Servant Leadership in sozialen Organisationen

Dienende Führung im dritten Sektor


Bachelorarbeit, 2012

57 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Dienen und Führen – Ein Paradoxon?

1. Grundlagen von „Leadership“ im Allgemeinen
1.1 Unterschied zwischen „Management“ und „Leadership“

2. Grundlagen zu „Servant Leadership“
2.1 Dienen und Führen gehören zusammen
2.2 „Servant Leadership“ als Lebenshaltung
2.3 Maßstäbe von „Servant Leadership“

3. Anforderungen an einen „Servant Leader“
3.1 Die zehn Kernelemente „Dienender Führung“
3.2 Die nicht-delegierbaren Aufgaben eines „Servant Leaders“

4. Soziale Organisationen – Ein Spannungsfeld zwischen Bedürfnissen, Ressourcen und Legitimation

5. Vorteile von „Servant Leadership“ in sozialen Organisationen
5.1 „Servant Leadership“ und Leitbilder von NPOs
5.2 Servant Leadership und kirchliche Organisationen
5.3 Servant Leadership und Personalführung in NPOs

6. Kritische Sichtweisen
6.1 Die ideale Führungskraft
6.2 Der „Pursuit of Happiness“-Approach
6.3 Die große Führerpersönlichkeit
6.4 Christliche Denkweisen in NPOs

7. Fazit

Danksagung

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Dienen und Führen – Ein Paradoxon?

In den letzten Monaten wurde Deutschland Zeuge einer Debatte über die Rechte und Pflichten eines Bundespräsidenten in der Bundesrepublik Deutschland. Die „Ära Wulff“ ließ in vielen Reihen der Politik und Gesellschaft deutliche Kritik über die Problematik einer nicht homogenen Einheit von Handlungen einer Person einerseits und den hohen Erwartungen an den „Staatsdiener“ der ersten Stelle andererseits laut werden. Der Wunsch nach einer Führungsebene im Sinne Friedrich II. von Preußen (1740 – 1786), der sich selbst als „ersten Diener seines Staates“ sah, wurde mit Vehemenz geäußert.

Besonders schmerzhaft und von einem hohen Vertrauensverlust begleitet sind Verfehlungen auf Führungsebene in sozialen Organisationen und Bildungseinrichtungen. 2010 machten z. B. zwei große Skandale von sich reden. Im ersten Fall ging es um die „Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen“ (CGZP), die mit „Dumping-Abschlüssen“ letztlich hunderttausende Menschen um einen fairen Lohn betrogen. Besonders betroffen machte der zweite Fall um die zahlreichen und langjährigen Missbrauchsvorfälle in der reformpädagogisch geführten Odenwaldschule in Hessen, begangen von einer Vielzahl von Lehrkräften und sogar einer Schulleitung. Welches Bild von „Führung“ nistete sich hier in einigen Köpfen ein?

Eigenschaften wie „Demut“, „Vorbild sein“ oder „ethisches Handeln“ werden auch nicht erst seit der letzten großen Finanzkrise, die ihren Beginn 2007 hatte, von Führungskräften auf allen Ebenen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erwartet. Eine breite Masse der Bevölkerung sieht ihre Führungskräfte nicht mehr als Repräsentanten für die Sache des „kleinen Mannes“. Wem „dienen“ Führungskräfte? Sich selbst oder der Sache?

Diese Frage stellte sich wohl auch der Amerikaner Robert K. Greenleaf (1904-1990). Er gilt als Initiator und Promoter des „Servant Leadership“ oder, um eine deutsche Begrifflichkeit zu wählen, der „Dienenden Führung“. Greenleafs Anliegen galt einem neuen „Denken und Handeln in Richtung einer besseren, sorgsameren Gesellschaft“. (vgl. Schnorrenberg in Greenleaf, 2004, S. 64)

Die Frage, die sich immer wieder in der Begrifflichkeiten-Trias „Management/Leadership/Führung“ stellt, ist wie Menschen so geführt werden können, dass sie das tun, was von ihnen auf einer höheren Leitungsebene verlangt wird. Wie können dadurch die persönlichen Ziele der Führungskraft und/oder des Unternehmens sichergestellt werden? (vgl. Schnorrenberg, 2007, S. 18)

Servant Leadership dreht hierbei die Fragestellung um: Was kann ich für andere tun, damit sie eine persönliche Weiterentwicklung erfahren und die gemeinschaftlichen Ziele erfolgreich erreichen können (vgl. ebd.)?

Die Führungskraft als „Diener“ seiner MitarbeiterInnen? Wie soll das zusammenpassen?

Mit dieser Thematik setzt sich vorliegende Arbeit auseinander. Dabei sollen folgende Punkte näher betrachtet werden: Was ist eigentlich „Leadership“ und wo besteht der Unterschied zum „Management“? Was ist insbesondere Servant Leadership und aus welchen Wurzeln speist sich der Begriff? Welche Anforderungen werden an eine Führungskraft gestellt, die Servant Leadership praktizieren möchte? Welche Bedeutung könnte Servant Leadership in sozialen Organisationen haben? Kritische Stimmen und ein persönliches Fazit schließen diese Arbeit ab.

Zur Thematik der „männlichen“ vs. „weiblichen“ Schreibweise: Selbstverständlich sind immer auch weibliche Personen bei einer männlichen Schreibweise angesprochen. Dies wird auch stellenweise durch die -Innen Form deutlich gemacht. Der besseren Lesbarkeit zuliebe wurde dies nicht immer explizit durchgeführt.

1. Grundlagen von „Leadership“ im Allgemeinen

Zunächst soll geklärt werden, woher der Begriff stammt. Unterschiedliche Formen von Leadership sind in den USA entwickelt worden. Diese finden seit den 1970er Jahren in Profit-Organisationen ihre Beachtung (vgl. Brink / Eurich, 2006, S.1).

John P. Kotter wird als „Erfinder“ des Begriffes Leadership genannt. Mit seinem Buch „A Force For Change: How Leadership Differs From Management“ definierte er, simpel ausgedrückt, den Unterschied zwischen Managern und Führern (Leadern) (vgl. Hegele-Raith, 2004, S. 37): Manager sind hierbei eher Verwalter, und Leader dagegen Visionäre (vgl. ebd.).

Als neu konnte dieser Ansatz allerdings nicht angesehen werden, da schon Jahre zuvor durch die Unterscheidung von transaktionaler und transformativer Führung durch James M. Burns (1978) und Abraham Zaleznik (1977) diese Thematik aufgegriffen wurde (vgl. ebd.).

Der Begriff „Leadership“ ist relativ neu im deutschsprachigen Vokabular von Soziologie, Ökonomie oder Politologie (vgl. Manzeschke / Nagel, 2006, S.1f). Die Begriffe „Führer“ bzw. „Führerschaft“ haben besonders in Deutschland, trotz fast siebzigjähriger „Halbwertszeit“, ein „schlechtes Image“. Aufgrund der NS-Zeit wird der Gebrauch dieser Begrifflichkeiten meistens in einem ambivalenten Licht gesehen.

Leadership ist mehr als ein Synonym für Führung, Management oder der Anwendung gelernter Führungsmethoden.

Nach einer Definition von Gotthardt Schwarz und Reinhilde Beck ist Leadership eine:

„[...] ausbalancierte Steuerung zwischen den sachbezogenen Anforderungen eines Be­triebes, einer Verwaltung als Leistungsgemeinschaft und den individuellen Bedürf­nissen der Beschäftigten als Personengemeinschaft. Hierbei handelt es sich um Pro­zesse, die sowohl darauf abzielen, die Mitarbeiter/-innen zu fordern (ausgerichtet auf Ziele der Organisation) wie auch mit dem Blick auf die persönlichen Interessen, Ziele und Ressourcen zu fördern und die dabei entstehenden Konflikte konstruktiv zu lösen.“ (Schwarz / Beck, 2001, S.7).

Des Weiteren wird Leadership wie folgt definiert:

- „eine große Organisation (ein komplexes System) zielgerichtet und ganzheit­lich in einem Prozess dauerhafter Entwicklung zu ihrer Höchstleistung zu führen,
- dazu im Interesse der Zukunftsfähigkeit der Organisation grundlegenden Wandel zu wagen, die Menschen dafür zu befähigen und über Widerstände hinweg zu bewegen,
- die dazu erforderliche Umgestaltung und Transformation der Organisation einzuleiten und unter Berücksichtigung aller Elemente der Organisation (Strategie, Kultur, Prozesse, Struktur, Führung, Information und Kommunika­tion, Leistung und Ergebnisse) konsequent voranzutreiben,
- die Menschen in der Organisation mental und emotional für eine Zukunftsvi­sion zu stimulieren und eine Verbundenheit über alle Hierarchieebenen hin­weg zu bewirken.

(www.spirit-of-leadership.de)

1.1 Unterschied zwischen „Management“ und „Leadership“

Wenn über Leadership gesprochen wird, dann kommt man nicht umhin, sich mit den Unterschieden zum klassischen Management zu befassen.

Marlies Fröse beschreibt, dass Leadership mehr als Management ist. Warren Bennis machte 1989 diese Zweiteilung sichtbar und wurde unter anderem durch Paul Birch 1999 bestätigt (vgl. Fröse, 2009, S. 228)

Management arbeitet im Organisationssystem und Leadership arbeitet am Organisationssystem. Gerne wird zusammengefasst nach Peter F. Drucker gesagt (oder Warren Bennis, hier ist man sich nicht immer ganz einig [Erg. A.O.]): „Managers do the things right, leaders do the right thing.“ (vgl. ebd.). Management sorgt für die Effizienz (die Dinge richtig tun) in einer Organisation, während indessen Leadership auf Effektivität (die richtigen Dinge tun) ausgerichtet ist (vgl. Manzeschke / Nagel, 2006, S. 10f).

Drucker betonte die Dringlichkeit dieser Unterscheidung, indem er sagte: „Nichts ist weniger produktiv als mehr Effizienz in Dingen zu erlangen, die wir besser gar nicht täten.“ (vgl. Naz, 2004, S. 214)

Drucker führte hierbei gerne das Beispiel des ungarischen Wissenschaftlers Albert Szent-Györgyi an. Dieser wollte gerne über die Ursachen der Flatulenz forschen. Sein Professor erklärte ihm, er solle lieber über etwas Wichtiges forschen, da seines Wissens nach noch niemand an Flatulenz gestorben sei!

Da Szent-Györgyi dem Rat seines Professors folgte, erhielt er 1937 [Erg. A.O.] den Nobelpreis für die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Vitamin C und biologischer Oxidation (vgl. ebd.).

Oswald Neuberger fasst weitere Differenzkriterien verschiedener Autoren wie Zaleznik (1977), Bennis (1993) und Kotter (1990) zusammen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: ManagerInnen und FührerInnen - eine Gegenüberstellung

(Neuberger, 2002, S. 49)

Anzumerken sei hierbei, dass Neuberger bei der Gegenüberstellung eine „Verherrlichung“ der „Führung“ seitens der Autoren unterstellt (vgl. Neuberger, 2002, S. 49). Diese Kritik soll später noch ausführlicher aufgegriffen werden.

Hans H. Hinterhuber unterscheidet Management und Leadership folgendermaßen:

Leadership heißt für ihn:

- „Eine Richtung vorgeben die Sinn macht
- Entdecken neuer Möglichkeiten und die Fähigkeit, diese umzusetzen oder umsetzen zu lassen
- Die Mitarbeiter inspirieren und in die Lage versetzen, sich begeistert für gemeinsame Ziele und Aufgaben einzusetzen
Management bedeutet:
- „Kreatives Lösen von Problemen/Optimieren von etwas Bestehendem
- Bewertung/exzellente Umsetzung einer Möglichkeit
- Planen, Organisieren, Kontrollieren, Koordinieren und dergleichen mehr

(Hinterhuber, 2009, S. 22 & Hinterhuber / Saeed, 2007, S. 44)

Abbildung 1: Leadership und Management bilden eine Einheit

(Hinterhuber / Saeed, 2007, S. 44)

Gleichwohl betrachtet Hinterhuber Leadership und Management als eine Einheit. Führende benötigen seiner Ansicht nach beides, Leadership- und Management-Fähigkeiten.

2. Grundlagen zu „Servant Leadership“

Der Begriff Servant Leadership wurde von dem Amerikaner Robert K. Greenleaf (1904-1990) erstmals in seinem 1970 erschienenen Essay „The Servant as Leader“ geprägt und eingeführt. Die Inspiration für dieses Essay kam Greenleaf durch Hermann Hesses „Die Morgenlandfahrt“ (siehe Infokasten). Seitdem wurde das Werk Greenleafs in mehrere Sprachen übersetzt und über 500.000-mal weltweit verkauft. (vgl. Schnorrenberg, 2007, S. 24f)

Greenleaf arbeitete 40 Jahre beim nordamerikanischen Telefonkonzern AT&T im Management und beschäftigte sich mit den Themen Managementforschung, -entwicklung und –ausbildung. Darauffolgend war er über einen Zeitraum von 25 Jahren als Berater und Gast-Professor für namhafte Unternehmen, Institute, Verbände und Universitäten tätig (z. B. Harvard Business School, Massachusetts Institute of Technology). Greenleaf gründete 1964 das „Center of for Applied Ethics“, welches 1984 in „The Robert K. Greenleaf Center for Servant-Leadership” umbenannt wurde. (vgl. ebd. S.24)

Seine Sichtweise und Erfahrungen brachte er unter dem Leitmotiv “The Servant as Leader” in einer Reihe von Schriften heraus. Schnorrenberg sieht Greensleafs Anliegen als Anregung „[…] für ein neues Denken und Handeln zugunsten einer besseren, sprich mehr sorgsameren [!] Gesellschaft.“. (vgl. ebd.)

Greenleaf begeisterte mit diesem Führungsverständnis namhafte Management-wissenschaftler, -berater und Unternehmer, wie Peter F. Drucker, Peter Senge, Warren Bennis u. a. m. (vgl. ebd.).

„Die Morgenlandfahrt“ (Hermann Hesse, 1932)

„Die Morgenlandfahrt“ ist eine kleine Prosadichtung. Sie handelt von einer Gruppe Menschen, Anhänger eines Bundes, die aus den unterschiedlichsten Gründen eine mythologische Reise unternehmen. Die zentralen Figuren der Erzählung sind der Musiker H. H. und der Diener Leo. Leo verrichtet einerseits während dieser Reise Arbeiten für die Gruppe und trägt andererseits durch seine gute Laune und seinen Gesang Sorge für das seelische und geistige Wohl der Gesellschaft.

Als Leo plötzlich verschwindet, zerfällt die Reisegruppe und das ursprüngliche Ziel eines jeden wird aus den Augen verloren.

Nach Jahren der Suche und dem Wunsch über die Reise zu schreiben, findet der Erzähler H. H. wieder zurück zum „Bund“ und erfährt, dass Leo in Wirklichkeit der „Oberste“ dieser Gemeinschaft ist.

Leo: „Es ist das Gesetz vom Dienen. Was lange leben will, muß dienen. Was aber herrschen will, das lebt nicht lange.“

H. H.: „Warum streben dann so viele nach Herrschaft?“

Leo: „Weil sie es nicht wissen. Es gibt wenige, die zum Herrschen geboren sind, sie bleiben dabei fröhlich und gesund. Die anderen aber, die sich bloß durch Streberei zu Herren gemacht haben, die enden alle im Nichts.“

H. H. :“In welchem Nichts, Leo?“

Leo: „Zum Beispiel in den Sanatorien.“

(Hesse, 1963, S. 39f)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1 Dienen und Führen gehören zusammen

Gleich vorweg, die anfangs gestellte Frage, ob die Begriffe „Dienen“ und „Führen“ sich diametral gegenüberstehen, soll hier anhand verschiedener Darstellungen mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden.

Hans L. Merkle sah in seiner 1979 geschriebenen Rede den tertiären Sektor, mit seiner „Dienstleistung“ im Verhältnis zu den anderen Sektoren weiter zunehmen (und er sollte bis jetzt Recht behalten [Erg. A. O.]). Diese Angebote stehen und fallen mit der Bereitschaft zu dienen und zu leisten. (vgl. ebd., S. 159f.)

Merkle beschreibt Dienen und Führen „[…] als Aspekte einer Grundtatsache, als Erscheinungsform eines Phänomens […]“ (vgl. Merkle, 2001, S. 162).

Seine These ist, dass Dienen und Führen weder historisch noch zukunftsbezogen als Gegensätze zu betrachten sind. Merkle sieht Führung als eine besondere Kategorie des Dienens und postuliert, dass die Führungsneigung aus der Bereitschaft zum Dienen hervorgehe. (vgl. ebd.)

Peter Zinkann sieht ebenfalls keinen Widerspruch im Begriffspaar „Dienen“ und „Führen“. Seiner Auffassung nach sollte sinnvollerweise das eine die Voraussetzung des anderen sein. Führen bedeutet für Zinkann, andere Menschen für ein gemeinsames Ziel zu motivieren, sich dafür einzusetzen und letztlich dem Ziel zu dienen. (vgl. Zinkann, 2007, S. 63)

Bevor nun über die Grundzüge von Servant Leadership berichtet wird, muss noch eine grundsätzliche Feststellung getroffen werden. Der Begriff „Dienen“ hat in unserem Sprachraum eine enorme Spannweite in seiner Bedeutung und Interpretation. So ist oft genug die Vorstellung jemanden „Diener“ zu sein, mit einem negativen Vorzeichen besetzt. Mit „dienender Führung“ ist keineswegs ein Weg ins „Sklaventum“ der Führungsperson gemeint, ganz im Gegenteil.

Um ein praktisches Sinnbild zu bemühen: Eine Führungskraft darf seinen MitarbeiterInnen auch mal einen Kaffee kochen, ist aber nicht deren „Getränkeservice“!

Boris Kaehler und Markus Krost betonen, dass eine dienstleistende Führung keine Unterordnung der Führungskraft gegenüber seinen MitarbeiterInnen bedeutet. Der Verzicht auf notwendige Maßnahmen, die zur Erfüllung konkreter Aufgaben für die Organisation von Nöten sind und gegebenenfalls auch unangenehm für die MitarbeiterInnen sein können, sind ebenfalls kein Bestandteil von Servant Leadership. (vgl. Kaehler / Krost, 2010, S. 56)

2.2 „Servant Leadership“ als Lebenshaltung

Die Ideen Greenleafs, die 1970 in seinem Essay „The Servant as Leader“ veröffentlicht wurden, entsprachen damals nicht dem Mainstream der Leadership- Forschung. Diese konzentrierte sich vielmehr auf die Entwicklung von Messverfahren für Charaktereigenschaften, die man von Führungskräften erwartete. Auf Basis der Eigenschaftstheorie (trait theory) rückten hier Intelligenz, Selbstvertrauen, Entschlossenheit, Integrität und Soziabilität in den stärkeren Fokus. (vgl. Zehetner, 2007, S. 197)

Die rund um das Jahr 1970 entstandenen Führungsstiltheorien (style theories) bauten auf der Situationstheorie von Fiedler (1967) auf. Aufbauend darauf entwickelten sich empirisch fundierte Modelle, wie bspw. das Verhaltensgitter nach Blake/Mouton (1968), der 3D-Ansatz nach Reddin (1981) und das Reifegradmodell nach Hersey/Blanchard (1982). Diese wurden so populär, dass sie die akademische Lehre und den konzeptionellen Verständnisteil von nichtakademischen Leadership Trainings beherrschten. (vgl. ebd.)

Für Schnorrenberg entsteht aus Greenleafs Veröffentlichungen die Notwendigkeit für eine „dienende Führungskultur“, die sich nicht auf die Gemeinschaft im engeren Sinn (z. B. Unternehmen mit Mitarbeitern, Kunden ect.) beschränkt, sondern auch im weiteren Sinne die Umwelt und die Gesellschaft einschließt. Er bezeichnet Servant Leadership als eine praktische Führungs-Philosophie, „[…] in der Dienen im Sinne eines kreativen Altruismus der Ausgangspunkt ist – mit der Verantwortung in der Welt zu sein und zum Wohlbefinden von Menschen und Gemeinschaften beizutragen.“ (vgl. Schnorrenberg, 2007, S. 27).

Wichtig für ihn ist, dass die „Dienende Führung“ nicht als ein „Management by Konzept“, ein Prinzip oder eine Technik gesehen wird. Schnorrenberg sieht Servant Leadership mehr als eine Lebenshaltung, die sich auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt. Sie ist die Vertrauensbasis für ein persönliches und professionelles Wachstum, eine effiziente Zusammenarbeit, für (Eigen-) Verantwortlichkeit und Tatkraft. (vgl. ebd.)

Für Schnorrenberg wird dadurch deutlich, dass Servant Leadership „[…] keine Schnellreparatur-Methode ist, die durch Organisationshandbücher dokumentiert oder durch ISO-Zertifikate erworben werden kann.“ Dienende Führung ist ein persönlicher geistiger Reifeprozess. (vgl. ebd.)

Servant Leadership beinhaltet im Wesentlichen:

- „Entwicklung zunehmender Dienstbarkeit und Engagement für das eigene Wachstum und das von anderen, die auf ihre Weise auch dienen und somit Verantwortung übernehmen für ihre [!] eigenes Leben.
- Ganzheitliche Betrachtung der Qualitäten von Mensch, Arbeit und Gemeinschaftssinn.
- Spirituelles Verständnis von Identität, Mission, Vision und Umgebung.
- Entwicklung der Intuition und des Zuhörens zur Förderung von Zusammenarbeit sowie ethischen und moralischen Anwendung von Macht und Sozialenergie (Empowerment).

(Schnorrenberg, 2007, S. 28)

„Die meisten Führungskräfte (Manager) werden sich

in ihrem Leben nicht davon bewusst,

dass sie nur eine Person zu führen haben,

nämlich sich selbst.“

(Peter F. Drucker)

2.3 Maßstäbe von „Servant Leadership“

Um die Wirkungsweise der „dienenden Führung“ bewerten zu können, benannte Greenleaf vier Kernfragen:

- „In welchem Umfang wachsen die Personen, denen gedient wird, als Menschen?
- Werden sie gesünder, weiser, freier und autonomer?
- Wollen sie selbst auch servant leader werden?
- Welche Effekte sind insbesondere für die weniger Privilegierten wahrnehmbar?

(Schnorrenberg, 2007, S. 28)

Die Kernfragen über die Resultate dienender Führung weisen für Schnorrenberg auf die gegenseitig bezugnehmende Charakterebene von Führenden und Geführten. Er sieht sie als eine von Abhängigkeiten freie, wechselseitige Beziehung. Schnorrenberg definiert hierbei „Abhängigkeit“ als einen gefühlsmäßigen Zustand des Sich-Anklammerns aus der Überzeugung heraus, ohne eine bestimmte Sache oder eine bestimmte Person nicht glücklich sein zu können. (vgl. Schnorrenberg, S. 28f)

Die Frage, ob unsere „dienende Haltung“ tatsächlich zum Wohle der anderen sein soll und gegenwärtig ist oder war, kann nur durch den „Empfänger“ beantwortet werden und nicht durch „Sender“. Als humorvolles Beispiel dient hier die Geschichte des jungen Pfadfinders, der aus dem Pflichtbewusstsein „jeden Tag eine gute Tat“ zu vollbringen, eine ältere Dame über die Straße führt, obwohl sie diese gar nicht überqueren wollte. (vgl. ebd., S. 29)

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass wir nicht durch Dritte zum „Dienen“ gezwungen werden können (vgl. ebd.). Ohne die intrinsische Motivation kann eine dauerhafte „gesunde“ Wechselwirkung für „Geber“ und „Nehmer“ nicht funktionieren.

Für Schnorrenberg hat „Dienen“ immer zuerst mit der Frage zu tun: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“. Diese Frage beginnt bei einem selbst wie die Fähigkeit, im Dienen anderer sich selbst Barmherzigkeit zuzugestehen, wenn man diese benötigt. (vgl. ebd.)

Greenleaf weist des Öfteren in seinen Ausführungen darauf hin, dass die Hilfesuchenden bestimmen sollen, welche Hilfe wann und durch wen sie benötigen und in Anspruch nehmen. Diese Sichtweise wird auch von Hilfsorganisationen vertreten, die erkannt haben, dass die „Hilfe zur Selbsthilfe“ die effektivste Form der Dienstbarkeit für Bedürftige ist. Nicht allein die Sicherung elementarer Grundbedürfnisse der Menschen vor Ort, sondern auch die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Nutzung eigener Ressourcen (Stichwort Empowerment [Erg. A. O.]) sind wichtig, um die Menschen wieder in Verantwortung für sich selbst und andere zu bringen. (vgl. ebd.)

„Gib einen Hungernden einen Fisch, und er wird einmal satt,

lehre ihm das Fischen, und er wird nie wieder hungern.“

(nach Laotse)

[...]

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Servant Leadership in sozialen Organisationen
Untertitel
Dienende Führung im dritten Sektor
Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften München
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
57
Katalognummer
V231068
ISBN (eBook)
9783656488217
ISBN (Buch)
9783656492771
Dateigröße
1117 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Servant, Leadership, Dienende Führung, Führung, Greenleaf, Management, NPO, Leader, sozial, Organisationen, Kirche, Personalführung, christlich
Arbeit zitieren
Alexander Ostermeier (Autor:in), 2012, Servant Leadership in sozialen Organisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231068

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