Die Produktivität am Beispiel des Kompositionstyps coupe-papier


Ausarbeitung, 2012

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Produktivität
1.1 Definition(sversuche) und Schwierigkeiten
1.2 Haspelmath: Kreativität und Analogie
1.2.1 Mögliche, tatsächliche und okkasionelle Wörter
1.2.2 Beschränkungen
1.3 Thornton: Verfügbarkeit und Ergiebigkeit
1.4 Messung der Produktivität und Schwierigkeiten
1.4.1 Synchronie und Diachronie

2. Coserius Artikel über Wortbildungslehre

3. Der Typ coupe-papier
3.1 Art des Verfahrens und Definition
3.1.1 Abgrenzung zur syntaktischen Fügung
3.2 Transparenz und Vielseitigkeit
3.3 Exozentrisch / Endozentrisch
3.4 Das Verb in diesem Kompositionstyp
3.5 Das Nomen in diesem Kompositionstyp

4. Fazit

5. Quellenangabe

1. Produktivität

1.1 Definition(sversuche) und Schwierigkeiten

„Der Sprachtheoretiker gebraucht ständig und liest allenthalben das Fachvokabel 'produktiv', das wegen seiner differenzierten Bedeutung und zahlreicher Implikationen nur mit äußerster Vorsicht zu verwenden ist und in jedem Einzelfall nach der terminologischen Goldwaage verlangt.“

(Oswald Panagl 1982: 225)

Das obige Zitat Panagls macht sehr deutlich, wie schwierig es ist, den Begriff 'Produk-tivität' richtig zu definieren und zu verwenden. Diese Arbeit, die sich der Produktivität des Kompositionstyps V+N widmet, untersucht zunächst einige deren Definitionen und weitere Aspekte wie Verfügbarkeit und Ergiebigkeit. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob und wie Produktivität messbar ist, wonach auch die Unterscheidung synchron / diachron eine Rolle spielen wird. Nachdem die Produktivität selbst Thema war, soll diese nun speziell auf die Komposition bezogen werden; dazu beschäftigt sich diese Arbeit im zweiten Kapitel mit Eugenio Coserius Artikel über den Typ coupe-papier. Abschließend wird das Verfahren der Komposition selbst anhand wichtiger Aspekte wie deren Definition oder der Einteilung in Exo- und Endozentrika untersucht sowie auf die beiden beteiligten Elemente in diesem Typ im Detail eingegangen. Nun soll es aber erst einmal um die Produktivität gehen:

Für Martin Haspelmath (2002) ist ein Prozess dann produktiv, wenn man ihn auch auf neue Fälle anwenden kann, was bedeutet, dass es möglich ist, ihn zur Bildung neuer Wörter zu verwenden. Analog dazu geht er auch auf den gegenteiligen Fall ein: Unproduktiv ist ein Prozess dann, wenn er nicht dazu verwendet wird oder nicht imstande ist, neue Wörter zu bilden. Zudem bringt Haspelmath den Sprecher einer Sprache mit ins Spiel, denn nicht nur ist jeder in der Lage, intuitiv die Wahrscheinlichkeit einer Neubildung vorherzusagen, sondern jeder besitzt Wissen über die Produktivität von Wortbildungsprozessen. Ist eine Regel sehr produktiv, dann werden Neologismen vom Sprecher kaum als solche wahrgenommen, weil jene sich perfekt z.B. in die Restriktionen der Bildungsbeschränkungen einer Sprache anpassen. Somit findet die Bildung unbewusst und ohne Absicht statt. Nicht immer jedoch ist das Urteil eines Sprechers als vollkommen verlässlich einzustufen. Haspelmath erklärt dies am englischen Wort eyed, welches in gewissen Kontexten sinnvoll ist, dem Sprecher aber sehr seltsam erscheint und dieser es möglicherweise als inakzeptabel bezeichnet würde. Aus diesen Gründen nimmt man eine weitere Unterteilung vor:

1.2 Haspelmath: Kreativität und Analogie

Da kreative Neologismen nach einem unproduktiveren Muster gebildet werden, fallen sie Sprecher und Hörer sofort als solche auf. Ihre Bildung ist beabsichtigt; als Beispiel hierfür nennt er mentalese mit dem Suffix -ese, was 'die hypothetische Sprache unserer Gedanken' bedeutet. Das Wort verhält sich, was beispielsweise die Betonungsfolge angeht, ebenfalls den Regeln der englischen Sprache gemäß („It so happens that English words with the suffix -ese have a strong preference for a stress pattern strong-weak-strong […]“, Haspelmath 2002: 101).

Wird ein Wort durch Analogie gebildet, geschieht dies nicht auf Basis von einer allge-meinen Regeln, sondern auf der eines einzelnen Wortes. Eindeutig ist dies im Fall von dialogue und trialogue (eine Konversation zwischen zwei bzw. zwischen drei Personen). Trialogue stellt eine lokale Analogie dar, denn dieser Neologismus beruht auf einem einzigen Modell. Dasselbe gilt auch für den spanischen Neologismus gaseoducto ('Gaspipeline'), der analog zu oleoducto

('Ölpipeline') gebildet wurde. Die Suffixe -alogue und -eoducto sind Morpheme, die nur einmal vorkommen - daher wird klar, dass dialogue und oleoducto die Basis für die Wortneuschöpfung gewesen sein müssen. Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen das Modell nicht eindeutig identifiziert werden kann, weil mehrere davon vorhanden sind. Es ist dann anzunehmen, dass beide Wörter als Vorbilder gedient haben. Ein französisches Beispiel ist amarsir ('auf dem Mars landen'), dessen Vorbild sowohl atterrir ('auf der Erde landen', von terre) und allunir ('auf dem Mond landen', von lune) gewesen sein kann. Da dieser Prozess nur wenig Neologismen hervorbringt, ist er eher unproduktiv.

1.2.1 Mögliche, tatsächliche und okkasionelle Wörter

Zunächst, so Haspelmath (2002), ist es für Morphologen wichtig, mögliche Wörter unabhängig davon zu untersuchen, ob diese jemals wirklich von vielen Sprechern einer Sprache benutzt werden oder nicht. Das Entscheidende ist daher nicht die Performanz (was tatsächlich realisiert wird), sondern die Kompetenz (Sprachfähigkeit; was man alles systemgemäß kreieren könnte; laut Chomsky das unbewusste Wissen eines jeden Sprechers über seine Sprache). Ein Wort ist möglich, wenn es nach den Wortbildungsregeln einer Sprache gebildet werden könnte; es also keine Restriktionen verletzt, worauf später ausführlicher eingegangen wird. Obwohl es bei möglichen Wörtern also keine Regel gibt, die eine solche Bildung verbietet, würde sich ein Sprecher nicht für diesen Neologismus entscheiden, weil es für ihn seltsam klingt. Der unregelmäßige Plural im Englischen kann dies am Beispiel des Wortes ox zeigen, dessen Plural oxen ist. Analog zu fox - foxes wäre auch oxes ein mögliches Wort. Die Klassifikation eines Wortes zur Gruppe der Möglichen ist aber keine endgültige. Durch Sprachwandel können sie zu tatsächlichen Wörtern werden, müssen dies jedoch nicht.

Tatsächliche Wörter werden nach den Wortbildungsregeln einer Sprache gebildet. Jeder Sprecher kennt sie gut und benutzt sie, denn sie sind zu einem festen Bestandteil dieser Sprache geworden. Die meisten Morphologen beschränken sich laut Haspelmath darauf, nur diese Wörter zu untersuchen. Ein Wort als ein tatsächliches zu bestimmen kann auch Schwierigkeiten bereiten, wenn etwa ein Wort nur ein einziges Mal benutzt wurde, denn hier ist es kaum plausibel zu sagen, es sei ein Teil der Sprache geworden. Aus diesem Grund unterscheidet man noch die okkasionellen Wörter, welche zumindest einmal in einer Sprache benutzt wurden, es aber nicht geschafft haben, sich durchzusetzen. Man kann sich eine solche Situation bei einem Freundeskreises vorstellen, innerhalb dessen aufgrund einer gemeinsamen Erfahrung ein Neologismus einmal benutzt wurde, um etwas zu beschreiben oder auszudrücken. Es gilt wie auch schon bei den möglichen Wörtern, dass die okkasionellen Wörter zu tatsächlichen Wörtern werden können, dies aber nicht immer der Fall sein muss. Während das Wort deglamorize um ca. 1943 aufkam, aber seitdem nicht mehr benutzt wurde, konnte sich decolonize zur selben Zeit durchsetzen: „This word was more successful, and most English speakers nowadays know it. It has thus become a truly usual word of English“ (Haspelmath 2002: 100). Alle Neologismen waren zu Beginn okkasionell; wie sie sich weiter entwickeln, hängt von vielerlei Umständen ab, die auch außersprachlicher Natur sein können. Selbst wenn ein Wort nicht regelkonform gebildet wurde, kann es zu einem frequenten und / oder salienten Wort werden. Die Wortbildung ist jedoch nicht beliebig, sondern unterliegt verschiedenen Restriktionen:

1.2.2 Beschränkungen

Haspelmath unterscheidet zwischen sieben Beschränkungen, die auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache greifen:

(1) Ist die Aussprache, also die phonologische Realisierung, schwierig, handelt es sich um eine phonologische Beschränkung. Es gibt sprachübergreifende Unterschiede, welche Phonemfolgen erlaubt sind und welche nicht. Das Wort Ps ychologie im Deutschen ist problemlos realisierbar, im Englischen ps ychology (saI'kɒlǝʤi) jedoch nicht. Haspelmath zitiert das Beispiel des Diminutivsuffixes -illo im Spanischen, welches nicht verwendet wird, wenn das Phonem /λ/ sich wiederholen würde. Daher sind * gallillo oder * camellillo im Gegensatz zu grupillo nicht möglich. Auch das Betonungsmuster kann eine Rolle spielen, wie bei * securize gegenüber privatize.

(2) Weiterhin gibt es semantische Beschränkungen, weil die Bedeutung eines Affixes schon von vornherein manche Wortbildungen ausschließt. So kann man sich unter dem Neologismus *tablesse als feminine Form von table nichts vorstellen, weil es bei dem Gegenstand 'Tisch' nicht möglich oder sinnvoll ist, zwischen Geschlechtern zu unterscheiden. Im Russischen erscheinen die Restriktionen des Suffixes - stvo, welches eine Eigenschaft beschreiben kann, arbiträrer Natur und nur auf Adjektive anwendbar zu sein, die sich auf menschliche Charakteristika beziehen.

(3) Die nächste Beschränkung betrifft den Nutzen eines Neologismus: Laut der pragmati- schen Beschränkung machen manche Bildungen keinen Sinn, wie es etwa unnötig ist, bei Käfern zwischen männlich und weiblich zu unterscheiden (z.B. Käferin, welches im Gegensatz zu

*Bäumin der Gruppe der möglichen Wörter angehört.

(4) Bei den morphologischen Beschränkungen muss die Basis bestimmte Charakteristika besitzen, wenn eine Wortbildung vorgenommen wird: Im Russischen muss zunächst schon eine Derivation mit dem Suffix -un vorgenommen worden sein, bevor sich das weibliche Nomenssuffix -ja an die Basis anhängt. Erst wenn die maskuline Form pljasun aus pljasat ('tanzen') entstanden ist, kann pljasunja ('Tänzerin') deriviert werden.

(5) Bei der Wortbildung spielen manchmal syntaktische Eigenschaften eine Rolle. Haspelmath meint, dass dies häufig bei derivationalen Bedeutungen wie dem Kausativ vorkomme, welcher mit der Transitivität zusammenhängt. Auf Kiribatisch kann das Präfix -ka nur mit intransitiven Verben gebildet werden.

(6) Lehnwörter sind in vielen Sprachen zu finden, wo sie einen großen Teil des Lexikons ausmachen können. Ist dieses Wort ein morphologischer Komplex, d.h. kann es in weitere morphologische Komponenten zerlegt werden, geht seine Struktur mit dem Übergehen in die andere Sprache verloren. Werden aber viele Wörter aus ein und derselben Sprache entlehnt und ins System eingegliedert, kann die Struktur erhalten bleiben, während das Wortbildungsmuster in der Zielsprache daher produktiv werden kann. Die kannadische Sprache, genealogisch nicht mit Sanskrit verwandt, hat einige Wörter entlehnt, und nur bei diesen Lehnwörtern kann das Suffix -te, welches die Eigenschaften eines Nomens bezeichnet, angewendet werden.

(7) Die letzte Restriktion ist das synonymy blocking, bei der eine sonst produktive Wortbildungsregel nicht angewendet wird, weil es schon ein Wort mit derselben Bedeutung gibt. Daher wird * typer, obwohl regelkonform und transparent, durch typist blockiert.

1.3 Thornton: Verfügbarkeit und Ergiebigkeit

Die beiden Begriffe übernimmt die Autorin aus Bauer (2001), die die Beobachtung gemacht hat, dass man bei der Produktivität zwei Aspekte unterscheiden sollte: „[Q]uella qualitativa, che chiama availability (che potremmo tradurre con 'disponibilità'), e quella quantitativa, che chiama profitability (che potremmo tradurre con 'rendimento')“ (2009: 151). Es ist wichtig, dabei zu bedenken, dass es bei beiden Aspekten um Produktivität geht, die in sich weiter unterteilt wird: Man kann Produktivität qualitativ oder quantitativ ansehen.

Die Verfügbarkeit ist ein alles-oder-nichts-Kriterium, was bedeutet, dass ein Wortbildungsprozess entweder verfügbar ist oder nicht. Ist der Prozess verfügbar, so ist er in höchstem Maße produktiv, weil neue Wörter damit gebildet werden können. Bei unserem Wortbildungstyp kann man sehen, dass es auch Einschränkungen gibt, obwohl die Bildungen grammatisch richtig sind: „Die Sprecher lehnen jedoch * enseigne-fran ç ais, *vend-voiture, usw. ab, da die Personenbezeichnungen dieses Typs fast ausschließlich depreziativen Charakter haben“ (Rohrer 1967: 147, siehe dazu auch später in Coseriu 1977).

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Produktivität am Beispiel des Kompositionstyps coupe-papier
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V231875
ISBN (eBook)
9783656485131
ISBN (Buch)
9783656485957
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
produktivität, beispiel, kompositionstyps
Arbeit zitieren
Manü Mohr (Autor:in), 2012, Die Produktivität am Beispiel des Kompositionstyps coupe-papier, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231875

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