KORRUPTION in der Wissenschaft in Deutschland und in Bayern


Term Paper (Advanced seminar), 2004

34 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


A. Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist Korruption?
2.1. Korruption als Kulturphänomen
2.2. Anforderungen an eine Definition von Korruption
2.3. Zeitgenössische Korruptionskonzepte in den Sozialwissenschaften
2.3.1. Der Moralische Ansatz
2.3.2. Der Missbrauch-Vorteil-Ansatz (Public-Office-Centered Definitions)
2.3.3.Der Ökonomische Ansatz (Market-Centered Definitions)
2.3.4. Der Interessenverletzungsansatz (Public-Interest-Centered Definitions)
2.3.5. Mischformen
2.3.6. Eigenes Korruptionskonzept

3. Warum ist Korruption ein Problem?
3.1. Folgen politischer Korruption
3.1.1. Ökonomische Folgen
3.1.2. Soziale Folgen
3.1.3. Politische Folgen
3.2. Ursachen von Korruption

4. Korruption in Deutschland
4.1. Korruption in der BRD - Von Null auf Hundert?
4.2. Eine empirische Bestandsaufnahme von Korruption in der BRD
4.2.1. (Straf-)Gesetzliche Bestimmungen
4.2.2. Deutschlands Korruptionsniveau im internationalen Vergleich
4.2.3. Korruption innerhalb Deutschlands
4.2.4. Korruptionstypen
4.2.5.Sektorale Verteilung des deutschen Korruptionsvorkommens
4.2.6. Regionale Verteilung des deutschen Korruptionsvorkommens
4.3. Korruption in Bayern
4.3.1. Bayern und die Wettbewerbshypothese
4.3.2. Bayern und die Besoldungshypothese
4.3.3. Bayern und die Kulturhypothese

5. Fazit

B. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bereits Konfuzius beschwerte sich seinerzeit bitterlich über die fehlende Moral der Beamten, und für Platon zeichnete sich der ideale Staatsführer durch seine Unparteilichkeit aus, weshalb er vorschlug, diesen direkt nach seiner Geburt von Familie und Freunden trennen zu lassen. Für Aristoteles und Machiavelli war Korruption schließlich gleichbedeutend mit dem Verfall von Moral und Sittlichkeit sowie dem Untergang politischer Tugenden. Dieser kurze historische Rückgriff weist uns auf zweierlei Aspekte hin: Korruption keineswegs neu, sondern ein uraltes Phänomen der Menschheit. Wie die verschiedenen inhaltlichen Bestimmungen der herangezogenen „Klassiker“ zeigen, handelt es sich jedoch bei der Korruption um ein Phänomen, das nicht völlig losgelöst von Raum und Zeit existiert, sondern immer in einen spezifischen sozialen Kontext eingebettet ist. Auch wenn es Korruption also „schon immer“ gibt, stellt sie einen Sachverhalt dar, der in seiner Form, seiner Bewertung sowie in seinem Verbreitungsgrad variiert. Genau diese Varianzen stellen uns jedoch vor das Problem eine angemessen umfassende Definition des Korruptionsbegriffs zu finden, die vorzugsweise auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung Anwendung finden kann. Dieses Definitionsproblem wird in einem ausführlichen ersten Teil dieser Arbeit zur Sprache kommen. Im Zuge der Aufarbeitung des betreffenden Forschungsstandes soll eine eigene Begriffsbestimmung erarbeitet werden, die den nachfolgenden Kapiteln zugrunde gelegt wird. Im Anschluss an den definitorischen Teil, soll der Frage nachgegangen werden, warum Korruption überhaupt ein Problem darstellt. Hierzu wird ein kurzer Querschnitt des Forschungsstands zu den Ursachen und Folgen von Korruption erstellt werden. Der hierauf folgende inhaltliche Teil, wendet sich dann der Empirie zu. Wie korrupt ist die Bundesrepublik Deutschland? Neben einem internationalen, wird auch ein innerdeutscher Vergleich vorgenommen. Dabei wird festzustellen sein, dass gleich hinter den „üblichen Verdächtigen“ Berlin und Nordrhein-Westfalen, ausgerechnet Bayern die dritthöchste Zahl an Korruptionsverfahren verzeichnet. Der letzte Arbeitsteil wird deshalb versuchen, drei in der Literatur häufig vertretene Thesen zur Korruptionsentstehung an Bayern zu testen. Dabei sollen zwei komplementären Fragen nachgegangen werden. Ist Bayern korrupter als die meisten anderen Bundesländer? Und sind die „Mainstream-Thesen“ der Korruptionsforschung derzeit überhaupt in der Lage, dieses adäquat zu erklären?

2. Was ist Korruption?

2.1. Korruption als Kulturphänomen

Die Frage nach einer Definition von Korruption ist nicht nur für Forscher auf diesem Feld von Bedeutung, sondern auch von großer praktischer Relevanz. Wo hört beispielsweise Vetternwirtschaft auf, und wo fängt Korruption an? Oder stellt Vetternwirtschaft bereits eine Korruptionsform dar? Wann wird aus einem aus Dankbarkeit überreichtes Geschenk zu einem der Bestechung inhärenten quid pro quo ? Abgrenzungen sind offensichtlich schwer zu treffen und zudem werden die Grenzen zwischen korruptem und nicht-korrupten Verhalten je nach Kultur, historischer Epoche, Struktur der Gesellschaft, des politischen sowie des ökonomischen Systems recht unterschiedlich getroffen. Waren in der amerikanischen Geldaristokratie des 19. Jahrhunderts Kauf und Käuflichkeit von Amt, Titel und Einfluss noch mehr als üblich, nämlich „quasi-legal“ wenn man die Akzeptanz dessen in der Bevölkerung als Maßstab anlegt, so gilt in Kuba schon das Geben von Trinkgeld als Korruption. In Russland gilt Bestechung als „normal“ oder gar als unvermeidlich zur wirtschaftlichen Betätigung, und wird dem entsprechend mit wenig Nachdruck sowie ohne große Konsequenz geahndet. In Singapur dagegen wird die Bestechung eines Amtsträgers mit der Todesstrafe geahndet.

Diese Beispiele sollen genügen, um den Leser an die Problematik einer Begriffsbestimmung von Korruption als Sozial- oder Kulturphänomen heranzuführen. Nun sollen zunächst die Anforderungen an eine Korruptionsdefinition herausgearbeitet, und im Anschluss daran verschiedene sozialwissenschaftliche Definitionsversuche vorgestellt werden.

2.2. Anforderungen an eine Definition von Korruption

Eine Definition im Sinne einer Realdefinition besteht aus Aussagen über die Eigenschaften eines Phänomens in der Realität. Kulturphänomene, zu denen eben auch die Korruption gehört, stellen uns vor das Problem, dass sie nicht isoliert vom sozialen Kontext, welcher sie konstituiert bzw. ‚konstruiert’, betrachtet werden können, und daher eine gewisse Raum- und Zeitabhängigkeit aufweisen. Wie muss in Anbetracht dieser Schwierigkeiten eine Definition von Korruption aussehen, was muss sie erfüllen, und was dürfen wir von ihr erwarten? Zunächst muss ein definitorisches Konzept von Korruption adäquate, deskriptive und empirisch beobachtbare Aussagen über Korruption treffen. Dabei muss es sich sowohl durch Offenheit als durch Unabgeschlossenheit auszeichnen. Gesucht wird also eine Definition von Korruption, die durch ihre Offenheit und Unabgeschlossenheit möglichst viele Formen von Korruption in möglichst vielen sozialen Kontexten, also in möglichst vielen politischen Systemen sowie Zeitpunkten erfasst und dadurch ein breites Spektrum der Anwendbarkeit bietet[1].

2.3. Zeitgenössische Korruptionskonzepte in den Sozialwissenschaften

2.3.1. Der Moralische Ansatz

Der moralische Ansatz geht im weitesten Sinne auf Aristoteles zurück, und stellt damit das älteste Korruptionskonzept dar. Aristoteles befand die Abarten einer Regierungsform als korrupt. So war für ihn z.B. die Tyrannei die korrupte Form der Monarchie. Korruption ist im diesem Zusammenhang als Verfall der Moral, politischen Tugenden und als Zerfall institutioneller Strukturen zu verstehen. Im Kern geht es bei Aristoteles folgenden Ansätzen um das Abweichen von „guten“ Normen. So ist Korruption, ein Begriff aus dem Lateinischen für Verderbtheit, für Carl Friedrich „deviant behavior asscociated with a particular motivation“[2]. Einer ähnlichen Herangehensweise bedient sich Hans See, für den es sich um Korruption handelt wenn „ein Individuum, eine Gruppe oder eine ganze Gesellschaft sich ihre Ideale, religiösen und politischen Grundüberzeugungen […]ohne jede Not abkaufen lässt“[3]. Weiter sagt See, dass dieser moralische, sittliche oder auch ethische Korruptionsbegriff weitgehend dem entspräche was immer wieder als Sittenverfall beklagt werde.[4]

Ein interessanter Aspekt dieses Ansatzes besteht darin, dass Korruption nicht notwendigerweise auf Handlungen beschränkt bleibt, in welche öffentliche Amtsträger involviert sind. Er erfasst vielmehr ein breites Spektrum „unmoralischen Handelns“ wie z.B. unterschiedliche Formen der Wirtschaftskriminalität. Moralische Ansätze sind in der Forschung wie auch in der Praxis (z.B. Strafverfolgung) wenn überhaupt nur sehr eingeschränkt brauchbar, da sich ihre spezifischen Kategorien wie Werte, Moral, Ideale und Grundüberzeugungen nur schwer operationalisieren lassen. Das Urteil darüber, ob eine Handlung also norm – und moralabweichend sind oder nicht, bleibt also dem Betrachter überlassen, was nicht dem Charakter einer distinkten Realdefinition entspricht. Zudem sind auch Werte und Moral kultur- und zeitabhängig. Vergleichende Studien ließen sich dem entsprechend mit Hilfe dieses Ansatzes nicht bewerkstelligen.

2.3.2. Der Missbrauch-Vorteil-Ansatz (Public-Office-Centered Definitions)

Der Missbrauch-Vorteil-Ansatz zeichnet sich dagegen durch eine legalistische Herangehensweise aus. Ihm zufolge handelt es sich um Korruption, wenn eine (öffentliche oder als öffentlich betrachtete) Machtposition oder ein Amt missbraucht wird, um persönliche Vorteile zu erwirken. In diesem Sinne definiert David Bayley Korruption als „general term covering misuse of authority as a result of considerations of personal gain, which need not to be monetary“[5]. Der spezifische analytische Kern dieses Konzepts besteht ähnlich wie im moralischen Ansatz im Abweichen von Normen, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass es hier sich um das Abweichen von formalen Normen handelt. Zudem bedarf es einer korrupten Handlung nach diesem Ansatz zumindest eines öffentlichen Amtsträgers, der aufgrund seiner privaten Vorteilsnahme gegen die für seine Funktion festgelegten Verhaltensnormen verstößt und damit sein Amt missbraucht.

Der Vorzug dieses Ansatzes scheint offensichtlich in seiner Überprüfbarkeit und damit in seiner forschungstechnischen Praktikabilität zu liegen. Diese Herangehensweise arbeitet nämlich wie erwähnt mit formalen Normen, und diese sind, soweit vorhanden, dokumentiert, also überprüfbar. Die andere Seite der gleichen Medaille stellt sich weniger positiv dar. Denn auf den zweiten Blick zeigt sich dieses Korruptionskonzept als nur eingeschränkt praktikabel, da es ausschließlich bei artikulierten formalen Normen anwendbar ist. Dieses stellt sich vor allem für die Korruptionsforschung in Entwicklungs- und Transformationsländern als großer Nachteil heraus da hier oft eine Überlagerung der formalen Normen, soweit sie überhaupt vorhanden sind, von informellen Normen festzustellen ist.

2.3.3.Der Ökonomische Ansatz (Market-Centered Definitions)

Ökonomische Korruptionskonzeptionen zielen hingegen darauf ab, die Beschränkung in der Anwendbarkeit zu überwinden. Folglich löst sich der ökonomische Ansatz von der Normfixierung der anderen Ansätze und ersetzt diese durch die Kategorie des Marktverhaltens. Korruption wird als Marktverhalten von Funktionsträgern definiert und weiter als ökonomische Transaktion zwischen öffentlichem und privatem Markt, wodurch der private Markt an Einfluss über öffentliche Entscheidungsprozesse gewinnt, während der korrupte Amtsträger seinerseits, ökonomischen „Gesetzen“ folgend, den Ertrag seines öffentlichen Amtes zu maximieren sucht.

Indessen muss sich jegliche Bewertung des ökonomischen Ansatzes vor dem Hintergrund seiner Entstehung vollziehen. Denn „[d]efinitions in terms of the theory of market have been developed particularly by those authors dealing with earlier western and contemporary non-western societies, in which the norms governing public officeholders are not clearly articulated or are nonexistent”[6]. Nähme man diese Motivation als Maßstab, so könnte man den ökonomischen Ansatz als gelungen bezeichnen, da er sich auch bei nicht dokumentierten Normen, also auch in der Entwicklungsländerforschung als anwendbar erweisen zu scheint. Allerdings gilt es zu bemängeln, dass das ökonomische Konzept nicht-materielle Vorteilsnahme nur mangelhaft zu erfassen und zu erklären vermag. Weiterhin wird hier der soziale Kontext also der gesellschaftliche Bezug einer vermeintlichen Breite der Anwendbarkeit geopfert. Ein völlig vom gesellschaftlichen Bezug abstrahierter Korruptionsbegriff, der in allem nur Marktverhalten sieht, ignoriert die kulturphänomenale Eigenschaft von Korruption als Verhaltenskategorie. Wer sich völlig von Normen als abwendet und – mal als abhängige, mal als unabhängige Variable - nur noch Marktverhalten zulässt, dem geht durch das Fehlen des gesellschaftlichen Bezugs, das „Falsch“ und „Richtig“ einer Verhaltenskategorie verloren. Wie lässt sich unter diesen Umständen noch Korruption messen? Zudem scheint die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Markt je nach Untersuchungsgegenstand nur in der Theorie zu funktionieren. Forscher, die Länder wie z.B. Russland zum Gegenstand haben, sprechen in diesem Zusammenhang von einem „administrativen Markt“ wenn sie auf die empirisch beobachtbare Überlappung beider Märkte verweisen wollen.[7] Mit der Wahl des Begriffs „administrativer Markt“ wollen Politikökonomen darauf aufmerksam machen, dass die analytisch Trennung zwischen den beiden genannten Märkten empirisch (in manchen Ländern) nicht existiert, sondern lediglich einer, eben der Administrative, in dessen Rahmen sich permanent Transaktionen vollziehen. In einem solchen Setting könnte sich dann selbst der ökonomische Ansatz doch wieder gezwungen sehen auf legalistische Normen zurückzugreifen, um Korruption zu beobachten. Per se ist die analytische Trennung zwischen privatem und öffentlichem Markt jedoch gar nicht so banal und unbrauchbar. Das kann man daran sehen, dass es Korruption in genau zwei Fällen nicht geben kann, nämlich bei „nur Staat“ und „nur privater Markt“. Gäbe es z.B. ein allumfassendes, freilich nicht realisierbares, totalitäres Regime, das unter perfekter Kontrolle alles Private ins Öffentliche überführen und damit auch jede privatwirtschaftliche Aktion verbieten würde, so könnte es keine Korruption geben. Genauso wenig gäbe es sie, bei einem totalen privaten Markt bei gleichzeitigem Fehlen von Staatlichkeit. In diesem Falle hätten wir es bei jedweder Aktion tatsächlich nur mit einer rein ökonomischen Tauschhandlung von Gütern und Dienstleistungen zu tun. Als Hauptkritik des ökonomischen Ansatzes sei jedoch nochmals zusammenfassend auf den fehlenden gesellschaftlichen Bezug sowie auf die fehlende Berücksichtigung nicht-materieller Vorteile verwiesen.

2.3.4. Der Interessenverletzungsansatz (Public-Interest-Centered Definitions)

Für Vertreter einer weiteren Richtung stellt sich der Missbrauch-Vorteil-Ansatz als zu eng, sowie der ökonomische Ansatz als zu weit gefasst dar. Sie stellen ihrerseits das Konzept öffentlichen Interesses in den Mittelpunkt ihrer Korruptionsanalyse. Damit ist der Interessenverletzungsansatz im Gegensatz zum Missbrauch-Vorteil-Ansatz wesentlich stärker output-orientiert, wobei er sich jedoch auch dessen Missbrauchselement zueigen macht. Deshalb erscheint es in gewissem Maße eklekizistisch wenn z.B. Carl Friedrich sagt: „The pattern of corruption can be said whenever a powerholder is charged with doing certain things, i.e., who is a responsible functionary or officeholder is by monetary or other rewards not legally provided for, induced to take actions which favour whoever provides the rewards and thereby does damage to the public and its interests”[8]. Friedrichs Eklektizismus führt zu der berechtigten Frage, ob es dieser Herangehensweise tatsächlich gelingt, die Begrenzungen des eher legalistischen Ansatzes zu überwinden, da er sich eben doch nicht nur auf den Output (Verletzung des öffentlichen Interesses) konzentriert, sondern sich zusätzlich der Konzeption des öffentlichen Amts- bzw. Funktionsträgers bedient, der gegen die seiner Rolle zugeschriebenen Verhaltensnormen verstößt. Andere Vertreter dieses Ansatzes hingegen machten neben der Verletzung des öffentlichen Interesses, Korruption weniger am normabweichenden Verhalten des Amtsträgers fest. Vielmehr legten sie ihr Augenmerk auf die Input-Legitimation der Tätigkeit derer, die auf den Politik- und Entscheidungsprozesses einwirken. In dieser Tradition (z.B. Amitai Etzioni) wird zwischen den Interessengruppen unterschieden, um korruptes von nicht-korrupten Verhalten zu unterscheiden. Demnach gibt es öffentliche Interessengruppen, die breite Gesellschaftsschichten repräsentieren. Diese fokussieren nicht zuvorderst spezielle Geld- oder geldwertige Interessen. Demgegenüber verfolgen ‚spezielle Interessengruppen’ Partikularinteressen, die meist an bestimmte geltwerte Erwartungen gekoppelt sind. Wenn letztere den politischen Entscheidungsprozess in ihrem Sinne beeinflussen, gehen die Vertreter dieses Konzeptes soweit dieses als korrupt zu bezeichnen, da diese Partikularinteressen das Gemeinwohl verletzen. Der vorliegende Ansatz benutzt also in dieser Prägung das Konzept des öffentlichen Interesses „to delegitimate particularily large-scale business financing of political activity by attaching the label of corruption to legal or quasi-legal activities”[9].

Zweifelsohne ist diese Herangehensweise problematisch, da die Frage nach der Repräsentativität und gesellschaftlichen Legitimation von Interessensgruppen nicht ohne weiteres mit der Frage nach korrupten und nicht-korrupten Verhalten gleichgesetzt werden darf. Eine wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis ist, dass je spezieller und intensiver ein Interesse ist, was auf Partikularinteressen nun einmal zutrifft, desto höher ist dessen Durchsetzungsvermögen gegenüber dem politischen Entscheidungsprozess. Natürlich kann dieses durchgesetzte Partikularinteresse auch dem Gemeinwohl bzw. öffentlichen Interesse entgegenstehen. Ob dies aber den „Tatbestand“ der Korruption erfüllt sei dahingestellt. Zwischen Lobbying eines Verbandes, das zu einer (transparenten) Regierungsentscheidung führt, welche diesem Verband zugute kommt, und Korruption scheinen doch auch noch Grenzen zu verlaufen. Aber auch wenn man nur die gemäßigteren, die Verletzung das öffentlichen Interesses in das Zentrum rückende Vertreter betrachtet stellt sich die Frage danach, wie sich das öffentliche Interesse überhaupt erst definieren und dann operationalisieren lässt. Es hängt doch offensichtlich vom Auge des Betrachters ab. Im Gegensatz zum ökonomischen Ansatz zeichnet sich der Vorliegende jedoch positiv durch den klaren gesellschaftlichen Bezug aus.

2.3.5. Mischformen

Neben den vorgestellten Korruptionsansätzen gibt es eine Reihe von Mischformen, die Elemente aus verschiedenen Herangehensweisen mit einander kombiniert oder neue hinzufügt.

Manche Autoren vertreten dabei die Ansicht, dass Korruption nicht isoliert von Wirtschaftskriminalität betrachtet werden sollte. So ist für Michael Wiehen Korruption zunächst das Ausnutzen einer Machtposition zum eigenen Vorteil. Der Vorgang muss aber nicht zwangsläufig einen öffentlichen Amtsträger involvieren. Entscheidend ist für ihn, dass es einen Täter „mit Entscheidungsbefugnis über öffentliche oder private Belange“ gibt „und einen Täter, der diese Entscheidungsbefugnis beeinflussen will, um eine bestimmte Entscheidung in seinem Interesse herbeizuführen“[10]. Für ihn ist es aber ebenso Korruption, wenn nur zwei privatwirtschaftliche Akteure beschließen durch Absprache den Wettbewerb auszuhebeln. Für Hans See ist schließlich die analytische Trennung von Korruption und Wirtschaftkriminalität eine politische Trennung, um vom funktionalen Zusammenhang zwischen beiden abzulenken. Seiner Meinung nach ist Korruption das Symptom von Wirtschaftskriminalität und wird von letzterer verursacht[11]. Selbst die Korruptionsdefinition von Transparency International (TI), eine explizit zur Bekämpfung von Korruption gegründete internationale Nicht-Regierungsorganisation, geht nicht von einer zwangsläufigen Involvierung eines öffentlichen Amts- oder Funktionsträgers aus, sondern beinhaltet auch das abgesprochene, wahrscheinlich geheime Zusammenspiel von zwei Akteuren zu Lasten (vieler) anderer[12].

[...]


[1] Erst ein breites Spektrum der Anwendbarkeit ermöglicht beispielsweise die vergleichende Forschung.

[2] Friedrich in Heidenheimer/Johnston/Le Vine 1997: 3.

[3] See in FES 1995:117.

[4] Ebd.: 118.

[5] Bayley in Heidenheimer/Johnston/Le Vine 1997: 9.

[6] Ebd.: 9.

[7] Prof. Dr. Sebastian Heilmann in einem Vortrag am 10.01.2001 zum Thema „Politische Korruption“ an der Universität Trier [private Mitschrift der Verfasserin].

[8] Friedrich in Heidenheimer/Johnston/Le Vine 1997: 10.

[9] Ebd.

[10] Wiehen 2001: 15.

[11] See in FES: 113.

[12] Die vollständige Definition von TI lautet: „Unter Korruption wird gewöhnlich das Ausnutzen einer Machtposition zum eigenen Vorteil, aber zum Schaden vieler anderer, oder aber auch das abgesprochene Zusammenspiel von zwei Akteuren verstanden, die sich rechtswidrig private Vorteile zu Lasten Dritter verschaffen“. Jantzer in Netzwerkrecherche/Transparency International/Bund der Steuerzahler 2002: 77.

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Details

Title
KORRUPTION in der Wissenschaft in Deutschland und in Bayern
College
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Grade
2,0
Author
Year
2004
Pages
34
Catalog Number
V23741
ISBN (eBook)
9783638268035
File size
1018 KB
Language
German
Notes
Übersicht Forschungsstand der Korruptionsforschung, Korruption in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung Bayerns
Keywords
KORRUPTION, Wissenschaft, Deutschland, Bayern
Quote paper
Patricia Becker (Author), 2004, KORRUPTION in der Wissenschaft in Deutschland und in Bayern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23741

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