Migrationsprozesse im Leistungssport

Eine Reflektion von Wohnortswechseln durch professionelle Basketballspieler


Examensarbeit, 2012

77 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitende Fragestellung

2 Theoretische Grundlagen der Migration
2.1 Begriffsbestimmungen
2.1.1 Migration
2.1.2 Räumliche Mobilität
2.2 Formen der Migration
2.2.1 Internationale Migration
2.2.2 Intranationale Migration
2.3 Migrationstypologien
2.3.1 Immigration
2.3.2 Rückkehr-Migration
2.3.3 Diaspora-Migration
2.3.4 Transmigration
2.4 Entscheidungsgrundlagen für Migrationsprozesse
2.4.1 Push- und Pull-Faktoren
2.4.2 Der Humankapitalansatz
2.4.3 Die Werterwartungstheorie

3 Migrationsprozesse im Spitzensport
3.1 Forschungsstand
3.2 Migrantentypen im Spitzensport
3.2.1 Der mercenary
3.2.2 Der settler
3.2.3 Der nomadic cosmopolitan
3.2.4 Der itinerant
3.2.5 Der ambitionist
3.2.6 Der pioneer
3.2.7 Der exile und expelled
3.2.8 Der returnee
3.3 Ein „gemeinsames Konzept“

4 Migrationsprozesse im Leistungssport aus Sicht professioneller Basketballspieler
4.1 Intentionen der Erhebung
4.2 Methodik der Erhebung
4.2.1 Das problemzentrierte Interview
4.2.2 Wieso die Paderborner webmoebel Baskets?
4.3 Reflektionen von Wohnortswechseln der Paderborner webmoebel Baskets
4.3.1 Reflektion Spieler 1
4.3.2 Reflektion Spieler 2
4.3.3 Reflektion Spieler 3
4.3.4 Reflektion Spieler 4
4.3.5 Reflektion Spieler 5
4.3.6 Reflektion Spieler 6
4.3.7 Reflektion Spieler 7
4.4 Ein Gesamteindruck von Wohnortswechseln professioneller Basketballspieler

5 Fazit und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang

1 Einleitende Fragestellung

Werden heutzutage bewusst die Kader der Leistungsathleten verschiedenster Sportarten betrachtet, fällt vielmals auf, dass ein Großteil der Sportler aus unterschiedlichen Nationen stammt. Der Grund für dieses Phänomen wird nicht zuletzt durch die immer stärker werdende globale Verknüpfung zwischen Ländern begründet. Auch wenn im Zuge dieser Beziehungen verstärkt die Wirtschaft profitieren mag, lassen sich gleichermaßen Auswirkungen auf die Sportwelt erkennen.

Viele Sportler entscheiden sich im Laufe ihres Werdeganges dazu, ihren Sport zum Beruf zu machen und suchen dementsprechend nach den bestmöglichen Optionen, um ihre Karriere voranzutreiben. Die internationalen Beziehungen im Sport tragen immens dazu bei, dass ein Athlet zwischen verschiedenen Angeboten wählen kann. Als Resultat besitzt der die Möglichkeit seine Karriere an einem fremden Ort bei besseren Trainingsmöglichkeiten und finanziellen Verhältnissen fortzuführen. Nicht selten kann es dabei vorkommen, dass auch ausländische Vereine als Karriereoption gelten, sodass sich die oben genannten unterschiedlichen Herkünfte in vielen Kadern erklären lassen.

In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, wie solche Migrationsprozesse von Spitzensportlern generell beschrieben werden können. Weiterhin interessiert, ob primär finanzielle Aspekte einen Wohnortswechsel im Sinne der Karriere entscheiden oder gar andere ausschlaggebende Faktoren wichtig für die Entscheidung sind. Ebenso ist fraglich, wie lange solche Sportler an einem jeweils neuen Standort verweilen, ob sie einen langfristigen Aufenthalt planen oder eines Tages definitiv an ihren Herkunftsort zurückkehren möchten. Das Wanderverhalten von Leistungssportlern stellt hinsichtlich solcher Fragen ein sehr komplexes Themengebiet dar.

Diese Arbeit zielt darauf ab, die Migrationsprozesse von Athleten im Spitzensport besser nachvollziehen und erklären zu können. Um das individuelle Wanderungsverhalten einzelner Sportler zu erforschen, soll im Rahmen der Arbeit eine qualitative Erhebung durchgeführt werden, bei der sieben Leistungsbasketballspieler ihre Wohnortswechsel durch ein problemzentriertes Interview reflektieren sollen. Diese Reflektionen sollen in einem nächsten Schritt dazu dienen, einen Überblick zu erlangen, wie und aus welchen Gründen bestimmte Wohnortswechsel vorgenommen wurden. Letztlich erfolgt so ein grober Eindruck in einen kleinen Bereich des Leistungssports, sodass verständlich wird, wie Profisportler ihre Wohnortswechsel vollziehen und letztlich selbst reflektieren.

Zunächst wird hierzu ein Basisverständnis durch die Erklärung von grundlegenden Begrifflichkeiten gewährleiste. Der Begriff Migration repräsentiert einen wichtigen Schlüsselbegriff der Arbeit, sodass eine Definition dessen den Einstieg in die Thematik erleichtern soll. Indem ebenfalls die Begrifflichkeiten Heimat und räumliche Mobilität näher beschrieben werden, soll eine vertiefte Betrachtung in Hinblick auf den Überbegriff Migration vorgenommen werden. In einem nächsten Schritt gilt es herauszustellen, welche Formen der Migration sich ableiten lassen, sodass sich einzelne Migrationsprozesse an späterer Stelle der Arbeit leichter ein- und zuordnen lassen. Ebenso soll eine Vorstellung unterschiedlicher, in der Literatur aufgeführter, Migrationstypologien eine Einordnung noch konkreter ermöglichen.

Nachdem eine theoretische Grundlage darüber geschaffen wurde, welche Formen und Typologien im Sinne der Migration bestehen, wird der Fokus anschließend auf die Grundlagen einer Entscheidungsfindung für einen Wohnortswechsel gerichtet. Diesbezüglich werden zum einen spezielle Faktoren beschrieben, die einen Wechsel des Wohnortes im Herkunfts- wie Ankunftsland begünstigen. Zum anderen werden anschließend durch den Humankapitalansatz und die Werterwartungstheorie erläutert, wie individuelle Kalkulationen und Einschätzungen eine Entscheidung herbeirufen oder ablehnen.

In einem weiteren Schritt werden die beschriebenen theoretischen Grundlagen auf den Bereich des Spitzensports bezogen. Eine Erläuterung des aktuellen Forschungsstandes soll zunächst Aufschluss darüber geben, inwieweit Befunde zum Thema Migrationsprozesse im Leistungssport vorliegen. Nach einer Vorstellung von Migrantentypen im Sportbereich sollen diese dann zu einem „gemeinsamen Konzept“ zusammengefasst werden, wobei selektiv entschieden wird, welche Typen überflüssig erscheinen und welche relevant für die Erhebung der Arbeit sind.

Der letzte Teil der Arbeit nimmt schließlich die sieben befragten Profibasketballspieler in den Fokus. Nachdem die Studie zuerst hinsichtlich ihrer Zielvorstellung und Durchführung vorgestellt wird, werden im Anschluss die Aussagen eines jeden Spielers analysiert. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, ob sich die einzelnen Athleten aufgrund gezielter Äußerungen einem bestimmten Migrantentyp des „gemeinsamen Konzeptes“ zuordnen lassen oder ob sich gar neue Typen herausstellen. Gleichermaßen soll durch die Aussagen ein Bild davon entstehen, wie sie selbst ihre Wohnortswechsel für die Profikarriere reflektieren. Ein Gesamteindruck der Wohnortswechsel aller befragten Spieler soll letztlich diesen Eindruck unterstreichen und ein Gesamtbild schaffen, das repräsentativ für individuelle Migrationsprozesse im Basketballsport stehen kann.

2 Theoretische Grundlagen der Migration

2.1 Begriffsbestimmungen

2.1.1 Migration

Der Begriff Migration entstammt dem lateinischen Verb migrare, was dem Deutschen wandern gleichzusetzen ist. Demnach bezeichnet die Migration ein Synonym zum Nomen Wanderung (vgl. Stowasser, Petschening & Skutsch, 2008, S.316). Doch so eindeutig dieser Begriff auf den ersten Blick auch wirkt, umso diffuser erscheint er, wenn konkret ausformulierte Definitionen betrachtet werden.

In der Literatur findet sich keine einheitliche Begriffsbestimmung, da verschiedene Autoren unterschiedliche Bezugsfelder in den Fokus nehmen. So bezeichnet Oswald (2007) Migration „als einen Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunktes“ (S.13). Der Begriff Lebensmittelpunkt wird in der Literatur weitestgehend deckend als ein Ort beschrieben, der die persönlichen Lebensinteressen vereinbart. Nach Oswald (2007) können sich diese auf die Parameter „Familie, Wohnung, soziales Netz und Kultur“ (S.15) beziehen. Deren räumliche Versetzung spiegelt aus ihrer Sicht somit in erster Linie die Vorstellung wider, dass neben dem Ortswechsel automatisch eine Veränderung der sozialen, politischen, aber auch kulturellen Umgebung mit dem Prozess der Migration einhergeht. Demnach werden nicht nur geographische Distanzen und Grenzen überwunden, sondern ebenso „eine außerordentliche psycho-soziale Leistung [gefordert, die] sich über einen langen Zeitraum hinziehen kann“ (Oswald, 2007, S.14).

Geis (2005) bezieht sich bei seinem Definitionsversuch der Begrifflichkeit in erster Linie auf das Geographische, indem er Migration generell als einen Ortswechsel beschreibt, der neben einem gesellschaftlich-politischen Übergang ebenso ein Überschreiten von „Gemeinde-, Regional-, Landes- oder internationale[n] Grenzen“ (S.7) mit sich zieht. Oswald (2007) beschreibt diesbezüglich bereits einen Fluss als mögliche „Grenze“ (S.14), die eine Überschreitung im Sinne der Migration bedeuten kann. Anhand solcher Überschreitungen lassen sich nach Geis (2005) weitere Formen der Migration ableiten, die jedoch an späterer Stelle der Arbeit näher thematisiert werden.

Pries (2010) beschreibt ebenfalls eine Definition von Migration, indem er diese als einen „Prozess der dauerhaften Wohnsitzänderung von Menschen“ (S.475) bezeichnet, welche aus zwei Richtungen betrachtet werden kann. Zum einen als „einmalige dauerhafte Änderung eines Wohnsitzes“ oder aber als „dauerndes Ändern von Wohnsitzen“ (Pries, 2010, S.475).

Bei der letzten Variante steht somit verstärkt der Prozess als solcher im Vordergrund statt dem Ergebnis von Migrationsprozessen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen heben besonders hervor, dass die Definition des Migrationsbegriffs immer eine Frage der Perspektive ist.

Doch auch, wenn alle Autoren weitestgehend einig sind, dass Migration in erster Linie einen Wohnortswechsel beinhaltet, sollte dennoch berücksichtig werden, dass dieser „nicht immer [sofort] ein[en] Wechsel der Gruppenzugehörigkeit“ (Oswald, 2007, S.18) mit einschließt. Nicht selten isolieren sich Zuwanderer von ihrer neu angetroffenen Umgebung und sind „an der Aufnahme sozialer Beziehungen am Zielort gar nicht interessiert“ (Oswald, 2007, S.18). Dieser Aspekt der Untrennbarkeit von Migration und der Frage nach Integration verdeutlicht, dass unterschiedliche Forschungsgegenstände den Blickwinkel auf die Thematik bestimmen. Dementsprechend beeinflussen sie konkrete Definitionen und Bereiche, die der Thematik zugeordnet werden.

Die folgenden Begriffsbestimmungen sollen als Stütze dienen, um diese komplexe Begrifflichkeit leichter in mögliche Formen und Typologien einzuteilen und ein umfassendes Grundverständnis für den Begriff Migration zu gewährleisten.

2.1.2 Räumliche Mobilität

Der Begriff räumliche Mobilität steht eng im Zusammenhang mit der zuvor beschriebenen Migration. Insbesondere die Grundbedeutung von Mobilität verweist auf Beweglichkeit oder Bewegung, die sich als weiterer Schritt ebenso auf Migrationsprozesse beziehen lassen. Im Sinne der räumlichen Mobilität stehen nach Husa, Parnreiter und Wohlschlägl (2011) „Bewegungsvorgänge zwischen verschiedenen menschlichen Aktivitätsstandorten wie z.B. Wechsel der Wohnung bzw. des Wohnortes oder auch Bewegungen zwischen Wohnung und Arbeit“ (S.137) im Vordergrund. Die Distanz, ebenso wie die Häufigkeit der Bewegungsvorgänge, sind aus Sicht der Autoren sekundär.

Geis (2005) fokussiert sich diesbezüglich verstärkt auf die zeitlichen Variablen. Er führt an, dass in erster Linie all solche „Wohnortsveränderungen“ (S.7) welche entweder dauerhaft oder zumindest von mittelfristiger Dauer sind, unter den Begriff der Migration fallen. Eine genaue Bestimmung des Begriffes mittelfristig bleibt bei seiner Sichtweise jedoch offen. Oswald (2007) differenziert diese zeitliche Frage, indem Migration aus ihrer Sicht auf großräumige Veränderungen anspielt. Kleinräumige Wanderungen sind ihrerseits der „räumlichen Mobilität“ (S.16) einzuordnen. Es basiert somit auf einer individuellen Entscheidung, ab welchem Zeitpunkt Bewegungsvorgänge bevorzugt dem Begriff der Migration oder der räumlichen Mobilität zugeordnet werden.

Nach Husa et al. (2011) lässt sich die räumliche Mobilität jedoch noch weiter differenzieren, indem zwischen nicht-permanenter und permanenter räumlicher Mobilität unterschieden wird. Unter den Begriff der nicht-permanenten räumlichen Mobilität fallen aus Sicht der Autoren all solche Bewegungsformen, „die nicht mit einem….[dauerhaften] Wohnungs- oder Wohnortswechsel verbunden sind“ (S.137). Hierzu zählt gleichermaßen die Form des Tagespendelns, wobei täglich eine gewisse Distanz bewältigt werden muss, um sich zwischen Arbeitsplatz und Wohnort zu bewegen.

Eng mit der nicht-permanenten räumlichen Mobilität ist die zirkuläre Mobilität verbunden, die nach Zelinsky (1971) „räumliche Bewegungen von meist kurzer Dauer und sich wiederholender bzw. zyklischer Natur“ (zitiert nach Husa et al., 2011, S.137) beschreibt. Chapman und Prothero (1985) spalten diese in vier weitere Bereiche auf. So setzt zum einen die tägliche Zirkulation eine Abwesenheit vom Wohnsitz voraus, die nicht länger als 24 Stunden andauert. Das beschriebene Tagespendeln fällt demnach in die beschriebene Kategorie von nicht-permanenten Bewegungsvorgängen. Des Weiteren werden periodische Zirkulationsvorgänge aufgeführt. Hierbei handelt es sich um Abwesenheiten, die sich auf eine Dauer von 24 Stunden bis hin zu einem Jahr belaufen können (vgl. Husa, 2011, S.138).

Eine nächste Untergruppe beschreibt die saisonale Zirkulation, die schon in ihrer Benennung darauf verweist, dass ein Individuum eine ganze Saison nicht zum Hauptwohnsitz zurückkehrt. Der Zeitraum einer Saison ist hierbei abhängig von dem jeweiligen Beruf des Migranten. Ein Leistungssportler muss beispielsweise während einer Spielsaison anwesend sein, bevor er in der Saisonpause wieder zu seinem Hauptwohnsitz zurückkehren kann. Als letzte Kategorie der nicht-permanenten räumlichen Mobilität nennen Chapman und Prothero (1985) die langfristige Zirkulation (vgl. Husa, 2011, S.138). Verlässt ein Individuum seinen Hauptwohnsitz länger als ein Jahr, so wird sein Bewegungsvorgang dieser Begrifflichkeit zugeordnet.

Dem gegenüber bezeichnet die permanente Mobilität jene Bewegungsvorgänge, die sich anhand einer „Verlagerung des Wohnstandortes über eine administrative Grenze hinweg“ (Husa et al., 2011, S.140) vollziehen. Die Definition einer Grenze unterscheidet sich dabei nach dem untersuchten Forschungsgegenstand und ist nicht allgemeingültig festgelegt. Somit beschreiben die genannten Muster der räumlichen Mobilität mögliche „Bewegungen“, welche im weiteren Verlauf jedoch als Orientierungshilfen und Vergleichsparameter dienen sollen.

2.1.3 Heimat

Eng im Zusammenhang mit der Migration und räumlichen Mobilität, steht der Begriff Heimat. Um die Beziehung zu beiden Begrifflichkeiten herauszustellen, bedarf es an dieser Stelle zunächst einer Definition von Heimat.

In der Literatur wird Heimat als ein „Land, Landesteil oder Ort, in dem man (geboren und) aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)“ (Kunkel-Razum, Scholze-Stubenrecht & Wermke, 2011, S.734) aufgeführt. Heimat beschreibt hier einerseits eine Verankerung zu einem bestimmten Ort, gleichzeitig haben jedoch auch soziale Komponenten Einfluss darauf, was als Heimat erachtet wird. Weiger, Weinzierl, Müller- Ehrman, Hierneis und Schönauer (2006) stellen dies in ihrer Aussage heraus, dass „Heimat…immer mit Geborgenheit, Vertrautheit und Identität verbunden“ (S.10) ist. Oftmals stehen diese Merkmale im engen Bezug zu Verwandten, Bekannten, Vereinen oder auch dem Arbeitsplatz.

Raschel (2007) sieht neben den örtlichen und sozialen Komponenten auch bestimmte Schattenseiten bezüglich des Heimatbegriffs, die in erster Linie sozialer Natur sind. Demnach definiert sich Heimat nach Raschel (2007) auch über „das Fremde“ (S.7). Als Konsequenz bedeutet dies, dass Personen, die anders denken „als die Gemeinschaft, [von dieser] ausgeschlossen“ (S.7) werden. Im Umkehrschluss gilt für den Prozess der Migration, dass einerseits die „alte Heimat“ verlassen, im gleichen Zuge jedoch eine neue vorgefunden wird. Hierbei kann es sich zum einen schwierig gestalten, die „neue Heimat“ als solche zu akzeptieren und weiterhin „in ihr“ akzeptiert zu werden. Raschel (2007) spricht in diesem Zusammenhang von einer sogenannten „Entwurzelung“ (S.9), die nicht selten mit dem Gefühl der Einsamkeit oder Fremdenfeindlichkeit einhergehen kann. Er stellt die These auf, dass dort, wo Menschen kein Heimatgefühl empfinden, für sie auch keine Zukunft liegt. Er argumentiert, dass Heimat „für alle Menschen ein elementares Grundbedürfnis“ (S.9) darstellt.

Ob der Begriff Heimat in der Tat als Grundbedürfnis angesehen wird, liegt in den persönlichen Wertvorstellungen eines Jeden begründet. Unbestritten ist, dass sehr ambivalente Merkmale mit dem Begriff in Verbindung gebracht werden. Es muss somit individuell entschieden werden, welche Faktoren mit dem Heimatbegriff assoziiert werden und inwieweit er eine entscheidende Rolle für die eigene Identität spielt.

2.2 Formen der Migration

Wie bereits erwähnt, können sich Migrationsprozesse in verschiedenen Formen vollziehen. Grundlegend wird jedoch zwischen internationaler und intranationaler Migration unterschieden, welche in der Literatur oftmals auch als Au ß en- und Binnenmigration (vgl. Oswald, 2007, S.17) aufgeführt sind. Beide Migrationsformen sollen im Folgenden näher vorgestellt werden, um an späterer Stelle zum besseren Verständnis bezüglich des Wanderungsverhaltens von Spitzensportlern zu dienen.

2.2.1 Internationale Migration

Die internationale Migration bezieht sie sich in erster Linie auf „die Wanderung über Landesgrenzen hinaus…und führt das Migrationssubjekt in den meisten Fällen in einen anderen Kulturkreis.“ (Geis, 2005, S.8). Mit dieser Grenzüberschreitung geht oft die Tatsache einher, dass eine fremde Sprache Bestandteil des neuen Kulturkreises ist, wenn nicht sogar ein „anders geartete[s] Gesellschaftssystem“ (Geis, 2005, S.8). Diese Form der Migration gilt als radikal, da sich Migranten zunächst auf das neue Umfeld einstellen müssen und gleichermaßen für ihre gewohnte Lebensweise eine massive Umgestaltung verlangt wird.

Pries (2010) nennt im Hinblick auf die internationale Migration verschiedene Ansätze, um sie in weitere Kategorien aufzuspalten. Demnach unterscheidet er zwischen „Nah- und Fernwanderung….saisonaler und dauerhafter Migration…[sowie] zwischen geplanter bzw. freiwilliger und ungeplanter bzw. unfreiwilliger Wanderung“ (S.479). Er führt noch weitere mögliche Unterscheidungsformen an, hebt allerdings deutlich hervor, dass eine strikte Trennung von Migrationsformen „in den meisten Fällen nur schwer möglich“ (Pries, 2010, S.479) ist. Diese Aussage veranschaulicht, dass die Übergänge zwischen den Formen der internationalen Migration oft fließend sind und eine genaue Kategorisierung in der Regel nur schwer vollzogen werden kann.

2.2.2 Intranationale Migration

Gegenüber der internationalen Migration bezeichnet Geis (2005) die intranationale Migration als „einen Ortswechsel innerhalb der gegebenen Landesgrenzen“ (S.8). Er schließt gleichermaßen mit ein, dass Kulturkreis und nationale Identität erhalten bleiben. Nicht selten handelt es sich bei dieser Form um notwendige Migrationsprozesse, die oft durch einen Arbeitsplatzwechsel hervorgerufen werden. Liegt beispielsweise die neue Arbeitsstelle zu weit vom alten Wohnort entfernt, erscheint ein Wohnortswechsel als sinnvolle Variante.

Weiter wird zwischen zwei Formen intranationaler Migration unterschieden. Zum einen existiert die Variante der intraregionalen Migration. Das lateinische Wort intra verweist (analog zum Überbegriff intranationale Migration) auf Wanderungen, innerhalb einer bestimmten Region verlaufen (vgl. Stowasser et al., 2008, S.158). Im Beispiel Arbeitsplatz bedeutet dies, dass dieser hier zwar bestehen bleibt, aus bestimmten „ökonomischen Notwendigkeiten bzw. [aufgrund von] persönlichen Präferenzen“ (Geis, 2005, S.9) jedoch trotzdem ein Wohnortswechsel angestrebt wird. Somit kann beispielsweise die Pendeldistanz zwischen Wohnung und Arbeitsort verkürzt werden. Die jeweilige Region des Migrationssubjektes bleibt erhalten, sodass sich Freundes- oder Bekanntenkreise nicht nachhaltig verändern, sondern maximal das „direkte Umfeld“ (Geis, 2005, S.9) von der Wanderung betroffen ist. Demnach beschränken sich neue Gegebenheiten auf veränderte Standortfaktoren oder, vom sozialen Standpunkt aus betrachtet, auf eine neue Nachbarschaft.

Bei der interregionalen Migration hingegen wird „die derzeit bewohnte Region verlassen[, die] nationalen Grenzen werden allerdings nicht überschritten“ (Geis, 2005, S.10). Auch wenn diese Grenzen nicht überschritten werden, lassen sich deutliche Parallelen zur internationalen Migration aufzeigen. Neben der Tatsache, dass gewisse Distanzen überwunden werden müssen (zum Beispiel aufgrund eines neuen Stellenangebotes), ändert sich meist das soziale Umfeld. Die Nachbarschaft verändert sich und der gewohnte Freundes- und Bekanntenkreis wird zurückgelassen. Eine interregionale Migration nach Geis (2005) bewirkt somit, dass die „Aufrechterhaltung der bestehenden Kontakte…deutlich schwieriger [wird] als bei der intraregionalen Migration“ (S.10). Oswald (2007) führt diesbezüglich den Vergleich eines Umzuges von Baden in das Elsass mit einem Umzug von Nord- nach Süddeutschland als Beispiel an. Während im ersten Fall eine Nationalgrenze überschritten werden muss, verläuft der Umzug im zweiten Fall innerhalb Deutschlands. Aus Oswalds Sicht bedeuten jedoch beide Umzüge gleichermaßen einen „Wechsel von Sprache, Kultur und Alltag“ (Oswald, 2007, S.17). Die Mentalität, Sprache aber auch die Vegetation können sich innerhalb eines

Nationalstaates ebenso von Region zu Region ändern, wie zwischen zwei Ländern. Aus dieser These wird besonders deutlich, dass internationale und interregionale Migrationsprozesse nicht immer so verschieden verlaufen, wie man auf den ersten Blick vielleicht annimmt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass ein entscheidender Unterschied zwischen Migrationsprozessen in intra- und interregionalen Bereichen besteht. Es ist auffällig, dass beide Unterformen zwar unter den Begriff intranational fallen, die interregionale Migration jedoch deutliche Parallelen zur internationalen Wanderungen aufweist. Dies wird vor allem durch ein Zurechtfinden und Eingliedern deutlich, welche nach der Ankunft in einem neuen Umfeld erfolgen müssen. Eine strikte Unterscheidung der beiden Grundformen inter- und intranationale Migration sollte sich demnach auf die geographischen Gegebenheiten anstatt auf soziale Aspekte beziehen.

2.3 Migrationstypologien

Nachdem bestimmte Migrationsformen beleuchtet wurden, soll im Folgenden näher auf konkrete Typologien der Migration eingegangen werden. Hierbei stehen weniger geographische Aspekte als die Hinter- beziehungsweise Beweggründe bezogen auf Wanderungsformen im Vordergrund.

Auch im Bereich der Migrationstypologien gestaltet es sich als schwierig bestimmte Kategorien festzulegen, da unterschiedliche Sichtweisen auf die Thematik letztlich deren konkrete Begriffsbestimmung beeinflussen. Pries (2010) unterscheidet zum Beispiel zwischen der Immigration, Rückkehr-Migration, Diaspora-Migration und letztlich der Transmigration. Seine Einteilung in die vier genannten Typologien soll für diese Arbeit maßgeblich sein, um eine theoretische Basis für spätere Schlussfolgerungen bezüglich des Migrationsverhaltens von Spitzensportlern darzustellen.

2.3.1 Immigration

Der erste Migrationstypus wird nach Pries (2010) durch die Immigration beschrieben. In der Literatur steht dieser Begriff für „Ein- oder Zuwanderung“ (Kunkel-Razum et al., 2011, S.447), woraus sich schließen lässt, dass das Migrationssubjekt ein bestimmtes Land verlässt, um in einem neuen Land Fuß zu fassen. Nach Pries (2010) pflegen die Migranten bei diesem

Prozess „zwar noch Kontakte zu ihrem Herkunftsland, integrieren und assimilieren sich aber schrittweise als Eingewanderte“ (S.480). Solch eine Integration kann sich nach Pries (2010) auch über Generationen ziehen, wobei der Zeitraum meist abhängig davon ist, inwieweit die Aufnahmegesellschaft, wie auch das Individuum selbst, der Integration gegenüber eingestellt sind. Es wirkt dennoch schwierig die Immigration als eine sich eindeutig abgrenzende Typologie zu betrachten, da sie einen Überbegriff für weitere Migrationstypologien repräsentiert. Jeder Migrationsprozess geht mit der Tatsache einher, dass eine Wanderung in eine neue Region oder ein neues Land erfolgt, sodass weitere Migrationstypologien die Immigration in gewisser Weise implizieren. Wird diese Kategoire gesonderte betrachtet, stehen hier weniger die Beweggründe der Migration im Vordergrund, sondern verstärkt die Wanderung als Bewegung. Weitere Typologien lassen hingegen auf Hinter- und Beweggründe eines Migrationsprozesses schließen, was beim Blick auf die folgenden Typen deutlich wird.

2.3.2 Rückkehr-Migration

Als weiteren Typus von Migrationsprozessen nennt Pries (2010) die Rückkehr-Migration. Er bezeichnet diese als einen „zeitlich befristeten Landeswechsel“ (S.480), bei dem in erster Linie der Gelderwerb eine hohe Priorität besitzt. Demzufolge verweilen Migranten dieser Typologie für eine individuell festgelegte Periode im auserwählten Land, um dort so viel Geld wie möglich zu verdienen. Der Wunsch nach Integration und Assimilation rückt als Konsequenz verstärkt in den Hintergrund. Pries (2010) ordnet demnach die Gastarbeiter diesem Migrationstypus zu, da sie die Idee des „nur vorrübergehenden Aufenthaltes“ (S.480) zum Zwecke des Gelderwerbs repräsentieren.

Die deutsche UNESCO-Kommission e.V. (2009) erachtet diesbezüglich noch einen weiteren Aspekt der Rückkehr-Migration als wichtig. Sie vertritt den Standpunkt, dass es schlichtweg die externen Faktoren sind, welche die Migranten zu der Entscheidung bewegen, in ihr Heimatland zurückzukehren. So können beispielsweise „Rezessionen, nationale Gesetzgebungen und Sicherheitsbedenken“ (Die deutsche UNESCO-Kommission e.V., 2009) Grund dafür sein, dass sich die Migranten von dem Immigrationsgedanken entfernen und die Rückkehr in das Heimatland anstrebt werden muss.

Es gilt also festzuhalten, dass die Rückkehr-Migration zum einen aktiver oder auch passiver Natur sein kann. Dies bedeutet konkret, dass der Aufenthalt im Gastland entweder bewusst

von temporärer Dauer gestaltet ist. Dementsprechend wird die Rückkehr in das Heimatland gezielt geplant oder aber es treten Schwierigkeiten unterschiedlicher Natur auf, die eine Rückkehr erforderlich machen.

2.3.3 Diaspora-Migration

Der dritte Migrationstypus wird nach Pries (2010) durch die Diaspora-Migration repräsentiert. Auch wenn dieser die Thematik der Arbeit auf den ersten Blick nicht offensichtlich tangiert, soll er der Vollständigkeit halber dennoch aufgeführt werden. Nicht zuletzt, da die Übergänge von Migrationstypologien, wie zuvor erwähnt, oft fließend sind und demnach mögliche Parallelen zu anderen Typologien gezogen werden können.

Der Begriff Diaspora wird in der Literatur als ein „Gebiet, in dem eine konfessionelle oder nationale Minderheit lebt“ (Kunkel-Razum et al., 2011, S.374) beschrieben. Hierbei entscheiden sich die Migranten für Wanderungen, die „in erster Linie religiös oder/und durch starke loyalitäts- und organisationale Abhängigkeitsbeziehungen“ (Pries, 2010, S.480) geprägt sind. Vielmals wird dieser Migrationstypus mit der jüdischen Religion in Verbindung gebracht, da sich viele Juden, vor allem zur Zeit des Dritten Reiches, in kleinen Glaubensgemeinschaften ins Ausland abgesetzt haben (vgl. Herzig, 2002, S.249ff). Charakteristisch für Diaspora-Migranten ist meist die Tatsache, dass sie sich nicht vollständig in die Gesellschaft des jeweiligen Ankunftslandes integrieren wollen, sondern „nur bis zu einem gewissen Grade“ (Pries, 2010, S.480). Somit ist es nicht überraschend, dass die Migranten ihre Bindungen, vor allem solche sozial-kultureller Natur, zum Herkunftsland stets aufrechterhalten wollen.

Es lässt sich festhalten, dass Migranten des Typus Diaspora in erster Linie aus Gründen wie „Flucht, Vertreibung [oder] Gesinnungsentscheidung[en]“ (Pries, 2010, S.480) in ein anderes Land wandern. Dort treten sie jedoch nicht als typische Arbeitsmigranten auf, sondern versuchen nach der Ideologie ihrer „Mutterorganisation“ zu leben. Demnach wird eine Assimilation ihrerseits (wenn überhaupt) nur zweitrangig angestrebt.

2.3.4 Transmigration

Den letzten der vier Migrationstypologien nach Pries (2010) bezeichnet die Transmigration. Um diesen Typus von Wanderung besser zu verstehen, soll im Vorfeld der Begriff Transnationalität näher betrachtet werden, welcher in einem wichtigen Zusammenhang mit dem Grundbegriff steht.

Das lateinische Präfix trans verweist darauf, dass die Migration hier über etwas verläuft (vgl. Stowasser et al., 2008, S.520). Im Sinne von Migrationsprozessen bedeutet dies, dass Landesgrenzen oder auch kulturelle Barrieren bei der Wanderung überwunden werden. Pries (2010) stellt heraus, dass die Begrifflichkeit Transnationalität seit den 1990er Jahren verstärkt verwendet wird, jedoch eine einheitliche Definition bisher nicht festgelegt wurde. Eine Schwierigkeit beschreibt diesbezüglich eine Uneinigkeit darüber, welche Aspekte bei dem Begriff genau in den Fokus genommen werden sollten. Der Autor beschreibt, dass „je häufiger die Rede von [Transnationalität] war, desto unklarer [wurden] die damit gemeinten Inhalte“ (S.11). Dennoch versucht Pries (2010) eine Sinngebung des Begriffes zu nennen. Diese wird nachfolgend näher erläutert, da sie für die Thematik dieser Arbeit am treffendsten erscheint.

Aus Sicht des Autors repräsentiert Transnationalität „solche Sozialphänomene und sozialen Beziehungen, die sich über mehrere lokale Einheiten in unterschiedlichen Nationalgesellschaften heraus erstrecken, die relativ dauerhaft sind und vergleichsweise dichte Interaktionen beinhalten“ (S.10). Soziale Beziehungen stehen in diesem Zusammenhang für Familien-/Freundeskreise oder andere soziale Instanzen, wie beispielsweise Unternehmen. Pries (2010) beschreibt eine Netzwerk, bei dem während einer bestimmten Dauer ein intensiver Kontakt zwischen den betroffenen sozialen Parteien herrscht, der sogar über unterschiedliche Nationalgesellschaften hinweg bestehen bleibt. Er nennt in diesem Zusammenhang einen „historisch neue[en] Vergesellschaftungsmodus über die Grenzen….von nationalen Gesellschaften hinweg“ (S.10).

Wird diese Sichtweise auf Migrationsprozesse transferiert, bezeichnet Transmigration einen „Wechsel zwischen verschiedenen Lebensorten in unterschiedlichen Ländern“ (Pries, 2010, S.480). Der alltagsweltliche Lebensraum beschränkt sich demnach nicht nur auf eine bestimmte Region, sondern kann an verschiedenen Orten, sogar Ländergrenzen überschreitend, festgelegt werden. Als Folge dessen können sich die Identitäten des Migrationssubjektes auch multipel gestalten, was sich wie folgt begründen lässt: Nach der Ankunft in einem jeweiligen Land oder einer Region werden seitens des Migrationssubjektes bestimmte Elemente aufgenommen und „zu etwas Eigenem und Neuem transformier[t]“ (Pries, 2010, S.481). Dementsprechend identifiziert sich der Migrant über längere Zeit immer mehr mit der neuen Umgebung, während er gleichzeitig versucht die alte Identität zu wahren. Als logische Konsequenz geschieht es nicht selten, dass die Migranten mehrere Sprachen sprechen und sich ebenso unterschiedlichen Heimaten zugehörig fühlen. Laut Portes (1997) verfolgen sie deshalb verschiedene „politische, wirtschaftliche und kulturelle Interessen, die eine Präsenz in zwei oder mehreren Ländern bedingen“ (zitiert nach Geis, 2005, S.812).

In diesem Zusammenhang wird oft debattiert, ob die Transmigration nicht auch zu einer abnehmenden Bedeutung der Nationalstaatgrenzen führt. Diese Frage bleibt individuell zu beantworten, doch steht fest, dass transnationale Migration immer auch ein Entstehen neuer Sozialformen mit sich zieht. Der Grund dafür liegt in dem Versuch der Migranten begründet, auf mehreren Ebenen, sprich an mehreren Orten, ihr Leben zu organisieren.

2.4 Entscheidungsgrundlagen für Migrationsprozesse

Nachdem im Vorfeld grundlegende Begrifflichkeiten, Formen wie auch Typologien der Migration vorgestellt wurden, sollen in diesem Kapitel Entscheidungsgrundlagen für eine Migrationsentscheidung im Vordergrund stehen. Wie herausgestellt, sind die Beweggründe für Migrationsprozesse vielfältig und individueller Natur. In der Literatur lassen sich unterschiedliche Ansätze finden, die auf den Prozess der Entscheidungsfindung eingehen. Im Folgenden sollen drei Grundlagen thematisiert werden, welche für die Migrationsprozesse von Athleten im Spitzensport repräsentativ wirken.

2.4.1 Push- und Pull-Faktoren

Um die Push- und Pull-Faktoren bezogen auf Migrationsprozesse zu beschreiben, dient die deutsche Übersetzung der englisch-stämmigen Verben zu einem ersten Verständnis. Das Verb push lässt sich mit dem deutschen drücken gleichsetzen (vgl. Willmann, Türck, Messinger, 2002, S.484), wobei pull mit ziehen übersetzt werden kann (vgl. Willmann et al., 2002, S.481). Überträgt man diese grundlegenden Übersetzungen auf einen Migrationsprozess, werden einerseits solche Faktoren beschrieben, die innerhalb des Herkunftslandes einen Wohnortswechsel in gewisser Weise forcieren. Andererseits existieren Faktoren, die das Ankunftsland bietet und somit attraktiv oder anziehend für das Migrationssubjekt wirken lässt.

Geis (2005) versucht in einer Gegenüberstellung die grundlegenden Faktoren des Push- und Pull-Konzeptes verallgemeinert darzulegen. Demnach verläuft ein Vergleich beider Länder wie folgt für das Migrationssubjekt ab: Während die aktuelle Situation im Aufenthaltsland zunächst als unattraktiv bewertet wird, erscheinen bestimmte Perspektiven einer neuen Region umso anziehender für das Individuum. Daher beziehen sich die unattraktiven Faktoren innerhalb des Landes zunächst auf die Gegenwart, wobei die Pull-Faktoren des Ziellandes immer auf die Zukunft verweisen. Es lässt sich schlussfolgern, dass nach Geis (2005) die Push-Faktoren sinnlich betrachtet ein „weg von der Gegenwart“ beschreiben, während die Pull-Faktoren dem für ein „hin zur Zukunft“ (S.29) stehen.

Die häufigsten Push-Faktoren werden laut Geis (2005) durch „Arbeitslosigkeit und Armut, politische Instabilität, Kriege und Umweltzerstörung“ (S.28) repräsentiert. Dem gegenüber stehen aus seiner Sicht Pull-Faktoren wie „höhere Löhne, umfassende Sozialversicherungssysteme“ (S.28) und der Zustand politischer Stabilität. Haug (2000) vertritt ergänzend den Standpunkt, dass „Push- und Pull- Faktoren zu einer Verdeutlichung der Verflechtung zwischen Makro- und Mikroebene“ (S.15) dienen. Dies bedeutet folglich, dass sie die Beziehung zwischen den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen (Makroebene) und dem Individuum (Mikroebene) näher herausstellen. Um dies zu verdeutlichen, soll die Arbeitsmarktsituation innerhalb eines Landes als Beispiel angeführt werden. So kann auf der einen Seite eine hohe Arbeitslosenquote als ein Push-Faktor für den Migrationsprozess gelten, da er ein negatives Merkmal innerhalb des Aufenthaltslandes beschreibt. Auf der anderen Seite können im Vergleich hohe Beschäftigungsquoten in einem anderen Land als Pull-Faktor betrachtet werden, da sie eine Wanderung mit dem Ziel einer Beschäftigung im jeweiligen Land, deutlich attraktiver erscheinen lassen. Die beruflichen Gegebenheiten in beiden Ländern polarisieren in diesem Fall, sodass ein Migrationsprozess durch die Druckfaktoren im einen Land, wie durch die Sogfaktoren im anderen Land, gleichermaßen sinnvoll ist.

Es lässt sich festhalten, dass ein individueller Vergleich bestimmter gesellschaftlicher Gegebenheiten im Aufenthaltsland mit denen anderer Länder letztlich ausschlaggebend für eine Migrationsentscheidung ist. Dabei ist anzunehmen, dass je größer die Polarisierung bestimmter Faktoren ist und je mehr gegensätzliche Faktoren generell vorhanden sind, die Entscheidung umso schneller für einen Migrationsprozess erfolgt.

2.4.2 Der Humankapitalansatz

Um Migrationsprozesse anhand des Humankapitals zu betrachten und zu begründen, soll zunächst eine Definition dieser Begrifflichkeit dazu dienen, Beweggründe für Migrationsprozesse besser nachvollziehen zu können.

Laut Fuchs-Heinritz, Lautmann, Rammstedt und Wienold (1994) repräsentiert das Humankapital einen zentralen Begriff, bei dem „Erziehung und Ausbildung … als in den Menschen investiertes Kapital angesehen [werden], das seinem Träger Erträge in Form von monetären (Lohn, Gehalt) und auch nichtmonetären (Zufriedenheit, soziale Kompetenz) „Einkommen“ erbringt“ (S.281). Der Begriff beruht somit auf der Vorstellung, dass jeder Mensch bestimmte Kompetenzen besitzt, welche er als sein eigenes Kapital bezeichnen kann. Ferner sollen diese Eigenschaften einen Nutzen erbringen, der dazu dienen soll, eine ausreichende Lebensqualität für das jeweilige Individuum zu schaffen.

Bezogen auf Migrationsprozesse bedeutet dies im übertragenen Sinne, dass individuelle Arbeitsqualitäten zu der Entscheidung führen das Herkunftsland zu verlassen, um beispielsweise bessere ökonomische Rahmenbedingungen in anderen Ländern wahrzunehmen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind bessere Löhne im Ankunftsland, sodass „die Migrationsentscheidung [oftmals] primär als Einkommensmaximierung getroffen wird“ (Geis, 2005, S.24). Haug (2000) ergänzt diese Sichtweise, indem sie besonders auf die Rationalität verweist, die im Falle des Humankapitalansatzes der Migrationsentscheidung zu Grunde liegt. Aus ihrer Sicht bildet die Grundlage des Migrationsprozesses in den meisten Fällen die „Suche nach dem Ziel einer optimalen Versorgung mit ökonomischen Mitteln“ (S.5).

Mit entscheidend für eine Migrationsentscheidung sind somit solche Determinanten, die bereits zuvor als Push- und Pull-Faktoren beschriebenen wurden. Nach Geis (2005) sind Migranten prinzipiell „begierig, den beschränkenden Lebensumständen in ihrer Heimat zu entkommen“ (S.26) und nehmen dafür sogar Unannehmlichkeiten in Kauf. Diese resultieren in erster Linie aus der Tatsache, dass das gewohnte Umfeld samt Familien- und Freundeskreis verlassen werden muss. Gefühle wie Heimweh oder das Bewältigen von Problemen in der neuen Umgebung bezeichnet Geis (2005) in diesem Zusammenhang als „psychische Kosten“ (S.26), die unabwendbar mit dem angestrebten Migrationsprozess einhergehen. Die zuvor genannten positiven Argumente für eine Wanderung werden dem gegenüber als „psychischer Nutzen“ bewertet, sodass im Vorfeld abgewogen werden sollte, welcher Teil prägnanter ist.

Der Humankapitalansatz beschreibt in diesem Sinne eine Kalkulation des Individuums bezogen auf gegebene Vor- und Nachteile, sodass der Abwägungsprozess als solcher auf der Mikroebene erfolgt.

Greenwood (1975) stellte für die individuelle Entscheidungsfindung eine Formel auf, die durch ein Gegenüberstellen der gegebenen Faktoren die Migrationsentscheidung befürwortet oder ausschließt. Determinanten dieses Vergleiches stellen die Gehaltshöhe im jeweiligen Ankunftsland, die Dauer, die das Migrationssubjekt im dortigen Erwerb noch tätig sein wird und die Kosten für den Migrationsprozess dar. Anhand dieser Gegebenheiten ergibt sich durch Greenwood (1975) die logische Konsequenz, dass „je höher die Einkünfte an einem anderen Ort die derzeitigen übersteigen, je mehr Jahre eine Person noch im Erwerbsleben ist und je kleiner die Kosten der Wanderung sind, desto eher…eine Person wandern“ (zitiert nach Geis, 2005, S.399ff) wird.

Es lässt sich aus dieser Formel schlussfolgern, dass ältere Menschen nicht mehr lange im Erwerbsleben des Ankunftslandes tätig sein können, sodass nur eine verhältnismäßig geringe Jahresanzahl zum Erwerb übrig bleibt. Folglich ist anzunehmen, dass eine Migrationsinvestition lohnenswerter erscheint, je länger die Erwerbstätigkeit im gewählten Land andauert. Geis (2005) geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Migranten den Umzug in das Ankunftsland als Investition betrachten, „dessen Kosten sich in der Zukunft auszahlen müssen“ (S.24) nicht zuletzt, weil der Wohnortswechsel auch gleichzeitig einen potenziellen Verdienstausfall bedeutet.

In vielen Fällen steht das Problem der Umzugskosten jedoch nicht ausschlaggebend im Fokus, da die Arbeitgeber industrialisierter Nationen die Arbeitsmigration oft selbst einleiten. Massey et al. (1993) benutzen in diesem Zusammenhang den Begriff „recruitment“ (S.444), der diesen Prozess der Arbeitsmigration passend beschreibt. Personen mit einem ausgeprägten Humankapital werden aufgrund ihrer Qualifikationen vom Arbeitsgeber demnach aus ihrem Heimatland rekrutiert. Dieser Vorgang gestaltet sich für die Migranten selbst als nützlich, da sie mit einer Vollbeschäftigung im Ankunftsland rechnen können und sogar die Umzugskosten dorthin oft vom Arbeitgeber getragen werden. Es ist annehmbar, dass dieses Vorgehen besonders im Spitzensport vertreten ist, wenn das Abwerben herausragender Spieler aus anderen Vereinen vordergründig ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Migrationsprozesse im Leistungssport
Untertitel
Eine Reflektion von Wohnortswechseln durch professionelle Basketballspieler
Hochschule
Universität Paderborn  (Department Sport und Gesundheit)
Note
1,1
Autor
Jahr
2012
Seiten
77
Katalognummer
V231503
ISBN (eBook)
9783656470922
ISBN (Buch)
9783656471547
Dateigröße
705 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beinhaltet einen empirischen Charakter der auf qualitativen Interviews basiert. Indem u.a. Profi-Basketballspieler mit amerikanischer Herkunft befragt wurden, ist im Anhang eine englische Version des Interviews vorzufinden.
Schlagworte
migrationsprozesse, leistungssport, eine, reflektion, wohnortswechseln, basketballspieler
Arbeit zitieren
Jana Kutschfreund (Autor:in), 2012, Migrationsprozesse im Leistungssport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231503

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