Mit der „dritten Welle“ setzte 1974 auch in Lateinamerika ein Demokratisierungsprozess ein, der dazu geführt hat, dass heute in allen Ländern der Region mit Ausnahme Kubas die Regierungen durch das Volk gewählt werden. Eine der Erwartungen der Lateinamerikaner an die Demokratie wurde damit jedoch nicht erfüllt: die Garantie grundlegender Menschen- und bürgerlicher Freiheitsrechte. Unsicherheit ist ein ständiger Begleiter im Alltag der Lateinamerikaner. Für Lateinamerika steht deswegen vor allem die „öffentliche Sicherheit“ im Zentrum des Diskurses. Das Vertrauen der Lateinamerikaner in ihre Demokratien, Sicherheit garantieren zu können, ist gering. Der Druck auf Regierungen, die Sicherheitslage zu verbessern, lässt diese häufig zu kurzfristigen Lösungen greifen. Diese Tendenz zu Politiken der „mano dura“, der harten Hand, ist in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten zu beobachten. Häufig geht mit der Forderung nach einer harten Hand implizit oder ausdrücklich die nach der Missachtung rechtstaatlicher Grundsätze einher. Obwohl der dramatische Kriminalitätsanstieg eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in Lateinamerika der vergangenen zwanzig Jahre darstellt, führte er erstaunlicherweise bislang zu keiner angemessene wissenschaftliche Auseinandersetzung. Das betrifft auch die politischen Konsequenzen des Kriminalitätsanstiegs in der Region. Insbesondere zu der jüngsten Tendenz der demokratischen Regierungen Lateinamerikas zu repressiven Sicherheitspolitiken existieren noch kaum politikwissenschaftliche Auseinandersetzungen. Orlando J. Pérez verweist im Zusammenhang mit den repressiven Maßnahmen „to the emergence of a model of constrained or uncivil democracy in which elected civilianled democracies continue to violate human rights“. Wenn, wie Pérez annimmt, repressive Sicherheitspolitiken die Demokratie beschränken können, entsteht vor dem Hintergrund der jüngsten Popularität von Politiken der harten Hand in Lateinamerika auf der einen Seite, und der Notwendigkeit, effektive politische Antworten auf die Herausforderung des Gewaltanstiegs zu entwickeln, auf der anderen Seite, die Notwendigkeit, mehr über das Verhältnis zwischen repressiven Sicherheitspolitiken und der Demokratie herauszufinden. Eine differenzierte politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Beziehung steht jedoch bislang aus. Die vorliegende Untersuchung wird sich mit der Frage befassen, ob repressive Sicherheitspolitiken Kernelemente der Demokratie beschränken.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Demokratie und Sicherheit
2.1 Demokratie in Lateinamerika
2.1.1 Die Transformationsforschung zu Lateinamerika
2.1.2 Neuere konzeptionelle Überlegungen zur Demokratie in Lateinamerika
2.2 (Un-)Sicherheit in Lateinamerika und die Doktrin der Nationalen Sicherheit
2.3 Demokratische Anforderungen an die Herstellung von Sicherheit
2.3.1 Re-Spezifizierung des Konzepts der embedded democracy
2.3.2 Re-Operationalisierung der operativen Definition der defekten Demokratie
3 Die „Politik der demokratischen Sicherheit“ in Kolumbien
3.1 Die staatlichen Sicherheitsorgane und ihr politisch-institutionelles Umfeld
3.2 Die kolumbianische Sicherheitspolitik auf dem Papier
4 Analyse der „Politik der demokratischen Sicherheit“
4.1 Politische Teilhaberechte
4.1.1 Assoziationsfreiheit
4.1.2 Meinungs- und Pressefreiheit
4.2 Bürgerliche Freiheitsrechte
4.2.1 Individuelle Schutzrechte
4.2.2 Justizrechte
4.3 Horizontale Gewaltenkontrolle
5 Fazit
5.1 Einordnung der Ergebnisse der Analyse
5.2 Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Anhang
Erklärung zur Magisterarbeit
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Demokratieentwicklung in Kolumbien nach dem
Abbildung 2: Demokratieentwicklung in Kolumbien nach dem
Abbildung 3: Kriterien und Indikatoren des theoretischen Konzepts
Abbildung 4: Entwicklung willkürliche Verhaftungen 2002-2006
Abbildung 5: Autorenschaft Verletzungen der Pressefreiheit
Abbildung 6: Anteil Einschränkung der Pressefreiheit durch Staatsbeamte und staatliche Sicherheitskräfte
Abbildung 7: Willkürliche Verhaftungen 1996-2004
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Mit der „dritten Welle“[1] setzte 1974 auch in Lateinamerika ein Demokratisierungsprozess ein, der dazu geführt hat, dass heute in allen Ländern der Region mit Ausnahme Kubas die Regierungen durch das Volk gewählt werden. Eine der Erwartungen der Lateinamerikaner[2] an die Demokratie, welche gleichzeitig eine der Gründe für die Legitimationskrisen der autoritären Regime in der Region war, wurde damit jedoch nicht erfüllt: die Garantie grundlegender Menschen- und bürgerlicher Freiheitsrechte.[3] „Sicherheit in diesem grundlegenden Sinne ist ein knappes und teures Gut“[4], Unsicherheit ein ständiger Begleiter im Alltag der Lateinamerikaner.[5] Von einigen Ausnahmen abgesehen können zwei Wellen signifikant zunehmender Gewalt und Kriminalität identifiziert werden, Mitte der 1980er und wiederum Mitte der 90er Jahre.[6] Dieser Trend spiegelt sich auch weltweit wider, trotzdem sticht Lateinamerika mit über 20 Morden pro 100.000 Einwohner als zweitgewalttätigste Region aus der Statistik hervor.[7] Die wissenschaftliche Literatur kann bisher keine eindeutigen Kausalitäten für diesen Gewaltanstieg benennen, doch finden sich unter den bedeutendsten Faktoren die wirtschaftliche Verarmung durch Lohnverfall und zunehmende Ungleichheit der Einkommensverteilung sowie die Auflösung traditioneller Familien- und Gemeindeverbünde.[8] Dieses Bild zeichnet sich auch in den Umfrageergebnissen des Latinobarómetros[9] ab. Demnach stellt Kriminalität seit Jahren eines der dringlichsten Probleme der Bürger Lateinamerikas dar und wird im Latinobarómetro 2008 erstmals als das bedeutendste Problem, noch vor dem der Arbeitslosigkeit, genannt.[10] Es ist deswegen nicht erstaunlich, das Thema ganz oben auf der öffentlichen und politischen Agenda vorzufinden. Da das Konfliktgeschehen in Lateinamerika, insbesondere seit Ende des Kalten Krieges, nur selten von zwischenstaatlichen Konflikten und Kriegen bestimmt ist und vielmehr interne Auseinandersetzungen in den Mitgliedstaaten dominieren, steht für Lateinamerika deswegen vor allem die „öffentliche Sicherheit“ im Zentrum des Diskurses. Öffentliche Sicherheit unterscheidet sich von nationaler Sicherheit „in that it emphasizes protection of persons, property, and democratic political institutions from internal or external threats. National security, in contrast, emphasizes protection of the state and territorial integrity from other state actors as well as from transstate actors […].”[11]
Das Vertrauen der Lateinamerikaner in ihre Demokratien, Sicherheit garantieren zu können, ist gering. Vielmehr werden die staatlichen Sicherheitskräfte selbst häufig als ein großer Unsicherheitsfaktor empfunden.[12] Auf die Frage von Latinobarómetro, welche der Freiheiten, Rechte, Möglichkeiten und Sicherheiten die Demokratie garantiert, antworteten nur 24% mit dem Schutz gegen Kriminalität, der damit an letzter Stelle steht.[13] Dieses Unsicherheitsempfinden führt zu verschiedensten Gegenstrategien durch die Bürger, so beispielsweise die Vermeidung öffentlicher Orte, der Rückgriff auf private Sicherheitsdienste, die Anschaffung von Waffen, der Rückzug in geschlossene, abgesicherte Wohnviertel und die Rückbesinnung auf nicht-staatliche Formen der sozialen Kontrolle (Selbstjustiz und andere Formen des vigilantismo).[14]
Zugleich führt die verbreitete Unsicherheit zu der Forderung nach einem härteren Durchgreifen der Sicherheitskräfte gegen das Verbrechen. Der Druck auf Regierungen, die Sicherheitslage zu verbessern, lässt diese häufig zu kurzfristigen Lösungen greifen, die nicht selten Maßnahmen am Rande oder außerhalb des demokratisch-rechtlichen Rahmens beinhalten und auf Ausnahmeregelungen basieren.[15] Diese Tendenz zu Politiken der „mano dura“, der harten Hand, ist in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten zu beobachten.[16] Die Inhalte solcher Sicherheitspolitiken variieren von Land zu Land, beinhalten aber tendenziell eine Radikalisierung der repressiven Instrumente des Staates, eine Ausweitung der Strafmaße, den Einsatz des Militärs in der Verbrechensbekämpfung und/oder eine Militärisierung der Polizei, den Ausbau des Sicherheitsapparates sowie Maßnahmen präventiven Charakters. Neben diesen Schritten wird nicht selten der Ausnahmezustand ausgerufen, während dessen Gültigkeit Teile der Bürger- und Freiheitsrechte ausgesetzt werden. Häufig geht mit der Forderung nach einer harten Hand implizit oder ausdrücklich die nach der Missachtung rechtstaatlicher Grundsätze einher, da ein nicht geringer Anteil der Lateinamerikaner ein solches Vorgehen als effektiver erachtet wird.[17]
Obwohl der dramatische Kriminalitätsanstieg eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in Lateinamerika der vergangenen zwanzig Jahre darstellt, führte er erstaunlicherweise bislang zu keiner angemessene wissenschaftliche Auseinandersetzung. Marcelo Bergman stellt fest:
„Yet, one of the most puzzling questions in the literature is why such a drastic deterioration in public security and rise in criminal activity have not produced a wave of new volumes in the field.“[18]
Es können zwei Strömungen identifiziert werden, die sich mit der Kriminalitätsproblematik in Lateinamerika auseinandersetzen. Die erste entspringt einer rechtlichen Tradition, die Kriminalität und öffentliche Sicherheit als ein juristisches Problem erachtet.[19] Ein jüngstes Beispiel dieser Richtung stellt Guillermo Zepeda Lecuonas Untersuchung zu Mexiko dar, welche Kriminalität als eine rechtliche Abweichung versteht, der mit dem Strafgesetzbuch entgegengewirkt werden müsse.[20] Die zweite Strömung konzentriert sich auf sozio-demographische und ökonomische Variablen, die mit Kriminalität im Zusammenhang stehen. Die von Pablo Fajnzylber, Daniel Lederman und Norman Loayza im Jahr 2001 herausgegebene Studie ist dieser Strömung zuzuordnen. Sie basiert auf einer durch die Weltbank finanzierte Konferenz und beinhaltet unter anderem fünf Länderstudien, die umfassend das Ausmaß und Tendenzen der Gewaltentwicklung der letzten Jahrzehnte dokumentieren.[21]
Ein Aspekt, der jedoch bislang weitgehend vernachlässigt wurde, betrifft die politischen Konsequenzen des Kriminalitätsanstiegs in der Region. Regina Bateson bemerkt: „This surge of criminality is arguably one of the most significant recent developments in Latin America, yet its political consequences are grievously understudied and basically unknown.“[22] Insbesondere zu der jüngsten Tendenz der demokratischen Regierungen Lateinamerikas zu repressiven Sicherheitspolitiken existieren noch kaum politikwissenschaftliche Auseinandersetzungen:
„There is no comprehensive review on new policies of “getting tough” on crime. The increase of penalties and zero tolerance policies are relatively recent and no serious evaluation has been taken to assess their impact.“[23]
Einige Forscher haben sich anfänglich mit den Auswirkungen der Gewaltwelle auf die jungen lateinamerikanischen Demokratien beschäftigt. Bateson beispielsweise untersucht anhand der Analyse der Daten von Latinobarómetro und dem Latin American Public Opinion Project (LAPOP)[24] die Beziehung zwischen dem hohen Gewaltniveau und einer Ernüchterung (desencanto) der Bürger mit den demokratischen Regierungen, dem Rückgang der politischen Partizipation und der wachsenden Unterstützung von Autoritarismus und „mano dura“ durch die Bürger.[25] Orlando J. Pérez verweist im Zusammenhang mit den repressiven Maßnahmen, die zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt werden, „to the emergence of a model of constrained or uncivil democracy (coined democradura) in which elected civilian-led democracies continue to violate human rights despite considerable success in democratizing political institutions“[26], geht diesem Zusammenhang in seiner Studie jedoch nicht weiter nach. Angesichts der drastischen Gewaltentwicklungen und vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise sowie schwacher politischer Institutionen in der Region, erachtet Bergman es jedoch als notwendig „to inquire about […] what the most effective institutional responses to the challenges might be, and what the threats to the social fabric and political institutions are.“[27] Wenn, wie Pérez annimmt, repressive Sicherheitspolitiken die Demokratie beschränken können, entsteht vor dem Hintergrund der jüngsten Popularität von Politiken der harten Hand in Lateinamerika auf der einen Seite, und der Notwendigkeit, effektive politische Antworten auf die Herausforderung des Gewaltanstiegs zu entwickeln, auf der anderen Seite, die Notwendigkeit, mehr über das Verhältnis zwischen repressiven Sicherheitspolitiken und der Demokratie herauszufinden. Eine differenzierte politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Beziehung steht jedoch bislang aus.
Die vorliegende Untersuchung soll hier Abhilfe schaffen. Sie wird sich, wie später noch weiter ausgeführt werden soll, mit der Frage befassen, ob repressive Sicherheitspolitiken Kernelemente der Demokratie beschränken.
Für die Beantwortung dieser Fragen bedient sich die Arbeit des politikwissenschaftlichen Fallstudien-Ansatzes. Eine Einzelfallstudie bietet sich zur Bearbeitung des Forschungsproblems aus mindestens zwei Gründen an. Zum einen liegt der Forschungsarbeit eine deskriptive Fragestellung zu Grunde und das Fallstudiendesign besitzt besondere Stärken bei der deskriptiven Analyse, da qualitative, fallzentrierte Untersuchungsdesigns eher nach einer „tieferen“ Erklärung beziehungsweise nach einem genaueren Verständnis einzelner besonders wichtiger Fälle streben.[28] „So kann z.B. viel detaillierter beschrieben und beurteilt werden, ob und warum ein Land demokratisch ist oder ob und warum ein politischer Prozess demokratisch verläuft.“[29] Zum anderen bringen Fallstudien entscheidende Vorteile, wenn es in einem spezifischen Untersuchungsfeld noch wenig spezifische Theorien und kaum konkrete Modelle gibt, weil sie die Kombination, kreative Verwendung und Präzisierung von bestehenden Theorien erlaubt.[30]
Als Fallbeispiel wurde Kolumbiens Sicherheitspolitik Política de Defensa y Seguridad Democrática[31] ausgewählt, da sie auf der einen Seite als repräsentativ für die Tendenz in Lateinamerika zu repressiven Sicherheitspolitiken der harten Hand anzusehen ist. Auf der anderen Seite kann Kolumbien aber auch als ein spezieller Fall erachtet werden. Denn obwohl das Land im lateinamerikanischen Vergleich auf eine hohe Kontinuität demokratischer Institutionen verweisen kann und nur eine relativ kurze Militärherrschaft erlebte (unter General Rojas Pinilla, 1953-1957),[32] herrscht seit 1964, verstärkt seit Mitte der 1980er Jahre, ein innerer Gewaltkonflikt zwischen Guerillagruppen, dem Staat und paramilitärischen Gruppen, dem die ineffizienten und korrupten staatlichen Sicherheitskräfte, die oft selbst tief in illegale Aktivitäten wie „social cleansing“ oder Massaker verstrickt sind, nur wenig entgegenzusetzen haben.[33]
In Kolumbien beeinflussen sich die politische Gewalt des innerstaatlichen Krieges (bewaffnete Konflikte, Massaker, Bombenattentate, Entführungen, Bedrohungen und Ermordungen sowie das „Verschwindenlassen“ von Personen) und eine der weltweit höchsten Raten allgemeiner Gewaltkriminalität gegenseitig. Sie hängen miteinander zusammen und haben zu einer „Veralltäglichung“[34] der Gewalt geführt.[35] Von zentraler Bedeutung für die Verstetigung des Konfliktes ist die Finanzierung der Kriegsparteien durch den Drogenhandel, der sich inzwischen selbst als Gewaltakteur etabliert hat. Dabei verwischen die Grenzen zwischen politischen Akteuren und organisierter Kriminalität, so dass sich das Gesamtbild des Konflikts zunehmend diffuser darstellt. Das Problem der öffentlichen Sicherheit in Kolumbien ist deswegen von den Auswirkungen des Gewaltkonflikts nicht zu trennen.[36] Zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts hin, verstärkt durch eine sich verschlechternde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, zeigte sich die traditionelle Schwäche des kolumbianischen Staates mit aller Deutlichkeit:
„[The] state had great difficulty carrying out perhaps its most basic function: protecting its citizens. The statistics on homicides, kidnappings and violence in general were staggering.”[37]
Die erfolglosen Bemühungen der Regierung des damaligen Staatspräsidenten Andrés Pastrana Arango (1998-2002) schließlich, eine politische Lösung des Konfliktes zu erreichen, verschoben das Gewicht der öffentlichen Meinung zugunsten eines Durchgreifens mit harter Hand.[38] Vor diesem Hintergrund erklärt sich die überwältigende öffentliche Unterstützung Álvaro Uribes Konzept der „Demokratischen Sicherheit“, die ihm dazu verhalf, 2002 die Präsidentschaftswahl zu gewinnen.[39] Das einschlägige Programm aus dem Jahr 2003 nennt als überwölbendes Ziel der Sicherheitspolitik die Eroberung des staatlichen Gewaltmonopols und den Ausbau des Rechtsstaates auf dem gesamten kolumbianischen Territorium, durch die Stärkung der demokratischen Autorität.[40] Schwerpunkte der Politik sind der Kampf gegen die Guerillaorganisation FARC-EP[41], die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit und der Demobilisierungsprozess mit den paramilitärischen Gruppen. Die Maßnahmen, die zum Erreichen der genannten Ziele eingesetzt werden, haben allerdings kontroverse Diskussionen ausgelöst. Kritiker sehen beispielsweise im Einsatz der so genannten „soldados campesinos“[42] und im Aufbau eines weit reichenden Netzwerkes von Informanten Gefahren für die kolumbianische Demokratie.[43]
In den vergangenen Jahren sind nach Regierungsangaben die Raten krimineller als auch politischer Gewalt in Kolumbien stetig gesunken.[44] „Colombia in 1999 was facing serious threats from […] the unraveling of state authority. Eight years later, the country is back from that brink. [...] The presence of the state broadly expanded.“[45] Das subjektive Sicherheitsempfinden eines Teils der Kolumbianer bestätigt diesen Trend.[46] Die „Politik der demokratischen Sicherheit“ (PDS) wird für diese Erfolge verantwortlich gemacht; Kritiker, unter ihnen Sozialwissenschaftler, Oppositionspolitiker und Menschenrechtsorganisationen, beklagen allerdings schwere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Sicherheitspolitik und verweisen auf negative Auswirkungen auf den demokratischen Rechtsstaat.[47]
Aus dieser Perspektive stellt Kolumbiens „Politik der demokratischen Sicherheit“ einen Fall extremer Ausprägung dar. Auch wenn für quantitative Methodologen die Auswahl von ausschließlich positiven Fällen auf der abhängigen Variablen einen Fehler darstellt, richtet sich das Forschungsinteresse der Sozial- und Politikwissenschaften oft gerade auf solche Fälle.[48] Vertreter der qualitativen Sozialwissenschaft erachten es für bestimmte Phasen im Forschungszyklus als sinnvoll,
„in einem ersten Schritt einen oder mehrere Fälle mit positiver oder extremer Ausprägung zu untersuchen, um aus dieser Untersuchung wichtige Faktoren und Ähnlichkeiten herauszuarbeiten und dann, in einem zweiten Schritt, negative Fälle auszuwählen, die entsprechend den im ersten Schritt generierten Faktoren potentielle Kandidaten für das interessierende Phänomen (Revolutionen, Innovationsregionen) waren, um mit dieser zweiten Untersuchung die zentralen Abweichungen im Entwicklungsprozess zu analysieren.“[49]
Um den Zusammenhang zwischen repressiven Sicherheitspolitiken und dem demokratischen Rechtsstaat anhand des Fallbeispiels der kolumbianischen Sicherheitspolitik zu untersuchen, soll die vorliegende Arbeit folgende Frage beantworten: Werden wesentliche Grundmerkmale der kolumbianischen Demokratie durch die „Politik der demokratischen Sicherheit“ beschränkt?
Dazu bedient sich die Arbeit der von Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle, Aurel Croissant, Claudia Eicher und Peter Thiery herausgearbeiteten Kategorien zur Untersuchung defekter Demokratien.[50] Sie leiten sich aus dem prozeduralistisch-institutionellen Demokratiebegriff der embedded democracy ab, das Demokratie versteht als
„ein Set institutioneller Minima, das erstens eine vertikale Dimension demokratischer Herrschaft bezeichnet, nämlich vertikale Machtkontrolle, universelles aktives und passives Wahlrecht und die effektive Gewährleistung der damit verbundenen grundlegenden Politischen Partizipationsrechte; zweitens eine horizontale Dimension, also Herrschaftskontrolle im Rahmen der gewaltenteiligen Organisation der Staatsgewalt und der rechtsstaatlichen Herrschaftsausübung; drittens eine transversale Dimension, also die effektive Zuordnung der Regierungsgewalt zu den demokratisch legitimierten Herrschaftsträgern.“[51]
Die Verwendung der operationalen Definition defekter Demokratie bietet sich aus mindestens zwei Gründen an. Zum einen ist für die Realität der lateinamerikanischen Demokratien die Zugrundelegung eines Demokratiebegriffs mittlerer Reichweite, der demokratische Faktoren „im engeren Sinne“, nämlich solche der Volkssouveränität, mit Elementen des Verfassungs- und Rechtsstaates kombiniert, sinnvoll, weil es bei diesen Demokratien bislang nicht darum geht, weitgehend funktionierende Demokratien weiterzuentwickeln, sondern überhaupt den Grundelementen der Demokratie Geltung zu verschaffen.[52] Zum anderen erlaubt der von Merkel et al. entworfene realistische Demokratiebegriff, der die Demokratieprinzipien institutionell ausformt und in fünf Teilregime unterteilt, eine Übertragung und Anwendung auf die Untersuchung spezifischer Phänomene, die die Kernelemente der Demokratie beeinflussen.
Um das Konzept auf den Untersuchungsgegenstand anwenden zu können, wird zunächst eine Re-Spezifizierung und Re-Operationalisierung der Untersuchungskategorien der defekten Demokratie durchgeführt. D.h. zum einen wird die Anzahl der definierenden Kategorien auf die drei für den Untersuchungsgegenstand relevanten Kategorien reduziert. Zum anderen sollen die Kriterien und Indikatoren der operativen Definition der defekten Demokratie an das Forschungsinteresse angepasst werden. Das so gewonnene operationalisierte Konzept bestehend aus den drei Teilregimen Politische Teilhaberechte, Bürgerliche Freiheitsrechte und Horizontale Gewaltenkontrolle und den ihnen zugeordneten Kriterien und Indikatoren soll für die Beantwortung der Forschungsfrage verwendet werden.
Als Instrument der Messung wird für die Untersuchung einerseits einschlägige wissenschaftliche Sekundärliteratur aus Kolumbien Verwendung finden. Zudem werden einschlägige Berichte und Studien von kolumbianischen und internationalen Nichtregierungsorganisationen und Forschungsverbünden herangezogen. Andererseits wurden im Rahmen der Untersuchung in Kolumbien Experteninterviews geführt. Die mithilfe dieser Methode erhobenen Daten sollen die Analyse der Sekundärliteratur ergänzen.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden im folgenden Kapitel zunächst die theoretischen Grundlagen zum Verständnis des Verhältnisses zwischen Demokratie und Sicherheit gelegt. Zudem wird dieser Zusammenhang speziell hinsichtlich Lateinamerikas erörtert. Unter diesem regionalen Fokus folgt der Vorstellung der Diskussionen um Demokratie einerseits und Sicherheit andererseits eine Zusammenführung beider Konzeptionen. Das sich daran anschließende Kapitel kontextualisiert die „Politik der demokratischen Sicherheit“, indem zunächst das politisch-institutionelle Umfeld der staatlichen Sicherheitsorgane erörtert wird und nachfolgend die Grundzüge der Sicherheitspolitik sowohl auf dem Papier als auch in der Praxis nachgezeichnet werden sollen. Der empirische und zugleich hauptsächliche Teil der Arbeit befasst sich mit der Analyse des Verhältnisses zwischen der „Politik der demokratischen Sicherheit“ und der kolumbianischen Demokratie unter Verwendung der dafür herausgearbeiteten Untersuchungskategorien. Die daraus gewonnenen Ergebnisse werden zum Abschluss zusammenfassend dargestellt und auf dieser Grundlage ein Ausblick gewagt.
2 Demokratie und Sicherheit
Voraussetzung für die liberale Demokratie als Form einer politischen Herrschaft ist ein moderner Staat.[53] Damit Demokratie funktionieren kann, muss der legitime Geltungsbereich der politischen Regeln festgelegt werden, das heißt es ist zu definieren, innerhalb welcher Grenzen die demokratischen rules of the game gelten und wie sich der demos als Träger der politischen Grundrechte begründen soll.[54] Nach der Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek ist der Staat ein soziales Gebilde, dessen konstituierende Merkmale ein von Grenzen umgebenes Territorium (Staatsgebiet), eine darauf ansässige Gruppe von Menschen (Staatsvolk) sowie eine auf diesem Gebiet herrschende Staatsgewalt kennzeichnen.[55] Staatsgewalt bezeichnet hier zum einen die Ausübung hoheitlicher Macht innerhalb des Staatsgebietes eines Staates durch dessen Organe und Institutionen, zum anderen ist „Gewalt“ im konkreten Sinne des Wortes als die Ausübung von unmittelbar physischem Zwang gemeint. Die Staatsgewalt beansprucht für sich das alleinige Recht hierauf und hat somit das Gewaltmonopol inne.[56] Nach Max Weber „soll ein politischer Anstaltsbetrieb [Staat] heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.“[57]
Der Staat mit dem Prinzip, seinen Bürgern Sicherheit zu gewährleisten, fand seinen Anfang mit der Ablösung der religiös-politischen Ordnung und der Ausbildung zu einer weltlich konzipierten Ordnung mit politischer Zielsetzung und Legitimation.[58] Zunächst ging es dabei vor allem darum, die Gemeinschaft vor äußeren Feinden zu schützen, doch die Bürgerkriege in Frankreich und England führten zu der Notwendigkeit, den König in die Lage zu versetzen, sich gegenüber allen Bürgerkriegsparteien durchzusetzen und die innere Sicherheit herzustellen.[59] Durch den Übergang von der Agrargesellschaft zur Handelsgesellschaft wurde die Herstellung der Sicherheit wiederum um den Schutz von Waren und Gütern ergänzt, die vor Raubrittern und plündernden Gruppen behütet werden mussten. Dieser Wandel wurde ideengeschichtlich von verschiedenen Staatsphilosophien begleitet.
Die Idee der souveränen Staatsgewalt, die bis heute Gültigkeit besitzt, wurde maßgeblich von Jean Bodin (1530-1596) geprägt. Bodin erlebte, wie sich das französische Königshaus von den Machtansprüchen des Papstes und des Kaisers löste und zunehmend die öffentliche Gewalt in seiner Hand vereinte.[60] Um Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, müsse die Staatsführung eine souveräne Gewalt und damit verbunden das absolute Gewaltmonopol innehaben. Die Staatsführung habe somit das Recht, „allen Untertanen ohne deren Zustimmung Gesetze aufzuerlegen“[61]. Die Souveränität sei unteilbar, und auch wenn sich Bodin als souveräne Staatsführung eine Körperschaft aus mehreren Aristokraten oder dem Volke vorstellen konnte, fehle dann aber „doch ein Oberhaupt mit souveräner Gewalt, um alle miteinander zu einen.“[62] Die Frage nach der Legitimation der Ausübung der absolutistischen Macht bleibt bei Bodin allerdings offen.[63]
Ebenso wie Bodin sieht Thomas Hobbes (1588-1679) den Zweck des staatlichen Zusammenschlusses in der Bereitstellung von Sicherheit für seine Bevölkerung. Zentraler Bestandteil seiner Staatsidee ist jedoch auch die Beantwortung der Frage nach der Berechtigung der Machtausübung. Vor dem Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem englischen Königshaus und dem Parlament beschäftigt sich Hobbes mit dem natürlichen Zustand des Menschen. Dieser sei von zwei Antrieben beherrscht: der Eigennützigkeit und der Furcht. Außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft führe dies zu einem dauerhaften Krieg unter den Menschen, da die ungebundene Freiheit „allen ein Recht auf alles“ gebe. Im Umkehrschluss bedeute das aber, dass niemand ein geschütztes Recht und gesicherte Freiheit gegen die Übergriffe der anderen habe. Das dränge den Menschen schließlich, jenen friedlosen Zustand zu verlassen. An diesem Punkt „schlägt Hobbes eines der großen Themen der Staatstheorie an: es gilt, eine rechtlich gesicherte Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen einzutauschen gegen die unbeschränkte Zeit der individuellen Willkür.“[64] Allerdings gäben die Menschen, sobald sie einmal ihren Willen der gemeinsamen Macht unterworfen haben, ihr Recht auf Selbstbestimmung und Widerstand gegen diesen Inhaber der höchsten Gewalt, den Hobbes Leviathan[65] nannte, auf. Dieser erhalte dadurch eine so große Macht, „dass er durch den Schrecken, der in ihr liegt, den Einzelnen zur Einsicht bringen kann.“[66] Der Souverän ist Produkt des Gesellschaftsvertrages und lebt als einziger außerhalb des Rechts, da er selbst nicht Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags ist. Ein Widerstandsrecht der Gewaltunterworfenen ist nur dann vorgesehen, wenn es um die Verteidigung des eigenen Lebens geht. Zwar sah Hobbes die Gefahr, dass die Bürger der Willkür und den Launen des Leviathans ausgeliefert sein könnten, war dies seiner Meinung nach jedoch das notwendige Übel im Vergleich zu den Schrecken des Naturzustands.
Diese Fassung des Sicherheitsproblems erfuhr bei John Locke (1632-1704) eine entscheidende Veränderung. Der Ausgangspunkt ähnelt dem bei Hobbes:
„Um politische Gewalt richtig zu verstehen und sie von ihrem Ursprung abzuleiten, müssen wir erwägen, in welchem Zustand sich die Menschen von Natur aus befinden. Es ist ein Zustand vollkommener Freiheit […]. Es ist darüber hinaus ein Zustand der Gleichheit […].“[67]
Locke sah indessen im vor- und überstaatlichen Naturgesetz eine Begrenzung: „So steht das Gesetz der Natur als Symbol einer ewigen Regel für alle Menschen, für Gesetzgeber wie auch für alle anderen.“[68] Den vorstaatlichen Naturzustand verbindet er mit der Idee natürlicher Rechte, die jedem Menschen von Geburt an zukommen. Da die Menschen außerhalb einer Gesellschaft ihre Rechte selbst verteidigen müssten und „bei aller Freiheit voll von Furcht und ständiger Gefahr“ seien, gingen sie den Gesellschaftsvertrag ein, „zum gegenseitigen Schutz ihres Lebens, ihrer Freiheiten und ihres Vermögens, was ich unter der allgemeinen Bezeichnung Eigentum zusammenfasse.“[69] Für die aus dem Gesellschaftsvertrag hervorgegangene Staatsgewalt bedeute dies, dass sie „nichts als die vereinigte Gewalt aller Glieder der Gesellschaft [ist] […]. Sie kann daher auch nicht größer sein als die Gewalt, die jene Menschen im Naturzustand besaßen […].“[70] Zudem sei
„[i]n ihren äußersten Grenzen ihre Gewalt auf das öffentliche Wohl der Gesellschaft beschränkt. Es ist eine Gewalt, die einzig die Erhaltung zum Ziel hat. Sie kann deshalb niemals das Recht haben, die Untertanen zu vernichten, zu unterjochen oder mit Vorbedacht auszusaugen.“[71]
Locke sah aber die Gefahr des Machtmissbrauchs nicht nur, sondern entwickelte bis heute ergiebige und gültige Ideen zu ihrer Verhinderung. Man müsse der Willkür durch eine Aufteilung der Staatsgewalt auf verschiedene Institutionen samt gegenseitiger Balancierung und Kontrolle begegnen. „Bei der Schwäche der menschlichen Natur, die stets bereit ist, nach der Macht zu greifen, würde es jedoch eine zu große Versuchung sein, wenn dieselben Personen, die die Macht haben Gesetze zu geben, auch noch die Macht in die Hände bekämen, diese Gesetze zu vollstrecken.“[72] Zudem müsse die legislative Gewalt „nach öffentlich bekanntgemachten, festen Gesetzen regieren, die nicht für besondere Fälle geändert werden dürfen, sondern für reich und arm nur einen Rechtsgrundsatz kennen“[73], einschließlich für die Staatsgewalt selbst. Das Gesetz sei dabei das Mittel zur Kennzeichnung der Grenzlinie zwischen Staat und Gesellschaft und gewährleistete den Schutz des Kernbereichs freiheitlicher Entfaltung vor Eingriffen durch den Staat. Der Schutz durch den Staat, d.h. die staatliche Sicherheitsgarantie für die Bürger und die Aufgabe, Rechtsverletzungen der Bürger gegeneinander zu verhindern oder zu ahnen, wenn sie geschehen sind, auf der einen Seite, und der Schutz vor dem Staat, also die Einschränkung und Einhegung staatlicher Machtfülle auf der anderen Seite bilden eine untrennbare, obwohl auch konfliktreiche Einheit.[74]
Ferner kommen demokratische Kontrollen hinzu, da „dem Volk dennoch die höchste Gewalt [verbleibt], die Legislative abzuberufen oder zu ändern“[75], wenn die Gewalt, die im Vertrauen auf einen bestimmten Zweck übertragen wurde und somit auf diesen Zweck begrenzt ist, diesen vernachlässigt oder ihm entgegen handele. „Und so behält die Gemeinschaft beständig eine höchste Gewalt für sich, um sich vor den Angriffen und Anschlägen einer Körperschaft, selbst ihrer Gesetzgeber, zu sichern, so oft diese so töricht oder schlecht sein sollten, Pläne gegen die Freiheiten und Eigentumsrechte der Untertanen zu schmieden und zu verfolgen.“[76]
Die neue Erkenntnis, die Locke im Rahmen seines frühliberalen Konstitutionalismus erschließt, besteht darin, dass Sicherheit nicht um den Preis der Freiheit erkauft wird, sondern dass der Staat vielmehr seine Legitimierung im Schutz der natürlichen Rechte der Menschen findet, um ein friedliches Leben in der Gemeinschaft zu gewährleisten.[77] Diese Rechte schließen die Freiheit ebenso ein wie das Recht auf Leben und Eigentum. Zur Durchsetzung der Menschenrechte steht dem Staat das Mittel des Gewaltmonopols zur Verfügung. Um zu garantieren, dass er dieses nur und ausschließlich für die Durchsetzung des Zwecks der Organisation „Staat“ verwendet, wird er Regeln und Kontrollen unterworfen, die noch heute die Eckpfeiler des demokratischen Rechtsstaats bilden.
„Demokratische Institutionen sind insofern seit dem englischen Liberalismus nicht nur kulturell-gesellschaftlicher Selbstzweck, also Ausdruck des gesellschaftlichen Willens nach Selbstbestimmung der insgesamt betreffenden Angelegenheiten, sondern ein zentraler Bestandteil der Bändigung des mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten Staates.“[78]
In liberalen Demokratien wird die Gefahr, die von dem Staat bzw. den regierenden Eliten als Inhaber der Staatsgewalt als „potentiell höchst bedrohliche Gewalttäter und Ausbeuter“[79] ausgeht, durch die demokratischen Institutionen wechselseitig kontrolliert und eingehegt. Allerdings werden häufig, insbesondere in Zeiten der Krise, sicherheitspolitische Maßnahmen von der Exekutive als notwendig erachtet und oftmals explizit von den Bürgern selbst verlangt, die die Gefahr in sich bürgen, diese institutionalisierte Herrschaftsbegrenzung zu unterlaufen.
„Die Herstellung von Sicherheit steht somit zumindest mittelbar in einem dauerhaften Spannungsverhältnis zur Demokratie. Beide „bedrohen“ sich dabei gegenseitig, denn demokratische Institutionen, wie etwa Parlamente und ihre Eingriffs- sowie Kontrollverfahren, begrenzen die Handlungsfähigkeit der Exekutivkräfte (insbesondere auch hinsichtlich ihrer Maßnahmen zur Garantie innerer und äußerer Sicherheit), während eine Reihe sicherheitspolitischer Maßnahmen der Regierung zumindest potenziell geeignet ist, freiheitlich-demokratische Institutionen, wie etwa Bürger- und Menschenrechte, auch den demokratischen Willensbildungsprozess sowie die weiteren gesellschaftlichen Grundbedingungen notwendiger allgemeiner Partizipation an den öffentlichen Angelegenheiten, und damit letztlich den Kernbereich von Demokratie, einzuschränken.“[80]
Das allgemeine Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Sicherheit wird im Folgenden speziell hinsichtlich Lateinamerika erörtert. Unter diesem regionalen Fokus folgt der Vorstellung der Diskussionen um Demokratie einerseits und Sicherheit andererseits eine Zusammenführung beider Konzeptionen.
2.1 Demokratie in Lateinamerika
Um die Relevanz und Veränderungen der aktuellen Debatte besser einordnen zu können, soll im Folgenden zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung der demokratietheoretischen Diskussion in Lateinamerika gegeben werden. Es lassen sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts vier Phasen der Entwicklung ausmachen.[81]
Die Beschäftigung mit der Demokratie hatte in Lateinamerika lange Zeit eine nachrangige Bedeutung in der Politikwissenschaft. In der ersten Phase, die bis in die 1960er Jahre reichte, richtete sich das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse auf die Modernisierungsproblematik. Die politische Entwicklung war zu dieser Zeit in den meisten Ländern Lateinamerikas instabil und vom traditionellen Gegensatz zwischen Diktatur und Demokratie geprägt.[82] Im Mittelpunkt standen Fragen nach den Erklärungsfaktoren der Unterentwicklung, deren Antworten beim Übergang in moderne, industrielle Gesellschaften helfen sollten. Zwar genoss die Demokratie als pluralistische, repräsentative Herrschaftsform die normative Zustimmung, wurde aber als ein von sozioökonomischen Strukturen abgeleitetes Phänomen betrachtet und damit lediglich die Funktionsbedingungen, jedoch nicht die Funktionsweisen in das Zentrum des Interesses gestellt.[83]
Hierauf folgte Mitte der sechziger Jahre die Phase der Dependenzproblematik. Mit der Überzeugung, dass der Ausweg aus der Unterentwicklung Lateinamerikas auf untrennbare Weise mit der Überwindung der Abhängigkeitsverhältnisse verbunden sei, erreichte die Beschäftigung mit der Demokratie einen Tiefpunkt. Auch das Aufkommen autoritärer Regime in Brasilien (1964) und Argentinien (1966) änderten daran zunächst nicht viel. Die Art und Weise der innenpolitischen Entscheidungsfindung galt als zweitrangig, da die Regierungen der Peripherie letztlich doch nach den Interessen der Staaten des Zentrums handeln würden. Im Gegensatz zu der rationalen, empirisch orientierten Sozialwissenschaft der fünfziger Jahre, prägten die kubanische Revolution (1959) und die zunehmende ideologische Polarisierung der politischen Prozesse eine „engagierte Sozialwissenschaft“[84], die der sozialistischen Gesellschaftsform zugetan waren oder zumindest zu den real existierenden Demokratien auf Distanz gingen. Für sie war nicht die Form sondern vielmehr die Substanz der politischen Herrschaft von Bedeutung.
Erst die Etablierung autoritärer Regime in Uruguay und Chile Anfang der siebziger Jahre sorgte für eine Hinwendung des sozialwissenschaftlichen Mainstreams zur Autoritarismusproblematik. Im Zentrum dieser Phase stand die Frage nach den Ursachen und dem Charakter der autoritären Herrschaftssysteme, die zumeist im Zusammenhang mit der Modernisierung der lateinamerikanischen Gesellschaften beantwortet wurde. Diese Hinwendung zu einer Frage der politischen Entwicklung im engeren Sinne brachte eine Abkehr von den stark normativ geprägten Debatten der Dependencia mit sich, womit auch die Fundamentalkritik an der pluralistisch-repräsentativen Demokratie fallen gelassen wurde. Ein grundlegender Skeptizismus im Bezug auf die Chancen und sogar die Sinnhaftigkeit demokratischer politischer Systeme in Lateinamerika blieb jedoch erhalten. Es wurde davon ausgegangen, dass die Verschärfung gesellschaftlicher Spannungen, die eine Vertiefung des Industrialisierungsprozesses mit sich brächte, zum Zusammenbruch der Demokratie und der Etablierung eines bürokratisch-autoritären Regimes führen würde.[85]
2.1.1 Die Transformationsforschung zu Lateinamerika
Diese Annahmen der politikwissenschaftlichen Lateinamerikaforschung wurden jedoch mit den (Re-)Demokratisierungsprozessen, die in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt fanden, grundsätzlich in Frage gestellt. Der fundamentale Perspektivenwechsel, der eine bis dahin einmalige Wertschätzung der Demokratie mit sich brachte, kann auf zwei Entwicklungen zurückgeführt werden. Zum einen erwiesen sich auf der Ebene der politischen Geschehnisse die von den autoritären Regimen gegebenen entwicklungspolitischen Zusicherungen zumeist als ergebnislos und die Machtwechsel zu demokratischen Herrschaftsformen vollzogen sich gerade vor dem Hintergrund extrem ungünstiger wirtschaftlicher Bedingungen. Das widersprach den bis dahin vorherrschenden Thesen. Zum anderen kam es bei einem beachtlichen Teil der linksgerichteten Sozialwissenschaftler durch die Erfahrungen der Unterdrückung unter den autoritären Regimen und dem intensiveren Austausch mit anderen Denkrichtungen im Exil zu einer kritischen Hinterfragung des orthodoxen Sozialismus. Die Idee eines demokratischen Paktes wurde hervorgehoben und Fragen nach dem Wert demokratischer Institutionen und Verfahren sowie nach den Menschenrechten wurden in den Mittelpunkt der neuen Debatten gerückt. Norbert Lechner sprach in diesem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel „von der Revolution zur Demokratie“.[86]
Die Beschäftigung mit den Transitionsprozessen[87] der vormals autoritären Regime „has produced a welcome convergence towards a common definition of democracy“.[88] Die Kontroverse um eine Demokratie „mit“ oder „ohne“ Adjektive, d.h. zwischen einem sozialen oder prozeduralen Demokratieverständnis, wurde zugunsten letzterem entschieden. Die relative Einmütigkeit auf der Ebene der Konzeption und Wertschätzung stand der Pluralisierung der Ansätze entgegen. Im Lichte der „dritten Welle“ reagierte die Transformationsforschung zu Lateinamerika mit der Produktion einer Fülle von Konzepten, theoretischen Ansätzen und Methoden, die auch außerhalb der Region bedeutenden Einfluss erlangen sollte. Handlungstheoretische und institutionelle Ansätze lösten die alten makrosoziologisch-funktionalistischen und makrosoziologisch-strukturalistischen Ansätze ab und hoben, je nach dem jeweils dominierenden politischen Problem, die politischen Akteure, Institutionen und/oder politischen Prozesse hervor.[89]
Zugleich sah sie sich nicht geringfügigen Herausforderungen gegenüber, die den spezifischen Merkmalen der lateinamerikanischen Prozesse geschuldet waren. Diese Ausgangslage, namentlich die Vielfalt und „the greater heterogeneity of Latin America as compared to Southern Europe“[90] einerseits und die zu den importierten Ansätzen konträren Interpretationsmuster der traditionellen Lateinamerikaforschung andererseits, erklären die oftmals mangelnde Konsistenz der verschiedenen Konzepte. „Komplexität und Vielfalt auf der Phänomenebene spiegelte sich oft in Verwirrtheit und Uneinheitlichkeit auf der Konzeptebene wider.“[91]
Einigkeit herrschte über das Konzept der Transition insofern, als darunter
„der Übergang von einem totalitären bzw. autoritären Regime zu einem demokratischen politischen System verstanden wurde. […] [D]ie Transition [stellt] einen Aspekt des Systemwechsels [dar], der auch das Ende des nicht-demokratischen Regimes [und] die Etablierung eines demokratischen politischen Systems […] einschließt. Es wird weiterhin angenommen, dass die Transition ihre eigene Logik hat und mit den anderen Aspekten des Systemwechselprozesses auf subtile und unterschiedliche Weise verbunden ist.“[92]
Darüber hinaus können wichtige konzeptionelle Unterschiede festgestellt werden, die sich aus dem Problem ergeben, den Endpunkt des Transitionsprozesses eindeutig festzulegen.
Martín Lauga identifiziert drei Grundkonzepte bezüglich des Verlaufs der Transitionen. Das institutionelle Transitionskonzept bezieht sich auf den Übergang von einem nicht-demokratischen zu einem demokratischen Regime. Im Sinne einer minimalistischen Variante machte etwa Samuel Huntington den kritischen Punkt der Transition an der Etablierung einer Regierung durch freie, allgemeine, kompetitive und faire Wahlen fest.
“Of greater importance is that in all democratic regimes the principal officers of government are chosen through competitive elections in which the bulk of the population can participate. Democratic systems thus have a common institutional core that establishes their identity. Authoritarian regimes – as the term is used in this study – are defined simply by the absence of this institutional core.”[93]
Ein hinsichtlich der Bedingungen, die über den Endpunkt der Transition entscheiden, anspruchsvollere Strömung ist das komplexe Transitionskonzept. Nach Juan Linz und Alfred Stepan ist eine demokratische Transition
„complete when sufficient agreement has been reached about political procedures to produce an elected government, when a government comes to power that is the direct result of a free and popular vote, when this government de facto has the authority to generate new policies, and when the executive, legislative and judicial power generated by the new democracy does not have to share power with other bodies de jure.“[94]
Das substantielle Transitionskonzept beschäftigt sich nicht nur mit der politischen Transition zur Demokratie, sondern auch mit der ökonomischen und sozialen Ebene. Es zeigt, dass trotz der Aufwertung des liberal-pluralistischen Demokratiekonzepts das soziale Demokratieverständnis in Lateinamerika noch immer einen Einfluss auf die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Demokratie hat. Nach Guillermo O’Donnell und Philippe Schmitter ließen sich die demokratischen Transitionsprozesse in zwei Sequenzen unterteilen: Die erste ende mit der Etablierung einer „politischen“ Demokratie vergleichbar mit Robert Dahls Polyarchie[95] und zeichne sich durch Liberalisierung und Demokratisierung aus. Die zweite Sequenz lässt sich am Konzept der socialization festmachen. In diesem Sinn bestehe der zweite Teilprozess in der Überführung der politischen Demokratie in eine auch auf ökonomischer und sozialer Ebene demokratisierte Gesellschaftsordnung.[96] Diese Zweiteilung sollte vor allem nach Abflauen der Demokratisierungswelle des zwanzigsten Jahrhunderts in der Konsolidierungsforschung an Konjunktur gewinnen.
Von der bereits erwähnten Unübersichtlichkeit der theoretischen Ansätze und empirischen Beiträge ist vor allem die nach Abflauen der dritten Demokratisierungswelle in den Fokus gerückte Konsolidierungsdebatte betroffen.[97] Konsens besteht scheinbar mindestens darüber, dass die demokratische Konsolidierung ein eigenständiger, von der Transition gesonderter Prozess ist. Konsolidierung bedeutet demnach, „dass die hinreichenden Minimalbedingungen von Demokratie dauerhaft gesichert werden und effektiv funktionieren.“[98] Die während der Transition etablierten Institutionen und Verfahren werden dann wirksam und „all politically significant groups regard its key political institutions as the only legitimate framework for political contestation, and adhere to democratic rules of the game“[99]. Der Konsolidierungsprozess stellt demzufolge ein andauernderes Projekt dar als das der Transition.
War in der Phase der Transition die Vielfalt und Verschiedenheit der lateinamerikanischen Fälle problematisch, so stellen die Ergebnisse der Transitionen die Konsolidierungsforschung vor neue Herausforderungen.
“Although the new national political regimes in Latin America […] share important attributes of democracy, many of them differ profoundly […] from the democracies in advanced industrial countries. Indeed, many are not considered fully democratic.”[100]
Wie im Rahmen des umfassenden Foschungsprojektes des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) „Democracia en América Latina“ jüngst festgehalten wurde, hat sich zwar die Demokratie in Lateinamerika speziell mit ihrer Wahlfunktion gerade in zuweilen prekären wirtschaftlichen Phasen als krisenfest erwiesen, aber zugleich folgen die Funktionswiesen der übrigen demokratischen Institutionen und Verfahren nur bedingt ihrer formalen Ausrichtung.[101] Diese Problematik greifen aktuelle politikwissenschaftliche Ansätze in Lateinamerika auf.
2.1.2 Neuere konzeptionelle Überlegungen zur Demokratie in Lateinamerika
Aufgrund der im vorherigen Kapitel skizzierten Andersartigkeit der Konsolidierung fokussieren die neueren politikwissenschaftlichen Debatten zumeist Defizite der bestehenden lateinamerikanischen Demokratien.[102] In den Mittelpunkt der Überlegungen rückt die Funktionsweise der Demokratie und ihrer Prinzipien. Die Einhaltung und Gewähr formaler Verfahren und allgemeiner bürgerlicher und politischer Rechte geraten in das Zentrum der Analyse. Grund dafür ist der empirische Befund der lateinamerikanischen Demokratien: Die meisten von ihnen stehen nicht nur den anspruchsvollen normativen Forderungen der partizipatorisch-deliberativen Demokratietheorie nach,[103] sondern weisen Defekte in den zentralen Merkmalen des demokratischen Rechtsstaates auf.[104] Es geht also nicht darum, weitgehend funktionierende Demokratien auszubauen, sondern überhaupt den Kernelementen der liberalen Demokratie Gültigkeit zu verschaffen. „Die Konzeptualisierung eines demokratischen Regimes zielt auf eine Situation, in der Demokratie in der Regel noch nicht „the only game in town“ ist.“[105] Dieter Nohlen kritisiert an dieser Konzentration auf die Defekte der lateinamerikanischen Demokratien, es werde ein zu hoher Demokratiemaßstab angelegt, um die Demokratie aus der Region wegzudefinieren.[106] Dem ist entgegenzuhalten, dass erst eine differenzierte Identifizierung von Schwachstellen und Defekten deren gezielte Überwindung ermöglichen kann, die für die weitere Konsolidierung der Demokratie in dieser Weltregion als essentiell erachtet werden kann.[107] Die jüngste Transformationsforschung hat für diesen Zweck Untersuchungskategorien herausgearbeitet, die mit einer graduellen Messung von Demokratie die Dichotomie Autokratie-Demokratie überwinden sollen.[108] Determinierend für die Ergebnisse solcher Verfahren ist das ihnen zugrunde liegende Demokratiekonzept. Die meisten Ansätze der Demokratieforschung, die sich mit der Qualität von Demokratie beschäftigen, basieren auf einer prozeduralen Demokratiedefinition, die sich auf die schon von Dahl definierten Kriterien Partizipation und Wettbewerb stützt.[109] Die Beschränkung auf Verfahren und Institutionen erscheint auch für das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit sinnvoll, da sich eine solch sparsame Definition von Demokratie als guter Ansatzpunkt für eine empirische Auseinandersetzung mit der Demokratie erweist.[110] Allerdings kommen verschiedene Verfahren, die je nachdem auf einer engeren oder weiteren prozeduralen Demokratiedefinition basieren, teilweise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Beispielhaft sollen für Kolumbien die Ergebnisse von Tatu Vanhanen und der Nichtregierungsorganisation Freedom House verglichen werden. Während sich Vanhanen eng an dem minimalistischen Demokratiekonzept Dahls orientiert, erweitert Freedom House dieses um einen Freiheitsindex, der die Verfassungswirklichkeit politischer und bürgerlicher Rechte einbezieht. Die Resultate für Kolumbien fallen sehr unterschiedlich aus: Vanhanen ermittelt seit den 1950er Jahren einen insgesamt positiven und seit Einführung der neuen Verfassung 1991 einen steilen Anstieg der kolumbianische Demokratiewerte. Ganz im Gegensatz dazu registriert Freedom House seit 1972 und insbesondere seit Ende der 1980er Jahre eine negative Entwicklung der Demokratiewerte in Kolumbien.[111]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Demokratieentwicklung in Kolumbien nach dem
Demokratisierungsindex von Vanhanen[112]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Demokratieentwicklung in Kolumbien nach dem
Freiheitsindex von Freedom House [113]
Hinsichtlich dieser gegensätzlichen Ergebnisse stellt sich die Frage, welche Kriterien für eine empirische Auseinandersetzung mit der kolumbianischen Demokratie geeignet sind, um aussagekräftige Resultate hervorzubringen. Auch wenn Kolumbien nach Huntingtons Kategorisierung angesichts der freien Wahlen in den Jahren 1945 und 1946 der zweiten Welle der Demokratisierungen zuzurechnen ist, lässt es sich jedoch aufgrund seiner ähnlichen Probleme vielmehr den jungen lateinamerikanischen Demokratien der dritten Demokratisierungswelle zuordnen.[114] Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die politischen Partizipationsrechte zwar formell gewährt sind, jedoch sowohl zwischen als auch während der Wahlen aufgrund eingeschränkter bürgerlicher Freiheitsrechte vielfach verletzt werden.[115] Die Freiheitsrechte sind eine wesentliche Grundbedingung staatsbürgerlichen Daseins, „ohne die auch politische Partizipation zur Schimäre würde.“[116] Des Weiteren stellt ein charakteristischer Zug lateinamerikanischer Systeme die Einschränkung gewählter Regierungen in ihrer politischen Funktion durch das Militär dar. Die staatlichen Streitkräfte erfuhren zu Zeiten der Gültigkeit der Doktrin der Nationalen Sicherheit[117] einen erheblichen Machtzuwachs, der in vielen der Länder Militärdiktaturen zur Folge hatte. Die dominante Rolle der Streitkräfte reicht oft bis in die Gegenwart hineinreicht. Ein weiteres zentrales Merkmal der lateinamerikanischen Präsidialdemokratien ist ein Mangel an Gewaltenkontrolle und eine tendenzielle Verschiebung der Macht zugunsten der Exekutive.
Für die Beantwortung der Forschungsfrage soll deswegen ein realistischer Demokratiebegriff mittlerer Reichweite herangezogen werden, der von der Forschungsgruppe um Wolfgang Merkel vorgelegt wurde und der alle relevanten Größen für Lateinamerika im Allgemeinen und für Kolumbien im Speziellen umfasst. Das Modell der embedded democracy erweitert das zweidimensionale Demokratiekonzept von Dahl, das sich auf Partizipation und Wettbewerb beschränkt, um die drei Teilregime bürgerliche Freiheitsrechte, horizontale Gewaltenkontrolle und effektive Regierungsgewalt. Demokratie (als Chiffre für rechtsstaatliche Demokratie) ist demnach
„ein Set institutioneller Minima, das erstens eine vertikale Dimension demokratischer Herrschaft bezeichnet, nämlich vertikale Machtkontrolle, universelles aktives und passives Wahlrecht und die effektive Gewährleistung der damit verbundenen grundlegenden Politischen Partizipationsrechte; zweitens eine horizontale Dimension, also Herrschaftskontrolle im Rahmen der gewaltenteiligen Organisation der Staatsgewalt und der rechtsstaatlichen Herrschaftsausübung; drittens eine transversale Dimension, also die effektive Zuordnung der Regierungsgewalt zu den demokratisch legitimierten Herrschaftsträgern.“[118]
Die Verwendung des Demokratiekonzepts der embedded democracy bietet sich ferner für die Analyse des Verhältnisses zwischen der „Politik der demokratischen Sicherheit“ und der kolumbianischen Demokratie an, da die institutionelle Ausformung und Unterteilung in fünf Teilregime eine Übertragung und Anwendung auf die Untersuchung spezifischer Phänomene die Demokratie betreffend ermöglichen.
Unter den Teilregimen der embedded democracy nimmt das Wahlregime die zentrale Position ein, weil es zum einen der evidenteste Ausdruck von Volkssouveränität, zeitgleicher Teilhabe der Bürger und gleichem Gewicht ihrer Präferenzen ist. Zum anderen stellt es aufgrund des offenen Wettbewerbs um die wesentlichen Herrschaftspositionen auch den Hauptunterschied zur Autokratie dar.[119] Um periodische, freie, allgemeine, gleiche und faire Wahlen dauerhaft wirkungsvoll zu etablieren, bedarf es der Existenz der politischen Teilhaberechte, die zusammen mit dem Wahlregime die vertikale Herrschaftslegitimation realisieren.
Das Teilregime der politischen Partizipationsrechte ergänzt die harte Machtkontrolle durch Wahlen um die weiche Kontrolle der Öffentlichkeit zwischen den Wahlen und vervollständigt damit die vertikale Demokratiedimension. Sie ermöglichen die Ausgestaltung eines autonomen politischen Handlungsraumes, innerhalb dessen über die gemeinschaftliche Willensbildung die Konkurrenz um Herrschaftspositionen belebt wird.
Das Teilregime der bürgerlichen Freiheitsrechte ergibt gemeinsam mit der gegenseitigen Gewaltenkontrolle die Rechtsstaatsdimension der liberalen Demokratie. Als Abwehrrechte, also dem status negativus,[120] begrenzen sie die Herrschaftsausübung demokratisch gewählter Volksvertreter, schützen den Bürger vor freiheitsgefährdenden Übergriffen durch staatliche (als auch private) Akteure und haben die Erschaffung „staatsfreier“ Räume zum Inhalt. Dies macht es zudem notwendig, dass alle Bürger gleichen Zugang zur Gerichtsbarkeit haben und die Gleichbehandlung vor dem Gesetz gewährleistet ist.
Das Teilregime der „horizontal accountability“ bildet neben den bürgerlichen Freiheitsrechten das zentrale Glied für die Rechtsstaatlichkeit in der liberalen Demokratie. In der Form eines Netzwerkes relativ unabhängiger Institutionen kontrolliert sie gewählte Amtsträger, legt sie auf ihr rechtmäßiges Handeln fest und leistet somit einen grundlegenden Beitrag zur Sicherung der Volkssouveränität.[121] Damit schließt sie eine wesentliche Kontrolllücke, die die anderen Teilregime offen lassen. Voraussetzung dafür ist insbesondere eine funktionsfähige Judikative, die die Akte der Exekutive und Legislative einer rechtlichen Kontrolle unterzieht.[122]
Das Teilregime der effektiven Regierungsgewalt gewährleistet die transversale Dimension, also die effektive Zuordnung der Regierungsgewalt zu den demokratisch legitimierten Herrschaftsträgern. Diese kann durch außerkonstitutionelle Akteure, die keiner demokratischen Verantwortlichkeit unterworfen sind, ausgehebelt werden. Zentral für die effektive Regierungsgewalt ist die zivile Kontrolle über die Streitkräfte.
Um die spezifischen unterschiedlichen Mängel der Umsetzung demokratischer Prinzipien in den jeweiligen Ländern identifizieren und einordnen zu können, operationalisieren Merkel et al. das Konzept der embedded democracy, indem sie für jedes der fünf Teilregime im Einzelnen Kriterien und nachfolgend Indikatoren bestimmen, anhand derer beurteilt werden kann, ob und gegebenenfalls welche Defekte vorliegen. Die Untersuchung der defekten Demokratie berücksichtigt dabei sowohl institutionelle als auch Elemente der Verfassungsrealität, was insbesondere für ein Land wie Kolumbien mit einer stark ausgeprägten Diskrepanz zwischen Verfassungsnorm und Verfassungsrealität unerlässlich ist, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen. Carlos Gaviria Díaz, früherer Richter und Präsident des kolumbianischen Verfassungsgerichts (1996-2001) und Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2010, stellt für dieses Verhältnis fest:
“[S]i tu lees la Constitución Colombiana, es una constitución que yo diría muy bien elaborada, si tú la lees te formas la idea de que hay controles, de que la división de los poderes está bien diseñada, etc., pero entre lo que la Constitución establece y la práctica hay una diferencia grandísima [...].”[123]
Die Operationalisierung der embedded democracy zur Identifizierung von Defekten erlaubt es, auf systematische Weise potenziell problematische Verhältnisse zwischen staatlicher Sicherheitspolitik und demokratischen Kerngehalten theoretisch zu verorten und anschließend im Sinne des Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit eine Re-Operationalisierung durchzuführen. Zunächst soll jedoch im folgenden Kapitel auf den spezifischen Sicherheitskontext in Lateinamerika eingegangen werden.
2.2 (Un-)Sicherheit in Lateinamerika und die Doktrin der Nationalen Sicherheit
Um das Gewicht der aktuellen Gewalt- und Kriminalitätswelle für die lateinamerikanischen Demokratien einordnen zu können, und die möglichen Implikationen, die die Versuche der Regierungen der Region haben, der Lage Herr zu werden, verstehen zu können, ist es unumgänglich, diese Entwicklung in den historischen Kontext des Kalten Krieges und der Doktrin der Nationalen Sicherheit für Lateinamerika zu stellen. Während ihrer Gültigkeit wurden viele Verhaltensmuster der politischen Elite als auch der staatlichen Sicherheitskräfte geprägt, die noch heute vorhalten.
Der Kalte Krieg entstand aus der politischen und ideologischen Bipolarität, in die sich die Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geteilt hatte, und der Konkurrenz der beiden Blöcke um die strategische Kontrolle möglichst vieler Regionen der Erde. Die politische Unterwerfung Osteuropas durch die Sowjetunion in der Schlussphase des Krieges führte zu der Wendung der Vereinigten Staaten gegen den Kommunismus.[124] In diesem Kontext wurde der „National Security State“[125] in den Vereinigten Staaten ausgerufen, der die Grundlage für die Formulierung der Nationalen Sicherheitsdoktrin in Südamerika darstellen sollte.[126] Angesichts der veränderten Bedrohungslage unterzeichneten die amerikanischen Staaten (ausgenommen Kanada) am 2. September 1947 auf der Interamerikanischen Konferenz für die Bewahrung von Frieden und Sicherheit in Rio de Janeiro den Interamerikanischen Vertrag über gegenseitigen Beistand. Als die USA im März 1951 die lateinamerikanischen Staaten mit Bezug auf den Vertrag aufforderten, an ihrer Seite im Koreakrieg zu kämpfen, akzeptierten diese den Angriff auf den US-Verteidigungsstützpunkt in Asien nicht als Aggression gegen die westliche Hemisphäre.[127] Im Rahmen einer Kompromisslösung verpflichteten sich die Unterzeichner des so genannten Rio Treaty dann aber, ihre militärischen Kräfte aufzustocken und die Kooperation gegen die „kommunistische Gefahr“ weiter auszubauen.[128] Um dies zu erleichtern, erweiterten die Vereinigten Staaten ihr Gegenseitiges Sicherheitsprogramm (Mutual Security Program) aus dem Jahr 1949 auf Lateinamerika. Von 1952 bis 1958 wurde so nicht nur technische Unterstützung zur Verfügung gestellt, sondern die Streitkräfte der Region wurden in den neuesten Informations- und Kampftechniken ausgebildet, zunächst in den USA und später dann in der Kanalzone Panamas.[129]
Mit dem Triumph der kubanischen Revolution und der Stationierung von Langstreckenraketen 1962 auf Kuba geriet Lateinamerika in den Fokus des Kalten Krieges. Der Einfluss der kubanischen Revolution, das Wiederaufleben marxistisch-leninistischer Ansätze und nicht zuletzt die Gegenreaktionen auf die Fortentwicklung der Doktrin der Nationalen Sicherheit in Form von Entwicklungstheorien wie der Dependenztheorie trugen zu der Legitimation aufkommender bewaffneter Bewegungen in verschiedenen Ländern der Region bei. Die USA reagierte mit einer neuen Strategie der Aufstandsbekämpfung, die mit Hilfe der Erfahrungen Frankreichs aus den Unabhängigkeitskämpfen in Indochina entwickelt wurde. Ziel der Ausbildung der lateinamerikanischen Streitkräfte durch die USA war immer weniger die Verteidigung nach Außen, also der Schutz der Seewege und Küstenlinien, als vielmehr die innere Sicherheit der lateinamerikanischen Staaten. Die vorherrschende Meinung in Washington war, dass die Demokratie in Lateinamerika sich erst noch festigen müsse und deswegen als Verteidigung gegen kommunistische Propaganda, Subversion und politischen Einfluss nicht geeignet sei.[130] Deshalb wurde es als notwendig angesehen, im Interesse der nationalen Sicherheit der USA einen anderen moralischen Standard für die lateinamerikanischen Regime anzuwenden. George F. Kennan, einer der maßgeblichen Planer und Berater der amerikanischen Außenpolitik der Nachkriegszeit, äußerte 1950 in einem Bericht an den US-Außenminister zu Lateinamerika sinngemäß:
[...]
[1] Huntington, Samuel Phillips: The third wave. Democratization in the 20th century, London 1993, S. 9.
[2] Innerhalb dieser Arbeit wird aus Gründen der Vereinfachung und der besseren Lesbarkeit stets die männliche Form benutzt. Es soll betont werden, dass hiermit immer auch das weibliche Geschlecht mitberücksichtigt ist.
[3] Siehe O’Donnell, Guillermo: Transitions, Continuities, and Paradoxes, in: Mainwaring, Scott/O’Donnell, Guillermo/Valenzuela, J. Samuel (Hg.), Issues in Democratic Consolidation. The new South American Democracies in Comparative Perspective, Notre Dame 1992, S. 17-56, hier S. 17. Neben den Menschenrechtsverletzungen durch die autoritären Regime stellte ein weiterer essentieller Grund die ungleiche Verteilung von Ressourcen jeglicher Art dar.
[4] Stanley, Ruth: Editorial. Mit Sicherheit in Gefahr, in: Gabbert, Karin et al. (Hg.), Mit Sicherheit in Gefahr. Jahrbuch Lateinamerika. Analysen und Berichte 30, Münster 2006, S. 7-13, hier S. 7.
[5] Vgl. Kliksberg, Bernardo: Cómo Enfrentar la Inseguridad en América Latina? La Falacia de la Mano Dura, in: Nueva Sociedad, 215 (Mai/Juni 2008), S. 4-16, hier S. 4.
[6] Vgl. Bailey, John/Dammert, Lucía: Public Security and Police Reform in the Americas, in: Bailey, John/Dammert, Lucía (Hg.), Public Security and Police Reform in the Americas, Pittsburgh 2006, S. 1-24, hier S. 1.
[7] Der weltweite Durchschnitte sind 7,6 Morde pro 100.000 Einwohner, Platz eins belegt das südliche Afrika mit über 30 Morden, siehe Genera Declaration, Bericht Global Burden of Armed Violence, Geneva 2008, <http://www.genevadeclaration.org/pdfs/Global-Burden-of-Armed-Violence-full-report.pdf>, rev. 3/04/2009, S. 71.
[8] Vgl. Bergman, Marcelo S.: Crime and Citizen Security in Latin America. The Challenges for new Scholarship, in: Latin American Research Review , 41: 2 (June 2006), S. 213-227, hier S. 223.
[9] Jährliche Studie einer chilenischen Nichtregierungsorganisation über die öffentliche Meinung in Lateinamerika zu Themen der Demokratie.
[10] Latinobarómetro 2008, <http://www.latinobarometro.org/>, Rev. 3/04/2009.
[11] Bailey/Dammert: Public Security, S. 1 ff.
[12] Vgl. Stanley, Mit Sicherheit in Gefahr, S. 7-8.
[13] Latinobarómetro 2008.
[14] Vgl. Stanley, Mit Sicherheit in Gefahr, S. 8; Vigilantismo bezeichnet eine systemstabilisierende Selbstjustiz, der sich gegen untere Klassen der Gesellschaft richtet.
[15] Siehe Bailey/Dammert: Public Security, S. 4.
[16] Prominente Beispiele sind die zentralamerikanischen Länder Guatemala und El Salvador sowie die Andenregion mit Kolumbien und Peru.
[17] Vgl. Chinchón Álvarez, Javier: Democracia y Autoritarismo en América Latina. En Busca de la Década Perdida (1995-2005), in: América Latina Hoy, 46 (2007), S. 173-199, hier S. 186-196.
[18] Bergman, Crime and Citizen Security, S. 213.
[19] Vgl. etwa Binder, Alberto: Justicia penal y estado de derecho, Buenos Aires 1993; Merryman, John: 1985 The Civil Law Tradition, Stanford 1985; Zaffaroni, Eugenio R.: Sistemas penales y derechos humanos en América Latina, Inter-American Institute for Human Rights San José, Buenos Aires 1986.
[20] Zepeda Lecuona, Guillermo: Crimen sin Castigo. Procuración de Justicia Penal y Ministerio Público en México, CIDAC, Fondo de Cultura Económica, Mexiko 2004.
[21] Fajnzylber, Pablo/Lederman, Daniel/Loayza, Norman (Hg.): Crimen y Violencia en América Latina, Weltbank 2001, <http://www-wds.worldbank.org/servlet/main?menuPK=64187510&pagePK=64193027&piPK=64187937&theSitePK=523679&entityID=000011823_20070627125531>, rev. 15.10.2009.
[22] Bateson, Regina: The Political Consequences of Crime Victimization in Latin America, erstellt für den Comparative Politics Workshop am 14. April 2009, LAPOP, S. 2, <http://sitemason.vanderbilt.edu/files/kyHPZ6/Bateson_CPW_April_14.pdf>, rev. 15.10.2009.
[23] Bergman, Crime and Citizen Security, S. 224.
[24] Latin American Public Opinion Project, <http://www.vanderbilt.edu/lapop/>, rev. 15.10.2009.
[25] Siehe Bateson, The Political Consequences.
[26] Pérez, J. Orlando: Democratic Legitimacy and Public Insecurity: Crime and Democracy in El Salvador and Guatemala, in: Political Science Quarterly, Volume 118, Number 4 (2003), S. 627-644, hier S. 628.
[27] Bergman, Crime and Citizen Security, S. 226.
[28] Vgl. Blatter, Joachim K./Janning, Frank/Wagemann, Claudius: Qualitative Politikanalyse. Eine Einführung in Forschungsansätze und Methoden, Wiesbaden 2007, S. 126.
[29] Ebd., S. 127.
[30] Siehe ebd., S. 128.
[31] Politik der demokratischen Sicherheit und Verteidigung; Presidencia de la República, Ministerio de Defensa Nacional, República de Colombia: Política de Defensa y Seguridad Democrática, 2003, <http://www.presidencia.gov.co/seguridad_democratica.pdf>, rev. 21.04.2009; 2006 wurde sie in Política de Consolidación de la Seguridad Democrática umbenannt.
[32] Vgl. Kurtenbach, Sabine: Kolumbiens stabile Instabilität. Demokratische Kontinuität, Klientelismus und politische Gewalt, in: Nolte, Detlef (Hg.), Lateinamerika im Umbruch? Wirtschaftliche und politische Veränderungen ab der Wende von den 80er zu den 90er Jahren, Münster 1991, S. 189-209, hier S. 189, zit. nach siehe Jäger, Thomas et al.: Die Tragödie Kolumbiens. Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie, Wiesbaden 2007, S. 110.
[33] Siehe Bejarano, Ana María/Pizarro, Eduardo: Colombia a Failing State?, in: ReVista Harvard Review of Latin America, 2: 3 (Spring 2003), S. 11-13, hier S. 13.
[34] Vgl. Waldmann, Peter: El estado anómico. Derecho, seguridad pública y vida cotidiana en América Latina, Caracas 2003, S. 178.
[35] Siehe Kurtenbach, Sabine: Konfliktanalyse Kolumbien, Friedrich Ebert Stiftung, Bonn 2005, S. 5 ff.; Zu den Gewaltraten siehe Kliksberg, Inseguridad en América Latina, S. 6 ff, Zahlen von 2006.
[36] Siehe Naucke, Philipp: Öffentliche Sicherheit in Lateinamerika. Die „Politik der demokratischen Sicherheit“ Kolumbiens als Erfolgskonzept?, Diskussionspapier Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin 2009, S. 5.
[37] Jawahar, Vinay/Shifter, Michael: State Building in Colombia. Getting Priorities Straight, in: Journal of International Affairs, 58:1 (Fall 2004), S. 143-154, hier S. 143.
[38] Siehe Llorente, María Victoria: Demilitarization in a War Zone, in: Bailey, John/Dammert, Lucía (Hg.), Public Security and Police Reform in the Americas, Pittsburgh 2006, S. 111-132, hier S. 111.
[39] Siehe ebd.
[40] Presidencia de la República, Ministerio de Defensa Nacional, República de Colombia: Política de Defensa y Seguridad Democrática, 2003, S. 12, <http://www.presidencia.gov.co/seguridad_democratica.pdf>, rev. 21.04.2009.
[41] Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee).
[42] Bauernsoldaten, Regierungsprogramm zur Rekrutierung von mindestens 10.000 Jugendlichen für eine militärische Ausbildung von drei Monaten. Diese fungieren dann, bewaffnet und unter dem Oberkommando der Streitkräfte, in ihren Dorf oder Gemeinde als „Teilzeit-Soldaten“.
[43] Siehe Borrero Mansilla, Armando: Cómo se va a ganar la guerra," in La Semana online, <http://www.semana.com/noticias-nacion/como-va-ganar-guerra/67260.aspx>, rev. 18/04/2009.
[44] Programa Presidencial de Derechos Humanos, <http://www.derechoshumanos.gov.co/observatorio_de_DDHH/observatorio_ddh.asp>, rev. 19/04/2009; <http://www.presidencia.gov.co/prensa_new/sne/2007/enero/02/14022007.htm>, rev. 19/04/2009.
[45] DeShazo, Peter/McLean, Phillip/ Primiani, Tanya: Back from the Brink. Evaluating Progress in Colombia, 1999-2007, Center for Strategic and International Studies (CSIS) Report, 2007, <http://www.csis.org/colombiareport/>, rev. 19/04/2009.
[46] Vgl. Murillo Castaño, Gabriel/Osorio Ramírez, Freddy: La Calidad de la Democracia Colombiana. Perspectivas y Limitaciones, in: América Latina Hoy, 45 (2007), S. 47-68, hier S. 52.
[47] Vgl. etwa Carvajal Martínez, Jorge Enrique: La seguridad dentro del Estado de garantías. La seguridad democrática y el caso de las privaciones de la libertad en Colombia durante el período 2002-2006, Bogotá 2008, S. 112; Amnesty International: Déjennos en paz. La población civil, víctima del conflicto armado interno de Colombia, Länderbericht Kolumbien 2008, < https://www.doc.es.amnesty.org/cgi-bin/ai/BRSCGI/D%C3%89JENNOS%20EN%20PAZ.%20LA%20POBLACI%C3%93N%20CIVIL,%20V%C3%8DCTIMA%20DEL%20CONFLICTO%20ARMADO%20INTERNO%20DE%20COLOMBIA?CMD=VEROBJ&MLKOB=17247200140 >, rev. 4.04.2009.
[48] Vgl. Blatter et al.: Qualitative Politikanalyse, S. 136 ff.
[49] Ebd.
[50] Merkel, Wolfgang/Puhle, Hans-Jürgen/Croissant, Aurel/Eicher, Claudia/Thiery, Peter: Defekte Demokratie. Band 1 Theorie, Opladen 2003.
[51] Merkel et al., Defekte Demokratie, S. 47.
[52] Vgl. Lauth, Hans Joachim: Die Demokratiediskussion in Lateinamerika. Die Entdeckung prozeduraler „Defekte“ oder die Notwendigkeit von „Deepening democracy“ (hacia una democracia profunda), in: Birle, Peter/Nolte, Detlef/Sangmeister, Hartmut (Hg.), Demokratie und Entwicklung in Lateinamerika, Frankfurt 2006, S. 189-220, hier S. 210.
[53] Vgl. Linz, Juan J./Stepan, Alfred: Problems of Democratic Transition and Consolidation. Southern Europe, South America, and Post-Communist Europe, Baltimore 1996, S. 17; Habermas, Jürgen: Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt 1998, S. 96 f.; Offe, Claus: Allgemeine Merkmale und aktuelle Qualitätsmängel liberaler Demokratien, Vortrag am Goethe-Institut, Bogotá 2007, S. 6 (mimeo); Für Kritik an der konzeptionellen Festlegung auf den Nationalstaat als tragende Einheit siehe Schmitter, Philippe: More Liberal, Preliberal, or Postliberal?, in: Journal of Democracy, 6: 1 (1995), S. 15-22.
[54] Vgl. Merkel, Defekte Demokratie, S. 58.
[55] Siehe Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 7. Neudr., Darmstadt 1960, S. 394 ff.
[56] Anders hingegen die Auffassung in libertären Kreisen, die die Möglichkeit der Herstellung des Gutes „Sicherheit“ ohne Staat (und damit auch ohne Gewaltmonopol) sehen. In jüngerer Zeit revitalisierte Hoppe diese Extremposition, die im Folgenden allerdings nicht weiter berücksichtigt werden soll; siehe Hoppe, Hans-Hermann: Demokratie. Der Gott, der keiner ist. Monarchie, Demokratie und natürliche Ordnung, Waltrop 2003.
[57] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, 5., erweiterte Aufl., Tübingen 1972, S. 821 ff. (Hervorhebungen im Original), zit. nach Jäger, Thomas et al.: Die Tragödie Kolumbiens. Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie, S. 20.
[58] Siehe Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, 1. Aufl., Frankfurt 1991, S. 92 ff.
[59] Siehe Schulze, Hagen: Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 1994, S. 43 ff.
[60] Siehe Zippelius, Reinhold: Geschichte der Staatsideen, 6., erw. Aufl., München 1989, S. 97.
[61] Bodin, Jean: Les six Livres de la Republique (1583), Paris 1993, zit. nach Simon, Dirk: Präzeptoraler Sicherheitsstaat und Risikovorsorge (Inauguraldissertation des Fachbereichs Rechtswissenschaft, Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt), 2008, S. 18.
[62] Ebd.
[63] Siehe Schulze, Staat und Nation, S. 66 ff.
[64] Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 102.
[65] Der Begriff lehnt sich an das biblisch-mythologische Seeungeheuer Leviathan an, vor dessen Allmacht jeglicher menschliche Widerstand zuschanden werden muss.
[66] Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 102.
[67] Locke, John: Zwei Abhandlungen über die Regierung, Frankfurt 1967, S. 201.
[68] Ebd., S. 291.
[69] Ebd., S. 283 (Hervorhebungen im Original).
[70] Ebd., S. 290.
[71] Ebd., S. 291 (Hervorhebungen im Original).
[72] Ebd., S. 298.
[73] Ebd., S. 296 ff. (Hervorhebungen im Original).
[74] Siehe Glaeßner, Gert-Joachim: Sicherheit in Freiheit. Die Schutzfunktion des demokratischen Staates und die Freiheit der Bürger, Opladen 2003, S. 54.
[75] Locke, John: Zwei Abhandlungen, S. 301. (Hervorhebungen im Original)
[76] Ebd. (Hervorhebungen im Original).
[77] Isensee, Josef: Das Grundrecht auf Sicherheit, Berlin/New York 1983; zit. nach Simon, Präzeptoraler Sicherheitsstaat, S. 22.
[78] Müller, Markus M.: Demokratische Anforderungen an die Herstellung von Sicherheit, in: Brodocz, André/Llanque, Marcus/Schaal, Gary S. (Hg.), Bedrohungen der Demokratie, Wiesbaden 2008, S. 189-203, hier S. 189.
[79] Offe, Claus: Allgemeine Merkmale und aktuelle Qualitätsmängel liberaler Demokratien, S. 6 (mimeo).
[80] Müller, Demokratische Anforderungen, S. 189.
[81] Siehe Lauga, Martín: Demokratietheorie in Lateinamerika. Die Debatte in den Sozialwissenschaften, Opladen 1999, S. 18 ff.
[82] Mit Ausnahme des aus der Revolution hervorgegangenen autoritären Systems in Mexiko.
[83] Vgl. Lauth, Die Demokratiediskussion, S. 191.
[84] Mit dem Begriff der „engagierten Sozialwissenschaft“ wurde eine Konzeption des Intellektuellen verbunden, wonach dieser als „militanter Beobachter“ der lateinamerikanischen Wirklichkeit zu fungieren habe; vgl. Lauga, Demokratietheorie in Lateinamerika, S. 31.
[85] Siehe hierzu stellvertretend O’Donnell, der diese Debatte nachhaltig prägte; O’Donnell, Guillermo: Modernization and bureaucratic authoritarianism, Berkeley 1979.
[86] Lechner, Norbert: De la révolucion à la démocratie. Le débat intellectual en Amérique du Sud, in: Esprit, 116, S. 1-13; zit. nach Lauth, Die Demokratiediskussion, S. 193.
[87] Für eine vergleichende Analyse der Regimewechsel in Lateinamerika siehe Diamond, Larry/Hartlyn, Jonathan/Linz, Juan J./Lipset, Seymour Martin (Hg.): Democracy in Developing Countries. 4. Latin America, 2. Aufl., Boulder 1999.
[88] Karl, Terry Lynn/Schmitter, Philippe: What democracy is…and is not, in: Journal of Democracy, 2: 3 (Sommer 1991), S. 75-88, hier S. 75.
[89] Siehe Lauga, Demokratietheorie, S. 47, 206.
[90] O’Donnell, Guillermo: Introduction to the Latin American Cases, in: Ders./Schmitter, Philippe/Whitehead, Laurence (Hg.): Transitions from Authoritarian Rule. Latin America, Baltimore/London 1986, S. 3-18, hier S. 3.
[91] Lauga, Demokratietheorie, S. 207.
[92] Ebd., S. 208.
[93] Huntington, Samuel: How Countries Democratize, in: Political Science Quarterly, 106: 4 (1991-1992), S. 579-616, hier S. 580.
[94] Linz/Stepan, Problems of Democratic Transition, S. 3.
[95] Dahl, Robert A.: Polyarchy. Partizipation and Opposition, New Haven/London 1971.
[96] Siehe O’Donnell, Introduction to the Latin American Cases, S. 9 ff. Für Kritik hierzu vgl. Nohlen, Dieter/Thibaut, Bernhard: Transitionsforschung zu Lateinamerika. Ansätze, Konzepte, Thesen, in: Merkel, Wolfgang (Hg.), Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 1996, S. 195-228, hier S. 215 ff.
[97] Vgl. zur Übersicht Collier, David/Levitsky, Steven: Democracy with Adjectives. Conceptual Innovation in Comparative Research, in: World Politics, 49: 3 (1997), S. 430-451.
[98] Merkel et al., Defekte Demokratie , S. 22. Vgl. auch Linz/Stepan, Problems of Democratic Transition, S. 5 ff.
[99] Gunther, Richard/Diamandouros, Nikiforos/Puhle, Hans-Jürgen: Introduction, In: Dies. (Hg.), The Politics of Democratic Consolidation. Southern Europe in Comparative Perspective, Baltimore 1995, S. 1-32, hier S. 7.
[100] Collier/Levitsky: Democracy with Adjectives, S. 430.
[101] UNDP (Hg.): Democracia en América Latina. Hacia una democracia de ciudadanas y ciudadanos, New York 2004, <http://www.undp.org/spanish/proddal/informeProddal.html>, rev. 22.10.2009.
[102] Vgl. Lauth, Die Demokratiediskussion, S. 210.
[103] Das gilt freilich auch für die meisten Demokratien der ersten Welle.
[104] Vgl. Merkel, Defekte Demokratie, S. 11.
[105] Lauth, Die Demokratiediskussion, S. 210 ff.
[106] Vgl. Nohlen, Dieter: Introducción. Democracia y Neocrítica. Un ejercicio de evaluación del desarrollo democrático reciente en América Latina, in: Ders. (Hg.), Democracia y neocrítica en América Latina. En defensa de la transición, Frankfurt/Madrid 1995, S. 7-27, hier S. 9 ff.
[107] Vgl. Lauth, Die Demokratiediskussion, S. 211.
[108] Vgl. etwa den Demokratieindex des Bertelsmann Transformationsindexes (BTI), < http://www.bertelsmann-transformation-index.de/>, rev. 17.10.2009; die Demokratiemessung als 15-Felder-Matrix von Lauth, Hans Joachim: Demokratie und Demokratiemessung, Wiesbaden 2004; und das Konzept der defekten Demokratien, Merkel et al., Defekte Demokratie.
[109] Siehe Dahl, Partizipation and Opposition.
[110] Vgl. Pickel, Susanne/Pickel, Gert: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S. 154 ff.
[111] Bei den in den Abbildungen angeführten Messungen ist zu beachten, dass die Werte Null bis Fünf bei Vanhanen Autokratie bedeuten, während in der Freedom House -Untersuchung auf einer Skala von eins bis sieben umgekehrt der geringste Wert (Eins) für den höchsten Demokratiegrad steht. Vgl. Vanhanen, Tatu: Democratization. A comparative analysis of 170 countries, London 2003 und Freedom House (Hg.): Freedom in the World 1997/1998. The Annual Survey of Political Rights and Civil Liberties, 1997-1998, New York 1998.
[112] Jäger, Thomas et al.: Die Tragödie Kolumbiens. Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie, Wiesbaden 2007, S. 115.
[113] http://www.freedomhouse.org/template.cfm?page=363&year=2005.
[114] Vgl. Jäger, Thomas et al.: Die Tragödie Kolumbiens. Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie, S. 116.
[115] Vgl. ebd.
[116] Linz/Stepan, Problems of Democratic Transition, S. 10.
[117] Zu dem Einfluss der Sicherheitsdoktrin auf die lateinamerikanischen Staaten und deren Sicherheitspolitiken sowie deren Auswirkungen siehe Kapitel 2.2.
[118] Merkel et al., Defekte Demokratie, S. 47.
[119] Vgl. ebd., S. 50.
[120] Die „Freiheit vom Staat“, vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 419.
[121] Vgl. O’Donnell, Guillermo: Delegative Democracy, in: Journal of Democracy, 5: 1 (Januar 1994), S. 55-69, hier S. 61.
[122] Vgl. Reitz, John: Constitutionalism and the Rule of Law, in: Grey, Robert (Hg.), Democratic theory and post-communist change, London 1997, S. 111-143, hier S. 113 ff.
[123] Aussage von Carlos Gaviria Díaz in einem Gespräch mit der Verfasserin am 19.05.2009, vgl. die Transkriptionen der Interviews auf der beiliegenden CD-ROM.
[124] Für detaillierte Ausführungen zu Entstehung und Verlauf des Kalten Krieges siehe etwa Gaddis, John Lewis: Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte, München 2007.
[125] Nationaler Notstand, der die US-amerikanische Wirtschaft und das Militär auf die Eventualität eines Krieges vorbereiten sollte. Sein wichtigstes Instrument war der National Security Act aus dem Jahre 1947, mit dem die Neuausrichtung der amerikanischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vollzogen wurde. Zusammen mit der Truman Doktrin bekräftigte das Gesetz den angekündigten Konfrontationskurs und die sog. Containment-Politik gegenüber der UdSSR.
[126] Siehe Raskin, Marcus: The Politics of National Security, New Jersey 1979, S. 31.
[127] Nur Kolumbien nahm die US-Position an und schickte Truppen nach Korea.
[128] Vgl. Sicker, Martin: The Geopolitics of Security in the Americas. Hemispheric Denial from Monroe to Clinton, Westport/London 2002, S. 109.
[129] Vgl. Leal Buitrago, Francisco: La Seguridad Nacional a la Deriva, Bogotá 2002, S. 6 ff.
[130] Vgl. Sicker, The Geopolitics, S. 110.
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