Hemmschwelle adé – immer noch veröffentlichen viele Jugendliche nahezu
ihr ganzes Leben im World Wide Web. Besonders soziale Netzwerke
werden genutzt, um sich selbst darzustellen. Dabei können gepostete
Inhalte und Bilder schnell negative Reaktionen hervorrufen. Besonders
verletzend sind abfällige Kommentare zum Aussehen oder falsche Behauptungen
zur Person. In solchen Fällen sprechen Experten von Cybermobbing.
In diesem Buch wird diskutiert, wie Cybermobbing zustande kommt, mit
welchen Folgen die Opfer zu kämpfen haben und wie man sich vor Übergriffen
schützen kann.
Aus dem Inhalt: Kommunikation im Internet, Anonymität im Internet, Cybermobbing, Präventions- und Interaktionsstrategien, Offline Persönlichkeit vs. Online Persönlichkeit, Folgen für die Opfer, Opfer vs. Täter, Anlässe und Auslöser von Cyber-Mobbing, Möglichkeiten, sich zu schützen.
Inhaltsverzeichnis
Cybermobbing. Ein wirklich neues Phänomen mit neuen erforderlichen Präventions- und Interaktionsstrategien? Von Sebastian Ketting 2013
Literatur
Offline Persönlichkeit vs. Online Persönlichkeit. Der Einfluss des Internets auf unsere Persönlichkeit am Beispiel des Cybermobbings von Sarah Bestgen 2011
Zusammenfassung
Einleitung
Offline Persönlichkeit vs. Online Persönlichkeit
Wechselwirkung zwischen der realen und der virtuellen Welt in Bezug auf unsere Persönlichkeit
Gefahren des Internets für die Offline Persönlichkeit am Beispiel des Cybermobbings
Fazit
Literatur
Die Auswirkungen von Anonymität in der Online-Kommunikation. Wie das Internet Cybermobbing ermöglicht und Nähe schafft von Julia Steinborn 2012
Einleitung
Kommunikation im Internet
Anonymität im Internet
Cybermobbing
Fallbeispiel: Nana Davis
Schlusswort
Anhang
Cyber-Mobbing - Wie stark sind Jugendliche betroffen? Von Karolin Strohmeyer 2012
Einleitung
Definitionen
„Opfer vs. Täter“
Cyber-Mobbing
Wie kann man sich schützen?
Beispiele für öffentlich bekannte Vorfälle von Cyber - Mobbing
Fazit
Anhang 1: Umfrage zum Thema Cyber-Mobbing
Anhang 2: Auswertung der Umfrage zum Thema Cyber-Mobbing im Vergleich mit den JIM-Studien 2011 bzw. 2010
Literaturverzeichnis
Cybermobbing. Ein wirklich neues Phänomen mit neuen erforderlichen Präventions- und Interaktionsstrategien? Von Sebastian Ketting
2013
Mobbing und Cybermobbing – wie sich bereits allein aus der großen Ähnlichkeit beider Begriffe konstatieren lässt, handelt es sich hierbei fraglos um zwei Begriffe, die in einem engen Zusammenhang zueinander stehen. Wohingegen der Begriff Mobbing bereits in den sechziger Jahren erstmals und verstärkt in den 1980er- und 90er Jahren aufkam, ist das Phänomen Cybermobbing ein solches, das erst durch die flächendeckende Computer- und Internetnutzung aktuell wurde. Eine der vielen, neu entstehenden Fragen ist nun, wie auf die neue Situation zu reagieren ist. Ergeben sich durch die neue Dimension des Internets neue, unüberbrückbare Schwierigkeiten? Sind die bereits entwickelten Anti-Mobbing-Konzepte noch adäquat für dieses neue Problem? Genau diese Fragen versucht dieser Aufsatz zu beantworten. Dabei erscheint es sinnvoll, zunächst von begrifflichen Unterschieden auszugehen, um prinzipielle Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Problemlagen zu verdeutlichen.
Mobbing ist ein Begriff, der unglaublich weit gefasst ist. Das meint, dass Mobbing eine unglaubliche Bandbreite an Handlungen umfasst, die andere schikanieren. Einfach ausgedrückt: So vielfältig Persönlichkeiten sind, so vielfältig sind die Mobbing-Strategien und Schwächen der anderen, die ausgenutzt werden können. Eine einheitliche Definition ist daher nur schwer möglich. Kindler allerdings kommt zu folgender Definition, die zumindest einige der wichtigsten Merkmale durch deren große Reichweite umschließt: „Mobbing basiert auf einem relativ stabilen Machtgefälle, es ist eine dauerhafte, grundlegende Gewaltform, die regelmäßig ausgeübt wird und sich in schädigenden Handlungen zeigt.“ (Kindler 2009: S. 13) Es ist allerdings nicht unumstritten, ab welchem zeitlichen Rahmen von regelmäßig zu sprechen ist. Als Faustregel kann gelten, dass entsprechende Handlungen wöchentlich mindestens zwei bis drei Monate andauern, um von Mobbing sprechen zu können.
Betrachtet man den Kern vorhandener Beschreibungen des Cybermobbings, erkennt man, dass die eigentlichen Handlungen in der virtuellen nicht stark von Mobbing in der realen Welt abweichen. Schattenfroh beispielsweise definiert Cybermobbing als „das absichtliche Beleidigen, Bedrohen oder Bloßstellen einer Person mithilfe [...] elektronischer Kommunikationsmittel.“ (Schattenfroh 2012: S.6) Auch die eigentlichen Straftatbestände ergänzen sich, im Vergleich zum herkömmlichen Mobbing, nur um wenige Punkte. Dies fällt auf, wenn man die Liste der möglichen, durch Cybermobbing begehbaren Straftaten betrachtet.[1] Bis auf die unerlaubte Nutzung von Bildaufnahmen kommen wahrscheinlich alle diese Straftatbestände auch beim Mobbing im herkömmlichen Sinne vor. Neu sind an dieser genannten Definition eigentlich lediglich die elektronischen Medien. Gefährlich, und das taucht in dieser Definition keineswegs auf, ist die Folge dieser elektronischen Form des Mobbings: Anders als vor dem elektronischen Zeitalter sind einerseits die Mobbing-Opfer nun permanent erreichbar, andererseits aber auch die Täter 24 Stunden am Tag in der Lage, Mobbing-Handlungen auch außerhalb der Schule oder der unmittelbaren körperlichen Nähe des Opfers durchzuführen. Hinzu kommt durch diese nicht zwangsweise vorhandene körperliche Nähe von Täter und Opfer das, im Extremfall, unendlich große Publikum, welches an Bloßstellungen teilhaben kann. Im ungünstigsten Fall bleibt eine solche Handlung zudem nicht weitestgehend schulintern, sondern wird großflächig auf diversen Zwischenspeichermedien gespeichert; angefangen bei Smartphones, endend bei der Speicherung auf diversen, nicht kontrollierbaren Internetseiten. Es wäre nun im Jahr 2013 auch ein fataler Trugschluss, zu glauben, eine mögliche nicht flächendeckende Verbreitung neuer Kommunikationsmedien würde dieses Problem noch zu einem kleineren machen. Wie die aktuelle JIM-Studie, die sich mit der jugendlichen Mediennutzung beschäftigt, ermittelte, kann heute nahezu von einer 100%igen flächendeckenden Nutzung von elektronischen, internetbasierten Medien bei Jugendlichen ausgegangen werden. (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest: S. 8)
Provokant könnte man nun formulieren: „Die Schüler tun im Wesentlichen im Internet nichts anderes als in der Realität – bis auf unerlaubte Veröffentlichung von Bild- oder Videomaterial.“ Folgt man dieser These, so könnte man zur Schlussfolgerung kommen, dass die eigentliche Arbeit gegen Cybermobbing auf einer ähnlichen theoretischen Grundlage wie gegen Mobbing beruht. Dies ist kein Plädoyer, die Förderung von Medienkompetenz in der Schule zu konterkarieren – im Gegenteil. Schulungen über das richtige Verhalten im Internet, die Sicherung der eigenen Privatsphäre und Strategien zur Bekämpfung von Mobbing im Internet sind die Grundlage, die in der heutigen Welt in allen Schulformen schon in unteren Jahrgängen durchzuführen sind.
Prävention gegen Cybermobbing bedeutet also einerseits die Schaffung von einer grundlegenden medienkritischen und -kompetenten Haltung, zum anderen aber auch Mobbing-spezifische Strategien. Obwohl das Programm „Surf-Fair“ beansprucht, auf Cybermobbing ausgerichtet zu sein, und in den verschiedenen Elementen des Trainingsprogramms immer wieder Elemente der elektronischen Welt integriert sind, besteht es im Wesentlichen aus einem Hauptteil, der prinzipiell auf der Reflexion von Täter- und Opfergefühlen sowie auf einer Sensibilisierung der Wahrnehmung von Mobbing und Opferbedürfnissen beruht. Im Verlauf des Programms spielt vor allem Reflexion und Perspektivenübernahme eine Rolle. Ausgehend von einem anfangs gezeigten kurzen Film, der Mobbing beispielhaft szenisch darstellt, reflektieren die Kinder, welche verschiedenen Rollen Schüler in einer Mobbingsituation einnehmen können. Dabei ist auch die Rolle der Beobachtenden, Mobbing gewährenden im Fokus der eigenen Analyse. Im Anschluss daran folgen Übungen, die den Schülern helfen sollen, eigene Situationswahrnehmungen von Mobbing bewusst zu reflektieren, zu bewerten und ihre Einschätzung mit jener der Mitschüler zu vergleichen. Auch die Belastung durch Mobbing für die Opfer steht im Mittelpunkt dieses Trainingsbereich. Auch hier ist zu erwähnen, dass Mobbing zwar an manchen Stellen mit den neuen elektronischen Kommunikationsmedien in Verbindung gebracht wird, aber dem Programm deutlich anzumerken ist, dass der Fokus auf dem Kern des eigentlichen Mobbings liegt.
Internetspezifisch, und dies ist ein Punkt, an dem Mobbing-Prävention und -Intervention definitiv ansetzen sollte, wird das Programm bei folgender Übung: Von den Schülern handschriftlich ausgefüllte Profile bzw. Steckbriefe sollen im Klassenverband der entsprechenden Person zugeordnet werden. Sinnvoll ist diese Übung, wenn es dem Leiter gelingt, implizit getätigte Stigmatisierungen und besonders Irrtümer bei den Begründungen falscher Profil-Zuordnungen aufzuzeigen, welche im Kontext des Internets schnell zu einem Abstempeln führen können.
Nach einer erneuten Perspektivübernahme der Täter, die sicherlich auch zum Teil Opfer ihrer eigenen sozialen Lebenswelt sind, aus der heraus diese mit Mobbing antworten, folgt ein Abschluss dieses Programms. An dieser Stelle können nochmals die wichtigsten neuen Erkenntnisse des Programms durch die Schüler genannt werden. Wichtig aber, und hier sehen wir wieder eine deutliche Parallele zu klassischen Anti-Mobbing-Programmen, ist die Aufstellung und Verabschiedung eines Maßnahmenkatalogs gegen (Cyber-)Mobbing durch die Schüler selbst.
Erforderliche Vorkehrungen gegen Cybermobbing, und dies wurde schon eingangs erwähnt, erfordern, gerade im Gegensatz zu Mobbing 1.0, elementare Schulungen zum Umgang mit dem heutigen Netz 2.0. Bei diesen handelt es sich weniger um Maßnahmen gegen Cybermobbing speziell, als vielmehr um eine grundlegende Kompetenzbasis für den Umgang mit neuen Medien insgesamt. Dies beginnt bei Kenntnissen über den Schutz eigener Daten, das Abschließen von Verträgen und endet unter anderem bei der Schulung der Reflexionsfähigkeit, welche Art von Bild- oder Textdaten fatale Folgen für ihr Leben haben können.
Angesichts der vorhandenen Präventions- und Interventionsstrategien gegen Cybermobbing ist an dieser Stelle festzustellen, dass die Wissenschaft hier zwar schon über grundlegende, wichtige Erkenntnisse durch die Mobbing-Forschung verfügt, das Angebot aber alles andere als vielfältig und besonders spezifisch auf das neue Phänomen Internet ausgerichtet ist. Der Kern der Verhaltensweisen bei Cybermobbing differiert zwar nicht in dieser starken Art und Weise von bisherigen, aber die vorhandenen Konzepte sind alles andere als das Thema ganzheitlich abdeckend, was den Bezug zum Internet betrifft.
Bezug nehmend auf die gestellte Frage im Titel ist über Cybermobbing ohne Frage zu konstatieren, dass es sich hierbei um ein neues Phänomen handelt, welchem man durch seine extreme Reichweite und Intensität die empfohlene, noch verstärkte Aufmerksamkeit schenken muss. Wirklich neu, und dies ist weniger eine Verharmlosung, als vielmehr Aufruf zur nicht strikten Trennung beider Phänomene, ist Cybermobbing im Vergleich zu Mobbing aber aus genannten Gründen nicht. Auch im Hinblick auf die Frage nach neuen Präventionsstrategien ist Folgendes abschließend zu betonen. Studien zeigen zum einen, dass die Eigenschaften in Täter- und Opfer-Profilen bei Mobbing und Cybermobbing eine äußerst starke Ähnlichkeit aufweisen. Zum anderen wird diese Hypothese, dass Opfer- und Täter häufig die gleichen Personen bzw. ähnlichen Charaktertypen sind, auch durch eine bewiesene Korrelation zwischen Online- und Real-Life-Tätern und -Opfern bestätigt. Eine andere Studie zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für bisherige Mobbingopfer, auch online gemobbt zu werden, signifikant höher ist als jene von nicht gemobbten Schülern im realen Leben. Ausgehend von diesen Erkenntnissen ist die abschließende Forderung diese: Cybermobbing ist oft die Fortsetzung von Mobbing „nach Feierabend“. Bei aller Gefahr des neuen Phänomens Cybermobbing. An der Wurzel kann man einen großen Teil des Problems bereits bei der Verhinderung bisher bekannter Mobbing-Prozesse packen.
Literatur
Kindler, W. (2009): Schnelles Eingreifen bei Mobbing. Strategien für die Praxis. Mühlheim a. d. Ruhr: Verlag an der Ruhr.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2012): JIM 2012. Jugend, Information, (Multi-) Media, Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart, URL:
http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf12/JIM2012_Endversion.pdf, letzter Zugriff: 09.03.2013.
Pieschl, S. / Porsch, T. (2012): Schluss mit Cybermobbing. Das Trainings- und Präventionsprogramm >>Surf-Fair<<. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.
Schattenfroh, S. (2012): Webcoach. Cyber-Mobbing. Stuttgart, Leipzig: Ernst Klett Verlag.
Offline Persönlichkeit vs. Online Persönlichkeit. Der Einfluss des Internets auf unsere Persönlichkeit am Beispiel des Cybermobbings von Sarah Bestgen
2011
Zusammenfassung
In meiner Hausarbeit soll es im weiteren Sinne um den Einfluss des Internets auf unsere Persönlichkeit gehen und die Frage geklärt werden, inwieweit das Internet für uns auch negative Konsequenzen haben könnte. Im Speziellen möchte ich zunächst beschreiben, was Persönlichkeit eigentlich ist und wie man im Kontext des Internets die so genannte „Offline Persönlichkeit“ von der „Online Persönlichkeit“ unterscheiden kann. Im Anschluss wird anhand zweier Studien die im Fokus dieser Hausarbeit stehende Frage bearbeitet, ob es eine Online Persönlichkeit überhaupt tatsächlich gibt und in welchem Ausmaß sie sich von der Offline Persönlichkeit unterscheidet. Zum Schluss soll dann am Beispiel des Cybermobbings erläutert werden, welchen negativen Einfluss das Internet auf uns durch eine eventuelle Diskrepanz zwischen unserer Offline und Online Persönlichkeit nehmen kann.
Einleitung
Die immer weiter fortschreitende Entwicklung des Internets ermöglicht uns vor allem eine immer intensivere Vernetzung miteinander. Nahezu alle deutschen Haushalte heutzutage nutzen Mobiltelefone und Computer und haben einen Internetanschluss (Schultze-Krumbholz & Scheithauer, 2009). Sicherlich bietet uns das Internet eine weitaus einfachere Lebensführung, da es nahezu in alle Bereiche unseres Lebens Einzug gehalten hat (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). Vor allem das Aufstreben sozialer Netzwerke wie „Facebook“ oder „StudiVZ“ eröffnet neuartige Welten der Kommunikation mit Mitmenschen, die man sich noch vor einiger Zeit nicht einmal hätte erträumen können. Insgesamt kann man heutzutage durchaus von einer Revolution der Informations- und Kommunikationstechnologie sprechen, welche sich vor allem im letzten Jahrzehnt zeigte und bis heute anhält (Privitera & Campbell, 2009).
Da das Internet mittlerweile auch als eine „eigene Welt“ mit bestimmten Normen, Regeln und Gesetzen betrachtet werden kann, drängt sich vor allem die Frage in den Vordergrund, ob wir in ebenjener virtuellen Welt anders agieren oder erscheinen als in der Realität. Personalisierte Homepages und soziale Netzwerke machen es uns beispielsweise möglich, ein Profil von uns zu erstellen, in welchem wir die Kontrolle darüber haben, wie wir auf andere wirken. Wir können steuern, welches Bild von uns in Erscheinung tritt, indem wir bestimmte Fotos auswählen, bestimmte Informationen angeben und bestimmten Gruppen beitreten. Selbst unser soziales Leben können wir nach außen hin bewusst vorteilhaft aussehen lassen, indem wir nur ausgewählte Leute auf unsere öffentlich einsehbare „Freundesliste“ setzen. Bei all den augenscheinlich vorteilhaften Facetten des Internets stellt man sich jedoch immer öfter auch in der wissenschaftlichen Psychologie die Frage, inwieweit wir uns im Internet anders darstellen oder verhalten, als wir es in der Realität machen würden und welchen Einfluss das auf uns nehmen könnte. Bringt uns das Internet nur Vorteile, oder auch Nachteile? Wäre es negativ, in der virtuellen Welt eine andere Persönlichkeit auszuleben und welche Konsequenzen hätte dies auf unsere eigentliche Persönlichkeit?
Diese Fragen sollen anhand zweier Befunde aus der psychologischen Empirie bearbeitet werden. Mit Hilfe des Beispiels des Cybermobbings als weiterer aufstrebender Forschungsaspekt der Psychologie und anderer Disziplinen im Zeitalter des Internets, soll im Anschluss zudem aufgezeigt werden, dass man im Internet gerade wegen seiner vielen Vorteile und der immer intensiveren Vernetzung mit anderen Menschen nicht vor sozialen Problemen geschützt ist. Darüber hinaus birgt das Internet ganz eigene Gefahren, die bedacht werden müssen und die sich vor allem auf unser eventuell andersartiges Verhalten und Darstellen in der virtuellen Welt beziehen.
Offline Persönlichkeit vs. Online Persönlichkeit
Im folgenden Abschnitt soll es zunächst um die genauere Erläuterung der Differenzierung zwischen „Offline Persönlichkeit“ und „Online Persönlichkeit“ gehen. Die Offline Persönlichkeit bezeichnet unsere natürliche und im realen Leben („real life“) existierende Persönlichkeit. Mit dem Begriff „online“ ist die Übertragung eben jener in die virtuelle Welt („virtual life“) gemeint. Wie stellt sich unsere „natürliche Persönlichkeit“ im Internet („on-line“) dar, wie wird sie dort beeinflusst? Gibt es eine Online Persönlichkeit überhaupt? Diese Fragen sollen im Folgenden behandelt werden.
Offline Persönlichkeit
Die Persönlichkeit des Menschen liefert Inhalt für eines der wichtigsten Themen in der Psychologie. Zahlreiche Forschungsarbeiten der Wissenschaft drehen sich um die Frage, wie Persönlichkeit als solches beschrieben werden kann, wie sie sich unter welchen Faktoren entwickelt und verändert und wie sie anhand einzelner Verhaltensweisen vorhergesagt und eventuell beeinflusst werden kann (Maltby, Day & Macaskill, 2010). Da der Begriff Persönlichkeit sowie die Bedeutung dahinter ein sehr großes Feld umfasst, das nur schwer definiert und abgegrenzt werden kann, ist es auch nicht verwunderlich, dass es an eindeutigen und von allen Seiten anerkannten Definitionen mangelt (Maltby et al., 2010). Gordon Allport, laut Maltby et al. (2010) eine wichtige und berühmte Person in der Persönlichkeitspsychologie, die den Begriff „Persönlichkeit“ popularisierte, lieferte 1961 allerdings eine Definition, die noch heute von zahlreichen Forschern verwendet wird, um die Bedeutung dieses weiten psychologischen Konstrukts näher zu bringen. Allport definierte Persönlichkeit als eine „dynamic organisation, inside the person, of psychophysical systems that create the person’s characteristic patterns of behaviour, thoughts and feelings“ (Allport, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 5). Persönlichkeit sei also ein dynamisches System, welches innerhalb einer Person strukturiert sei und psychophysikalische Aspekte beinhalte, die die für ein bestimmtes Individuum typischen Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle bestimme. Die Persönlichkeit eines jeden Menschen umfasst demnach zum einen flexible und veränderbare Anteile, zum anderen ist sie aber über die Zeit und über verschiedene soziale Kontexte hinweg relativ stabil und beeinflusst Individuen durch eine gewisse interne Konsistenz meist auf eine ähnliche Art und Weise (Maltby et al., 2010).
In diesem Rahmen kann man von bestimmten Eigenschaften eines Menschen, bzw. von „Persönlichkeitseigenschaften“ sprechen (auch „personality traits“ genannt). Auch hier hat man mit Hilfe der psychologischen Wissenschaft versucht, das Konstrukt Persönlichkeitseigenschaft näher zu umgrenzen und herauszufiltern, ob es bestimmte Eigenschaften gibt, die als übergeordnet betrachtet werden können. Bei den so genannten „Big Five“, bzw. dem Fünf-Faktoren-Modell (FFM) handelt es sich um eines der Modelle der Persönlichkeitspsychologie, die genau für diese Frage entwickelt worden sind. Das Fünf-Faktoren-Modell postuliert fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit (Costa & McCrae, 1992). Gemeint sind hiermit die Eigenschaften Offenheit für Erfahrungen (neue Ideen bilden, unkonventionelles und unabhängiges Denken, Fantasie, intellektuelle Neugierde), Gewissenhaftigkeit (Kompetenz, Selbstdisziplin, Bedächtigkeit, Ordentlichkeit), Extraversion (Aktivität, Durchsetzungsvermögen, Geselligkeit, Wärme), Verträglichkeit (Konformität, Anstand, Vertrauen, Ehrlichkeit) und Neurotizismus (Ängstlichkeit, Depression, Verletzbarkeit, Impulsivität) („OCEAN“: Openness, Conscientiousness, Extraversion, Agreeableness, Neuroticism) (Maltby et al., 2010). Die Entwicklung der Big Five begann laut Maltby et al. (2010) durch Thurstone, Allport und Odbert mit Hilfe des „lexikalischen Ansatzes“. Dieser besagt, dass sich Persönlichkeitsmerkmale in der Sprache kenntlich machen. Auf der Grundlage von Wortlisten mit über 18.000 Begriffen wurden in mehreren Schritten mit Hilfe von Faktorenanalysen fünf sehr stabile, unabhängige und weitestgehend kulturstabile Faktoren gefunden, die man als die oben ausgeführten Big Five der Persönlichkeit bezeichnet (Maltby et al., 2010).
Online Persönlichkeit
Das Internet stellt heutzutage ein weltweites Netzwerk von Computern dar, welches weitreichenden Einfluss auf unser Leben nimmt und mittlerweile beinahe alle Aspekte unserer Existenz, wie beispielsweise unser soziales Leben, beeinflusst (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). Marcus, Machilek und Schütz (2006, S. 1014) bezeichnen das Internet und vor allem persönliche Webseiten als ein „playground for postmodern personalities, where people can create and experiment with multiple identities.“ Persönliche Webseiten bieten laut Marcus et al. (2006) die höchst flexible und einfache Möglichkeit, beinahe alles einem potenziell weltweiten Publikum zu präsentieren, was man möchte. Persönliche Webseiten können also als eine Umwelt beschrieben werden, in welcher die Eigentümer die absolute Kontrolle darüber haben, welche Identität und welche Persönlichkeitseigenschaften anderen gezeigt werden sollen (Marcus et al., 2006). Solche Online Persönlichkeiten, egal ob bewusst kreiert oder unbewusst ausgelebt, lassen sich im Internet allerdings nicht nur im Hinblick auf persönliche Homepages finden. Auch in Chats, Foren, Blogs, Fantasiespielen und sozialen Netzwerken interagieren weltweit viele Internetnutzer miteinander (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). Sundén (zit. nach Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010, S. 1289) ist der Meinung, dass sich Menschen im Internet häufig selbst reproduzieren, damit andere auf sie aufmerksam werden und mit ihnen kommunizieren. Soziale Interaktion bietet also Platz für die Darstellung und das Ausleben unserer Persönlichkeit und gerade das Internet ist laut Amichai-Hamburger und Vinitzky (2010) eine „leading social arena“ (S. 1289). In diesem Rahmen ist auch der Begriff „Impression Management“ zu nennen. Impression Management bedeutet, dass wir Informationen über uns kontrollieren, um die Meinung anderer zu beeinflussen (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). Gerade auch soziale Netzwerke sind dafür besonders geeignet. Auf Plattformen wie „MySpace“, „Facebook“ oder „StudiVZ“ kann jeder Nutzer ein Profil mit persönlicher Information und Fotos von sich erstellen (Krämer & Winter, 2008). Menschen können dort des Weiteren soziale Beziehungen eingehen, in dem sie anderen Usern Nachrichten schreiben oder diese als „Freund“ zu ihrer persönlichen Kontaktliste hinzufügen, die wiederum meist von anderen Nutzern eingesehen werden kann (Krämer & Winter, 2008). Internetuser solcher sozialen Netzwerke haben laut Krämer und Winter (2008) also weitaus mehr Kontrolle über ihre Selbst-Repräsentation im Internet als in der „Face-to-face Kommunikation“. Sie können bewusst entscheiden, welche Informationen sie angeben möchten, welche Fotos das „beste Image“ übermitteln und ferner auch kontrollieren, welche User in ihrer Freundesliste sich vorteilhaft auf ihre Darstellung auswirken, getreu nach dem Motto „Nenn mir deine Freunde, dann sage ich dir, wer du bist.“
Zusammengefasst gibt es für den Menschen also durchaus die Möglichkeit, im Internet von seiner Offline Persönlichkeit „abzuweichen“ und eine Online Persönlichkeit auszuleben. Doch die Existenz einer Möglichkeit sagt noch nicht aus, dass sich unsere Persönlichkeit im realen Leben von der im Internet tatsächlich unterscheiden muss. Marwick (zit. nach Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010, S. 1289) fand beispielsweise heraus, dass Facebook-User und Nutzer anderer sozialer Netzwerke nicht unbedingt hinsichtlich ihrer Online Persönlichkeit lügen, aber die Wahrheit „ausdehnen“, manchmal bis zu ihren Grenzen. Im Folgenden soll daher die Frage geklärt werden, inwieweit das Internet auf unsere Persönlichkeit Einfluss nehmen kann.
Wechselwirkung zwischen der realen und der virtuellen Welt in Bezug auf unsere Persönlichkeit
In diesem Kapitel werden zwei exemplarisch ausgewählte Befunde aus der Wissenschaft dargestellt, um herauszufiltern, ob wir auch im Internet hauptsächlich „bleiben, wer wir sind“, oder ob wir dort tatsächlich dazu neigen, eine Online-Persönlichkeit auszuleben. Wenn letzteres zutrifft, stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß unsere Online Persönlichkeit von unserer Offline Persönlichkeit abweicht.
Studie 1: Offline Persönlichkeit und Verhalten in sozialen Netzwerken
Einige Studien zeigen auf, dass eine Verbindung zwischen der individuellen Offline Persönlichkeit eines Nutzers und dessen Online Verhalten besteht (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). Unsere reale Persönlichkeit wirkt sich also eventuell tatsächlich auf unser Agieren im Internet und somit auf unsere Online Persönlichkeit aus. Ross, Orr, Sisic, Arseneault, Simmering und Orr (zit. nach Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010, S. 1289) untersuchten diesen Sachverhalt, konnten eine Verbindung zwischen Offline Persönlichkeit (aufbauend auf den Big Five von Costa & McCrae, 1992) und Verhalten in sozialen Netzwerken allerdings in der angenommenen Stärke nicht bestätigen. Die Studie von Amichai-Hamburger und Vinitzky (2010), die im Folgenden näher vorgestellt wird, stützt sich auf die Arbeit von Ross et al., allerdings werden die verwendeten Selbstberichte der Versuchsteilnehmer durch Messungen der in Facebook hochgeladenen User-Informationen als objektivere Kriterien genutzt.
Hypothesen
Die Hypothesen von Amichai-Hamburger und Vinitzky (2010) stützen sich weitestgehend auf die Hypothesen aus der Originalstudie von Ross et al. (zit. nach Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010, S. 1290) mit nur einer Abänderung die fünfte Annahme betreffend.
1. Menschen, die extravertierter als andere sind, demonstrieren (a) eine häufigere Nutzung von Facebook, (b) nutzen Facebook-Komponenten für Kommunikation mit anderen mehr, (c) haben mehr „Facebook-Freunde“ und (d) gehören zu mehr Facebook-Gruppen.
2. Menschen, die neurotischer als andere sind, sind bereiter, persönlichkeitsidentifizierende Informationen auf Facebook preiszugeben, verbringen mehr Zeit auf Facebook und werden weniger wahrscheinlich private Nachrichten nutzen, da sie auf der Suche nach sozialem Halt sind.
3. Menschen, die verträglicher sind als andere, haben mehr „Facebook-Freunde“ als andere.
4. Menschen, die offener für Erfahrungen als andere sind, sind bereiter, Facebook als ein Kommunikationswerkzeug zu verwenden, nutzen mehr Komponenten und kennen sich mit Facebook-Bestandteilen besser aus.
5. Menschen, die gewissenhafter sind als andere, haben mehr Facebook-Freunde als andere (entgegen der umgekehrten Annahme von Ross et al.; Erklärung: Gewissenhaftere Menschen verfügen über ein hohes Bedürfnis nach Orientierung, die in der Facebook-Umgebung durch eine höhere Anzahl von Freunden sichergestellt werden kann (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010).
Durchführung
Insgesamt wurden 237 Studenten einer israelischen Universität untersucht. Die Studie bestand aus zwei aufeinanderfolgenden Phasen in einem Zeitraum von zwei Monaten. Alle Teilnehmer mussten eine Selbstbericht-Messung, den NEO-PI-R-Fragebogen, bearbeiten, mit welchem die Persönlichkeitseigenschaften des Five Factor Modells festgehalten werden sollten. Die Werte des NEO-PI-R wurden für jede Persönlichkeitseigenschaft gleichmäßig gedrittelt (cut-offs) und es wurden jeweils nur die hohen und die niedrigen Ausprägungen in der Untersuchung berücksichtigt. In der nächsten Phase wurden die auf Facebook hochgeladenen Nutzer-Informationen gemessen und enkodiert. Dies basierte auf einer Methode von Zhao, Grasmuck und Martin (zit. nach Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010, S. 1291).
Ergebnisse
Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Ergebnisse der Studie dargestellt werden. Amichai-Hamburger und Vinitzky (2010) konnten bestätigen, dass Menschen aus der Gruppe der hoch Extravertierten (Unabhängige Variable/UV: Grad der Extraversion) eine signifikant höhere Anzahl von Freunden bei Facebook haben (Abhängige Variable/AV: Anzahl der Freunde) (M = 150.96) als Menschen aus der Gruppe der gering Extravertierten (M = 103.18), (F (1,134) = 6.23, p < 0.001). Im Hinblick auf die Anzahl der Facebook-Gruppen (AV) konnte kein signifikantes Ergebnis gefunden werden. Außerdem stellten hoch extravertierte Personen weniger persönliche Informationen ins Netz (AV) als gering extravertierte Personen. Dies lässt sich eventuell dadurch erklären, dass Extravertierte sich ihrer sozialen Fähigkeiten bewusst sind und sich somit weniger gezwungen fühlen, ihre Identität zu „promoten“ (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). In Bezug auf die zweite Hypothese mit der Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus als Unabhängige Variable konnten alle Annahmen bestätigt werden. Darüber hinaus ließ sich eine U-förmige Korrelation zwischen neurotischer Persönlichkeit und auf Facebook berichtete Basisinformationen (AV) feststellen. Menschen mit einem geringen oder hohen Level an Neurotizismus bevorzugen mehr Basisinformationen über sich ins Netz zu stellen und mit anderen Usern zu teilen, als Menschen mit einem mittleren Maß an Neurotizismus. Dieser Sachverhalt könnte darauf zurückzuführen sein, dass emotional sichere Menschen (mit einem geringen Maß an Neurotizismus) mehr Informationen ins Netz stellen, um sich selbst zu verwirklichen, während emotional unsichere, also neurotische Menschen (mit einem hohen Maß an Neurotizismus) das Gleiche tun, um dadurch Selbstbestätigung zu erfahren (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010). Hinsichtlich der dritten Hypothese mit der Persönlichkeitseigenschaft Verträglichkeit (UV) konnte kein signifikantes Ergebnis festgestellt werden. Dies lässt sich laut der Autoren dadurch erklären, dass die Motive hinter dem Verhalten in Facebook zu komplex sind, als dass die Anzahl der Freunde beispielsweise nur durch die Eigenschaft Verträglichkeit vorhergesagt werden könnte. Die vierte Hypothese wiederum konnte durch die erhobenen Daten unterstützt werden. Menschen, deren Grad an Offenheit für Erfahrungen hoch ist (UV), nutzten signifikant mehr Angebote von Facebook in Bezug auf persönliche Informationen (AV) als Nutzer mit einem geringen Grad an Offenheit für Erfahrungen (F (2,148) = 2.85, p < 0.05). Auch die letzte Hypothese konnte bestätigt werden. Versuchsteilnehmer mit einem hohen Grad an Gewissenhaftigkeit (UV) hatten im Durchschnitt eine höhere Anzahl an Facebook-Freunden (AV) als andere (F (2,136) = 5.04, p < 0.05), da ihnen dies vermutlich eine höhere Orientierung im virtuellen Raum bietet (Amichai-Hamburger & Vinitzky, 2010).
Relevanz der Ergebnisse
Amichai-Hamburger und Vinitzky (2010) konnten mit ihrer Studie eine Verbindung zwischen den Persönlichkeitseigenschaften Extraversion, Neurotizismus, Verträglichkeit, Offenheit für Erfahrungen und Gewissenhaftigkeit und der Art der Internetnutzung ausmachen. Hieraus wird ersichtlich, dass sich Eigenschaften unserer Offline Persönlichkeit durchaus auf unser Verhalten im virtuellen Leben auswirken können und somit auch unsere Online Persönlichkeit beeinflussen, wenn man von einer kausalen Wirkweise ausgehen möchte. Dies lässt sich am Beispiel der Persönlichkeitseigenschaft Extraversion besonders deutlich machen: eine hoch extravertierte Person neigt laut der Studie von Amichai-Hamburger und Vinitzky (2010) dazu, sich im Internet (hier: in Facebook) viele Freunde zu suchen und auf seiner Kontaktliste hinzu zu fügen. So erscheint diese Person auch hinsichtlich seiner Online Persönlichkeit extravertiert, da die Anzahl der Freunde durchaus auf Geselligkeit, eine untergeordnete Eigenschaft von Extraversion, schließen lässt. Zusammenfassend kann also vermutet werden, dass Menschen laut der dargestellten Studie dazu neigen, ihre durch ihre Persönlichkeitseigenschaften bedingten Aktivitäten und Interaktionen aus der Realität auch in die virtuelle Umwelt zu übertragen. Man könnte dies so interpretieren, dass die Online Persönlichkeit demnach also zu gewissen Teilen durch die Offline Persönlichkeit bestimmt wird.
Studie 2: Nutzung des Internets als soziales Medium und soziale Beziehungen in der Realität
In der folgenden Studie wird ersichtlich, dass sich unsere Persönlichkeit bzw. unser Verhalten im echten Leben von ebenjenem im virtuellen Leben auch unterscheiden kann. Wenn man untersuchen möchte, inwieweit sich unsere Off- und Online Persönlichkeit vergleichen lässt und welchen Einfluss das Internet auf uns nehmen kann, ist es meiner Ansicht nach interessant, zu wissen, inwieweit sich unsere sozialen Kontakte als wichtiger Aspekt unserer Persönlichkeit in der realen und in der virtuellen Welt miteinander abgleichen lassen und ob die Größe unseres sozialen Netzwerkes im Internet die Größe unseres tatsächlichen Bekanntenkreises widerspiegelt, bzw. beeinflussen könnte.
Methodik
Pollet, Roberts und Dunbar beschäftigten sich 2011 mit der Frage, inwieweit sich die Nutzung von sozialen Netzwerken und „Instant messaging“ (Sofortnachrichtendienst über Mobiltelefone) auf die Größe des sozialen Netzwerkes in der Realität und auf die emotionale Nähe von realen Beziehungen auswirkt. Sie untersuchten hierfür 117 Teilnehmer (Studenten und Nicht-Studenten), welche zunächst einen Fragebogen ausfüllen mussten, in dem ihr komplettes reales soziales Netzwerk anzugeben war. Hierfür mussten alle lebenden Verwandten, Freunde und Bekannten aufgelistet werden. Freunde und Bekannte sollten herausgefiltert werden, indem die Probanden ihr Handy, ihr Adressbuch und ihr Emailprogramm nach Leuten durchsuchen sollten, die sie persönlich kennen und zu denen sie während des nächsten Jahres wohl auch noch eine Beziehung aufrecht erhalten würden. Außerdem wurden die Versuchsteilnehmer gefragt, wie nahe sie sich den jeweiligen Personen auf der emotionalen Ebene fühlen. Hierfür musste ein Wert einer Skala von eins bis zehn (1=“not close at all“ und 10=“very close“) angegeben werden. Des Weiteren sammelten Pollet et al. (2011) auch Informationen darüber, wann der letzte persönliche Kontakt zu den angegebenen Verwandten, Freunden oder Bekannten stattgefunden hat. Hinsichtlich der Mediennutzung wurde abgefragt, ob und wie oft die Probanden Instant Messaging oder soziale Netzwerke nutzen, wie viele Kontakte sie dort pflegen (Online Netzwerk) und zu wie vielen online Freunden sie wöchentlich Kontakt haben. Außerdem mussten die Teilnehmer angeben, wie viele Minuten am Tag sie für gewöhnlich in Instant Messaging oder die Nutzung von sozialen Netzwerken investieren.
Ergebnisse
Pollet et al. (2011) fanden heraus, dass die Teilnehmer, die mehr Zeit in die Nutzung von Instant Messaging investierten, mehr Freunde im virtuellen Netz hatten und eine größere Anzahl virtueller wöchentlicher Kontakte pflegten. Allerdings übertrug sich dies laut der Studie nicht in die reale Welt. Es konnte keine Korrelation zwischen dem Zeitaufwand für das Internet (Instant Messaging und soziale Netzwerke) und der emotionalen Nähe zu den offline Kontakten sowie der Größe des realen sozialen Netzwerks gefunden werden. Ein größeres virtuelles soziales Netzwerk bedeutet also nicht zwangsweise auch ein größeres reales soziales Netzwerk. Laut Pollet et al. (2011) konnten manche Studien sogar noch drastischere Befunde aufzeigen: die Zeit, die man im Internet für das Pflegen von virtuellen Freundschaften aufwendet, könnte die Zeit, die man dann noch in der Realität für seine Kontakte übrig hat, negativ beeinflussen. Hierzu merkten die Autoren an, dass Zeit als eine unelastische Größe wahrgenommen werden muss und dass jeder Tag nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stellt. Wenn diese Zeit dann durch die Pflege virtueller Kontakte verwendet wird, bleibt folglich nicht mehr viel Kapazität für die Pflege realer Kontakte.
Relevanz der Ergebnisse
Die Befunde dieser Studie sind also insofern relevant, als dass sie aufzeigen, dass sich unser soziales Leben im Internet und in der Realität nicht gleichen muss. Es ist beispielsweise ein Trugschluss zu glauben, dass Menschen mit einem großen Netzwerk an virtuellen Kontakten auch mehr tatsächlich reale Bekanntschaften haben als andere Menschen. Im Gegenteil: ein großes virtuelles soziales Netzwerk könnte sogar negativ Einfluss nehmen und ein vergleichsweise kleines reales Netzwerk bedeuten. Da unsere Persönlichkeit gerade durch und mit der Kommunikation mit anderen Menschen dargestellt, geprägt und wiedergegeben wird (Maltby et al., 2010), bedeuten solche Hinweise auf Unterschiede unseres sozialen Online und Offline Netzwerkes wahrscheinlich folglich auch Unterschiede unserer Online und Offline Persönlichkeit. Dies kann man vor allem am Beispiel der Persönlichkeitseigenschaft Extraversion verdeutlichen: laut Hertel, Schroer, Batinic, Konradt und Naumann (2005) nutzen introvertierte und schüchterne Menschen für die Pflege ihrer sozialen Kontakte und die Kommunikation lieber das Internet als eine Face-to-face Begegnung. Man könnte also davon ausgehen, dass gerade solche Personen ein wesentlich größeres virtuelles als reales Netzwerk haben und vielleicht im Internet nicht in dem Ausmaß als schüchterne Person auffallen, wie sie im echten Leben vielleicht auffallen würden. Das Internet könnte hier also eine Möglichkeit sein, die eigenen Schwächen, wie z.B. Schüchternheit, zu kompensieren und demnach unser virtuelles Verhalten im Vergleich zu unserem realen Verhalten zu modifizieren, was folglich auch Einfluss auf unsere dargestellte Persönlichkeit nehmen könnte, die sich dann zwischen Realität und Virtualität zu gewissen Anteilen unterscheiden würde.
Erstes Fazit: Wechselwirkungen zwischen der realen und der virtuellen Welt in Bezug auf unsere Persönlichkeit
Im vorangegangenen Teil dieser Hausarbeit stand im Mittelpunkt die Frage, wie sich das Internet auf die Persönlichkeit des Menschen auswirken kann und wie sich unsere Offline Persönlichkeit von einer möglichen Online Persönlichkeit unterscheidet. Die erste Studie legt den Schluss nahe, dass unsere Persönlichkeit bzw. unsere Persönlichkeitseigenschaften uns hinsichtlich unserer Internetnutzung beeinflussen könnten, so dass wir uns dort oftmals ähnlich verhalten wie in der Realität und somit auch eine ähnliche Persönlichkeit darstellen. Die zweite beschriebene Studie hingegen zeigt die andere Seite auf: obwohl wir vielleicht im Großen und Ganzen auch in der virtuellen Welt „bleiben, wer wir sind“ und durch unsere Persönlichkeitseigenschaften im Internetverhalten angeleitet werden, könnte es doch auch Differenzen geben: unsere virtuellen sozialen Netzwerke müssen unseren realen sozialen Netzwerken beispielsweise nicht gleichen, was bedeutet, dass es somit auch Unterschiede unseres Verhaltens und somit unserer Persönlichkeit in der Virtualität und der Realität geben kann. Dort, wo das Internet zum Beispiel eine Möglichkeit bietet, die eigenen „Schwächen“ zu kompensieren (Beispiel Introversion), wird deutlich, dass es uns zu einem anderem Verhalten und einem anderen Erleben anleiten kann, als es vielleicht in der Realität der Fall wäre.
Sicherlich reichen diese zwei Befunde nicht aus, um die Frage zu klären, ob und inwieweit sich unsere Persönlichkeit in der realen und in der virtuellen Welt unterscheidet. Allerdings zeigen sie beispielhaft auf, dass diese Frage eben nicht so leicht zu klären ist, wie man denken könnte, da sie von vielen verschiedenen Aspekten abhängt und zudem nicht eindeutig in eine Richtung beantwortet werden kann. Die Studien machen deutlich, dass die Online Persönlichkeit und die Offline Persönlichkeit sich wahrscheinlich nicht komplett gleichen, aber auch nicht komplett voneinander unterscheiden. Genaueres zu diesem Thema wird noch im Abschnitt des endgültigen Fazits dieser Hausarbeit beschrieben.
Im nächsten Teil soll es nun um die Frage gehen, ob und inwiefern ein Unterschied der Offline Persönlichkeit zur Online Persönlichkeit gefährlich werden und der Einfluss des Internets uns schaden könnte.
[...]
[1] z.B. Gewaltdarstellung (§ 131 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB), Üble Nachrede (§ 186 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB), Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201StGB), Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereich durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB), Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), Abfangen von Daten (§ 202b StGB), Nachstellung/Stalking (§ 238 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Recht am eigenen Bild (§ 22 KunstUrhG)
- Arbeit zitieren
- Sebastian Ketting (Autor:in), Sarah Bestgen (Autor:in), Julia Steinborn (Autor:in), Karolin Strohmeyer (Autor:in), 2013, Mobbing 2.0 – Ursachen und Folgen von Cybermobbing, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231340
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