[...] Mit diesem
ersten elementaren Schritt in Richtung eines europäischen Verfassungsvertrages wid ein
neues, bedeutendes Kapitel im europäischen Integrationsprozess aufgeschlagen. Art. 23
GG greift das in der Präambel des Grundgesetzes aufgestellte Gebot „in einem vereinten
Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ auf, und konkretisiert diesen allgemeinen
Mitwirkungsauftrag im Lichte der aktuellen Entwicklung der europäischen Integration.1
Gleichzeitig werden der an die zuständigen deutschen Bundesorgane gerichteten
Integrationsermächtigung aber auch Grenzen gesetzt. So stellt Art. 23 I S. 1 GG eine
materielle Schranke der Integrationsermächtigung dar indem er verfassungsrechtliche
Anforderungen an die Europäische Union in Form von Strukturprinzipien bestimmt.2 Die
sogenannte „Strukturklausel“3 fordert dass die Union, an deren Fortentwicklung die
Bundesrepublik mitwirkt, „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen
Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist“.
Es stellt sich nun die Frage, inwieweit der Verfassungsentwurf die hier
verankerten föderalen Grundsätze verwirklicht und ob die gegebene Verwirklichung den
Anforderungen der Strukturklausel des Art. 23 I S. 1 GG genügt. Dies soll im Zuge einer
vierteiligen Gliederung der Arbeit beantwortet werden. Nach einer eingehenden
Bestimmung der Anforderungen und der Bedeutung der „föderativen Grundsätze“
gemäss Art. 23 1 S. 1 GG, soll untersucht werden an welchen Stellen und in welcher
Form diese im Verfassunsgentwurf Ausdruck finden. Hierzu wird zunächst die Regelung
des allgemeinen Verhältnisses der Union zu den Mitgliedstaaten im Verfassungsentwurf
dargelegt. Sodann wird die Ausgestaltung der vertikalen Kompetenzabgrenzung
untersucht. Da diese Einfluss auf den binnenstaatlichen Föderalismus der Bundesrepublik
Deutschland nimmt, wird hier zu einer zweiten Bedeutungsebene des föderativen
Prinzips übergeleitet, nämlich dem Schutz der föderalistischen Struktur Deutschlands als
weiterem „Schwerpunkt der Sicherung föderaler Strukturen im Sinne der Struktursicherungsklausel“.4 Im Fazit soll abschliessend beurteilt werden, inwieweit die
herausgearbeitete Ausgestaltung der föderativen Grundsätze im Verfassungsentwurf den
Anforderungen des Art. 23 I S. 1 GG genügt.
1Classen,Rdn.1; Schmalenbach, S. 56.
2Jarass,Rdn.7; Rojahn, Rdn. 4; Streinz, Rdn. 12;
3Rojahn,Rdn.17; Streinz, Rdn. 15; auch „Struktursicherungsklausel": Brockmeyer,S.589 ff.;
Schmalenbach,S.58 ff..
4Schmalenbach,S.71.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Föderative Grundsätze gemäß Art. 23. I S. 1 GG
- II. Das Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten im Verfassungsentwurf
- 1. Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten
- 2. Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit
- 3. Unionstreue
- 4. Vorrang des Unionsrechts
- 5. Ausscheiden einzelner Mitgliedstaaten
- III. Die Ausgestaltung der vertikalen Kompetenzverteilung
- 1. Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 9 E-VVE
- 2. Arten von Zuständigkeiten nach Art. 11 E-VVE
- a) Die ausschließliche Zuständigkeit
- b) Die geteilte Zuständigkeit
- c) Die Koordinierung der Wirtschafts- und beschäftigungspolitik
- d) Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
- e) Die ergänzende Kompetenz
- IV. Schutz der föderalistischen Struktur Deutschlands
- 1. Grundsatz der Subsidiarität
- 2. Schutz der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung
- 3. Der Ausschuss der Regionen
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Ausgestaltung der föderativen Grundsätze gemäß Art. 23 I S. 1 GG im aktuellen europäischen Verfassungsentwurf (E-VVE). Die Arbeit analysiert, ob die im Entwurf verankerten Prinzipien den Anforderungen der „Strukturklausel“ des Art. 23 I S. 1 GG gerecht werden, welche die Einhaltung demokratischer, rechtsstaatlicher, sozialer und föderativer Grundsätze sowie des Subsidiaritätsprinzips in der EU fordert.
- Die Bedeutung und Relevanz der föderativen Grundsätze im Kontext des europäischen Integrationsprozesses
- Die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten im Verfassungsentwurf
- Die vertikale Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten, insbesondere im Hinblick auf den deutschen Bundesstaat
- Die Sicherung der föderalistischen Struktur Deutschlands und der Schutz der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung
- Die Relevanz des Subsidiaritätsprinzips für den Schutz des föderalen Prinzips
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit, die Ausgestaltung der föderativen Grundsätze im europäischen Verfassungsentwurf, vor. Sie erläutert die Bedeutung des Art. 23 I S. 1 GG für die Europäische Integration und die Anforderungen, die dieser Artikel an die EU stellt.
Kapitel I definiert die föderativen Grundsätze im Sinne des Art. 23 I S. 1 GG und erklärt ihre Bedeutung für das Verhältnis zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie den Schutz des deutschen Bundesstaates.
Kapitel II untersucht das Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten im Verfassungsentwurf. Es analysiert die Regelungen zur Achtung der nationalen Identität, zur loyalen Zusammenarbeit, zur Unionstreue, zum Vorrang des Unionsrechts und zum Ausscheiden einzelner Mitgliedstaaten.
Kapitel III befasst sich mit der Ausgestaltung der vertikalen Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten. Es analysiert den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und die verschiedenen Arten von Zuständigkeiten, die im Verfassungsentwurf vorgesehen sind.
Kapitel IV untersucht den Schutz der föderalistischen Struktur Deutschlands im Verfassungsentwurf. Es beleuchtet den Grundsatz der Subsidiarität, den Schutz der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung und die Rolle des Ausschusses der Regionen.
Schlüsselwörter
Föderative Grundsätze, Art. 23 I S. 1 GG, Europäischer Verfassungsentwurf, E-VVE, Subsidiaritätsprinzip, Kompetenzverteilung, Verhältnis Union-Mitgliedstaaten, Schutz des deutschen Bundesstaates, Strukturklausel, nationale Identität, loyale Zusammenarbeit, Unionstreue, Vorrang des Unionsrechts, Ausscheiden von Mitgliedstaaten, begrenzte Einzelermächtigung, ausschließliche Zuständigkeit, geteilte Zuständigkeit, Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ergänzende Kompetenz, regionale und kommunale Selbstverwaltung, Ausschuss der Regionen.
- Arbeit zitieren
- Britta Meys (Autor:in), 2003, Föderative Grundsätze im Europäischen Verfassungsentwurf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23791