirchendistanzierte Kirchenferne und die jungen Milieus.[1] Nachdem die allgemeine Lebenseinstellung der jungen Erwachsenen beschrieben wird, wird sich genauer mit dem Thema „katholische Kirche“ beschäftigt. Alle Informationen stammen direkt aus der Sinus-Milieustudie U27 von Wippermann.[2]

2.1 Die Lebenswelten, die die Kirche durch die Pfarrei erreicht

Die kirchliche Jugendarbeit erreicht nur drei Milieus der insgesamt sieben; die traditionellen, bürgerlichen und postmateriellen junge Erwachsene werden im Folgenden vorgestellt. Insgesamt erreicht die katholische Kirche also ein Viertel der getauften jungen Katholiken. „ ,Erreichen‘ heißt: kommunikativ erreichen, d. h. eine bekannte Größe in der Wahrnehmung der jungen Menschen sein (kenn ich, hab ich schon gehört…)“[3].

2.1.1 Traditionelle

Traditionelle Jugendliche, in der Sinus-Studie auch gekennzeichnet durch das Kürzel A123, gibt es in allen sozialen Lagen und Schichte. Insgesamt sind aber nur 4% der befragten Jugendlichen diesem Milieu zuzuordnen.

2.1.1.1 Das Milieu

Das Lebensziel der traditionellen Jugendlichen ist es, einen angebrachten Status in der heutigen Gesellschaft durch Leistung und Zielstrebigkeit zu erreichen. An oberster Stelle der Werte der Traditionellen stehen Pflicht- und Akzeptanzwerte, die familiären Werte folgen sofort. Dem Namen nach werden traditionelle Werte und Institutionen bewahrt. Wichtig ist daher, dass gesellschaftlicher Fortschritt kritisch betrachtet wird. Immer wieder wird, wenn gegenwärtige Probleme betrachtet werden, die Vergangenheit reflektiert. Diese dient als legitimes Fundament. Zusammenhängend damit ist auch nachvollziehbar, dass die Jugendlichen hohe Achtung vor Eltern und Großeltern, also älteren Menschen haben. Das oberste Ziel dieses Milieu ist es, eine Familie zu gründen, die als Institution von Harmonie und Rückhalt dient.

Normalerweise wird das Milieu, das sich nun über alle drei Schichten erstreckt, aufgeteilt in die Konservativen A12 und die Traditionsverwurzelten A23. Wenn man diese Unterscheidung betrachtet, kann man sagen, dass sich die eher konservativen Jugendlichen zum Bildungsbürgertum zugehörig fühlen, einer elitären Schicht. Sie zeigen ein hohes Gefühl für gesellschaftliche Verantwortung und weisen teilweise, durch ihre angebliche gehobene Stellung in der Gesellschaft, eine rechtskonservative Haltung auf.

In der mittleren und unteren Mittelschicht bestimmt Bescheidenheit das Leben. Ihr Ziel ist es hier deutlich, den Lebensstandart, den sie sich erarbeitet haben, zu bewahren. Kennzeichnend für die Traditionsverwurzelten sind Werte wie Pflichterfüllung, Ordnung und Disziplin.

Viele Ansichten teilen die Traditionellen mit der christlichen und katholischen Moral. Homosexualität oder auch Transsexualität wird als Sünde verschrien. Auch die Rollenmuster stehen fest; der Mann geht arbeiten und die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Diese Rollen sind so festgelegt, dass Emanzipation und Feminismus als antichristlich angesehen wird.

Wenn man die Berufsfelder der Traditionellen betrachtet, stellt man fest, dass meist kaufmännische Berufe ergriffen werden, oder auch die bodenständige Beamtenlaufbahn betreten wird. Diese Berufe bedeuten eine gewisse Sicherheit, was für dieses Milieu von großer Bedeutung ist. So kümmern sie sich auch bewusst um Altersvorsorge und ihre Versicherungen.

2.1.1.2 „Kirche, wie sie ist“ & „die ideale Kirche“

Die traditionellen Milieuzugehörigen gehören zu den treusten Kirchenanhängern. Das Milieu, beziehungsweise die Angehörigen des Milieus, ist sehr eng mit der einen katholischen Kirche verbunden. Wie schon genannt, ist das Christentum und die dazugehörigen Werte die Norm, die die Lebenshaltung bestimmt.

Die Treue zur katholischen Kirche und ihren Ansätzen wird zum Beispiel deutlich dadurch, dass Ökumene eher ein kritisches Thema darstellt. Frauen zeigen, dass andere Religionen dem katholischen Christentum gleichgestellt sind, die Männer des Milieus dagegen stellen den Katholizismus über andere Religionen. Auch die traditionellen Jugendlichen bleiben dem „reinen“ Katholizismus treu und mischen keine anderen religiösen Angebote dazu. „Der Buddhismus strahlt für mich totale Spiritualität aus“, würde nicht zu den Ansichten der Traditionellen passen. Die Inhalte einer solch anderen Religion sind einfach ganz egal.

Glaube an Gott ist sinngebend für das Leben. Auch der Papst wird sehr hochgeschätzt und als helfende Hand Gottes angesehen. Kritik am kirchlichen Oberhaupt scheint nicht angebracht. Vielmehr wird er dafür bewundert, dass er eine so große Aufgabe bewältigen kann und muss.

Die Kirche wird nicht nur als das Gotteshaus angesehen, in dem man der Liturgie beiwohnt, sondern auch als Treffpunkt für Freunde und Familie genutzt. Die Traditionellen haben oft ein gutes Verhältnis zum Pfarrer. Die jungen Erwachsenen haben schon im jugendlichen Alter die Hoffnung, auch ihren Kindern den katholischen Glauben nahe zu bringen. Die Einheit, die durch die katholische Kirche besteht, finde man nicht in anderen Gemeinschaften, so beschreiben die traditionellen Jugendlichen das Gefühl der Gemeinsamkeit.

Diese besonders enge Verbindung zur Kirche ist Grund dafür, dass ein Kirchenaustritt nicht denkbar ist. Durch einen solchen Austritt würde man den wichtigen Halt im Leben verlieren; das ganze weitere Leben würde durcheinander gebracht; man hätte gegen die familiären Traditionen verstoßen, eine kirchliche Heirat wäre ausgeschlossen und man könnte auch nicht „richtig“ beerdigt werden.

Besonders gerne erinnern sich die Jugendlichen an die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen während Kommunion und Firmung. Glaube ist für sie etwas Persönliches, über das man nicht mit jedem spricht. So ist es angenehm in einer Gruppe zu sein, die die eignen Ansichten teilen.

Auch, wenn die katholische Kirche der Anker im Leben ist, so äußern auch die traditionellen Jugendlichen Kritik an der Kirche, die jedoch schwach im Vergleich zu anderen Milieus ist. Die Jugendlichen sagen, dass die Kirche selbst schuld daran ist, dass viele austreten, weil sie sich schlecht verkaufe. Auch wird Kritik an der Liturgie geübt, die teilweise als langweilig empfunden wird. Dies ist ein weiterer Grund dafür, so die Jugendlichen, dass Gemeinschaft teilweise nicht entstehen kann, da die richtige Stimmung fehlt.

Probleme könnten gelöst werden, indem die Kirche „jünger“ wird. Das Personal der Kirche käme zu wenig in Kontakt mit der Jugend. Kirchentage dagegen werden als sehr positiv angesehen.

Die ideale Kirche für die traditionellen Jugendlichen sollte interaktiv sein, besonders im Zusammenhang mit Gottesdiensten. Auch Jugendliche sollten mitmachen können, um auch aktuelle Themen anzusprechen. Ziel dieser Interaktion ist es, Offenheit innerhalb der Glaubensgemeinschaft zu gewähren. Auch wird die Person des Priesters überdacht. Er solle ein Mann sein, der bei Sorgen und Ängsten berät, aber auf der anderen Seite auch zugeben, dass ihm manche Probleme durch seine Position fremd sind. Ein Problem, das natürlich nicht nur die traditionellen Jugendlichen ansprechen, ist die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Die Kirche solle sich den Frauen mehr öffnen, härter wird die Kritik nicht. Ein weiteres großes Diskussionsthema, das Zölibat, wird auch erwähnt. Teilweise sind die Traditionellen für die Abschaffung des Zölibats, andere dagegen sehen es als wertvolles Erbe der katholischen Kirche an.

Zwei wichtige Punkte, die die traditionellen Jugendlichen von der Kirche erwarten, ist einmal der nicht erzwungene Bezug zur Aktualität in Predigten, und die Lehre von wichtigen Werten, wie Verantwortung, Ehrfurcht vor dem Leben und Zivilcourage.

2.1.2 Bürgerliche junge Erwachsene

14 % aller jungen Erwachsenen gehören der Bürgerlichen Mitte an, die mit dem Kürzel Sinus B2 bezeichnet wird. Wie der Name schon vermuten lässt, befindet sich das Milieu zwischen Ober- und Unterschicht und zwischen traditionellen Werten und neuen Orientierungen, kurz: in der Mitte.

2.1.2.1 Das Milieu

Junge Erwachsene der Bürgerlichen Mitte sind darauf bedacht stets bodenständig zu sein und Extreme für sich auszuschließen.

Feststehende Werte wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit oder Treue werden sehr geschätzt, aber nicht zur absoluten Identitätsbestimmung verwendet. Vielmehr sollen Modernität und Normalität verbunden werden, sodass ein – unangenehmes – Auffallen vermieden wird.

Bürgerliche junge Erwachsene sind auch hinsichtlich ihrer Lebensplanung wenig risikobereit. Man wünscht sich ein intaktes Familienleben, einen abgesicherten Beruf und entsprechenden Wohlstand. Der zukünftige Beruf darf ein harmonisches Familienleben nicht ausschließen oder behindern. Besonders junge Frauen können sich vorstellen ihre berufliche Praxis mit der Schwangerschaft zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Auf Dauer nicht arbeiten zu gehen wird jedoch als altmodisch oder faul empfunden. Man will der eignen Familie etwas bieten können; weswegen man weniger Kinder bevorzugt und vor mehreren Kindern zurückschreckt.

Die Kinder sollen „vernünftig“ erzogen werden und ihnen sollen wichtige Werte vermittelt werden. Damit grenzt sich eine Mutter der bürgerlichen Mitte bewusst von Müttern sozial niederer Milieus und auch von Müttern, die ihre Karrierewünsche über die Familie stellen, ab.

Lebensqualität bedeutet für Bürgerliche junge Erwachsene Harmonie, ein abgesichertes Umfeld und Einkommen und ein „bisschen“ mehr. Man möchte seinen Status halten und sich etwas gönnen können, aber man weiß, dass man nicht aufsteigen kann und zur Elite gehören kann. So oder so wird der übersteigerte Drang anderer beruflich erfolgreich zu sein und Familie und Freizeit zweitrangig zu behandeln, verurteilt. Man ist jedoch stark drauf bedacht seinen aktuellen Status nicht zu verlieren, zur sozialen Unterschicht möchte man nicht gehören.

Der Bürgerlichen jungen Erwachsenen bewegt sich eher in kleinen Vergemeinschaftungen. Besonders die Familie und ein enger Freundeskreis sind hier zu nennen. Innerhalb dieser Gruppierungen ist man darauf bedacht, Konflikten und Konfrontationen auszuweichen und stattdessen Gemeinsamkeiten zu betonen. Dennoch möchte man nicht als langweilig und konfrontationsunfähig gelten oder als harmoniesüchtig bezeichnet werden. Weiterhin trifft man junge Erwachsene der Bürgerlichen Mitte vor allem im Vereinsleben. Sportvereine stärken durch das Gruppengefühl die Lust am Sport.

Bürgerliche junge Erwachsene engagieren sich vielfältig und gerne, wobei schon „kleinere“ Aktivitäten - wie das Helfen beim Umzug des Nachbarn oder das Backen von Kuchen für eine Feier im Sportverein – als soziales Engagement empfunden werden. Desweiteren orientiert man sich an Projekten wie SOS Kinderdorf oder lokalen Einrichtungen, wie Sportvereinen, in denen man dann als Gruppenleiter fungieren kann. Wichtig ist jungen Erwachsenen der Bürgerlichen Mitte die Anerkennung und damit auch Unterstützung höher gestellter Personen. Angebote, sich in oder durch die Kirche zu engagieren werden nach dem Jugendalter eher selten wahrgenommen.

2.1.2.2 „Kirche, wie sie ist“ & „die ideale Kirche“

Bürgerliche junge Erwachsene entwickeln zwei Tendenzen im Blick auf Kirche und Religion: Zum Einen romantisieren sie ihre persönliche Spiritualität und die Institution Kirche, was zum Beispiel durch Schwärmereien für Taizè oder für Pilgerreisen zu bekannten und beliebten Orten zum Ausdruck kommt. Zu solchen Events schließt man sich dann gerne der örtlichen Kirchengemeinde an. Man bewundert große Bauwerke und fühlt sich dort Gott näher. Zum Anderen individualisieren dieselben jungen Erwachsenen ihren Glauben. Sie respektieren zwar die kirchliche Autorität, trennen diese jedoch von ihrer persönlichen Spiritualität. Man glaubt an eine höhere Macht und katholisch zu sein gehört zur Identitätsbestimmung, aber den regelmäßigen Gottesdienstbesuch verbindet man damit nicht.

Bürgerliche junge Erwachsene wissen relativ wenig über ihren Glauben und gerade junge Frauen neigen zu einem „romantisch-naiven Glauben an Engel, Schutzengel und Schutzheilige“.[4] Die Bibel stellt keinen Lesestoff dar, man favorisiert jedoch Bücher und Filme, die sich in Verbindung mit Fiktion mit Religion, Mystik und Spiritualität befassen, so zum Beispiel „Die Päpstin“ oder „Sakrileg“.

Negative Erfahrungen wurden mit Kirche vor allem in der Kindheit und Jugend gemacht. Hier betonen junge Erwachsene der Bürgerlichen Mitte – mehr als andere Milieus – die Langweile im Gottesdienst. Auch werden strenge und einschüchternde Priester kritisiert.

Die Amtskirche bemühe sich nicht ausreichend um die einzelnen Gläubigen, sei nicht zeitgemäß, gehe an den Bedürfnissen der Menschen vorbei und spreche eine veraltete Sprache. Junge Bürgerliche Erwachsene kritisieren die Stellung der Frau in der Kirche und die fehlende Ökumene.

Trotzdem wollen sie ihre Kinder kirchennah erziehen. Sie sollen getauft werden und zur Kommunion und Firmung gehen. Auch man selbst möchte kirchlich heiraten.

Insgesamt handelt es sich dabei als Grund jedoch eher um ein belonging als um ein believing. Man wünscht sich ein schönes Fest im Rahmen der Familie und der Freunde, welches zu einem idealen Lebensweg dazugehört.

Die ideale Kirche für junge Erwachsene der Bürgerlichen Mitte ist persönlich und freundschaftlich und tritt nicht ausschließlich als moralisch belehrende Institution auf. Sie öffnet die Augen für die heutige Zeit und kennt die Lebenswelt der Gläubigen. Sie unterstützt den Einzelnen auch im Alltag und beschäftigt Pfarrer, die offen auf die Leute zugehen und sich nicht vor Problemen verstecken. Die ideale Kirche sollte sich außerdem nicht nur auf Bibelexegese und Predigt stützen, sondern Veranstaltungen für Familien anbieten, an denen sich jeder beteiligen kann und eine harmonische Atmosphäre entsteht. Weiterhin wünschen sich junge Erwachsene der Bürgerlichen Mitte weniger oder gar keine Kirchensteuern, eine stärkere Selbstkritik und Transparenz der Kirche und ein Kirchengebäude, welches stets offen ist.

2.1.3 Postmaterielle junge Erwachsene

8% der jungen Erwachsenen gehören dem Milieu der Postmaterialisten an, welches in der Sinus-Studie unter dem Kürzel B12 zu finden ist. Postmaterialisten bewegen sich zwischen Mittel- und Oberschicht. Sie sind vor allem modern eingestellt, können aber sogar zu einer Neuorientierung wie Moderne Performer tendieren.

2.1.3.1 Das Milieu

Postmateriellen jungen Erwachsenen sind einerseits innere Werte wie Authentizität, Spiritualität, Weisheit und Kreativität wichtig. Äußere Werte wie „Aufklärung, geistige Offenheit, Neugier, Lernbereitschaft, Umweltschutz, Harmonie mit der Natur Schönheit, Internationalismus, erfüllte Arbeit, Nachhaltigkeit, Toleranz, [soziale Gerechtigkeit und] Empathie“[5] werden andererseits jedoch auch als äußerst relevant empfunden.

Postmaterielle lehnen eine Bewertung des Lebens nach angehäuften Konsumgütern oder Statussymbolen ebenso ab, wie eine Fokussierung auf Karriere und Erfolg. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie materielle Sehnsüchte gänzlich ablehnen, sie können lediglich aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit und ihrer relativ hohen Bildung zwischen den Gütern wählen und ihre Wünsche spezifizieren.

Postmaterielle junge Erwachsene formen ihre Identität - die sie als besonderen zu entfaltenden Schatz empfinden - besonders durch Abgrenzung von anderen Milieus. Selbstreflexion, Selbstkritik und Selbstbewusstsein spielen hier eine große Rolle. Damit einhergehend ist auch ein kritischer Blick auf gesellschaftliche Konventionen. Man akzeptiert nicht alles, sondern kritisiert und handelt auch dementsprechend.

Postmaterielle wollen ihrem Leben selbst einen Sinn geben und ihr eigenes Ich- Bewusstsein erweitern. Sie wollen die Wahrheit finden und das Schöne erleben. Viele - und besonders Frauen – absolvieren daher vor ihrem Studium ein Freiwilliges Soziales Jahr, ziehen früh von zu Hause aus, nehmen sich eine Auszeit, machen ein Auslandssemster und wählen einen Beruf, in dem sie sich selbst verwirklichen können. Hier sind vor allem soziale, pädagogische, kultur- oder naturnahe Berufe zu nennen.

Für das eigene Leben wünscht man sich klare Visionen und Zeit, sein eigenes Selbst immer wieder neu zu suchen und zu finden. Man hat hohe moralische Anforderungen an sich und an andere. Man fühlt sich als „kritischer Begleiter des gesellschaftlichen Wandels“[6] und fühlt sich oftmals überlegen.

So plädiert man beispielsweise stark für eine Gleichstellung von Mann und Frau und schließt eine Beziehung oder Ehe mit festgelegten Rollenmustern aus. Feministischen Ausprägungen steht man jedoch ebenfalls äußerst kritisch gegenüber.

Postmaterielle junge Erwachsene neigen zum Esoterischen und Expressiven. Sie weisen außerdem eine hohe Medienaffinität auf, wobei der Nutzen und nicht das Statussymbol im Vordergrund steht. Gerade zur Informationsgewinnung zu aktuellen, nationalen und internationalen Themen wird das Internet – neben Zeitschriften, wie der Zeit oder dem Spiegel – als Quelle genutzt.

Postmaterielle junge Erwachsene haben eher kleine Freundeskreise und ein größeres Netzwerk von Bekannten. Man ist gerne mit Querdenkern zusammen und spürt in ihnen einen Teil seiner selbst. Man diskutiert gerne angeregt und geht gerne ins Detail, erwartet von seinem Gesprächspartner jedoch ein gewisses rhetorisches und intellektuelles Niveau. Stellt man fest, dass das Gegenüber gänzlich anders denkt und dieses Denken nicht zu den eignen Überzeugungen passt, zeigt man – entgegen der eigenen Wertvorstellung – wenig Toleranz oder Verständnis. Postmaterielle gelten daher oft als Besserwisser.

Das Engagement der Postmateriellen jungen Erwachsenen ist intensiver als das der anderen Milieus. Man engagiert sich vor allem in politischen und ökologischen Bereichen, teilweise auch in karitativen Verbänden. Meistens verbindet man das Engagement für andere mit einem eigenen Gewinn, nämlich der Formung von Identität. Hier werden von den jungen Erwachsenen besonders soziale Arbeiten im Ausland betont. Dennoch soll an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass auch vielen Postmateriellen die Zeit fehlt sich zu engagieren. Dieses Auslassen wird jedoch mit Selbstkritik verbunden und nicht als moralisch gut empfunden.

[...]


[1] Vgl.Bieger, Eckhard u.a.: Pastoral im Sinus-Land. Impulse aus der Praxis/für die Praxis, Berlin ²2008 (KirchenZukunft konkret 4), S. 10-15. Im Folgenden zitiert als: Bieger: Pastoral im Sinusland.

[2] Wippermann, Carsten, Calmbach, Marc: Lebenswelten von katholischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, hg. vom Bund der katholischen Jugend und MISEREOR: Wie ticken Jugendliche? Sinus Milieustudie U 27, Düsseldorf, Aachen 2008. Im Folgenden zitiert als: Wippermann: Wie ticken Jugendliche?.

[3] http://www.bdkj.info/fileadmin/BDKJ/Fachstelle_Jugendpastoral/Sinus-Milieus_und_Sinus_U27.pdf, Zugriff am 03.03.2011.

[4] Wippermann: Wie ticken Jugendliche?, S. 451.

[5] Wippermann: Wie ticken Jugendliche? S. 511.

[6] Wippermann: Wie ticken Jugendliche?, S. 519.

Excerpt out of 37 pages

Details

Title
Krisenbewältigung: Junge Erwachsene und die Krise der Kirche
College
Ruhr-University of Bochum  (Lehrstuhl für Religionspädagogik)
Course
Kirche in der Krise: Der Religionsunterricht vor besonderen Herausforderungen
Grade
1,0
Author
Year
2010
Pages
37
Catalog Number
V230175
ISBN (eBook)
9783656462361
ISBN (Book)
9783656463238
File size
557 KB
Language
English
Keywords
Kirche, milieuorientiert, Jugendliche, Traditionelle, Hedonisten, Milieu, Sinus, Kirchenfern, kirchendistanziert, Jugendkirche, Performer, BDKJ, Sinus-Milieustudie, Wippermann
Quote paper
Rebekka Bolz (Author), 2010, Krisenbewältigung: Junge Erwachsene und die Krise der Kirche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230175

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