Krimiserien als Spiegelbild der Gesellschaft. Der schmale Grad zwischen Fiktion und Fakten

Warum der „Tatort“ eine Protestwelle bei den Aleviten auslöste


Dossier / Travail, 2008

17 Pages, Note: 1,8


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung
1.1.Problemstellung
1.2. Zielsetzung
1.3. Vorgehensweise

2. Der Tatort
2.1. Gründe für die Popularität

3. Krimiserie als Spiegelbild der Gesellschaft
3.1. „Wem Ehre gebührt“ (inhaltliche Einführung)
3.2. Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit
3.3. Exkurs über das Alevitentum
3.3.1. Definition
3.3.2. Alevitische Lehren als Ausgrenzungsmerkmale
3.3.3. Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Aleviten

4. Reaktionen der Aleviten auf den Tatort
4.1. Darstellung der alevitischen Familie
4.2. Kritik von Aleviten

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

Tausende Anhänger der alevitischen Glaubensgemeinschaft demonstrierten am 30. 12. 2007 in Köln gegen eine am 23.07.2007 ausgestrahlte „Tatort“-Folge (vgl. Stegers: 2007). Ursache für die Proteste war, dass sich die Folge „Wem Ehre gebührt“ alter Vorurteile gegen die Aleviten aus dem Osmanischen Reich bedient habe, indem sie einen Inzestfall innerhalb einer alevitischen Familie darstellte (vgl. ebd.). Die türkischen Aleviten fühlen sich dadurch in ihrer Menschenwürde verletzt, da sie, obwohl sie sich zum Islam bekennen, von den Sunniten als „unislamisch“ nicht akzeptiert und seit Jahrhunderten wegen ihrer Glaubensvorstellungen diskriminiert werden. „Es geht uns nicht darum, dass ein Alevit der Attentäter ist. Wir fühlen uns verletzt, weil dieser Inzest-Vorwurf etwas ist, mit dem orthodoxe Sunniten seit Jahrhunderten Aleviten verfolgt haben“ (Toprak zit. n. Stegers: 2007).

1.2. Zielsetzung

In dieser Arbeit soll am Beispiel der ,,Tatort“-Folge „Wem Ehre gebührt“ untersucht werden, ob und inwieweit Krimiserien als Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit verstanden werden können. Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen:

- Wie wurde die alevitsiche Familie in der Serie dargestellt?
- War es realitätsnahe?
- Welche Vorurteile wurden rekonstruiert?
- Wie gingen die Ermittler damit um?
- Welchen Anspruch erhebt die Serie selbst?

1.3. Vorgehensweise

Im 1. Kapitel wird die Problemstellung der türkischen Aleviten gegenüber der Krimiserie Tatort beschrieben und das Ziel dieser Arbeit vorgestellt.

Das 2. Kapitel beginnt mit einer skizzenhaften Darstellung des „Tatort“ als Kultserie. Eine Einführung in den Inhalt der Folge „Wem Ehre gebührt“, sowie eine Analyse über die Frage, ob sich in dem Inhalt die Wirklichkeit widerspiegelt sind Bestandteile des 3. Kapitels. Des Weiteren wird in diesem Kapitel ein kurzer Überblick über das Alevitentum gegeben. Das 4. Kapitel untersucht, ob die Darstellung der alevitischen Familie der Realität entspricht und durchleuchtet, weshalb sich die in Deutschland lebenden Aleviten verschmäht fühlen. Die Zusammenfassung im Hinblick auf die zentralen Fragen dieser Arbeit folgt im 5. Kapitel.

2. Tatort

2.1. Gründe für die Popularität

Der „Tatort“ wurde am 29.11.1970 zum ersten Mal im Ersten Deutschen Fernsehen ausgestrahlt (vgl. Graf 1998: 12). Zu Beginn der Krimireihe wurde sie nur einmal monatlich gesendet, während man sich heute bis zu drei Sendungen an Sonntagen anschauen kann (vgl. ebd.). Der ,,Tatort“ ist nicht nur eines der ältesten Programme des Ersten Deutschen Fernsehens, er gilt auch als „eine der großen Erfolgsgeschichten des Fernsehens“ (Graf 1998: 4).

Doch wie konnte sich diese Krimireihe über dreißig Jahre lang so erfolgreich behaupten und sich fest im Fernsehen der Bundesrepublik etablieren? Welchen Reiz übt der Sonntagskrimi auf die Zuschauer aus?

Im Gegensatz zu vielen anderen Krimiserien ist der ,,Tatort“ in seiner visuellen Ästhetik eher einfach inszeniert (vgl. Wacker 2000: 10). Die Programmmacher legen viel mehr Wert auf die Geschichten, die sich in verschiedenen Lokalitäten abspielen. Die Dramaturgie einer Geschichte dreht sich vor allem um einen Mord und die Motive. Zudem werden aktuelle, sowie gesellschaftsrelevante Themen, wie beispielsweise Rassismus oder soziale und menschliche Konflikte in den Vordergrund gestellt. Es scheint, dass der „Tatort“ die Nähe zur Realität sucht, so werden reale Gerichtsakten als Quellenmaterial für die Drehbücher herangezogen (vgl. Wacker 2000: 10). Aus dramaturgischen Gründen werden die Inszenierungen der Verbrechen umgeändert, doch bleiben sie trotzdem „so präzise gehalten, daß es [...] als Vorlage für ein echtes Verbrechen dienen könnte (ebd.). Die Gewalt im ,,Tatort“ steht nicht so sehr im Zentrum, vielmehr werden die Ursachen durchleuchtet weswegen ein Individuum einen Gewaltakt vollzieht.

Abgesehen davon, dass die Zuschauer gefallen daran finden gemeinsam mit den Kommissaren ein Verbrechen aufzuklären, besteht die Faszination der Krimireihe wohl darin, dass es sich um realitätsnahe Geschichten handelt. Es sind Handlungen, die jedem im wirklichen Leben zustoßen könnten (vgl. ebd.: 8). „Dass die Schauplätze an denen die Kommissare ermitteln „wahrhaft wieder erkennbare Orte sind“ (ebd.: 6), macht die Serie für die Rezipienten noch sympathischer.

In dieser Arbeit soll es allerdings darum gehen, dass der „Tatort“ mit der Folge „Wem Ehre gebührt“ nicht nur für Unterhaltung gesorgt hat, sondern auch für Proteste, die sich gegen die Ausstrahlung richtete. Im folgenden Kapitel wird zunächst eine kurze inhaltliche Einführung in die Folge gegeben, bevor dann die wesentliche Aufgabe darin bestehen wird, eine Analyse vorzunehmen.

3. Krimiserie als Spiegelbild der Gesellschaft

3.1. „Wem Ehre gebührt“

Der Fall dreht sich um den Mord einer jungen Deutschtürkin alevitischen Glaubens. Zunächst nimmt man an, es wäre ein Selbstmord, doch Kommissarin Lindholm wird in ihrem Verdacht, durch die Schwester der Ermordeten, Selda, bestärkt es sei ein Mord gewesen. Anfangs glaubt die Ermittlerin, das Motiv wäre ein Ehrenmord, der von dem Ehemann der Verstorbenen verübt worden ist. Sie selbst hat scheinbar selbst große Angst ermordet zu werden, da sie ein Kind erwartet.

Erst nach einigen Ermittlungen schließt Lindholm doch aus, dass der Ehemann seine junge Frau ermordet hat, weil sie ihn angeblich verlassen wollte. Sie vermutet nun einen Komplott zwischen Selda und ihm. Dieser Verdacht resultiert daraus, dass Selda sich vehement weigert den Namen des Vaters preiszugeben und die Kommissarin Sachen von Selda in der Wohnung ihres Schwagers entdeckt. Daher vermutet Lindholm, dass der Schwager der Erzeuger des Kindes ist und um zusammen sein zu können, hätten sie Afife, ermordet. Enttäuscht und verzweifelt über die Vermutung der Kommissarin, versucht Selda sich das Leben zu nehmen, das in der letzten Sekunde von ihrem Vater verhindert werden kann, was allerdings zu einer Fehlgeburt führt. Durch die Obduktion des toten Babys kommt der Fall zum Abschluss. Die Ermittler stellen fest, dass die Zeugung des Kindes durch Inzest zustande gekommen ist. Lindholm weiß sofort, dass der eigene Vater seine Tochter missbraucht hat und nun ist auch klar, dass er seine älteste Tochter ermordet hat, weil diese ihn wegen dem Inzest anzeigen wollte.

Das kommende Kapitel beschäftigt sich anhand dieser Folge, ob in dem Krimi die sozikulturelle Gesellschaft reflektiert wird bzw. ob sie darauf rekonstruiert ist.

3.2. Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit

Als Hauptkommissarin Charlotte Lindholm in das Gesicht der jungen toten Frau, türkischer Herkunft blickt, steht für sie fest, dass es ein Mord gewesen sein muss, obwohl alles auf einen Selbstmord hindeutet. Ihr Zweifel liegt darin begründet, dass sie der Deutschtürkin bereits einen Tag vor deren Tod zufällig begegnet war, als Lindholm sie in einem Moment der Unachtsamkeit beinahe angefahren hätte. Bei diesem Vorfall konnte sie beobachten, wie die Frau sich mit einem jungen türkischen Mann stritt. Was ihr außerdem verdächtig vorkommt, ist ein gepackter Koffer, welches sie zu der Annahme verleitet, dass die Tote, Afife, ihren Ehemann verlassen wollte und dieser sie daher ermordet hat. Da es sonst keine Indizien für einen Mord gibt, möchte die Kommissarin, dass die Leiche von der Gerichtsmedizin untersucht wird. Allerdings stößt sie damit auf Ablehnung, sowohl bei ihrem türkischen Kollegen als auch bei ihrem Vorgesetzten.

Ihr Chef begründet seinen Einwand damit, dass es keine stichfesten Indizien gibt die auf eine Ermordung hindeuten würden. Des Weiteren wirft er ein, dass Muslime die Verstorbenen möglichst kurz nach dem Tod beerdigen und dies zu Protesten führen könne, wenn sich die Obduktion als nutzlos erweisen sollte. Er möchte ausdrücklich einen Konflikt mit muslimischen Migranten vermeiden.

Vorgesetzte: „Der Islam ist aufgeladen.“ („Wem Ehre gebührt“)

Diese Szene weist auf die gesellschaftlichen Zustände hin, welche auf die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 zurückzuführen sind. Seit diesem Zeitpunkt steht es sehr heikel um das Thema „Islam“.

Auch ihr türkischer Kollege, der Kommissar Atilla Aslan, geht von einem Suizid aus. Er wirft ihr permanent ein Klischeedenken vor:

„Eine junge Türkin stirbt, dann war es Ehrenmord.“ („Wem Ehre gebührt“)

Lindholm lässt sich jedoch nicht beirren von ihrer Vermutung, als dann auch noch Selda, die Schwester der mutmaßlich Ermordeten, sie anruft und ihr sagt, es sei ein Mord gewesen, fühlt sie sich in ihrem Verdacht bestärkt und ermittelt gegen den Willen ihres Vorgesetzten weiter. Dabei stößt sie immer wieder auf neue Erkenntnisse, nicht nur was den Fall angeht, sondern auch was die türkische Kultur angeht, über die sie nicht allzu viel Kenntnis zu haben scheint, wie man beispielsweise in einer Szene sehen kann, in der sie die Familie des Opfers besucht.

Beim Hausbesuch bei der Familie des Opfers prallt Lindholm mit einer vom Islam geprägten Kultur zusammen. In dieser Szene öffnet ihr Akka, der Vater der Verstorbenen, die Tür. Sie will schon die Wohnung betreten, doch die Schuhe im Flur, sowie seine schweigsame Aufforderung die Schuhe auszuziehen, lassen sie verwirrt innehalten, bevor sie schließlich ihre Schuhe ablegt.

[...]

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Krimiserien als Spiegelbild der Gesellschaft. Der schmale Grad zwischen Fiktion und Fakten
Sous-titre
Warum der „Tatort“ eine Protestwelle bei den Aleviten auslöste
Université
University of Marburg  (Gesellschaftswissenschaften und Philosophie)
Note
1,8
Auteur
Année
2008
Pages
17
N° de catalogue
V233339
ISBN (ebook)
9783656496823
ISBN (Livre)
9783656497561
Taille d'un fichier
504 KB
Langue
allemand
Mots clés
krimiserien, spiegelbild, gesellschaft, grad, fiktion, fakten, warum, tatort, protestwelle, aleviten
Citation du texte
Alev Bayram (Auteur), 2008, Krimiserien als Spiegelbild der Gesellschaft. Der schmale Grad zwischen Fiktion und Fakten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233339

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