Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Form-, Stoff- und Spieltrieb bei Schiller
2.1 Der Stofftrieb
2.2 Der Formtrieb
2.3 Der Spieltrieb
3. Das Ich und das Verhältnis zu einem Du nach Judith Butler
4. Vergleich von Friedrich Schillers und Judith Butlers Theorie der Ich-Bildung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Johann Christoph Friedrich Schiller, geboren im November 1759 und gestorben im Mai 1805, ist bis heute besonders durch seine dichterische Leistung berühmt. Doch auch das pädagogische Feld hat Friedrich Schiller maßgeblich geprägt. In seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen legt Schiller dem Adressaten Christian von Holstein-Sonderburg-Augustenburg seine Theorie der pädagogischen Anthropologie dar. Die Briefe, welche 1794 verfasst wurden, wurden jedoch noch im selben Jahr bei einem Brand zerstört, sodass 1795 eine stark überarbeitete Fassung dieser von Friedrich Schiller in der Zeitschrift „Die Horen“ veröffentlicht wurde.[1]
Der Ursprung zu Schillers Anthropologie lässt sich in der Politik der damaligen Zeit finden. Friedrich Schiller war anfangs von der französischen Revolution und ihrer Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sehr angetan. Als diese zu Mord, Folter und ähnlichen Gräueltaten umschlugen, wurde Schiller ein Gegner dieser. Der Verlauf der französischen Revolution hatte in ihm die Frage entstehen lassen, wie es möglich sei, dass sittliche und tugendhafte Ideale rohe, triebhafte Gewalt als Konsequenz besitzen konnten.[2]
In den insgesamt siebenundzwanzig Briefen wird seine anthropologische Theorie dargestellt, wobei Friedrich Schiller selbst betonte, dass dies lediglich Thesen seien, welche weder auf Welterfahrung, noch auf Ideen anderer Werke gründen.[3]
Schillers pädagogische Anthropologie soll im Folgenden zunächst dargestellt und anschließend mit der Theorie von Judith Butler, einer US-amerikanischen Philosophin und Philologin, verglichen werden. Der Fokus soll hierbei auf der Betrachtungsweise liegen, inwiefern beide das Individuum und dessen Entstehung erklären und definieren, welche Auffassung sie hierzu vertreten und wo sich in beiden Theorien Ähnlichkeiten und Unterschiede finden lassen. Um diese Fragestellung beantworten zu können, werden Friedrich Schillers „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“, Christian Rittelmeyers Werk „Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Eine Einführung in Friedrich Schillers pädagogische Anthropologie“, Judith Butlers „Kritik der ethischen Gewalt“, Gaja von Sychowskis Text „ Bildung als Korrelation von Selbstreferenz und Fremdreferenz“, sowie Paula-Irene Villas Werk mit dem Titel „Judith Butler“ verwendet.
2. Form-, Stoff- und Spieltrieb bei Schiller
Friedrich Schillers Anthropologie beruht zu einem großen Teil auf den Grundsätzen Immanuel Kants, obgleich er diesen ebenfalls kritisiert. Kant setzt in seiner Theorie die Vernunft in den Fokus. Zwar räumt Schiller dieser einen wichtigen Aspekt zu, vertritt jedoch ebenso die Auffassung, dass die Empfindungen von Individuen nicht minder zu berücksichtigen wären:
„ Schiller deutet an, dass die Philosophie Immanuel Kants für ihn zwar einen wesentlichen Bezugspunkt für die „Grundsätze“ bildet, dass Inhalt und Stil dieser Philosophie unser Gefühl aber in Stich lassen.“[4]
Während sich Kant lediglich auf moralische Grundsätze innerhalb der Vernunft beruht, ergänzt Schiller in seiner Anthropologie noch die Empfindungen des Menschen.
Infolgedessen entwickelt der Autor der Briefe ein antagonistisches Prinzip, in welchem zwei Triebe, der Form- und der Stofftrieb, vorherrschen. Diese Triebe sind „Triebe im anthropologischen und philosophischen Sinn.“[5]
2.1 Der Stofftrieb
Dem Stofftrieb unterliegen nach Schiller die Gefühle und Empfindungen des Menschen, „mithin fodert dieser Trieb, daß Veränderung sey, dass die Zeit einen Inhalt habe. Dieser Zustand der bloß erfüllten Zeit heißt Empfindung, und er ist es allein, durch den sich das physische Daseyn verkündigt.“[6] Der Stofftrieb dringe also auf sinnlich erfüllte Zeit, in ihm ließe sich eine Fülle von sinnlichen Einzeleindrücken finden. Er solle so ausgebildet werden, dass er für die unterschiedlichsten sinnlichen Eindrücke und Erfahrungen empfänglich sei, die Ausbildung soll also ein hohes Maß an Extensität als Resultat besitzen.[7] Vielfältige Berührungspunkte mit der Welt gelte hier als essentiell.
Sei diese natürliche Seite des Menschen nicht ausgewogen im Individuum vorhanden, so betitelt Schiller den Menschen als Wilden. Hierbei herrschen „seine Gefühle über seine Grundsätze.“[8] Der wilde Mensch ehre lediglich die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit und verachte jegliche Art von moralischen und ethischen Grundsätzen oder Gesetzen, er handle nur nach seinen Bedürfnissen.
Dem Stofftrieb wird nach Friedrich Schiller der Zustand zugeordnet. Dieser sei wechselhaft und umfasse individuelle Eindrücke des Menschen, welche sich stets verändern würden. Grund für den sich unaufhörlich verändernden Zustand sei nach Schiller die Zeit.[9]
2.2 Der Formtrieb
Während der Stofftrieb sinnliche Eindrücke empfange, „dringt [der Formtrieb] auf Wahrheit und Recht“ und möchte den Menschen in Freiheit setzen, so Schiller.[10] Als Gesetze definiert Schiller, „was als wahr und als (moralisch) richtig gelten soll.“[11] Der Formtrieb lasse sich von sämtlichen sinnlichen Eindrücken distanzieren und lasse das Individuum einerseits Gesetze, Normen und Regeln befolgen, andererseits solle der Mensch aber ebenso kreativ Gesetze hervorbringen, welche für die Menschheit allgemeingültig sein könnten.[12] Während die Sensibilität des Stofftriebes extensiv ausgebildet werden solle, solle sich diese Extensivität jedoch nicht auf den Formtrieb übertragen. Das Individuum müsse nach Schiller in der Lage sein, bei Gedanken oder Problemen in die Tiefe zu gehen. Es solle die Möglichkeit gegeben sein, die kognitiven Prozesse zu intensivieren.[13]
Stehe diese vernünftige Seite des Menschen nicht ausgewogen zu der sinnlichen Seite, so spricht Schiller von dem Mensch als einen Barbar. Die dem Formtrieb innewohnenden Gesetzmäßigkeiten würden hierbei die Gefühle des Menschen unterdrücken und zerstören.[14] Unabhängig von der Intensität der Empfindungen werde nach Schiller der Barbar stets nach den zu befolgenden Gesetzen handeln und seine sinnliche Natur unterdrücken, sodass lediglich die Vernunft als Grund für die jeweilige Handlung angegeben werden könne.[15]
Dem Formtrieb sei nach Schiller die Person zugeordnet. Die Person, das Bleibende, ist nach Friedrich Schiller ein „ordnendes, Begriffe findendes Individuum“, welche Kontinuität in die wechselnden Eindrücke des Menschen bringe.[16]
[...]
[1] Vgl. Rittelmeyer 2005, S. 12.
[2] Vgl. Rittelmeyer a.a.O. S. 103.
[3] Vgl. Schiller 2000, S. 7.
[4] Rittelmeyer a.a.O. S.21.
[5] Rittelmeyer a.a.O. S. 45.
[6] Schiller a.a.O. S. 47.
[7] Vgl. Rittelmeyer a.a.O. S. 47f.
[8] Schiller a.a.O. S. 17.
[9] Vgl. Rittelmeyer a.a.O. S. 43.
[10] Schiller a.a.O. S.48.
[11] Rittelmeyer a.a.O. S. 46.
[12] Rittelmeyer ebd.
[13] Vgl. Schiller a.a.O. S. 52.
[14] Vgl. Schiller a.a.O. S. 17.
[15] Vgl. Rittelmeyer a.a.O. S. 32.
[16] Rittelmeyer a.a.O. S. 44.