Die Probleme in Samuel Becketts Molloy und Italo Calvinos Sotto il sole giaguaro


Ausarbeitung, 2012

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Samuel Beckett: Molloy

1.1. Die Teile „Molloy“ und „Moran“

Der Roman Molloy von Samuel Beckett, der im Jahre 1951 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, ist der erste Teil einer Trilogie, zu der noch die Werke Malone stirbt und Der Namenlose gehören. Molloy selbst ist in zwei beinahe gleichlange Abschnitte untergliedert, die miteinander in einer engen Verbindung stehen: „Molloy“ und „Moran“. Zwischen den beiden Protagonisten gibt es viele Parallelitäten, die sich nicht nur in deren Entwicklung, sondern auch in einigen mehr oder weniger versteckten Hinweisen im Text zeigen:

Beide durchlaufen während ihrer Suche einen körperlichen Zerfall; Molloy muss seine Mutter finden und mit ihr ins Reine kommen, Moran bekommt den Auftrag, nach Molloy zu suchen. Beide werden gezwungen, einen Bericht darüber zu verfassen. Außerdem wird das Fahrrad als Fortbewegungsmittel genutzt, und sowohl Molloy als auch Moran wollen logisch-mathematisch vorgehen: Molloy macht sich Gedanken, wie er am Besten seine Kieselsteine lutschen und diese in den Manteltaschen unterbringen soll; Moran versucht auf dem Heimweg, durch eine genau bestimmte Art sein Hemd zu tragen, dieses möglichst wenig abzunutzen. Martin Brunkhorst nennt zudem noch weitere Entsprechungen wie das Tragen eines Hutes (100). Ein anderer subtiler Zusammenhang der beiden Teile zeigt sich laut Abbott im Wiederauftauchen des Messerbänkchens (96), das Molloy Lousse gestohlen hat.

All diese Kontinuitäten sowie weitere, auf die im Folgenden eingegangen werden soll, deuten also auf eine untrennbare Verbundenheit von Molloy und Moran hin; letzterer hat sogar das Gefühl, Molloy zu kennen: „Molloy, oder Mollose, war für mich kein Unbekannter. [...] Doch ich hatte keine Kollegen und wusste nicht, unter welchen Umständen seine Existenz mir bekannt geworden war. [...] Die Mutter Molloy, oder Mollose, kam mir auch nicht ganz unbekannt vor.“ (Beckett 155).

1.2. Weggehen und Ankommen

Das Thema des Verlassens eines Ortes, die folgende Reise der Personen und schließlich das (Zurück-)Kommen spielt eine zentrale Rolle, weil sich die Entwicklung, die die beiden Hauptpersonen durchmachen, nur während ihrer Suche gänzlich zeigt.

Doch während Molloy gar nicht so genau weiß, in welche Richtung er muss, um zu seiner Mutter zu kommen, und auch Moran von dem Boten Gaber keine detaillierten Instruktionen erhält, sind beide entschlossen, ihren jeweiligen Auftrag gut zu erfüllen. Molloys Entschluss aufzubrechen ging die Beobachtung von A und B voraus. Seine Art und Weise, die Begegnung der beiden zu schildern, konfrontiert den Leser mit der Problematik der Verlässlichkeit (siehe auch 1.5).

Auf der Reise, die Molloy unternimmt, ist er auf sein Fahrrad angewiesen, das er aufgrund seines steifen Beines nur mit Mühe und Not benutzen kann. Als er sich von der Anstrengung, sich vorwärts zu bewegen, ausruhen will, wird er dafür von einem Polizisten gerügt. Dann überfährt er unwillentlich den Hund von Lousse, einer Dame, die Molloy vor der aufgeregt tobenden Menge rettet, die schon über ihn herfallen wollte. Bei Lousse wird er umsorgt und gefüttert, doch irgendwann beschließt Molloy zu fliehen. Sein Fahrrad lässt er zurück, dafür nimmt er das silberne Messerbänkchen mit. Sein Zustand verschlechtert sich immer mehr, und er kommt nur noch dank der Krücken voran. Schließlich verbringt Molloy einige Tage an der Küste, darüber nachgrübelnd, wie er das Problem seiner sechzehn Lutschsteine lösen soll.

Wieder macht er sich auf seinen beschwerlichen Weg, der ihn durch einen Wald fährt (dies ist ebenfalls eine Parallele, die im „Moran“- Teil zu finden ist). Er trifft auf einen Köhler, und nur weil dieser ihn am Rockärmel festgehalten hat, schafft es Molloy, diesen trotz seines miserablen körperlichen Zustands mit geradezu ausgearbeiteter Sorgfältigkeit zu verprügeln („Auf Symmetrie bin ich immer verrückt gewesen“, ebd. 117). Zum Schluss kann er schon nicht mehr aufrecht gehen und robbt deshalb, sich im Kreis unbeirrt weiter ziehend, durch den Wald, stets in Gedanken bei seiner Mutter. Er landet in einem Graben, wo er eine Stimme zu sich sprechen hört, die ihm versichert, dass jemand zu ihm kommen werde. Durch den Anfangsteil wissen wir auch, wo Molloy letzten Endes landet: „Ich bin im Zimmer meiner Mutter. Ich wohne jetzt selbst darin. Wie ich hierhergekommen bin, weiß ich nicht“, ebd. 7).

Alfred Alvarez ist der Meinung, dass man den folgenden Teil von Moran als „dieselbe Geschichte [...] aber von einem gegensätzlichen Standpunkt...“ (53) aus gesehen betrachten könnte, was auf die Aufeinanderbezogenheit von Molloy und Moran anspielt.

Als letzterer sich noch bei sich zu Hause befindet, scheint alles noch in bester Ordnung zu sein und Moran alles, besonders seinen Sohn Jacques, unter Kontrolle zu haben. Er erscheint dem Leser als ein viel klarer umrissener Charakter als Molloy: Ein strenger Arbeitgeber und Vater, der stets peinlichst genau darauf achtet, dass alles seine Ordnung hat. „Ich liebte Pünktlichkeit, und alle, die den Schutz meines Hauses genossen, hatten sie ebenfalls zu lieben“ (Beckett 136). Er zeigt sadistische Züge, ist misstrauisch und alles, an dem er Gefallen findet, sind Vergnügungen eines Spießers, zum Beispiel der allsonntägliche Kirchgang, ein gutes Essen und ein perfektes Haus mit Grundstück. Man passt sich an und wahrt den Schein, um keinem auch nur den geringsten Anlass für Gerede zu geben.

Doch mit Morans Selbstsicherheit, seinem Wohlbefinden und seiner psychischen Konstitution ist es jäh vorbei, als Gaber ihm unerwartet einen Besuch abstattet. Youdi schickt ihn, um Moran mitzuteilen, dass er sich um die Angelegenheit Molloy kümmern soll. Er müsse sich unverzüglich auf den Weg machen, sein Sohn werde ihn auf der Reise begleiten. Zunächst ganz und gar nicht geneigt, der Forderung nachzukommen, bricht Moran dann nach einer Auseinandersetzung mit seinem Sohn wegen dessen Briefmarken mitten in der Nacht auf.

Doch schon weiß er nicht mehr, was er denn eigentlich genau mit Molloy machen soll, sobald er ihn gefunden hat, denn in seinem Job gibt es keinen „Regelfall“, an den er sich halten könnte: „Meine Arbeit war niemals mit dem Auffinden beendet. Das wäre allzu bequem gewesen“ (ebd. 188). Als Moran erneut, wie es schon vor seinem Aufbruch zur Suche nach Molloy geschehen ist, schreckliche Knieschmerzen bekommt, schickt er seinen Sohn in die Stadt, um ein Fahrrad zu kaufen, doch natürlich nicht ohne diesem zuvor genaueste Instruktionen gegeben zu haben. Während dessen Abwesenheit für mehrere Tage bekommt Moran Besuch von zwei alten Männern. Der erste fragt ihn nach Brot, bekommt ein Stück und verschwindet wieder. Der zweite aber, der Moran anscheinend zu nahe gekommen ist, genauso wie der Köhler Molloy, wird von Moran brutal umgebracht. Daran hat erjedoch nur vage Erinnerungen.

Endlich kommt der Sohn mit einem Fahrrad zurück und beide schaffen es gemeinsam, Moran auf dem Gepäckträger sitzend, bis nach Ballyba. Ein Schäfer zeigt ihnen, in welcher Richtung Bally liegt, deren Lichter abends leuchten. In dieser Nacht kommt es zu einem Streit zwischen Vater und Sohn, woraufhin sich Moran am nächsten Morgen alleingelassen wiederfindet. Gezwungen, seine Reise zu unterbrechen, bekommt Moran erneut Besuch von Gaber, der ihm von Youdi befiehlt, sofort zurückzukehren, da die Angelegenheit Molloy beendet sei.

Für den Rückweg braucht Moran eine lange Zeit, und als er endlich wieder bei seinem Haus ankommt, findet er seine geliebten Bienen und Hühner tot vor. Eine Stimme befiehlt ihm, einen Bericht zu schreiben, dessen beide ersten Sätze wir schon kennen: „Es ist Mitternacht. Der Regen peitscht gegen die Scheiben“ (ebd. 128), doch lässt er uns wissen, dass dies nicht der Wahrheit entspricht.

Seine Geschichte ist ebenfalls eine Rückschau der Ereignisse. Moran ist nun somit zwar wieder angekommen, aber seine Aufgabe, Molloy zu finden, hat er nicht erfüllt.

1.3. Veränderung

Die auffallendste Veränderung, die sich bei beiden Charakteren mit der Zeit im Lauf ihrer Suche vollzieht, ist der geistige und körperliche Zerfall.

Molloy hat zwar schon von Anfang an Schmerzen im Bein, doch kann er sich noch relativ gut mithilfe seiner Krücken mehr oder weniger aufrecht vorwärts bewegen. Genau erinner, welches es denn war, das so steif ist, kann er jedoch nicht. Auch durch das Fahrrad, das er mit viel Geschick und Einfallsreichtum so benutzt, dass er zumindest vom Fleck kommt, ist Molloy mobil. Bis zum Ende jedoch, als er sich nur noch „bis auf den Boden des Grabens hinunterpurzeln“ lassen kann (ebd. 127), hat sich sein physischer Zustand schrittweise drastisch verschlimmert. Aus der aufrechten Haltung wird ein unbeholfenes Kriechen, wobei Molloy im Wald seine Krücken als eine Art Enterhaken benutzt und sich so langsam aber stetig, zunächst geradeaus und dann als neue Strategie im Kreis, fortbewegt.

Doch er ist auch in der Lage, dem noch etwas Positives abzugewinnen: „Diese Art von Fortbewegung hat [...] den Vorteil, dass man, um sich auszuruhen, einfach anhält und sich ohne weiteres ausruht. [...] Und auf diese Weise bewegte ich mich langsam, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Walde voran, und ich legte im Tage meine fünfzehn Schritte zurück...“ (ebd. 125). Erstaunlich ist vor allem die Willensstärke, die Molloy an den Tag legt, und die Kraft, von der er auch nicht genau weiß, woher er sie nimmt. Doch offenbar ist es seine Mutter, die ihn motiviert, denn „manchmal sagte ich 'Mama'- ohne Zweifel, um mich zu ermutigen“ (ebd.).

Moran ist zu Beginn körperlich völlig gesund. Ein erstes Anzeichen für eine Verschlechterung zeigt sich in dem Augenblick kurz bevor Moran und sein Sohn abreisen wollen. Dieser hat Bauchschmerzen, ist appetitlos und fühlt sich nicht gut. Ihm gegenüber will Moran sich stark zeigen, doch plötzlich fühlt er einen ,,stechende[n] Schmerz“ (ebd. 165) im Knie. Rasch versorgt er es mit Jod und unterhält sich dann weiter mit Jacques „als sei nichts geschehen“ (ebd.). Und als die beiden unterwegs sind, wacht er sogar eines Nachts von dem Schmerz auf, weil dieser so stark ist. Späterjedoch kann er sich kaum noch daran erinnern, welches Knie es eigentlich gewesen sei, das ihm wehgetan hat.

Als sein Bein so steif ist, dass es ihm unmöglich ist, weiter voranzukommen um Molloy zu suchen, kommt ihm der Einfall, seinen Sohn ein Fahrrad kaufen zu lassen. Nach einigen Fehlversuchen erweist sich diese Methode als erfolgreich, doch als Jacques nach dem Streit mit seinem Vater diesen allein lässt, muss Moran sich ohne dessen Hilfe auf den Heimweg machen. Auch er kommt nur langsam voran: „Ich legte keine große Strecke zurück. Aber es war ein kleiner Anfang. Es ist der erste Schritt, der zählt“ (ebd. 228).

Ähnlich verbissen wie Molloy sich auf seinem Weg abmühend, kommt er wieder bei seinem Haus an. Auf diese Leistung ist er auch verhalten stolz, denn „ein anderer als ich [hätte] es ohne Hilfe nicht überstanden...“ (ebd. 230). Am Schluss konstatiert er: „Mein Knie ist nicht besser geworden. Es ist auch nicht schlechter geworden. Ich habe jetzt Krücken“ (ebd. 242)- eine weitere Verbindung zu Molloy.

1.4. Familie und Beziehungen

Alle tiefergehenden Beziehungen zu anderen Menschen oder Mitgliedern ihrer Familie werden von den Protagonisten problematisiert.

Bei Molloy ist zunächst das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter zu betrachten. Seinen Bericht beginnt er damit, dass er sich in deren Zimmer befindet, auch wenn er sich nicht im Klaren darüber ist, wie er hier hergekommen ist. Auch über den Zustand seiner Mutter weiß er nichts, was er auch offen zugibt. Doch im Grunde genommen ist es ihm gleich: „Wie dem auch sei, jetzt bewohne ich ihr Zimmer“ (ebd. 7), und er glaubt, schon fast selbst zu seiner Mutter geworden zu sein. Molloy meint, dass sie sich stets über seine Besuche bei ihr freue. Sie nennt ihn „Dan“ und er nennt sie „Mag“- ein Name, der das Zugeständnis beinhaltet, eine Mutter haben zu wollen, aber gleichzeitig das Bedürfnis, mit dem letzten Buchstaben darauf zu spucken. Diese Ambivalenz zeigt sich auch im gesamten Verhalten Molloys gegenüber seiner Mutter. In manchen Aspekten scheint er geduldig und liebevoll mit ihr umzugehen; sie ist diejenige, an die er denkt, als er durch den Wald robbt. Überhaupt ist seine Mutter der Grund dafür, dass Molloy sich erst auf eine Reise begibt. Die meiste Zeit jedoch ist sein Ton abfällig, gehässig und beleidigend. Alles an ihr ist abstoßend und ekelhaft, sie ist ebenfalls die Verbildlichung des körperlichen Zerfalls. Auch vor Gewaltanwendung ihr gegenüber scheut er nicht zurück (siehe auch 1.5.).

Die anderen 'Liebesbeziehungen' Molloys (mit einem Dienstmädchen, möglicherweise Martha, und Ruth oder Edith) waren nur auf das Sexuelle beschränkt- eine rein körperliche Angelegenheit. Molloy fühlte nie wirkliche Liebe fürjemanden, denn er weiß gar nicht, was das ist: „Aber ist das die wahre Liebe, im Rectum? Das ist die Frage, die mich beunruhigt. Sollte ich trotz allem die Liebe niemals kennengelernt haben?“ (ebd. 78).

Lousse ist ebenfalls eine wichtige Person, der Molloy begegnet, weil sie sich sehr von allen anderen unterscheidet. „Lousse is set against the masculine world, then, but she is also set against Mag...“ (O'Hara 137). Sie ist Molloy nicht böse wegen des überfahrenen Hundes. Gemeinsam begraben sie ihn in ihrem Garten, und Molloy bleibt für eine längere Zeit bei ihr wohnen. Er bekommt zu essen und zu trinken, und es steht ihm frei zu gehen, wenn er möchte. Dies tut Molloy dann schließlich auch: „He leaves Lousse still unenlightened, taking with him only that image of potential meaning, the kniferest“ (ebd. 157).

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Probleme in Samuel Becketts Molloy und Italo Calvinos Sotto il sole giaguaro
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
30
Katalognummer
V231874
ISBN (eBook)
9783656485148
ISBN (Buch)
9783656485735
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
probleme, samuel, becketts, molloy, italo, calvinos, sotto
Arbeit zitieren
Manü Mohr (Autor:in), 2012, Die Probleme in Samuel Becketts Molloy und Italo Calvinos Sotto il sole giaguaro, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231874

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