Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zum historischen Zusammenhang eines Leitbegriffs der DDR in der Ära Honecker


Magisterarbeit, 1993

120 Seiten, Note: 3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1. Zum methodischen Vorgehen und zur Terminologie
2. Die Sozialpolitik im Kapitalismus
3. Sozialpol iti k im Sozial i s mu s - Theorie und Praxis in der DDR

II Haugttei I
1. Die Sozialpolitik während der "antifaschistisch- demokratischen Umwälzung" (1945-1949) und der "Phase der Schaffung der Grundlagen des Sozialis- /-S mus" ( 1 949- 1960)
2. Die Sozialpolitik in der Phase des "umfassenden Aufbaus des Sozialismus" (1961-1970) und die ideolo­gische Wende ab Mitte der sechziger Jahre
3. ökonomische Probleme gegen Ende der sechziger Jahre
4. Die 14. Tagung des ZK und der VIII. Parteitag der SED
5. Die Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der DDR nach dem VIII. Parteitag

III.Schluß
Zusammenfassende und ergänzende Betrachtungen

Anmerkungen

Literatur

Anlagen

I. Einleitung

1. Zum methodischen Vorgehen und zur Terminologie

Die sozialistische bzw. marxistisch-leninistische Ideologie, auf deren Grundlage die Existenz des Staates der DDR aufgebaut war, stellt für den n i c ht-marxi s t i s ch - 1 en i n istisehen Betrach­ter zunächst ein nicht zu unterschätzendes Hindernis auf dem Weg zu einer realistischen Analyse der DDR-Gesel1schaft dar. Laut Wolf-Rainer Leenen steht die marxistisch-leninistische Ideologie nicht nur der externen Analyse, sondern auch einer realistischen Selbsterfassung eines sozialistischen Systems durch dessen eigene Wissenschaftler im Wege 1

Aufgrund des aus heutiger Sicht bekannten Zusammenbruches der DDR als eigener Staatsorganisation ist diese letztere These Leenens zweifelsfrei empirisch belegt. Für die externe und jetzt im Bezug auf die DDR auch historische Analyse 1st es zunächst erforderlich, sich durch ein begrenztes Einlassen auf bzw. durch eine Beschäftigung mit dieser speziellen Ide­ologie eine annähernde Vorstellung von den besonderen Proble­men zu verschaffen, mit denen ein externer und nicht der stren­gen Systemimmanenz folgenkönnender Betrachter konfrontiert ist. So beansprucht die sozialistische Ideologie beispiels­weise, über die einzige Weltanschauung zu verfügen, die "die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung erfasst und ein praktisches Handeln ermöglicht, das sich in Überein­stimmung mit den ökonomischen und sozialen Gesetzmäßigkeiten befindet"2 Aus diesem exklusiven Erkenntnisanspruch resul­tiert konsequenterweise nicht nur die angeblich wissenschaft­lich fundierte Vorgabe von Ziel und Weg der Gesellschaft durch die die Arbeiterklasse führende Partei, sondern auch die Fähig­keit, den jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungsstand auf dem Weg zu diesem Ziel, der klassenlosen Gesellschaft mit der 3 Bezeichnung "Kommunismus" , bestimmen zu können 4.

Weitere methodische Probleme im Umgang mit Quellen und Sekundärliteratur aus der DDR ergeben sich durch die stark hervorgehobene Rolle der sog. "Arbeiterklasse", zu welcher in amtlichen Statistiken der DDR immer die Angestellten und z.T. auch Angehörige der "Intelligenz", z.B. Parteifunktio­näre gezählt werden 5. Dadurch wird das Bild einer extrem homogenen Gesellschaft vorgegeben, die zu nahezu 90 Prozent aus Angehörigen der "Arbeiter- und Angestelltenklasse" be- steht6. Die hier stattgefundene Anpassung empirischer Befunde an die der Gese11 s ch aftsordung zugrundeliegende marxistisch­leninistische Ideologie 1st charakteristisch für alle system­immanente Analysen. Gesellschaftliche Fakten sind "ideologisch verfremdet" 7, Konflikte und neuralgische Punkte werden in der Darstellung bewußt ausgespart bzw. derartig beschönigt, daß sie für den Leser nur noch andeutungsweise oder "zwischen den Zeilen" erkennbar sind 8.

Trotzdem soll im Folgenden versucht werden, das Prinzip der Systemimmanenz soweit wie möglich, d.h. unter Berücksichtigung der dem System zugrundeliegenden Ideologie, zu realisieren.

Dazu gehört ebenso die Verwendung der systemtypischen Termino­logie, soweit diese nicht als absolut unzeitgemäß und damit unpassend zur Beschreibung einer heutigen industrialisierten Gesellschaft abgelehnt werden muß9 Spezielle sozialistische Terminologie im wirtschafts- und gesellschaftswissenschaft­lichen Bereich wird unter Hinweis auf die in der westlichen Industriegesellschaft üblichen Synonyme verwendet.

2. Die Sozialpolitik im Kapitalismus

In der westlichen Industrie- und Wertegesellschaft wird un­ter der Bezeichnung "Sozialpolitik" die "Gesamtheit an Hand­lungen zur Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach Maßgabe bestimmter Wer tvor s te 11 ungen 10 verstanden. Diese neuere Definition des Begriffes im weiteren Sinn beinhaltet die Mög­lichkeit, je nach politischer und wirtschaftlicher Zweckmäßig­keit zu entscheiden, welche Gebiete in die Sozialpolitik einbe­zogen bzw. welche herausgelassen werden sollen.

Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung staatlicher Sozial­politik, die in Deutschland durch das "Preußische Regulativ" von 1839 11 ihren Anfang nahm, erfolgte eine Verlagerung weg von einem Verständnis des Begriffes im engeren Sinn bis hin zu der o.g. weiten Definition. Diese Entwicklung hin auf ein Verständnis von Sozialpolitik als "Gesellschaftspolitik", d.h. einer Politik, die über unmittelbare wirtschafts- und finanz­politische Maßnahmen hinaus - z.B. durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Berufswarnungen, -beratung und -Umschulungen - Einfluß auf die Gesellschaftsstrukturen nimmt, findet laut Gei­gant u.a.12 auch in der heutigen Zeit noch ihren Fortgang.

Die klassische Definition des Begriffes im engeren Sinn beschränkt sich dagegen auf die sogenannte "fremdbestimmte Arbeit". "Nicht das Verhältnis aller Gruppen zueinander und zum Staate wurde als Gegenstand der Sozialpolitik angesehen, sondern ein Bereich von Fragen, der sich aus der besonderen Lage der Arbeitnehmergruppen ergab, d.h. solcher Gruppen, deren Angehörige nach Maßgabe von Weisungen ihrer Vertrags­partner Arbeit zu leisten aufgrund freien Vertrages verpflichtet und aufgrund relativer wirtschaftlicher Schwäche gezwungen sind.13 Dieses in der Bundesrepublik bis in die fünfziger Jahre weitverbreitete Verständnis von Sozialpolitik bedeutet neben einer außerordentlichen Einengung des Begriffes auch eine weitgehende Übereinstimmung mit dem sozialistischen Verständ­nis. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Kerngedanke der sozia­listischen Utopie, stellt zweifellos den Ursprung jeder Art von Sozialpolitik dar 14. Diese "Gerechtigkeit", verstanden als annähernde Gleichheit der Lebensverhältnisse, stellt eine der zentralen Forderungen der Französischen Revolution dar 15 und ist damit zunächst eine bürgerlich-liberale und keine so­zialistische Idee .

Eine andere Errungenschaft derselben Revolution, die allge­mein umgehend anerkannte formale Freiheit, geriet zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet im Laufe der Zeit in einen immer stärkeren Gegensatz zu dieser Gleichheit im Sinne von Gerech­tigkeit: die Ausbeutung und Ausnutzung derjenigen, die in der sich schnellentwickelnden industrialisierten Gesellschaft aus­ser ihrer physischen Arbeitskraft nichts zu verkaufen hatten, stieg in der völlig unregulierten "freien" Wirtschaftsordnung rapide an. Diese sich entwickelnde Zwei-Klassen-Gesel1schaft, die sich schnell vergrößernde wirtschaftliche und gesundheit­liche Differenz zwischen Unternehmern und Lohnarbeitern bi1 - deteim Laufe des 19. Jaihrhunderts eine ständige Gefährdung für den Frieden innerhalb der Gesellschaft. Es entstand eine soziale Sprengkraft im Zuge der nach der Französischen Revo­lution einsetzenden Industrialisierung, die in ihrem Umfang von den meisten Regierungen der Periode eklatant unterschätzt worden ist.

Trotzdem ist fe stzuh a 1 ten, daß in diesem Zeitabschnitt 16 die drohenden Gefahren, z.B. für die Wehrfähigkeit des Staates, die Schulbildung oder die Unternehmer und deren Kapital ganz ^ allgemein, durchaus erkannt wurden und auch Aktivitäten der Regierungen auslösten. Doch zumeist blieb es bei einzelnen Maßnahmen, die nur Stückwerk bilden konnten. Erste systema­tische Gesetzgebungsmaßnahmen erfolgten in England in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter B. Dis­raeli und im Deutschen Reich in den achtziger Jahren unter 0. v. Bismarck 16 a.

Die Tatsache, daß die Sozialpolitik im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts in größerem Umfang von konservativen Poli­tikern vorangetrieben worden ist, bestätigt die These von Huyele, wonach die Träger von Sozialpolitik 17 durch ihre Be­strebungen und Maßnahmen das Gesellschaftsgefüge dahingehend beeinflussen wollen, daß eine Gefährdung der Beständigkeit dieses Gefüges durch eine existenzielle Gefährdung wirtschaft­lich schwacher Schichten so weit wie möglich ausgeschlossen wirď 18 Auch die heutige enge Begriffsdefinition orientiert sich an dieser traditionellen Zielsetzung. Danach ist Sozial­politik zu verstehen als "Planung und Durchführung von Maß­nahmen zur Verbesserung der Lebenslage gesellschaftlich schwa­cher und schutzbedürftiger Personengruppen .19 Der Sinn und Zweck einer solchen sich auf Einzelmaßnahmen konzentrierenden Politik dürfte auch heute noch treffend mit den Worten G. Schmollers aus seiner Eröffnungsrede zur Gründung des "Ver­eins für Sozialpolitik" von 1872 zu umschreiben sein: "Unser Anliegen besteht darin, im Interesse der politischen und öko­nomischen Stabilisierung der herrschenden Macht- und Eigen­tumsverhältnisse und angesichts der unübersehbaren sozialen Mißstände der deutlich genug drohenden sozialen Revolution ein Programm...entgegenzusetzen.20 Es ist also nicht falsch zu behaupten, daß es bei einem derartig eingegrenzten Sozial­politikbegriff um die Bewahrung bestimmter Gesellschaftsstruk­turen in einem gewissen Rahmen geht. Dabei muß allerdings fest­gestellt werden, daß im Unterschied zu Schmollers Feststellung von 1872 heute die unmittelbare Gefahr einer drohenden sozia­len Revolution in der Bundesrepublik nicht besteht.

Im Hinblick auf diese bewahrende Zielsetzung, die Sozial­politik beinhalten kann, ist die Definition von G. Winkler aus sozialistischem Blickwinkel nicht abwegig. Er definiert die Sozialpolitik im Kapitalismus als "Mittel, die sozialen Bindungen und Verhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft, ..., zu regulieren und ... die Klassenauseinandersetzungen zu dämpfen sowie die Arbeiterklasse an das kapitalistische System zu binden." Im Weiteren behauptet er, Sozialpolitik im Kapi­talismus sei "ein Konglomerat aus widerstreitenden Interessen , und objektiven Zwängen." In einer kapitalistischen Gesellschaft könne es keine einheitliche Sozialpolitik geben, und ebenso- weniq verzichte der Staat darauf, im Interesse der herrschen- den Klasse" Sozialpolitik zu betreiben 21

Abgesehen von der zweifelhaften Behauptung, in einer kapi­talistischen Gesellschaft könne es keine einheitliche Sozial­politik geben, ist diese Sichtweise durchaus akzeptabel, so­weit hierbei an die traditionelle Bedeutung von Sozialpolitik gedacht wird. Im Blick auf die ständige Ausweitung des sozial­politischen Aufgabenbereichs, die bereits in der Anfangsphase der Existenz der Bundesrepublik beginnt, muß eine derartige Be­schreibung jedoch nicht nur als veraltet, sondern auch als unzutreffend angesehen werden. Sozialpolitik wird in der heu­tigen Bundesrepublik nicht mehr primär 1 ip Interesse und zwecks Erhaltung einer "herrschenden Kl asse" 22 betrieben, sondern mit dem Ziel der Gewinnung einer wirtschaftlich relativ homo­genen Gesellschaft, in der jedem Mitglied die Möglichkeit ei­nes menschenwürdigen Daseins und möglichst weiträumiger indi­vidueller Entfaltung geboten werden soll. Dies schließt einzel­ne ( soi-ia 1 T-JpoJ i ti sehe Maßnahmen, die im Hinblick auf anstehen­de Wahlen und damit zwecks Machterhalt zum Vorteil einzelner Gruppen erlassen werden, nicht aus.

3. Sozialpol iti k im Sozial i s mu s - Theorie und Praxis in der DDR

Das Verständnis von Sinn und Zweck einer Sozialpolitik in der sozialistischen Gesellschaft ist gekennzeichnet von star­ken Differenzen zwischen Theorie und Praxis als auch zwischen einzelnen Zeitabschnitten innerhalb der Entwicklung der DDR.

Nach der Theorie von Marx und Engels ergibt sich die An­sicht, daß in der kommunistischen Gesellschaft, in der das Verteilungsprinzip "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen23 Anwendung finden soll, sich Sozial­politik erübrigt. Aus dieser Vorstellung heraus ergibt sich natürlich die Frage, inwieweit eine Sozialpolitik in der dem Kommunismus unmittelbar vorangehenden Epoche des Sozialismus erforderlich ist, und inwiefern sich diese "Sozialpolitik im Sozialismus" - falls sie denn erforderlich wäre - von derjenigen der dem Sozialismus vorhergehenden Gesellschaftsformation un­terscheiden würde. Die durch diese Fragen dargestellte Pro­blematik soll im Folgenden am Beispiel der Entwicklung des Sozialpolitikbegriffes in der DDR behandelt werden. Der Gegen­satz zwischen dem klassischen Verständnis von "sozialer Poli­tik" im Sinne von Marx und Engels und den praktischen Proble­men, die sich während der realen Existenz eines "sozialisti­schen Systems" in der DDR ergaben, ist charakteristisch für das Verständnis von Sozialpolitik in der gesamten Existenz­zeit der DDR. Er ergibt sich aus dem Verständnis des Sozialis­mus als Übergangsphase zwischen dem (überwundenen) Kapitalis­mus und dem (utopischen) Kommunismus. Je mehr man sich dem Kommunismus annähert, desto weniger müßte sich in der Theorie, die Notwendigkeit einer Sozialpolitik ergeben. Diese Überle­gung wird auch von Winkler bestätigt, indem er feststellt, daß für die Klassiker des Marxismus-Leninismus die Lösung der so­zialen Frage im Sinne der Mission der Arbeiterklasse eine lang­fristige Aufgabe sei, welche über mehrere Reifestufen führe, und die letztlich erst im Kommunismus erreicht sein werde 24.

Für Engels dagegen ergab sich diese "Lösung der sozialen Frage" bereits durch die Abschaffung der kapitalistischen (izfzlfz ) Produktionsweise, wie sich aus se i ner)/Arbe i t "Zur Wohnungs­frage 25 ergibt. Der Sieg der sozialistischen Produktions­weise war in der DDR aber nach eigenen Definitionen 26 bereits zu Beginn der sechziger Jahre mit dem Eintritt in die Phase des "umfassenden Aufbaus des Sozialismus" 27 erreicht. Trotzdem ergab sich in der DDR keine Reduktion der Bedeutung der Sozialpolitik, sondern ab Mitte der sechziger Jahre das genaue Gegenteil: sie fand zunehmend Anerkennung auch von offi­zieller Seite und damit auch entsprechende Beachtung im wissen­schaftlichen Be re i c h·28 Diese zunehmende Bedeutung der Sozial­politik fand ihren Höhepunkt in der Gleichsetzung mit der Wirtschaftspolitik, die seit dem IX . Parteitag der SED (197£) in Form der Idee von der "Einheit der Wirtschafts- und Sozial­politik" verfolgt würde.

Nach der Definition von Winkler ist Sozialpolitik "die Po­litik zur Gestaltung sozialer Beziehungen und Verhältnisse zwischen den Klassen, Schichten, sozialen und sozi a 1demogг a- phischen Gruppen"29. Sie soll soziale Sicherheit für die An­gehörigen aller Klassen, Schichten und sozialen Gruppen ge­währleisten und ausbauen sowie eine stetige Hebung des mate­riellen und kulturellen Lebensniveaus des Einzelnen und sei­ner Familie sichern 30. Übereinstimmungen mit der neueren De­finition in der westlichen Gesellschaft, mit dem Verständnis von Sozialpolitik als "Gesellschaftspolitik", sind hierbei offensichtlich vorhanden. Der umfassende Anspruch, der auch von der sozialistischen Sozialpolitik erhoben wird, wird deut­lich in Winklers Ablehnung einer engen Begrenzung auf eine Politik zum Schutz vor den Not- und Wechse1 fä11 en des Lebens. Dieses wäre keine Sozialpolitik, sondern lediglich Sozialfür-, sorge. Aus seiner Sicht "orientierte sich die Sozialpolitik (in der DDR) 31 stets an den Interessen der Bürger, sei es zur Überwindung von Armut, Obdachlosigkeit und Hunger nach 1945, sei es durch die Schaffung grundlegender Bedingungen sozialer Sicherheit in den fünfziger und sechziger Jahren oder in ei­ner mit dem Wirtschaftswachstum unmittelbar verbundenen Poli­tik der Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus seit Beginn der siebziger Jahre."32 Die hier implizierte Kontinuität einer offiziellen staatlichen Sozialpolitik hat es, wie im Folgenden noch ausgeführt werden soll, aber nicht ge­geben.

Das bereits angedeutete Dilemma sozialistischer Sozialpolitik in der DDR ist gekennzeichnet durch die Notwendigkeit einer Ab­grenzung von der vor 1945 in Deutschland betriebenen kapita­listischen Sozialpolitik einerseits und der praktischen Ein­sicht in die Tatsache, daß sich soziale Probleme auch in einem sozialistischen System ergeben und diese nicht bis zum nicht festlegbaren Zeitpunkt des Erreichens der kommunistischen Ge­sellschaft aufgeschoben werden können. H. Ulbricht spricht in diesem Zusammenhang von Vorbehalten und Ablehnung des Begriffes "Sozialpolitik" in der frühen Phase der DDR. Diese Ablehnung resultiere aus der Rolle der Sozialpolitik im Kapitalismus-33 Das aus dieser Ablehnung heraus entstandene Legitimationsde­fizit für das Betreiben einer offiziellen Sozialpolitik ver­hinderte bis zum Ende der sechziger Jahre erfolgreich das Ent­stehen einer solchen Politik. Diese Tatsache bedeutet allerdings nicht, daß in der vorherigen Zeit keinerlei sozialpolitische Maßnahmen ergriffen worden wären. Diese beschränkten sich aber auf solche Probleme, die als systemunabhängig angesehen wurden34

Die ideologischen Barrieren, die der Sozialpolitik insbe­sondere in der DDR der fünfziger Jahre entgegenstanden, wa­ren derart übermächtig, daß eine praktische Politik unter[1]- Be­achtung politischer und ökonomischer Zwänge sich nur in An­sätzen entwickeln konnte. Für die zumeist in Moskau marxist­isch-leninistisch geschulten Machthaber der frühen DDR war eine Sozialpolitik überflüssig, weil ihr Hauptobjekt - die Arbeiterklasse bzw. das Proletariat - im Sozialismus nicht mehr ihre Arbeitskraft zu fremdbestimmten Leistungen verkau­fen muß. Daher 1st der Arbeiter auch nicht mehr einer Fülle von Risiken schutzlos ausgeliefert. Im Sozialismus erringt die Arbeiterklasse selbst die Herrschaft; Eigentümer und Pro­duzent einer Ware sind identisch 35. Des Weiteren kann mach marxistisch-leninistischem Verständnis Sozialpolitik nicht zur Lösung von Klassen- und Schichtproblemen dienen. Sie kann nur Stückwerk sein und daher soziale Gegensätze nicht besei- tigen36. Aus dieser Sichtweise wird die besondere Problematik, mit welcher der Begriff der "sozialistischen Sozialpolitik" verbunden ist, deutlich erkennbar: wenn nämlich die Sozial­politik in der Lage wäre, eine Nivellierung unterschiedlicher Klassen und Schichten zu erreichen und soziale Gegensätze zu beseitigen bzw. zu verringern, dann wäre im Umkehrschluß die marxistische Ideologie bzw. der Sozialismus überflüssig. Die sich aus dieser Erkenntnis unmittelbar ableitende Gefährdung der Existenz der sozialistischen Ideologie muß letztendlich zur Ablehnung einer Sozialpolitik im Sozialismus führen. Da insbesondere in der Anfangsphase der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren Existenz als unabhängiger Staat neben dem­jenigen der Bundesrepublik keineswegs gesichert war, 1st eine starke Verdrängung des Begriffes der Sozialpolitik für diesen Zeitabschnitt sehr verständlich.

Nach Leenen kann dieser Zeitabschnitt in drei Phasen unterteilt werder 37 · Von 1949 bis ca. 1957/58 gab es eine "Phase der Verdrängung'". Sozialpolitik wurde in diesem Zeitraum zumeist als "unsozialistisch", also als unvereinbar mit einem offi­ziell im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie re­gierten Staatswesen angesehen. Die Existenz einer praktischen Sozialpolitik wurde verschwiegen und der Begriff im offiziel­len Sprachgebrauch gemieden. Nach den Grundsätzen des Marxis­mus-Leninismus muß-fe Sozialpolitik als Pleonasmus aufgefasst werden, weil das Prinzip der Sorge um den Menschen im Sozia­lismus in jedem Fall eine zu bewältigende Hauptaufgabe dar­stellt. Wie H. Ulbricht schreibt, wurde "die Notwendigkeit oder auch die Existenz einer sozialistischen Sozialpolitik verneint, obwohl ihre praktische Handhabung seit Kriegsende . das Gegenteil bewies." 38 Trotz des Betreibens eigener So­zialpolitik in der Praxis wurde die Sozialpolitik im Kapitalis­mus, d.h. insbesondere in der benachbarten BRD, von offiziel­ler Seite weiterhin als "Herumf11ckerei" und "Almosenvergäbe" d i skreditiert.

In der nachfolgenden "Phase der Anpassung'^, die von 1957/ 58 bis ca. 1964/67 dauerte, setzte sich allmählich die Einsicht in die Möglichkeit systemunabhängig entstehender sozialer Pro- blemfälle durch. Einzelne Schicksalsschläge wie Tod des Er­nährers einer Familie, Unfall oder auch die biologisch vor­gegebene Konstitution von Frauen und Jugendlichen, die bei körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten zu Benachteiligungen führen, konnten nicht länger unberücksichtigt bleiben, selbst wenn sich diese Problemfälle eines Tages in der kommunistischen Idea 1gese11schaft "automatisch" lösen würden. Oie Existenz einer "Sozialpolitik im Sozialismus" wurde off 1 ziel 1 wahrgenommen und als erforderlich anerkannt, sofern sich diese Politik auf die Bekämpfung systemunabhängiger Schwächen bezog

Weiterhin wurdeein der Sozialpolitik im Kapitalismus ähn­liches Verständnis jedoch strikt abgelehnt. Die Sozialpolitik der BRD wwrdeals "Instrument zur Ablenkung der Werktätigen von ihren Klasseninteressen" bzw. als "Tarnmittel bei der Unter­drückung der Werktätigen 39 verunglimpft. Der deutliche wirt­schaftliche Aufschwung und die damit verbundenen stark ver­bessertet! Lebensbedingungen, die die westdeutsche Gesell- sPllaft seit spätestens den sechziger Jahren kenn ze i chne+/ sowie die damit einhergehenden Abschwächungen traditioneller Klassengegensätze wurden im Osten Deutschlands offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen.

Die erstmalige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Problem einer "sozialistischen Sozialpolitik" erfolgte durch Helga Ulbrichts Habilitationsschrift von 1965 40 Der in den Jahren 1964 bis 1967 einsetzende Umschwung hin zu einem "Auf­bau theoretischer und Institutioneller Grundlagen einer sozi­alistischen Sozi al pol 1 tik 41 welcher eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Veränderung im Selbstverständnis des sozialistischen Staates voraussetzt, wurde ermöglicht durch die erfolgreiche Stabilisierung des Staates, welche nach 1961 durch den Bau der Mauer in Berlin einsetzte. Diese Stabili­sierung war nicht nur eine wichtige Voraussetzung für alle seit Beginn der siebziger Jahre folgenden Verträge mit der BRD, sondern auch ftfr innere Wandlungen des sozialistischen Staates. Die Phase der ständigen Ungewissheit über die dauer­hafte Existenz der DDR, Kennzeichen der fünfziger Jahre, schien mit der Bewältigung der innen- und außenpolitischen Krisen von 1953, 1956 und 1961 endgültig überwunden zu sein.

Da die Existenz einer staatlichen Sozialpolitik eine gestör­te gesellschaftliche Ordnung voraussetzt, ist mit dem Betreiben einer solchen Politik zunächst die Anerkennung die­ser Störung verbunden. Diese Anerkennung erfolgte in dem ge­nannten Zeitraum der Vorbereitung des VII. Parteitages (1967).

In einem 1969 veröffentlichten Artikel der Forschungsgruppe Sozialpolitik an der Gewerkschaftshochschule des FDGB, die von Gerhard Tietze geleitet wurde, wird diese Möglichkeit der Störung der gesellschaftlichen Ordnung folgendermaßen auch dem sozialistischen System zugestanden: falls der Sozialis­mus (noch) nicht das durch den marxistischen Entwurf vorge­gebene Idealmodell erreicht haben sollte, könnten u. U. gesell­schaftliche Z i e 1konf1 i к te auftreten - so beispielsweise zwi­schen sozialer und ökonomischer Zielsetzung einer Gesellschaft -, die einer bewußten politischen Steuerung bedürften 42.

Neben der genannten Forschungsgruppe unter G. Tietze, die der Sektion Wirtschafts- und Sozialpolitik zugeordnet war , entstandenin dieser Zeit vor dem VII. Parteitag weitere wis­senschaftliche Institutionen, die sich mit der Sozialpolitik in der sozialistischen Gesellschaft beschäftigfen 43.

Der VII. Parteitag brachtediese Entwicklung zu einem vor­läufigen Abschluß. W. Ulbricht ging in seinem Hauptreferat am 17.04.67 direkt auf die Aufgabe der Sozialpolitik im Sozi­alismus ein: "Unsere Sozialpolitik ist Ausdruck der gesell­schaftlichen Sorge um den Menschen. Sie hat die Aufgabe, sol­che Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, die der Ent­wicklung aller Bürger und der Erhaltung und Förderung der Ar­beitskraft dienen. In der Sozialpolitik unserer Gesellschaft spiegelt sich die Entwicklung echter Solidarität aller ihrer Mitglieder wider. Sie kann deshalb nicht nur Sache des Staates sein, sondern muß immer mehr auch zu einem Anliegen der Ar- beitskol lekti ve und jedes. Bürgers werden."44 Der hier ange­führte Zweck der Erhaltung und Förderung der Arbeitskraft weist auf eine der traditionellen Aufgaben der Sozialpolitik hin, die bis zum Kapitalismus im 19. Jahrhundert zurück reicht. Neben dem Ziel der Auf rechterha1tung der physischen und psy- chischen Gesundheit der Bevölkerung aus militärischen Überle­gungen heraus spielte die Erhaltung und der Ausbau der staat­lichen Wirtschaftskraft immer eine gleichrangige Rolle für die Begründung einer Sozialpolitik im Kapitalismus 45

In einer Rede vom 12.09.67 entwi ekel te. W. Ulbricht These, daß "der Sozialismus nicht eine kurzfristige Übergangsphase in der Entwicklung der Gesellschaft ist, sondern eine relativ selbstständige sozialökonomische Formation in der historischen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus im Welt­maßstab." 46 Diese neue Interpretation der Theorie von Marx beinhalteteeine neuartige Bewertung von Dauer und Bedeutung г-n der "Übergangsphase des Sozialismus", welche auch Auswirkungen auf die Bedeutung der Sozialpolitik in dieser Gesellschaft haben mußte. Je länger die "Übergangsphase" nämlich andauern würde, desto weniger könnte ein Hinausschieben einer "Poli­tik des Ausgleichs bestehender Ungerechtigkeiten" geduldet werden. Die Sozialpolitik wurde damit zu einem "grundlegenden Bedürfnis" auch in der sozialistischen Gesellschaftsformation.

Ulbrichts neue Interpretation von 1967 wurde zwar auf dem folgenden Parteitag von 1971, der bereits unter E. Honeckers Vorherrschaft stand, zu-rückgewi e sen 47 die Legitimation der Sozialpolitik in der DDR konnte hierdurch aber nicht mehr ge­fährdet werden! 48

II Haugttei I

1. Die Sozialpolitik während der "antifaschistisch- demokratischen Umwälzung" (1945-1949) und der "Phase der Schaffung der Grundlagen des Sozialis- /-S mus" ( 1 949- 1960)

Trotz der dargestellten ideologischen Problematik einer "Sozialpolitik im Sozialismus" und trotz der insbesondere in den fünfziger Jahren in der DDR stattgefundenen Verdrängung der Problematik lassen sich für die frühe Phase der Existenz des ostdeutschen Staates und besonders für die Jahre unmittelbar vor der Staatsgründung einzelne Veranstaltungen oder Beschlüs­se nachweisen, worin Sozialpolitik betrieben und auch benannt worden ist. H. Ulbricht stützt sich in ihrer genannten Arbeit 49 auf zwei Belege, welche sie als Nachweis dafür anführt, daß der Begriff "Sozialpolitik" auch in der frühen Phase der DDR bereits offizielle Verwendung fand. Es sind dies die "Sozial­politischen Richtlinien", beschlossen vom ZK der SED als "grund­legendes Programm für die Sozialpolitik" änr 30.12 . 1946 50 so­wie eine Randbemerkung 0. Grotewohls auf der Leipziger Konfe­renz der Sozialversicherung von 1951. Diese sehr dürftige Be­legung bezeichnet Leenen als "mißglückten Versuch" und als "treffende Kennzeichnung de sAy,.sirias ses der Verdrängung des Begriffes der Sozialpolitik" 51

Aus der heutigen Sicht erscheint in diesem Zusammenhang eine Differenzierung zwischen der Frühphase der Existenz der DDR und den unmittelbar davor liegenden Jahren 1945 bis 1949, die hier als die "Phase der sowjetischen Besatzung" (SBZ) be­zeichnet werden sollen, als sinnvoll. In dieser "Vor-DDR-Zeit" hat es im unmittelbaren Vergleich mit der nachfolgenden Phase der frühen DDR der fünfziger Jahre zweifellos nicht nur wesent­lich mehr sozialpolitische Einzelmaßnahmen, sondern auch eine verstärkte theoretische Beschäftigung mit dem Thema "Sozialpo­litik" gegeben. Die Gründe hierfür dürften einerseits in der in den Jahren unmittelbar nach dem Kriegsende vorherrschenden allgemeinen Notlage der Bevölkerungsmehrheit sowie andererseits in der relativen Pluralität der damaligen SBZ 51 a zu finden sein. Die späteren Blockparteien CDU und LDPD erließen in dieser Zeit eigene Grundsätze und Stellungnahmen zur Sozialpolitik und ihrer Aufgaben. So nennt die LDPD bereits am 05.07.1945 in ihrem Gründungsprogramm die "Schaffung wahrer sozialer Ge­sinnung" als ein wichtiges Ziel der künftigen Gesellschafts­ordnung 52. In ihrem dara*f folgenden Programm vom 28.02.1949 widmet sie bereits ein ganzes Kapitel der "Sozial- und Wirt­schaftsordnung" des in absehbarer Zeit entstehnden neuen deut­schen Staates. Unter III. schreibt sie: "Aufgabe des demokrati­schen Liberalismus auf dem Gebiete der Wirtschaft ist die Ver­wirklichung des Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit. Mittel­punkt jedes sinnvollen Zusammenwirkens von Kapital und Arbeit ist der Mensch. Die Ausbeutung seiner Arbeitskraft verletzt die Grundrechte des Menschen. Sie begegnet dem gleichen Wider­stand der Libera 1 demokratischen Partei wie der Klassenkampf.“ 53

Die CDU weist in ihrer Entschließung vom 17.06.1946 der öf­fentlichen Wirtschaftslenkung folgende Aufgaben zu: "...dauer­hafte, billige und gleichmäßige Versorgung des ganzen Volkes mit den vordringlichen Massengütern der Ernährung und Beklei­dung und des Hausrats, die Beschaffung gesunder Wohnungen und die Vollbeschäftigung aller Arbeitsfähigen sowie vor allem auch die pflegliche Nutzung des Landes, der Bodenschätze und ande­rer Rohstoffe."54 In den Grundsätzen der CDU zur Sozialpolitik wird im Juni 1948 unter Punkt 7 folgende Forderung erhoben: "Bei der Lösung der sozialen Aufgaben sollen vier Kräfte sinn­voll Zusammenarbeiten: der Rechtsstaat durch Gestaltung einer fortschrittlichen sozialen Gesetzgebung, die Sozialversiche­rung durch planmäßige allgemeine Vorsorge, die Gewerkschaften durch Entfaltung der Initiative der Arbeiterschaft und die so­ziale Fürsorge einschließlich der freien Liebestätigkeit durch Ergänzung der Lücken in der allgemeinen Vorsorge."55

Auch in den während dieser-Zeit entstandenen Landesverfas­sungen war der im Vergleich zu den "sozialistischen" Parteien 56 ungefähr ebenbürtige Einfluß "bürgerlicher" Parteien 57 erkenn­bar; so konnte beispielsweise in der sächsischen Verfassung vom 28.02.1947 das sozialistische Urziel sozialer Gerechtig­keit ohne Rücksicht auf eventuelle ideologische Probleme im Rahmen des Se 1bst verständnisses der SED verankert werden: "Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdi gen Daseins für alle entsprechen.58

über die von Helga Ulbricht genannten "Sozialpolitischen Richtl i ni en"59 hinaus fand in diesem Zeitabschnitt aber auch in der SED eine weitere Beschäftigung mit dem Thema "Sozial­politik" statt. Die ideologische Problematik, die im folgenden Jahrzehnt dann zu einer fast vollständigen Vernachlässigung des Themas im offiziellen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch der DDR führte, wird bereits im "Entwurf zu einem sozialpoli­tischen Programm der SED" vom 26.08.1946 deutlich: "Für die SED ist die Sozialpolitik im Rahmen ihrer Gesamtpolitik der Kampf gegen die Schädigungen, die die kapitalistische Produktions­weise dem Volkskörper zufügt, und einer der Hebel, mit denen die wirtschaftliche und politische Entwicklung gefördert wird. Die Sozialpolitik kann aber an dem Charakter der bürgerlichen Gesellschaftsordnung nichts Entscheidendes ändern, denn sie kann deren besondere Kennzeichen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen vermittels der ihr eigentümlichen Produk­tionsweise, nicht aus der Welt sc ha ffen.60

Wie aus diesem Zitat ersichtlich 1st, wird die Sozialpolitik zwar einerseits als Mittel zur Förderung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung einer Gesellschaft anerkannt, gleichzeitig wird ihre Aufgabe aber eng eingegrenzt: sie wird als Mittel im Kampf gegen "Schädigungen " éingesetzt, welche nach Ansicht der SED nur im Rahmen einer kapitalistischen Produktionsweise entstehen können. Nach diesem Selbstverständ­nis ist eine Sozialpolitik in einem sozialistischen Staat lediglich als ein "Ausgleichsinstrument" während der Übergangs­phase von der kapitalistischen zur kommunistischen Produktions­weise erforderlich. Wenn mit dem "Sieg der sozialistischen - Produktionsverhältnisse", d.h. der Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel, die Grundlagen des Sozialismus errichtet sind, ist das weitere Betreiben einer eigenständigen Sozialpolitik - ebenso wie eine wissenschaftliche Beschäf­tigung mit diesem Thema - nicht mehr erforderlich. Diese Über­gangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus wurde laut ver­schiedener DDR-interner Beurteilungen 61 zu Beginn der sech­ziger Jahre in der DDR zum Abschluß gebracht. Bezeichnend für dieses Se 1bstverständnis vom Eintritt in einen neuen Entwick- lungs abschnitt ist die Einleitung des auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 beschlossenen Parteiprogramms, worin festgestellt wird: "Die Deutsche Demokratische Republik ist in dieses neue, das sozialistische Zeitalter in Deutschland bereits eingetre tenDie großen Reichtümer, alle wichtigen Produktionsmittel, die Fabriken, Werke und Eisenbahnen, die Bodenschätze, die Felder, Gewässer und Wälder gehören dem Volk, das sie erschließt und mit ihnen arbeitet 62

Die Ansicht, eine Sozialpolitik im Sozialismus sei nicht nur entbehrlich, sondern sogar unvereinbar mit diesem, hatte.sich also bereits in den ersten Monaten nach der Grün- ^ dung der SED in der Partei durchgesetzt. Helga Ulbricht be­gründet dies mit Vorbehalten, die in der damaligen SBZ und in der unmittelbar anschließenden ersten Phase der DDR-Exi- stenz aufgrund der historischen Rolle der'Sozi a 1 po 1 i ti k im Kapitalismus vorherrschend waren 63 Sie spricht offen von der Ablehnung des Begriffes "Sozialpolitik" in der DDR 64

Tatsächlich kann dann für die Phase der "Schaffung der Grundlagen des Sozialismus", für die Frühphase der DDR wäh­rend der fünfziger Jahre also, in offiziellen Quellen prak­tisch keine Beschäftigung mit Sozialpolitik auf ideologischem bzw. wissenschaftlichem Gebiet nachgewiesen werden, obwohl ge­rade in diesem Zeitraum, als sich die sozialistische Produk­tionsweise in der DDR noch nicht durchgesetzt hatte, dem eige­nen Selbstverständnis zufolge eine Sozialpolitik möglich und sinnvoll gewesen wäre. Neben einzelnen sozialpolitischen Maß­nahmen - hier ist insbesondere das i'm April 1950 beschlossene "Gesetz der Arbeit zur Förderung und Pflege der Arbeitskraft 65 zu nennen - fand eine weitergehende Befassung mit den Inhalten· und Zielen dieser Politik nicht statt. Der Hauptgrund hierfür dürfte in der Hoffnung auf das bevorstehende Erreichen des "Sie­ges der sozialistischen Produktionsverhältnisse" und dem damit verbundenen Eintritt in eine neue Entwicklungsperiode auf dem Weg zum Kommunismus zu finden sein.

Die dargestellte Sichtweise, daß das Betreiben einer So­zialpolitik nicht nur im ökonomischen System des Kommunismus, sondern bereits nach dem Übergang in eine sozialistische Pro­duktionsgesellschaft entbehrlich sei, wurdeauch von Walter Ulbricht persönlich geteilt. In seinen am 10.07.1958 verkün­deten "10 Geboten der sozialistischen Moral 66 fordert er mittels der Begründung, der Sozialismus führe zu einem besse­ren Leben für alle Werktätigen, die Bevölkerung zu "guten Ta­ten für den Sozialismus" auf. Nach den staatsgefährdenden Kri­sen von 1961 und 1970/71, die eher das Gegenteil bewiesen hat­ten, sahenaber auch der Staatsratsvorsitzende und Erste Sekre­tär der SED und sein Nachfolger in beiden Ämtern, Erich Hon­ecker, das Betreiben einer Sozialpolitik und die Schaffung ei­ner theoretischen Grundlage dieser Politik als Immer dring­licher für die notwendige Stabilisierung des Staates an. Die Methode der "Neutralisierung" der unpolitischen Bevölkerungs­teile mittels wachsendem Wohlstand konnte nur mit Hilfe einer umfangreichen Sozialpolitik erreicht werden 67.

2. Die Sozialpolitik in der Phase des "umfassenden Aufbaus des Sozialismus" (1961-1970) und die ideolo­gische Wende ab Mitte der sechziger Jahre

Auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 wurde mit dem Beschluß zur weiteren Kollektivierung der Landwirtschaft die 2Weife umfassende Staatskrise der DDR ausgelöst. Die Überfüh­rung der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum kam im Bereich der Landwirtschaft - im Gegensatz zum industri­ellen Sektor - nur schleppend voran. Sie galt im Selbstver­ständnis der marxistisch-leninistischen Theoretiker aber - wie bereits darge1 egt 68 - als Voraussetzung sowohl für den Eintritt in einen neuen Entwicklungsabschnitt auf dem Weg zum Kommunismus als auch für die Möglichkeit des weiteren Ab­baus und der weiteren Vernachlässigung einer Sozialpolitik.

Die von W. Ulbricht noch 1958 proklamierte Behauptung, der Sozialismus führe quasi "automatisch" zu einem besseren Leben für alle Werktätigen 69, würde sich also nach dem bevorstehen­den Übertritt in die neue sozialistische Entwicklungsphase als richtig oder falsch erweisen müssen.

Dèe Übergang in das neue Jahrzehnt wurde also von der Par­tei- und Staatsführung der DDR bereits auf dem V. Parteitag auch als Wendepunkt in der Entwicklung der DDR insgesamt fest­gelegt. Daß dieser Wendepunkt sich dann tatsächlich zu einer Art "Achse der DDR-Ges ch ichte" 70 entwicke1te, lag allerdings mit Sicherheit nicht in der Absicht der damaligen SED-Führung. Die von Juli 1958 bis zur Vol 1kol1ekti vierung im Frühjahr 1960 in Form einer Zwangskampagne nach sowjetischem Muster durch- · gesetzte Vergesellschaftung landwirtschaftlicher Produktions­mittel führte zu Widerstand in der Bevölkerung und damit ver­bundenen wirtschaftlichen Problemen. Der auf dem V. Parteitag beschlossene Fünfjahrplan wurde aufgrund der von W. Ulbricht vorgegebenen Zielrichtung einer Ein- und Überholung der BRD in der Pro-Kopf-Produktion auf völlig überhöhte wirtschaft­liche Ziele hin ausgelegt. Laut Ei nschä'tzung von E. Richert betrug der damalige Produktionsvorsprung der Bundesrepublik ca. 30 Prozent; ein Ausgleich dieses Vorsprunges hätte selbst bei reibungslosem Funktionieren der DDR-Wirtschaft nicht inner­halb eines Planjahrfünf tes gelingen können71. Aufgrund dieser Fehlkalkulation mußte der Plan bereits im folgenden Jahr (1959) abgebrochen uad.-durc'h einen neuen ersetzt werden.

Die verstärkt einsetzenden Sozialisierungsmaßnahmen, die neben der Landwirtschaft auch private Industrie-, Handels- u. Handwerksbetriebe betrafen, führten im Jahr 1960 wieder zu einem Anstieg der F1üch11 ingsza h 1 en. Die Personen, die die DDR in Richtung Bundesrepublik verließen, waren zu etwa der Hälfte unter 25 Jahren alt und zum überwiegenden Teil erwerbs­tätig, d.h. die DDR verlor zumeist die im Land dringend benö­tigten Arbeitskräfte. Eine Destabilisierung des Staates und die Gefährdung der ohnehin stets unsicheren Legitimations­grundlage für die eigenstaatliche Existen 72 waren die zwangs­läufigen Folgen ansteigender F 1üch11 ingszah1 en. Um dieser Ge­fährdung Einhalt zu gebieten, verschärfte die Staatsführung die bereits seit Mitte der fünfziger Jahre erfolgreich einge­leiteten Maßnahmen zur Einschränkung der Reise- und Bewegungs­freiheit der Bevölkerung. Am 13.08.1961 wurde mit der Abriegel­ung der Sektorengrenze in Berlin durch den Bau einer Mauer be­ gonnen .

Die durch den Mauerbau eingetretene Stabilisierung des Staa­tes brachte auch eine gewisse ökonomische Stabilisierung mit sich. Auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 wurde ne­ben dem neuen Parteiprogramm .—Anlago 2) auch die Einleitung einer Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik diskutiert 73. Konkretisiert wurde diese Neuorientierung dann im Juli 1963 mit der Bekanntgabe einer Richtlinie des Präsidiums des Mi­nisterrates. Danach wurde ein "Neues ökonomisches System der - Planung und Leitung" (NÖS) für die Volkswirtschaft beschlos­sen und vom Staatsrat einige Tage später bestätigt . 74 Die­ses neue System zielte auf die Ausnutzung der "materiellen In­teressiertheit" des einzelnen Arbeiters und des einzelnen Be­triebes. Die Auseinandersetzung mit aus marxistisch-leninist­ischer Sicht typisch kapitalistischen Wirtschaftsbegriffen wie "Gewinn", "Preis" und "Prämie" ließ die Möglichkeit einer re­lativ selbstständigen, von der Sowjetunion sich absetzenden Wirtschaftsentwicklung in der ODR erkennen. Folgende Passagen aus der Richtlinie für das "NöS" vom 15.07.1963 sind charakte­ristisch für die neue Richtung, welche maßgeblich von Walter Ulbricht und dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission 75, dem Kandidaten für das Politbüro Erich Apel, ausgearbeitet wor­den 1st. "Ohne richtige Lösung des Problems der Preisbildung und der Festsetzung wissenschaftlich begründeter Preise ist es unmöglich, viele ernste Mängel in der Planung der Produk­tion zu beseitigen, die wirtschaftliche Rechnungsführung um­fassend zu verwirklichen und die Bedingungen für eine rentable Arbeit der Betriebe zu sichern. ... Er (der Arbeitslohn) 76 muß insbesondere durch die Anwendung zweckmäßiger Lohnformen und Prämienregelungen ... auf die Steigerung der Arbeitspro­duktivität, auf hohe Qualität der Erzeugnisse und auf die Sen­kung der Selbstkosten orientieren.77

Den nicht unbedeutenden pol itisehen Aspekt, welcher sich mit der wirtschaftspolitischen Neuorientierung des NÖS verband, machte W. Ulbricht auf der 5. Tagung des ZK der SED im Februar 1964 deutlich: "Wir sind uns bewußt, daß wir in der Deutschen Demokratischen Republik den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus entsprechend unserer nationalen Bedingungen durch­geführt haben und durchführen. Diese Bedingungen unterschei­den sich von denen, die die Sowjetmacht hatte, als sie den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus vollzog."78 Eine derartige Distanzierung von der Sowjetunion konnte, wenn auch nur auf das Gebiet der Wirtschaftspolitik beschränkt, auf Dau­er nicht ohne Folgen für die Politik der DDR bleiben. Nach der Ablösung von N. Chruschtschow als Erstem Sekretär der KPdSU im Oktober 1964 kam es auch in der SED-Führung zu Mei- · nungsverschiedenheiten über die Fortsetzung des relativ markt­wirtschaftlich orientierten NÖS. Es gab starke Tendenzen, die Reformen, die die DDR innerhalb kurzer Zeit zum "Schrittmacher 79 s) wirtschaftlicher Reformen im gesamten sozialistischen Lager" 79 hatten werden lassen, zurückzunehmen und den Außenhandel der DDR wieder einseitig nach Osten auszurichten.

Die Konfrontation über die Frage der Weiterführung des NÖS dauerte unterschwellig an und wurde erst über ein Jahr nach dem Führungswechsel in der Sowjetunion zugunsten der reform- feidlichen Kräfte um E. Honecker und G. Mittag entschieden.

Die politische Brisanz dieser Entscheidung, die offensicht­lich mit dem Abschluß eines neuen langfristigen Handelsabkom­mens mit der Sowjetunion am 03.12.1965 durchgesetzt wurde, offenbarte sich durch den am gleichen Tag begangenen Selbst­mord von E. Apel, eines der Mitinitiatoren des NÖS. Apel stand ebenso wie Mittag unmittelbar vor der Ernennung zum Mitglied des Politbüros; beide hatten in der Wirtschaftskommission des Politbüros gearbeitet. Die Bedeutung, welche die Absetzung Chruschtschows für die weitere Entwicklung des NÖS in der DDR gehabt hat, schätzt J. Hacker wie folgt ein: "Schließlich war es N. Chruschtschow, der es der DDR erlaubte, mit dem 1963 eingeführten NÖS eine Reformkonzeption zu vertreten, um das Wirtschaftssystem zu modernisieren und rationalisieren.80

Auf der 11. Tagung des ZK der SED vom 15. bis 18.12.1965 wurde die sogenannte "zweite Phase" des NÖS beschlossen. Die­se war aber - wie sich in den folgenden Jahren bis zur erneu­ten Krise im Jahr 1970 zeigte - mehr von zentralistischen Ten­denzen und Rückschritten als von einer Fortführung des neuen Kurses gekennzeichnet. Die Grundidee des NÖS, nämlich das Aus­nutzen der "materiellen Interessiertheit" des Arbeiters zum Zwecke der Verbesserung der Wirtschafts1 e istung, hatte sich aber als richtig erwiesen. Die wirtschaftliche Lage hatte sich seit dem Beginn der sechziger Jahre ständig verbessert,-nund der Le­bensstandard der Bevölkerung war entsprechend gestiegen. Die DDR war nicht nur zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht nach der UdSSR im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf­gestiegen, sondern ihr NÖS erlangte Mode 11 char ak ter für andere Staaten in und außerhalb des RGW. So fand zum Beispiel im Juni. 1965 eine Konferenz zum Studium des NÖS in der DDR statt, an welcher sich Delegationen aus fast allen sozialistischen Staa­ten der Welt beteiligten. Die DDR entwickelte sich in der er­sten Hälfte der sechziger Jahre zu einer "sozialistischen Lei- stungs- und Konsumgesellschaft 81 deren ökonomisches System sich zunehmend an den Wünschen und Forderungen der Bevölke- ung orientierte. Die im Programm der SED 1963 festgeschriebe- e ideologische Neuorientierung in Richtung auf eine "ständige^ nd planmäßige Verbesserung der Lebensbedingungen des Volkes"82

wies den alleinigen möglichen Weg für eine dauerhafte Stabi­lisierung des zweiten deutschen Staates: nicht durch Zwangs­maßnahmen wie Mauerbau o.ä., sondern nur mittels einer Anglei­chung der Lebensverhältnisse in der DDR an diejenigen in der BRD hätte eine solche Stabilisierung erreicht werden können. Der Freitod von Apel und die nach dem 11. Plenum des ZK ein­setzenden verschärften Repressalien gegen bestimmte Kultur­schaffende und Oppositionelle (Havemann, Heym, Biermann u.a.) deuteten aber auf eine andere Entwicklung hin: die kurze Pha­se kultureller Toleranz und wirtschaftlicher Experimente war Mitte der sechziger Jahre bereits wieder gestoppt.

Trotz dieses praktischen Abbruchs der mittels des NOS ein­geleiteten Reformpolitik im wirtschaftlichen Bereich erfolgte keine Abwendung vom NOS durch die offizielle Politik. Man be­schränkte sich auf organisa torisch«|finderungen wie zum Beispiel die Abschaffung des 1961 als zentrales Organ des Mi ni sterra tes gegründeten Volkswirtschaftsrates 83 er konnte sich nicht als wirtschaftliche Le itungsi nstitu tion bewähren und wurde 1965/66 in acht eigenständige Industrieministerien aufgeteilt und wie­der der SPK unterstellt.

Die mit dem NOS verbundene wirtschaftliche Reformpolitik wurde im Kern auch auf dem VII. Parteitag fortgeführt (April 1967). Zur wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Haupt­aufgabe der kommenden Jahre wurde die Gestaltung des "Entwik- kel tenjgesel lschaftl ichen Systems des Sozialismus" und in Zu­sammenhang hiermit die Fortführung des "ökonomischen Systems des Sozialismus" bestimmt.Di ese formale Aufgabe des NOS bedeu­tete nicht gleichzeitig die Aufgabe ihrer ideologische Grund­konzeption, wie fogendes Zitat aus Artikel 9 der DDR-Verfass- ' ung von 1968 belegt: "Das ökonomische System des Sozialismus verbindet die zentrale staatliche Planung und Leitung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit der Eigen­verantwortung der sozialistischen Warenproduzenten und der örtlichen Staatsorgane."84 Der relativ eigenständige Weg der DDR-Wirtschaftspolitik wurde theoretisch weitergeführt, und auch in der Praxis gelangten die in der Anfangsphase des NOS eingeführten monetären Steuerungsinstrumente erst in den Jah­ ren nach dem VII. Parteitag zur vollen Geltung. Im Zusammen­hang damit durchgeführte dringend notwendige Änderungen in der Strukturpolitik führten zu einer weiteren wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung. Wenn auch das auf dem V. Parteitag 1958 verkündete Ziel der über- bzw. Einholung der Wirtschaftskraft der BRD nicht erreicht werden konnte, so konnte man doch zumin­dest seit der Einführung des NÜS 1963 auf eine kontinuierlich positive wirtschaftliche Entwicklung bis zum Ende des Jahr­zehnts verweisen. Das Hauptproblem dieses relativen Aufwärts­trends, nämlich das Finden eines Systems für eine langfristige Wirtschaftsplanung, blieb jedoch ungelöst. Die in der Verfas­sung angebotene Lösung der "Verbindung von Grundfragen der ge- sel 1schaftlichen Entwicklung mit der Eigenverantwortung und -initiative der Warenproduzenten", also die Verbindung von zentraler staatlicher Planung mit Elementen aus der Marktwirt­schaft, erwies sich in der Praxis als undurchführbar. Insbe­sondere gestaltete s i ch|jKombi na ti on neuer marktwirtschaftlich­er Steuerungsgrößen und die Verteilung der Entscheidungskom­petenzen auf den verschiedenen wirtschaftspolitischen Ebenen des Staates als problematisch. Die Berücksichtigung von volks­wirtschaftlichen, gesamtstaatlichen, betrieblichen und indivi­duellen Interessen unter gleichzeitig aufrechterhaltenem Vor­rang staatlicher Z i e 1 vor s te 11 ungen erwies sich als unreali­sierbar. So war die Entstehung einer neuen wirtschaftlichen Krise und die damit zwangsläufig verbundene endgültige Ein­stellung des NÖS nur eine Frage der Zeit.

Festzuhalten bleibt a 11erdingsdie Tatsache, daß die Auswir­kungen des NÖS weit über den Wirtschaftsbereich und den Zeit­abschnitt der sechziger Jahre hinausre i chten. Im Rahmen der * stärkeren Berücksichtigung sozi a 1wissenschaf11 icher und mathe­matisch-statistischer Disziplinen und Methoden konnten sich . neue Wissenschaftszweige entfalten, die ihrerseits dann wieder Einfluß auf einen ideologischen Wandel im Gesamtsystem aus­übten. Die Wissenschaft von der Sozialpolitik, welche nach Ein­schätzung von W.-R. Leenen noch 1977 als relativ unterentwik- kelt angesehen werden mußt 85, konnte auf den in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in der DDR veröffentlichten Arbei­ten von H. Ulbricht 86 · Tietze und G. Winkler als den theo- retischen Grundlagen aufgebaut werden.

Die institutionellen Grundlagen für die Beschäftigung mit der neuen Diszilplin wurden zumeist im Rahmen neuer Einrich­tungen beim "Freien Deutschen Gewerkschaftsbund" (FDGB) ge­schaffen. So entstanden in den Jahren zwischen 1964 und 1967 an der FDGB-Hochschule "Fritz Heckert" in Bernau bei Berlin ein "Institut für Sozialpolitik" (Leitung G. Tietze) und eine "Sektion Wirtschafts- und Sozialpolitik" (Leitung G. Winkler).

In gleichen Zeitraum wurde direkt beim FDGB eine "Abteilung Sozialpolitik" (Leitung I. Lorek) eingerichtet, und 1974 ent­stand auf Beschluß des Politbüros der SED, wiederum an der Ge- ^ werkschaftshochschule, ein "Wissenschaftlicher Rat für Sozial­politik und Demographie" (Leitung G. Winkler). Ein Institut für eine vom FDGB unabhängige Beschäftigung mit Sozialpolitik wurde 1978 gegründet; das "Institut für Soziologie und Sozialpolitik" (Leitung G. Winkler) war der "Akademie der Wissenschaften der DDR" angegliedert und unterstand damit direkt dem Ministerrat. Natürlich erfolgte spätestens seit der Akzentuierung der Sozial­politik auf dem VIII. Parteitag (Juni 1971) auch von Seiten der SED eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema; diese lief über das 1951 gegründete "Institut für Gesellschaftswiss­enschaften"87 beim ZK der SED (Leitung seit 1963 Otto Rein­hold). Trotz der beiden zuletzt genannten Institute ist die vorwiegende Konzentration sozialpolitischer Einrichtungen beim FDGB offensichtlich. Der VIII. Parteitag legte die Bedeutung der Sozialpolitik als zentralen Teil der SED-Gesel1schafts- politik für die kommenden Jahre fest, und durch den damit er­folgten Aufgabenzuwachs für den FDGB wurde dieser in seiner Bedeutung für die zukünftige Entwicklung von Staat und Partei . aus seiner bisherigen Rolle als einer unter anderen Massenor­ganisationen in der DDR herausgehoben. Bei zukünftigen die Wirtschafts- oder die Sozialpolitik betreffenden Beschlüssen wurde eine Beteiligung des Bundesvorstandes des FDGB neben Po­litbüro und Ministerrat unumgänglich.

Die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erfolgte Hin­wendung zum offiziellen Betreiben einer wissenschaftlich begrün­deten Sozialpolitik blieb nicht ohne Auswirkungen auf die prak- tischen sozialpolitischen Maßnahmen. W. Ulbricht hatte bereits im Dezember 1965 die Einführung der Fünf-Tage-Arbeitswoche in jeder zweiten Woche angekündigt; sie wurde noch im selben Mo­nat vom Ministerrat beschlossen. Die wöchentliche Arbeitszeit sank damit ab April 1966 von bisher 48 auf 45 Stunden.

Auf dem VII. Parteitag der SED (April 1967) wurden weitere Vorschläge zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung unterbreitet. Umgesetzt wurden die­se dann in den folgenden Monaten durch die entsprechenden Mi­ni s terra tsbe sch 1üsse ; erwähnt werden soll an dieser Stelle da­von lediglich die verabschiedete Einführung der durchgängigen Fünf-Tage-Arbeitswoche und die damit verbundene Verringerung der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf den Wert von 43,75 Stun­den sowie die Erhöhung des vorgeschriebenen Mindestbruttolohnes.

Auffällig ist bereits auf dem VII. Parteitag, auf wel­ chem E. Honecker hinter W. Stoph und W. Ulbricht erst an drit­ter Stelle referierte, die stärkere Orientierung der Partei auf die "Beachtung des Gesamtzusammenhangs und der Wechselbezieh­ungen der politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und ideologischen Prozesse“88 Der bereits im SED-Programm von 1963 genannte Zusammenhang||verbesserter Arbeitsproduktivität und (21¿ischenl verbesserten Lebensbedingungen fand offensichtlich eine zunehmen­de Berücksichtigung nicht erst seit dem mit dem VIII. Partei­tag eingeleiteten ideologischen Wandel.

II.3. ökononn sehe_Probleme_gegen Ende_der_sechziger_Jahre

Der wirtschaftlichen Entwicklung eines sozialistischen Staats­wesens im Vergleich mit anderen, ni cht-sozi a 1 i s ti sehen Staaten wurde in der kommunistischen Ideologie seit Beginn des "real­existierenden Sozialismus", also seit Lenin, die bedeutendste Rolle in der weltweiten Auseinandersetzung mit dem kapitalist­ischen System eingeräumt. Ein Zitat Lenins aus dem Jahre /-32/ belegt eindrucksvoll diese Sichtweise. "Der Kampf ist im Welt­maßstab auf dieses Gebiet (der Wirtschaft)89 übertragen. Lösen wir diese Aufgabe, dann haben wir im internationalen Maßstab bestimmt und endgültig gewonnen. Deshalb erlangen die Fragen des wirtschaftlichen Aufbaus für uns eine ganz. außerordentliche Bedeutung."90

Das "Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagen­studium" konkretisiert die Bedeutung der Ökonomie in seiner 1989 erschienenen 15. Auflage wie folgt. "..., daß die Ökono­mie für die Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Ka­pitalismus eine große und wachsende Bedeutung hat: in den sozialistischen Ländern ist die Entwicklung der Wirtschaft und die Steigerung der ökonomischen Leistungsfähigkeit die zentrale Frage der Gesellschaftspolitik, um die wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung immer besser zu befriedigen und die Anziehungskraft des Sozialismus zu erhöhen.91

Das Lehrbuch "Staatsbürgerkunde", konzipiert als "Einfüh­rung in die marx i s 11 sch-т 1 en 1 n i st i sehe Philosophie" für Schü­ler der Klassen 10 und der Abiturstufe, behauptet in seiner 3. Auflage von 1985 ganz im Sinne der idealtypisehen klassi­schen Theorie von Marx und Engels, daß der Sozialismus die - Sorge um das materielle und geistige Wohl des Menschen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stelle. Der darge­stellte ideologische Konflikt zwischen Sozialpolitik und So­zialismus wird also auch zu Zeiten einer längst offiziell an­erkannten sozialpolitischen Gesetzgebung noch teilweise be­stärkt. Im Weiteren wird der Sozialismus - offensichtlich in Anwendung der von Honecker entwickelten These von der "Einheit von Sozial- und Wirtschaftspolitik" - als "realer Humanismus" bezeichnet, und dieser wiederum wird unmittelbar mit der Öko­nomie in Verbindung gebracht: "Sein Humanismus (der des Sozia- lisnuis)· 92 ist real, weil er durch die Einbeziehung der Men­schen in die Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben immer bes­sere Bedingungen für ihre Persönlichkeitsentwicklung schafft. Realer Humanismus erfordert folglich auch ständiges ökonomisch­es Wachstum zum Wohle des Menschen. Da das im Sozialismus ge­währleistet wird, insbesondere durch die Einheit von Wirtschafts· und Sozialpolitik, stimmen Ökonomie und Humanismus hier über­ein.93

Durch diese auch offiziell seit dem VIII. und insbesondere seit dem IX. Parteitag (Mai 1976) verkündete Ideologie von der "Einheit von Wirtschafts- und Soziapolitik" wurde prak­tisch eine direkte Verbindung zwischen Sozialismus und Öko­nomie geschaffen. Mögliche Gefahren dieser Sichtweise, näm­lich insbesondere die zwangsläufig damit verbundene Möglich­keit einer "Rückentwicklung" des Sozialismus in Phasen wirt­schaftlicher Stagnation, wurden in die Überlegungen offensicht­lich nicht einbezogen. Eine wirtschaftliche Rezessionsphase und damit zusammenhängende soziale Probleme, die auch in einer Planwirtschaft nicht auszuschließen sind, mußten somit immer auch als eine Gefahr für den Sozialismus in der DDR gesehen werden. Die sozialistische Ideologie und ihre positive Ent­wicklung in der DDR waren aber - wie bereits dargestellt - als Grundlage für die Legitimation einer eigenstaatlichen Ex­istenz des Zweiten deutschen Staates unentbehrlich. Eine wirt­schaftlich negative Entwicklung bedeutete also immer auch eine gleichzeitige Existenzbedrohung des Staates, insbeson­dere aufgrund der direkten Vergleichsmöglichkeiten mit dem westdeutschen Staat. Sie mußte aus Sicht der Machthaber in der DDR also unter allen Umständen vermieden werden. '

Die nach dem Tode won E. Apel eingestellten wirtschaftlichen Reformen im Rahmen des NöS machten eine spätestens auf dem VII. Parteitag festzuleg deologische Neuorientierung auf wirtschaftlichem Gebiet erforderlich. Diese beschränkte sich dann aber auf eine vage Abkehr vom NöS, die praktisch auf eine neue Bezeichnung hinaus lief, sowie auf die "kom­plexe sozialistische Rationalisierung einschließlich^ihrer höchsten Stufe, der Automatisierung ganzer Prozesse" 94

Dieser angstrebte Weg des Wirtschaftswachstums über die "kom- plexe Rationalisierung" wurde im Februar 1968 in einem Beschluß des Politbüros zu Durchführung von 88 zum Teil sehr anspruchs­vollen Automati sierungsVorhaben in ausgewählten Betrieben kon­kretisiert. G. Mittag, ehemaliger Sekretär der Wirtschafts­kommission beim Politbüro und Sekretär des Volkswirtschafts­rates und seit 1966 Mitglied im Politbüro, hatte an diesem Beschluß, welcher laut Gerhard Naumann und Eckhard Trümpler _ "ohne umfassende Prüfung ... der notwendigen Voraussetzungen"95 ergangen war, maßgeblichen Anteil. Allerdings darf bei dieser Feststellung nicht verschwiegen werden, daß W. Stoph und auch W. Ulbricht in ihren Referaten auf dem VII. Parteitag 96 die ideologischen Grundlagen für diese sich später als verhängnis­voll erweisende Entscheidung zur Hervorhebung der Automati­sierung bereits gelegt hatten. So hatte Stoph feststellen müs­sen, daß hochproduktive Maschinen und Anlagen in Betrieben der Elektrotechnik nur zu 54 % ausgelastet waren 97 Die verbesser­te Ausnutzung vorhandener Kapazitäten sowie die Suche nach wei­teren Rationalisierungs- und Automatisierungsmöglichkeiten waren die offensichtlichen Folgen der Diskussionen des VII. Partei tag s.

Neben der Vernachlässigung anderer Formen und Methoden der Rationalisierung führte der ehrgeizige Automatisierungsbeschluß vom Februar 1968, der im übrigen zusätzlich zu dem bestehenden Perspektivplan durchgeführt werden mußte und im Hinblick auf ^ eine möglichst positive Wirtschaftsbilanz zum 20.Jahrestag der DDR (Oktober 1969) erlassen worden war, zu weiteren Dispro­portionen in der Volkswirtschaft. Der auf dem VII. Parteitag noch von W. Ulbricht selbst betonte Zusammenhang zwischen der Förderung sogenannter "strukturentscheidender Haupterzeugnis-' se"98 einerseits und Gewährleistung der Proportionen der Volks Wirtschaft andererseits fand bereits im darauffolgenden Jahr offensichtlich keine Berücksichtigung mehr. Auf der 9. Tagung des ZK im Oktober 1968 begründete Ulbricht den Beschluß des Politbüros vom Februar mit dem Ziel "eine starke Basis der industriellen und landwirtschaftlichen Pro­duktion schaffen zu wollen, auf deren Grundlage ... alle Trieb­kräfte der neuen Ordnung wirksam werden und die Überlegenheit unseres sozialistischen Gesellschaftssystems gegenüber West- deutsch land weithin sichtbar wird 99 Wie bereits 10 Jahre zuvor100

ließ sich der Erste Sekretär der SED wiederum durch sein Wunschziel der Überholung des westdeutschen Nachbarn auf wirt­schaftlichem Gebiet zu falschen Handlungen verleiten. Die nach dem Urteil von Naumann/Trümp1 er als "zweifellos richtig" be- zeichnete wirtschaftliche Orientierung101 des VII. Partei­tags wurde ungeprüft nach oben korrigiert ohne zu merken, daß dies einem Wunschdenken anstatt den realen Möglichkeiten der DDR entsprach. Trotz der positiven Wirtschaftsentwicklung in den Jahren 1963 bis 1967 lag der Rückstand der DDR zur durch­schnittlichen Arbeitsproduktivität in der BRD genauso wie gegen Ende der fünfziger Jahre immer noch bei rund 30 Prozent102

Der Anfang 1968 eingeleitete Kurswechsel in der Wirtschafts­politik fand seine Konkretisierung in den Volkswirtschafts­plänen für die Jahre 1968 und 1969. Hierin wurde als Haupt­weg für die Entwicklung der Volkswirtschaft die "komplexe Ra­tional isierung durch Automatisierung und Mechanisierung103 festgeschrieben. Die damit zwangsläufig verbundenen Kosten für den Import von Maschinen und Ausrüstungen sowie die da­raus folgende Verschlechterung der Außenhandelsbilanz wurden vom Politbüro bewußt in Kauf genommen.

Im Rahmen der optimistischen Stimmung des 20. Jahrestages der Existenz der DDR berichteten die Medien der Republik aus­führlich von den Automatisierungen, von denen 87 erfolgreich gelöst worden seien104 · Der Preis, welcher für diese vermeint­lichen Erfolge gezahlt werden mußte, nämlich unter anderem die Verdoppelung der Verschuldung gegenüber der BRD im Jahr 1969 im Vergleich zum Vorjahr, blieb unerwähnt. Unmittelbar vor der 12. Tagung des ZK der SED im Dezember 1969 fasste das Sekreta­riat des Zentralkomitees trotz offensichtlich bestehender Ver­sorgungsengpässe in bestimmten Wirtschaftsbereichenl105 den Beschluß, weitere 183 Automatisierungsvorhaben zu realisieren bzw. vorzubereiten. 90 davon sollten bis zum VIII. Parteitag, der für April 1971 geplant war, zum Abschluß gebracht werden. Das Tempo der Einführung der Automatisierungen sollte im Ver­gleich zum Automatisierungsbeschluß vom Februar 1968, der fast zwei Jahre zuvor erfolgt war, also noch gesteigert wer­den .

Auf der darauffolgenden 12. Tagung des ZK der SED wurde dieser von Naumann/Trümpler als "schwerwiegend" bezeichnete Be­schluß des Sekretariats bestätigt. Der destabilisierende Kurs in der Wirtschaftspolitik wurde also fortgesetzt, obwohl Hon­ecker sich laut einer Schrift von 1970 über mögliche Folgen einer solchen Politik offensichtlich im Klaren war: die 1969 verwirklichten Automati sierungsVorhaben konnten "natürlich im Wesentlichen nur auf Kosten anderer Aufgaben zusätzlich in den Plan aufgenommen werden""106.

Im Bericht des Politbüros an die 12. Tagung des ZK wurde zwar von "beträchtlichen Rückständen" und "erheblichen Beein­trächtigungen" gesprochen; diese Disproportionen in der volks­wirtschaftlichen Gesamtentwi ck 1 ungjfaber nicht als entschei dend /|уи/г/рл/ angesehen. Das Politbüro sprach sich in diesem Bericht dafür aus, "künftig einen noch größeren Teil des Nationaleinkommens für die Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolu­tion zu verwenden"107. Der Volkswirtschaftsplan für das Jahr 1970 sah dementsprechend etwa 60 Prozent der gesamten Industrie­investitionen für die geplanten Automatisierungen vor. Die Mehr­heit der Betriebe, für die keine Automatisierungen vorgesehen waren, mußte mit dem Rest der Mittel auskommen; hier notwendi­ge Rationalisierungsmaßnahmen mußten aufgrund der geringen Finanzmittel zumeist unterbleiben.

G. Mittag forderte in seinem Referat zu den Fragen des Volks­wirtschaftsplans der DDR 1970 dazu auf, "durch höhere Leistungen die Belastungen zu überwinden, die ... der Volkswirtschaft ent­standen sind"108. Als Gründe für die "Belastungen" gab er in diesem Zusammenhang den letzten Winter und eine Dürreperiode an; tatsächlich sollte der anstehende Winter noch größere Prö- bleme mi t s ichbringen. Der Dezember 1969 , der Zeitraum in wel­chem der damalige Sekretär des ZK G. Mittag sein Referat hielt, wurde später von den Meteorologen als der kälteste Dezember auf dem Territorium der DDR seit 1893 beurteilt.

[...]


1. Vgl. W.-R. Leenen (1977), S. 13.

2. Zit. G. Winkler ( 1989 ), S. 11.

3. Vgl. Programm der SED von 1976 , Kap. Ί./ιη: QÜ 7/W, S. ¥7% f-.

4. Vgl. dazu Ani. 1 bzw. die Per i od i s i e rиng im Parteiprogramm der SED von 1963. '

5. Vgl. Def. "Intelligenz" in "DDR-H andbuch " (Kö1n 1979 ), S. 539.

6. Vgl. dazu tab. Darstellung im "Statistischen Jahrbuch der DDR 1978", S. 84 (Anteil der Arbeiter- und Angestelltengruppe an der Gesamtzahl der Berufstätigen am 30.09.77: 89,1 %); "Stat. Jahrbuch der DDR 1983", S. 108 (Anteil der Arbeiter und Ange¬stellten 89,4 %); M. Kos sok u.a. ( 1984), S. 296 zum VIII. Parteitag der SED: "Ihrer sozialen Herkunft nach kamen 76,8 % der (teilnehmenden) Mitglieder aus der Arbeiterklasse."

7. E. Richert, Zur Funktion der Ideologie in der DDR nach 1971, in: "Deutschland Archiv" (DA) 7/74, S. 713.

8. Vgl. beispielsweise die Darstellung der Auseinandersetzungen auf der 14. ZK-Tagung vom Dez. 1970 bei M. Kossok (1984), S. 294.

9. Hier ist insbesondere der Begriff "Imperialismus" gemeint! Weitere Ausdrücke wie z.B. "Klassenkampf", "Arbeiterklasse", "Bourgeoisie" etc. sind zwar ebenso unzeitgemäß, sollen aber nach entsprechender Kenntlichmachung Verwendung finden.

10. Def. n. Geigant, Sobotka, Westphal; Lexikon der Volkswirt-schaften; München 3. Aufl. 1979.

11. Festlegung von M inde sta 1 te r, Arbeitszeitbeschränkung, Verbot der Sonntagsarbeit für Fabrik- und Bergarbeiter.

12. Vgl. Anm. 10.

13. E. v. Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozi alwissen- schaft (HDSW), Bd. 9, Göttingen 1956, S. 543.

14. Diese Aussage bedeutet nicht, daß staatliche Sozialpolitik erst nach der Entstehung der marxistischen Ideologie einsetzte; das "Kommunistische Manifest", eine der ersten wichtigen Veröffent-lichungen von K. Marx, entstand 1848, d.h. nach Erlaß der er¬sten Sozialgesetzgebung in Preußen.

15. "Egalité, Liberté, Fraternité".

16. 19. Jahrhundert.

16. a) Dabei ist zu beachten, daß es sich um sehr unterschiedliche Maßnahmen handelte. Während in Deutschland ein Sozialver-sicherung ssystem entstand, wurde in Großbritannien neben Ei nze1gesetzen zur Verbesserung von Gesundheit, Arbeitszeit und Unterbringung der Arbeiter insbesondere die Anerkennung und das Streikrecht der Gewerkschaften durchgesetzt. Nach Einschätzung von R. Blake in seinem Buch Uber B. Disraeli (London 1969) bildeten diese Maßnahmen des 2. Disrae1i-Kabi- netts die "größte soziale Reform, die eine (brit.) Regierung im 19. Jhd. jemals erlassen hat". Ein echtes Sozi a 1 ver s iche- rungssystem wurde in England erst 1911 unter Schatzkanzler D. Lloyd George etabliert.

17. Dies sind neben dem Staat vorwiegend Verbände und Betriebe.

18. Vgl . HDSW, Bd. 9, S. 542.

19. Vg1. Anm. 10.

20. in: "Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932", Berlin 1939, zit. n. Winkler (1989), S. 13.

21. Winkler (1989), S. 18.

22. unzeitgemäßer Terminus, vgl. Anm. 9.

23. Vgl. Winkler (1989), S. 12.

24. ebd.

25. in: "Marx-Engel s-Werke" (MEW), Bd. 18, Berlin 1962 , S. 209f f., v^I.ehJ..

26. Vgl. Winkler (1989), Inhaltsverzeichnis sowie Ani. 1 dieser Arbeit.

27. ebd.

28. Als Auslöser hierfür kann die Habilitationsschrift von Helga Ulbricht von 1965 angesehen werden ("Aufgaben der sozialist¬ischen Sozialpolitik bei der Gestaltung der sozialen Sicher¬heit in der DDR", Leipzig 1965).

29. Winkler (1989), S. 9.

30. ebd., S. 10.

31. Erg. d. Verf..

32. Winkler (1989), S. 16/17.

33. Vgl. H. Ulbricht (1965), S. 62, in: Leenen (1977), S. 20.

34. Linderung von Kriegsfolgen, Neuordnung der Sozialversicherung u . a . .

35. Vgl. G. Mittag u.a., Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR, Berlin 1969, S. 188ff., in: Lee¬nen (1977), S. 49.

36. Vgl. Leenen (1977), S. 18.

37. ebd., S. 20ff. .

38. H. Ulbricht (1965), S. 62, zit. n. Leenen (1977), S. 22.

39. febd ;, S. 38 u. 52, zit. n. Leenen ( 1 97 7 ), S. 23.

40. Vgl. Anm. 28.

41. Benennungen und Zeiteinteilung n. Leenen (1977), S. 20ff..

42. Vgl. G. Tietze u.a., Die Entwicklung der betrieblichen Sozial¬politik und die Aufgaben der Gewerkschaften, S. 361ff. in:· "Arbeitswissenschaft" 5/1969, in: Leenen (1977), S. 28.

43. Vgl. S. 25.

44. in: Protokoll der Verhandlungen des VII. Parteitages der SED, Bd. 1, Berlin 1967, S. 239/240, zit. n. Winkler (1989), S. 107.

45. So wurde die Kranken- und Rentenversicherung in England unter Premierminister Asquith und Schatzkanzler Lloyd George u.a. aufgrund der Forderungen der Birminghamer Handelskammer nach einer gesunden Arbeiterschaft eingeführt. Als Begründung wurde genannt, eine gesunde Arbeiterschaft sei effizienter und pro¬fitabler (...für den Unternehmerl).

46 W Ulbricht, Zum ökonomischen System des Sozialismus in der DDR, Bd. 2, Berlin 1969, S. 530f., zit. n. Weber (1987), S. 297.

47. Vgl. z. B. M. Kossok (1984), S. 296: "...zwischen Sozialismus und Kommunismus ... gibt es keine starren Grenzen".

48. Bezeichnung und Per iodi sierung der Entwicklungsphasen n. Winkler.

49. Vgl. Anm. 28.

50. Vgl. Winkler (1989), S. 253.

51. Vgl. Leenen ( 1 97 7 ) , S. 20.

51. a Nachdem am 10.06.1 945 die Sowjetische Mi 1 itäradmin i s t r a tion in Deutschland (SMAD) in ihrem "Befehl Nr. 2" die Bildung und Tätigkeit "an t i fa sc h i s tisch-demokr a tischer " Parteien, "freier" Gewerkschaften u. anderer "Massenorganisationen der Werk¬tätigen" gestattet hatte, bildeten sich innerhalb von vier Wochen die ersten vier Nachkriegsparte i en Deutschlands: die KPD unter Ulbricht und Pieck, die SPD unter 0. Grotewohl, die CDU unter 0. Nuschke u. A. Hermes und die LDPD unter W. Külz. Vgl. dazu J. Hacker ( 1983), S. 261 u. H. Weber (1991), S. 21 ff. .

52. Vgl. "Vorwärts und Aufwärts - Wege und Ziele der LDPD", Berlin 1 945 , S. 54ff., in: Weber ( 1987 ), S. 40.

53. "Der Morgen", Tageszeitung der LDPD vom 01.03.1949, zit. n. Weber (1987), S. 137.

54. "Berliner Tagung der Union 15. bis 17.06.1946 - Die Entschließ-ungen", Berlin o. J. (1946), S. 2f., zit. n. Weber (1987), S.82.

55. "Dokumente und Materialien zur Sozialpolitik in der antifa-schistisch-demokratischen Umwälzung 1945-1949", Berlin (Ost) 1984, S. 2 28f., zit. n. Weber ( 1987), S. 117.

56. Hier sind SPD und KPD gemeint; beide vereinigten sich im April 1946 zur SED.

57. Hier sind CDU und LDPD gemeint. Die SED erreichte bei den Land-tagswahlen vom 20.10.1946 lediglich 47,5 % der Stimmen und da-mit keine absolute Mehrheit! Vgl. dazu J. Hacker (1983), S. 270.

58. Abschnitt H., Art. 71,1; zit. n. Weber (1987), S. 93.

59. Vgl. S. 14.

60. O.V. (1946), Entwurf zu einem sozialpolitischen Programm der SED", S. 1, in: "Grundsatzmaterl al zur Sozialpolitik 1 946-1 949", zit. n. Unterlagen der Stiftung Archiv der Parteien und Massen-organisationen der DDR Im Bundesarchiv, Berlin.

61. Vgl. z. B. das Parteiprogramm der SED von 1963; die Entwick-lungsstufeneinteilung nach Winkler ( 1989), Inhal tsverzeiclvni s ; 0. Reinhold, Probleme der übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, in: "Einheit" 4/1970 , S. 428ff..

62. aus dem Parteiprogramm der SED von 1963, zit. n: Weber (1987), S. 266/267.

63. Vgl. H. Ulbricht (1965), S. 62, in: Leenen (1977), S. 20.

64. ebd.

65. G. Winkler bezeichnet dies als "wichtigstes Gesetz nach der Verfassung"; es garantiert ein "Recht auf Arbeit" u. erstmals auch einen mehrwöchigen Schwangerschaftsurlaub; vgl. Winkler (1989), S. 269.

66. Vgl. Weber (1987), S. 237.

67. ebd., S. 156.

68. Vgl. S. 16.

69. Vgl. S. 18.

70. Zit. Peter C. Ludz, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Informationen zur politischen Bildung, Heft 205, S. 7, Bonn 1984.

71. Vgl. E. Richert, Die Sowjetzone in der Phase der Koexistenz, Hannover 1961, S. 18, in: Weber (1991), S. 90.

72. Der Staat war in erster Linie durch den Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus legitimiert; nach dem in der Sowjetunion unter Generalsekretär M. Gorbatschow begonnenen Versuch einer "Demokratisierung" des sozialistischen Systems und dem damit eingeleiteten Zusammenbruch des "real existie¬renden Sozialismus" war der DDR die Existenzgrundlage entzogen.

73. Vgl. Weber (1987), S. 257.

74. Vgl. ND, Sonder be i 1 age vom 16.07.1963.

75. Die "Staatliche Plankommission" (SPK) ist das zentrale Organ des Ministerrates für die Planung der Volkswirtschaft und die Kontrolle der Plandurchführung.

76. Erg. d. Verf . .

77. ND, Sonderbeilage v. 16.07.63 , zit. n. Weber ( 1987 ), S. 2 75f..

78. W. Ulbricht, zit. n. "DDR-Handbuch" (Köln 1979), S. 802.

79. Hacker (1983), S. 730.

80. ebd.; J. Hacker überschreibt das Kapitel, aus welchem hier zitiert wurde, mit dem bezeichnenden Titel:"DDR - Wachsende Diskrepanz zwischen ökonomischer Stärke und Anlehnungsbedürf¬nis an den Kreml".

81. Vgl . Weber ( 1987 ), S. 2 57.

82. Vgl . Weber ( 1987 ), S. 267.

83. Der Volkswirtschaftsrat war seit 1963 das zentrale Organ für die Ausarbeitung u. Durchführung des Volkswirtschaftsplans der Industrie der DDR. Er entstand 1961 durch Ausgliederung aus der SPK. G. Mittag war als Mitglied des ZK 1961/62 im Volkswirt¬schaftsrat tätig; E. Apel in gleicher Stellung bei der SPK.

84. Zit. n. "DDR-Handbuch" (Köln 1979), S. 804.

85. Vgl. Leenen (1977), S. 26. ·

86. Vgl. S. 11, Anm. 40.

87. seit 1976 "Akademie für Gesellschaftswissenschaften" (AfG).

88. Winkler (1989), S. 313.

89. Erg. d. Verf..

90 W I. Lenin auf der X. Gesamtrussischen Konferenz der KPR (B) im Mai 1921, in: Werke, Bd. 32, S. 458, zit. n. H. Richter u.a. (1989), S. 893.

91. H. Richter u.a. (1989), S. 893.

92. Erg. d. Verf . .

93. AfG (1985), S. 436.

94. W. Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED, zit. n. Naumann/ Trümp1er ( 1990), S . 12 . 

95. Naumann/Trümp1 er ( 1990), S. 12.

96. W. Ulbricht, Die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR bis zur Vollendung des Sozialismus; W. Stoph, Die Durchfüh¬rung der volkswirtschaftlichen Aufgaben.

97. Vgl. Weber (1991), S. 120.

98. W. Ulbricht auf dem VII. Parteitag, zit. n. Naumann/Trümpler (1990), S. 10.

99. W. Ulbricht, Die weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, Refereat auf der 9. Tagung des ZK der SED, Berlin 1968, S. 3, zit. n. Naumann/Trümp1 er ( 1990), S. 10/11, im Folg, kurz N./Tr..

100. Vgl. S. 19.

101. Vgl . N./Tr. ( 1 990), S. 10.

102. ebd., S. 11.

103. Vgl. Gesetze über den Vo 1 k swirtscha ftsp 1 an 1968 u. 1969, in; N./Tr. (1990), S. 13.

104. Vgl. N./Tr. (1990), S.13.

105. So z. B. im landwirtschaftlichen Bereich (es mußten Getrei¬de, Kartoffeln u.a. importiert werden!) und im Wohnungsbau.

106. E. Honecker, Mit dem Blick auf das Jahr 2000 die Aufgaben von heute lösen, Berlin 1970, S. 26, zit. n. N./Tr. (1990), S. 15.

107. Bericht des Politbüros an die 12, Tagung des ZK der SED, 12 ./ 13.12.1969, Berlin 1969, S. 8, zit. n. N./Tr. ( 1990), S. 14.

108. Vgl. G. Mittag, Fragen des Vo 1 kswirtschaftsplans der DDR 1 970 , Referat auf der 12. Tagung des ZK der SED, Berlin 1969, S. 6, zit. n. N./Tr. (1990), S. 14.

Ende der Leseprobe aus 120 Seiten

Details

Titel
Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zum historischen Zusammenhang eines Leitbegriffs der DDR in der Ära Honecker
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Neuere Geschichte)
Note
3
Autor
Jahr
1993
Seiten
120
Katalognummer
V232441
ISBN (eBook)
9783656489771
ISBN (Buch)
9783656492962
Dateigröße
26746 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit 20-seitigen Anlagen aus dem ehemaligen Zentralen Parteiarchiv der SED (jetzt Stiftung Archiv der Parteien u. Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv), diese stehen zusätzlich als eigene Datei kostenfrei zur Verfügung ("Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik -Anhang" unter der Archivnummer V232444)!
Schlagworte
DDR, Sozialpolitik, Wirtschafts- und Sozialpolitik
Arbeit zitieren
M.A. Frank Oelmüller (Autor:in), 1993, Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zum historischen Zusammenhang eines Leitbegriffs der DDR in der Ära Honecker, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232441

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