Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffserklärungen
2.1 Soziale Ungleichheit
2.2 Bildungsungleichheit
2.3 Stände, Klassen und Schichten
2.4 Soziale Lage und Lebenslagen – Milieus und Lebensstile
3. Historische Entwicklung sozialer Ungleichheit
3.1 Die vorindustrielle Gesellschaft
3.2 Die frühindustrielle Gesellschaft
3.3 Die moderne Gesellschaft
4. Ursachen von Bildungsungleichheit in Deutschland
4.1 Die Bildungsexpansion
4.2 Institutionelle Bildungsungleichheit und Schichtzugehörigkeit
4.3 Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheit
4.4 Bildungsungleichheit und Migrationshintergrund
5. Bildung aufgrund sozialer Herkunft
5.1 Pierre Bourdieu – Die Reproduktion ungleicher Bildungschancen
5.1.1 Die Kapitalarten
5.1.1.1 Ökonomisches Kapital
5.1.1.2 Kulturelles Kapital
5.1.1.3 Soziales Kapital
5.1.1.4 Symbolisches Kapital
5.1.2 Soziale Herkunft und Bildungschancen im Hochschulbereich
5.2 Raymond Boudon – primäre und sekundäre Disparitäten
5.2.1 Theorie der primären und sekundären Herkunftseffekte
5.2.2 Primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft beim Übergang in das Gymnasium
5.2.3 Primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft beim Übergang in die Hochschule
6. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
I. Abbildungen
II. Tabellen
1. Einleitung
In den vergangenen Jahren hat das Thema Bildungsungleichheit eine immer wiederkehrende Brisanz erlebt. Vor allem die Aussage, dass Bildung immer noch von der sozialen Herkunft abhängig ist, beschäftigt die aktuelle Bildungsforschung. Durch die Ergebnisse der PISA-Studien wird auch in der Öffentlichkeit vermehrt über die ungleichen Zugangschancen zur Bildung in unserer Gesellschaft diskutiert. So wurde festgestellt, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine große Spanne zwischen den obersten und untersten sozialen Bildungsschichten aufweist. Diese Ungleichheit ist nicht nur im Bildungsbereich ersichtlich, sondern spiegelt auch die aktuelle gesellschaftliche Situation in Deutschland wieder. Es wird zwar des Öfteren behauptet, dass Kinder überwiegend aufgrund ihrer schulischen Leistungen einen entsprechenden Bildungserfolg erreichen, doch empirische Untersuchungen bestätigen die vorhandene Wechselbeziehung zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den möglichen ungleichen Bildungschancen, die durch soziale Herkunft entstehen. Dabei wird unter Heranziehung der Reproduktionstheorie von Pierre Bourdieu und der Theorie der primären und sekundären Herkunftseffekte von Raymond Boudon untersucht, wie sich die vorhanden familiären Ressourcen und Bildungsentscheidungen auf den Bildungserfolg der Kinder auswirken. Insbesondere werden die auftretenden Bildungsungleichheiten beim Übergang in das Gymnasium und in das Studium dargestellt. Es gilt somit zu untersuchen, ob bereits zum Ende der Grundschulzeit ungleiche Bildungschancen präsent sind und wie diese auf den folgenden Bildungsweg der Schüler/innen reproduziert werden.
Im ersten Teil (Kapitel 2) werden einige für diese Arbeit relevante Begriffe definiert, während im 3. Kapitel eine kurze Übersicht über die historische Entwicklung sozialer Ungleichheit in Deutschland gegeben wird. Das Ziel des 4. Kapitels besteht darin, bestehende Ursachen sozialer Bildungsungleichheit aufzuzeigen. Dabei wird auf die Auswirkungen und Erfolge der Bildungsexpansion seit den 1970er Jahren eingegangen. Ebenso werden die institutionellen, schicht- und geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten dargestellt. Der Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund wird in diesem Kapitel zur Vervollständigung der dargestellten Ursachen ebenfalls erläutert. Das Hauptmerk dieser Arbeit liegt auf den im 5. Kapitel dargelegten theoretischen Ansätzen von Pierre Bourdieu und Raymond Boudon. Diese sollen dazu dienen, die bereits im vorangegangen Kapitel dargestellten Aussagen zu erklären. Auf Grundlage der Reproduktionstheorie von Bourdieu sollen in Kapitel 5.1 am Beispiel des Zugangs zum Hochschulbereich die bestehenden Bildungsungleichheiten aufgrund sozialer Herkunft analysiert werden. Dabei werden die Konzepte des ökonomischen, kulturellen, sozialen und kulturellen Kapitals sowie das des Sozialen Raumes kurz erläutert. In Kapitel 5.2 werden die theoretischen Annahmen der primären und sekundären Herkunftseffekte von Raymond Boudon zur Erklärung ungleicher Bildungschancen herangezogen. Dabei wird vor allem auf das Auftreten dieser Effekte beim Übergang in das Gymnasium und die Hochschule hingewiesen.
2. Begriffserklärungen
2.1. Soziale Ungleichheit
Man spricht im Allgemeinen von sozialer Ungleichheit, wenn innerhalb einer Gesellschaft bestimmte Bevölkerungsteile bessere Lebensbedingungen als andere haben. Der Soziologe Stefan Hradil erläutert den Begriff der sozialen Ungleichheit am Beispiel des Besitzes der „wertvollen“ Güter. „Je mehr die einzelnen von diesen „Gütern“ besitzen, desto günstiger sind ihre Lebensbedingungen“ (Hradil 1999: 24). Allerdings unterliegen diese „wertvollen Güter“ einem gesellschaftlichen und historischen Wandel. Beispielsweise ist heutzutage ein hoher Bildungsabschluss wertvoller als er es im Mittelalter war.
Eine sozial ungleiche Verteilung der „wertvollen Güter“ in einer Gesellschaft liegt vor, wenn ein Gesellschaftsmitglied von diesen Gütern regelmäßig mehr als ein anderes erhält („absolute Ungleichheit“). „In der soziologischen Terminologie wird immer dann von Ungleichheit gesprochen, wenn als „wertvoll“ geltende „Güter“ nicht absolut gleich verteilt sind“ (Hradil 2001: 29).
2.2. Bildungsungleichheit
Im deutschen Bildungssystem existieren Bildungsungleichheiten vor allem aufgrund von sozialer Herkunft, Geschlecht oder Nationalität. Die vorliegende Arbeit betrachtet die Bildungsungleichheit in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft, als „Unterschiede im Bildungsverhalten und in erzielten Bildungsabschlüssen (beziehungsweise Bildungsgängen) von Kindern, die in unterschiedlichen sozialen Bedingungen und familiären Kontexten aufwachsen“ (Müller/Haun 1994: 3).
2.3. Stände, Klassen und Schichten
Stände
Der Begriff der Stände wurde hauptsächlich in der vorindustriellen Gesellschaft verwendet. Die Stellung innerhalb der Gesellschaft war abhängig von der familiären Herkunft (Adel, Bürgertum, Bauern) des Einzelnen und somit von Geburt an festgelegt. Die Stände waren rechtlich getrennt und unterschieden sich in ihrer Lebensweise stark voneinander (vgl. Hradil 1999: 33).
Klasse
Der Klassenbegriff wird häufig auf die frühindustrielle Gesellschaft bezogen, in der sich eine Klassengesellschaft herauskristallisierte.
Man unterscheidet im Allgemeinen die Klasse der Arbeiter und die der Fabrikbesitzer. Der Besitz bzw. das Kapital war somit entscheidender Faktor für die Lebensbedingungen der jeweiligen Personen, die familiäre Herkunft diente dafür als Basis (vgl. Hradil 1999: 34f.).
Schicht
In einer (sozialen) Schicht findet man „Gruppierungen von Menschen mit ähnlich hohem Status innerhalb einer oder mehrerer berufsnaher Ungleichheitsdimensionen.“ (Hradil 1999: 36) Die Stellung des Einzelnen innerhalb einer Schicht wird anhand der Betrachtung des Bildung-, Berufs- und Einkommensstatus ermittelt. Im Gegensatz zu den beiden letztgenannten Gesellschaftsbegriffen ist in einer Schichtungsgesellschaft eine gewisse Mobilität innerhalb der einzelnen Schichten möglich (vgl. ebd.).
2.4. Soziale Lage und Lebenslagen – Milieus und Lebensstile
Soziale Lagen und Lebenslagen
Während sich der Klassen- und Schichtbegriff vorwiegend an der beruflichen Stellung orientiert, erfassen die Begriffe Soziale Lagen und Lebenslagen Gruppierungen außerhalb des Berufslebens (Studenten, Hausfrauen, Beamte). Sie dienen vor allem zur differenzierten Betrachtung ungleicher Lebensbedingungen von gesellschaftlichen Gruppierungen, zum Beispiel von Migranten, von Alleinerziehenden oder von Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Hradil 1999: 39f.).
Milieus und Lebensstile
Unter Milieus, auch soziale Milieus, versteht man Gruppierungen von Menschen die sich vor allem in ihren Werthaltungen und Mentalitäten ähnlich sind. Milieus entstehen hauptsächlich durch gleiche soziale Herkunft, Bildung, Freizeitgestaltung oder Beruf. Bei kleineren Milieus entsteht meistens eine Art "Wir-Gefühl" und ein erhöhter Binnenkontakt kommt hinzu, der für sozialen Zusammenhalt sorgt.
Lebensstile bilden sich aufgrund verschiedenster Faktoren heraus, wie beispielsweise dem Alter, dem Geschlecht, dem Bildungsgrad oder aber durch Einflüsse von außerhalb. Sie stellen somit die wiederkehrende Gesamtheit der Denk- und Verhaltensweisen eines Menschen dar, die sich auf größere gesellschaftliche Gruppierungen erstrecken können (vgl. Hradil 1999: 40ff.).
3. Historische Entwicklung sozialer Ungleichheit
Um die Veränderungen innerhalb einer Gesellschaft und die vorhandenen Strukturen sozialer Ungleichheit besser verstehen zu können, erscheint es sinnvoll einen kurzen Blick auf die historische Entwicklung sozialer Ungleichheit in Deutschland zu werfen.
3.1. Die vorindustrielle Gesellschaft
Die vorindustrielle Gesellschaft war vor allem durch drei sich stark voneinander unterscheidende und getrennte Stände gekennzeichnet, dem Adel, dem Bürgertum (Stadt) und dem Bauernstand (Land). Die Bauern machten etwa 80 % der Bevölkerung auf dem Land aus, während sich das Bürgertum auf die Städte konzentrierte. Innerhalb der Stände waren Berufsmöglichkeiten, Abgaben und Lebensbedingungen rechtlich streng festgelegt. Somit bildeten sich besonders durch diese ungleichen rechtlichen Bestimmungen wesentliche Dimensionen sozialer Ungleichheit heraus. Die Stellung des Einzelnen war vor allem durch die familiäre Herkunft bestimmt und ein Aufstieg in einen höheren Stand war selten (vgl. Hradil 1999: 44f.).
3.2. Die frühindustrielle Gesellschaft
Die Entwicklung von der Ständegesellschaft zur frühindustriellen Gesellschaft ist vor allem durch die Flucht in die Städte geprägt. Außerdem kam es durch die Bauernbefreiung zu ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Den Bauern war es nun möglich Boden, Gebäude oder Ländereien zu erwerben. Allerdings führte dies sehr oft zu einer Verschuldung der Bauern, die daraufhin vor allem in den Fabriken in den Städten unter häufig miserablen Arbeitsbedingungen und Löhnen arbeiteten mussten. Dies führte einerseits zu der Herausbildung der Klasse der Fabrikherren und andererseits der Klasse der Arbeiter – es entstand die Klassengesellschaft. Der Besitz löste die Herkunft als dominierenden Faktor sozialer Ungleichheit ab (Hradil 1999: 63ff.).
3.3. Die moderne Gesellschaft
Die moderne Gesellschaft wird je nach Forschungsansatz mit dem Beginn der Industrialisierung verbunden. In Deutschland unterscheidet man drei Phasen der Entwicklung: Die erste Phase war vor allem durch die technischen Neuerungen wie den Eisenbahn- und Maschinenbau geprägt. Die Arbeits- und Lohnbedingungen passten sich den neuen Strukturen an, es entstanden Gewerkschaften, sozialistische Parteien und die Arbeiterbewegung. Die zweite Phase ist durch die Reichsgründung gekennzeichnet und endete mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Das Wachstum in dieser Zeit erfolgte vor allem aufgrund des technischen Fortschritts (Elektrizität, Telefone, etc.) und ermöglichte unter anderem den Gewerkschaften die Durchsetzung besserer Arbeits- und Lohnbedingungen. In dieser Zeit wurden auch die Sozialversicherungen eingeführt. Die Zwischenkriegszeit gilt als dritte Phase. In der Weimarer Republik versuchte man durch einheitliches Wahlrecht und ein parlamentarisches Regierungssystem mögliche Ungleichheiten zu beseitigen. vgl. Hradil 2012: o.S.). Mit Ende des Zweiten Weltkrieges, dem langsamen Rückgang der Vormachtstellung der Industrie und der Entwicklung des Dienstleistungssektors, wurden immer mehr die beruflichen Qualifikationen wichtigste Determinanten sozialer Ungleichheit in Deutschland (vgl. ebd.).
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