Lion Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo". Die Darstellung Jehuda Ibn Esras


Seminar Paper, 2009

21 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Darstellung des Judentums in Lion Feuchtwangers Romanwerk
2.1. Der Stoff „Esther“
2.2. Der Stoff „Die schöne Jüdin“
2.3. Intentionen für Die Jüdin von Toledo

3. Figurenanalyse des Jehuda Ibn Esra
3.1. Der Jude Jehuda
3.2. Der Friedensstifter Jehuda

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit ist die Analyse einer Romanfigur aus Lion Feuchtwangers Werk Die Jüdin von Toledo. Nach einer kurzen Erläuterung des Stellenwertes des Judentums in Feuchtwangers Schaffen folgen Überblicke über die Stoffgeschichte und die Intention für den Roman. Der Hauptteil widmet sich der Darstellung des jüdischen Ministers Jehuda Ibn Esra, vor allem dessen Rolle als entschiedener Repräsentant des Judentums und des Friedens.

2. Die Darstellung des Judentums in Lion Feuchtwangers Romanwerk

In Feuchtwangers gesamtem Werk spielt das Judentum eine wesentliche Rolle. Es ist Nachweis für Feuchtwangers intensive persönliche aus seinem Elternhaus stammende Beziehung zur jüdischen Kultur und Religion[1], die er im Unterschied zu vielen anderen jüdischen Deutschen nie ablegen wollte.[2] Das Thema Judentum ist dabei häufig verwoben mit den Problemen Krieg vs. Frieden, Macht vs. Intellekt, Judentum vs. Christentum, kulturelle Identitätskrisen durch das zersplitterte Leben als religiöse und kulturelle Minderheit in der Diaspora[3] und die daraus entstehende Auseinandersetzung zwischen jüdischem Nationalismus vs. Kosmopolitismus[4].

Von seinen 16 Romanen enthalten mindesten sieben jüdische Hauptfiguren, die ausdrücklich am Handlungsgeschehen beteiligt sind. Zudem lässt er oftmals jüdische Nebenfiguren auftreten und verwendet eine Vielzahl von Gleichnissen und Zitaten aus dem Alten Testament. Ein typisches Merkmal Feuchtwangers jüdischer Hauptfiguren ist hierbei, dass ihnen ihre jüdische Identität als quälende Erschwernis, aber auch als Stärke bewusst wird, vor allem nach schwierigen Entscheidungsprozessen.[5]

Wie beim Umgang mit allen historischen Stoffen in seinem Werk, versucht Feuchtwanger dabei, jene Stoffe nicht nur vor alttestamentarischem Hintergrund zu analysieren, sondern durch sie auch Verbindungen zur Gegenwart zu ziehen oder Erklärungen für historische Prozesse zu finden.[6] Die Intention, die das Judentum in all diesen Werken vermittelt, ist der Wunsch nach menschlichem, gerechtem und friedlichem Handeln. Dieser „letztliche[...] Sieg der Vernunft“[7] entspringt für Feuchtwanger aus den Lehren des Judentums, das der Überzeugung ist, Gott habe dem Menschen die Eigenschaft vermittelt, Gutes verrichten zu können, und welches gleichzeitig die Erbsünde, die den Menschen von Geburt an mit Schuld belastet und für schlecht erklärt, ablehnt.[8] Durch diese Lehren, und auch durch die Erfahrungen der Diaspora, sieht Feuchtwanger das Judentum befähigt, eine Vermittlerrolle zwischen der östlichen und westlichen Kultur einzunehmen.[9]

2.1. Der Stoff „Esther“

Ein jüdischer Stoff, der Lion Feuchtwanger viele Jahre inspiriert hat, ist die Geschichte der Esther aus dem gleichnamigen Buch im Alten Testament. So schreibt er im Vorwort seines hier zu behandelnden Romans Die Jüdin von Toledo folgendes:

Jahrzehnte hindurch hat mich die Geschichte jener Hadassa beschäftigt, die, von dem persischen Großkönig Ahasver zu seiner Königin erhöht, unter dem Namen Esther ihr Volk, die Juden, vom sicheren Untergang rettete.[10]

Damit belegt er nicht nur, wie schon erwähnt, sein jahrelanges Interesse an der jüdischen Religion im Allgemeinen und am alttestamentarischen Buch „Esther“ im Besonderen. Er bezeugt auch Anteilnahme an der tragischen Geschichte der Juden, seines Volkes, die als Minderheit zum Teil versteckt lebten, missverstanden und gedemütigt wurden. Eine eigene literarische Bearbeitung der „Esthergeschichte“ beendet er nie[11], aber den Stoff des Buches „Esther“ greift er in vielen seiner Werke, wie zum Beispiel in den Romanen Jud Süß, Jefta und seine Tochter und in Die Jüdin von Toledo auf. In der alttestamentarischen Vorlage ist neben der Jüdin Esther, die vom König Xerxes aufgrund ihrer Schönheit zu seiner Gemahlin auserkoren wurde, ihr Cousin und Vormund Mordechai von besonderer Bedeutung. Er ermöglicht ihren Aufstieg zur Königin, indem er sie bittet, ihre jüdische Abstammung vorerst zu verschweigen. Er ist es auch, der ihr Amt für Vorsehung hält, um „die Juden aus dieser Bedrohung [durch Haman] zu retten“[12] und sie ermutigt, sich für ihre Landsleute einzusetzen und damit beträchtlichen Anteil an der Rettung der Juden vor ihrer völligen Auslöschung hat. Lion Feuchtwanger gibt der Figur des Mordechai in mehreren seiner Werke eine Gestalt, wobei seine literarischen Figuren natürlich weitaus vielschichtiger sind als die knapp skizzierten biblischen Vorlagen. Er ist z.B. der Jude Süß in Jud Süß, der Jefta in Jefta und seine Tochter, und im hier zu besprechenden Roman Die Jüdin von Toledo der Kaufmann und Minister Jehuda Ibn Esra.

2.2. Der Stoff „Die schöne Jüdin“

Lion Feuchtwanger übernimmt diesen Stoff und verarbeitet ihn auf einer ähnlichen sozialen Ebene in einem anderen historischen und kulturellen Kontext. Dabei greift er „stoffgeschichtlich auf eine Reihe berühmter Vorbilder, unter anderen auf Lope de Vegas und Franz Grillparzers literarische Bearbeitungen des Sujets der ‚Schönen Jüdin’ zurück“[13] und befasst sich insbesondere mit Lopes spätmittelalterlicher Quelle, der Chronik Alfonsos X. in der Crónica general von 1284[14], der mit großem Einfühlungsvermögen „von der Liebschaft seines Urgroßvaters [mit] der Jüdin erzählt“[15]. Diese beiden historischen Personen haben die literarischen Figuren Alfonso und Raquel in Die Jüdin von Toledo beeinflusst. Eines der Vorbilder für die Figur des reichen jüdischen Kaufmannes Jehuda Ibn Esra, der als raffinierter und einflussreicher Escrivano Mayor an den mittelalterlich-ritterlichen Hof des verschuldeten spanischen Königs Alfonso VIII. zieht und dessen marode Wirtschaft wieder aufblühen lässt, ist jedoch vermutlich die biblische Figur Mordechai.

Die früheren Bearbeitungen dieser spanischen Chronik, wie z.B. die Romanze des Lorenzo Sepúlveda von 1511, die zwei literarischen Fassungen Lopes de Vegas von 1609 und 1616, Johann Christian Brandes Rahel, die schöne Jüdin (1790) oder die bis dahin beachtlichste Behandlung des Stoffes in Grillparzers Jüdin von Toledo (1873), stellen die beiden jüdischen Hauptakteure jedoch auffallend negativ dar. Die schöne Jüdin, immer Rahel, Rachel oder Raquel genannt, und ihre jüdische Bezugsperson, die nicht immer ihr Vater ist, sondern auch ihr Vormund oder ein Zauberkünstler sein kann, tragen in den meisten Fassungen negative Charakterzüge, welches vor allem bei den spanischen Bearbeitungen als Ausdruck des zu jener Zeit in Spanien verbreiteten Judenhasses zu verstehen ist. Raquel ist unter anderen Verführerin und jüdische Spionin. Ihre Vaterfigur tritt im Laufe der unterschiedlichen Jüdin -Fassungen mehr und mehr als habgieriger Zuhälter auf.[16] Unleugbar stehen im Zentrum der Handlung der von der Jüdin verführte Alfonso und seine christliche Religion, obwohl die Titel ausnahmslos eine Jüdin ankündigen.[17] Tanja Kinkel fasst dies folgendermaßen zusammen:

Man kann das Fazit ziehen, daß bei allen in sich verschiedenen Behandlungen dieses Stoffes vor Feuchtwanger, die meistens den Titel „Die Jüdin von Toledo“ trugen, über Jahrhunderte hinweg eine Gemeinsamkeit vorherrschte: Um wen es nicht ging, das war die Jüdin von Toledo. Und wessen Perspektive bestimmt nicht eingenommen wurde, das war die der Juden.[18]

2.3. Intentionen für Die Jüdin von Toledo

Lion Feuchtwanger schafft also mit seiner Bearbeitung des Jüdin -Stoffes erstmals ein literarisches Werk, das sich besonders um die Sichtweise der Juden in der Tragödie um das Liebesabenteuer des Königs Alfonso bemüht. Dabei teilt er jedoch mit seinen literarischen Vorgängern den Fakt, dass der Titel zwar eine Jüdin ankündigt, sie aber genau genommen wieder nicht die Hautfigur ist. Die Hauptfigur ist ihr Vater Jehuda Ibn Esra, der jüdische Minister des Königs. Raquel, die Jüdin, wird, ungewollt, auf Wunsch des Königs und mit Erlaubnis ihres Vaters die Geliebte des Königs Alfonso.[19] Feuchtwanger benutzt Raquel nur als Medium. Mit ihr gelingt es ihm, auf persönlicher Ebene in einem Einzelschicksal zu dramatisieren, welche Opfer ein Einzelner, der jüdische Minister Jehuda Ibn Esra, aufbringen muss, um als Jude zu überleben und beruflichen Erfolg zu erzielen. Auf einer höheren, nationalen, Ebene zeigt dieses Beispiel, wie hoch der Einsatz ist, den das heimatlose Volk der Juden im Allgemeinen zahlen muss, um friedlich leben zu können. Auf einer noch abstrakteren Ebene verdeutlicht Feuchtwanger, welche Hürden zu überwinden sind, um Frieden zu schaffen, da ritterlicher Ruhm und Ehre, die allein durch kriegerische Auseinandersetzungen zustande gekommen sind, noch immer die an sich zivilisierte menschliche Gesellschaft, die zwar von den philanthropischen Lehren der griechischen Antike und des Alten und Neuen Testaments geprägt ist, beeindrucken.[20] In seinem Nachwort äußert sich Feuchtwanger dazu wie folgt:

Zwei Pfeiler sind es, pflegt man zu sagen, auf denen unsere Zivilisation steht: das humanistische Bildungsideal der Griechen und Römer und der jüdisch-christliche Moralkodex der Bibel. Mir scheint, es lebt in unserer Zivilisation ein drittes Erbe fort: die Ehrfurcht vor dem Heldentum, dem Rittertum. Das liebevoll ehrfürchtige Bild des christlichen Ritters, wie das Mittelalter es malte, ist noch keineswegs verblaßt. Noch immer gilt als der höchste Ruhm die Glorie des Helden, des Kriegers.[21]

Für Feuchtwanger gilt es, das Wesen des vernunftwidrigen Rittertums, das Ruhm durch Töten, Siege nur durch große menschliche Opfer erzielt, in seinem Roman zu erläutern. Er versucht jedoch, dies dadurch zu erreichen, dass er auch die prunkvollen Seiten des Rittertums ausführlich beschreibt, um dessen Anziehungskraft zu verdeutlichen, die aber letztendlich vernichtend ist. Er erklärt sein Vorhaben folgendermaßen:

Ich wollte dieses sinnlose Heldentum nicht etwa erklären, ich wollte seinen Glanz und Zauber lebendig machen, ohne doch sein Verderbliches zu verstecken. Sichtbar machen wollte ich, wie die Magie dieses Kriegertums sogar jene anzieht, die seine Verderblichkeit durchschauen.[22]

In einem Brief an Arnold Zweig aus dem Jahre 1954 erörtert Feuchtwanger die Intentionen, die er mit dem Roman verfolgt. Feuchtwanger erklärt, dass das zeitliche und räumliche Setting des Romans, das ausgehende 12. Jahrhundert auf der von Religionskriegen zwischen Islam und Christentum bestimmten spanischen Halbinsel, eine gute Möglichkeit bietet, um das vernichtende Wesen des Krieges und die Hürden, denen der Kampf um den Frieden begegnet, zu schildern.

Mich interessiert die Ablösung des feudal Kriegerischen durch den aufkommenden bürgerlichen Humanismus, der seltsamen Kämpfe zwischen dem überzivilisierten spanischen Islam und dem rohen und eleganten christlichen Rittertum und den Juden in der Mitte, der heilige Krieg, der Kreuzzug und die Judenverfolgungen, Geschehnisse, die so seltsam ineinandergreifen. Der innere Sinn ist die Darstellung der ungeheuern Anziehungskraft des Krieges, der sich nicht einmal die Gegner ganz verschließen können. Darstellen will ich also, welch ungeheure Widerstände der Kampf um den Frieden überkommen muß. Das Schicksal meines jüdischen Ministers Jehuda Ibn Esra wiederholt auf einer sehr viel höheren geistigen Ebene das Schicksal des Jud Süß.[23]

Doch von besonderer Bedeutung ist die Schilderung derjenigen Kräfte, die für den Frieden plädieren. Sie sollen dem kriegerischen Rittertum entgegengesetzt werden.

[...]


[1] vgl. Sternburg von,Wilhelm: Lion Feuchtwanger. Ein deutsches Schriftstellerleben, S. 42-58.

[2] vgl. Vaupel, A.: Zur Rezeption von Exilliteratur und Lion Feuchtwangers Werk in Deutschland, S.61.

[3] vgl. Fraiman, Sarah: Judaism in the Works of Beer-Hofmann and Feuchtwanger, S. 111.

[4] vgl. Vaupel, A: Zur Rezeption von Exilliteratur und Lion Feuchtwangers Werk in Deutschland, S.81.

[5] vgl. Vaupel, A: Zur Rezeption von Exilliteratur und Lion Feuchtwangers Werk in Deutschland, S.66.

[6] vgl. Feuchtwanger, Lion: Vom Sinn und Unsinn des historischen Romans, S. 2.

[7] Vaupel, Angela: Zur Rezeption von Exilliteratur und Lion Feuchtwangers Werk in Deutschland, S.63.

[8] vgl. Vaupel, A: Zur Rezeption von Exilliteratur und Lion Feuchtwangers Werk in Deutschland, S.62.

[9] vgl. Fraiman, Sarah: Judaism in the Works of Beer-Hofmann and Feuchtwanger, S. 114.

[10] Feuchtwanger, Lion: Nachwort zu Die Jüdin von Toledo. S. 437.

[11] vgl. Feuchtwanger, Lion: Nachwort zu Die Jüdin von Toledo. S. 438-439.

[12] Bibel, Esther 4, Vers 14.

[13] Vaupel, A.: Zur Rezeption von Exilliteratur und Lion Feuchtwangers Werk in Deutschland, S. 41.

[14] vgl. Kinkel, Tanja: Naemi, Ester, Raquel und Ja'ala, S. 87.

[15] Feuchtwanger, Lion: Nachwort zu Die Jüdin von Toledo. S. 440.

[16] vgl. Kinkel, Tanja: Naemi, Ester, Raquel und Ja'ala, S. 87-90.

[17] vgl. Kinkel, Tanja: Naemi, Ester, Raquel und Ja'ala, S. 91.

[18] Kinkel, Tanja: Naemi, Ester, Raquel und Ja'ala, S. 91.

[19] vgl. Kinkel, Tanja: Naemi, Ester, Raquel und Ja'ala, S. 92.

[20] vgl. Feuchtwanger, Lion: Nachwort zu Die Jüdin von Toledo, S.441.

[21] Feuchtwanger, Lion: Nachwort zu Die Jüdin von Toledo, S.441.

[22] Feuchtwanger, Lion: Nachwort zu Die Jüdin von Toledo, S. 440.

[23] Feuchtwanger, Lion: Briefwechsel: 1933-1953, S. 231.

Excerpt out of 21 pages

Details

Title
Lion Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo". Die Darstellung Jehuda Ibn Esras
College
University of Leipzig  (Germanistik)
Course
PS "Deutsch-Jüdischer/Jüdisch-Deutscher Dialog"
Grade
1,0
Author
Year
2009
Pages
21
Catalog Number
V233337
ISBN (eBook)
9783656496878
ISBN (Book)
9783656504931
File size
512 KB
Language
German
Keywords
lion, feuchtwangers, jüdin, toledo, darstellung, jehuda, esras
Quote paper
Maja Schulze (Author), 2009, Lion Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo". Die Darstellung Jehuda Ibn Esras, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233337

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