Theorien der Kriminalität


Dossier / Travail de Séminaire, 2002

30 Pages, Note: 2


Extrait


Inhalt

I. Einleitung

II. Begriff der Theorie

III. Psychologische Theorien
1. Die Psychoanalyse
1.1 Sigmund Freund (um 1900)
1.2 Alexander und Staub
2. Kontrolltheorien (auch Halt- und Bindungstheorien genannt)
2.1 Theorie
2.2 Kritik

IV. Soziologische Theorien zur Erklärung von Kriminalität
1. Anomie
1.1 Theorie
1.2 Kritik
2. Lerntheorien
2.1 Theorie der differentiellen Assoziation
2.2 Theorie der differentiellen Identifikation
2.3 Gelegenheit und Kriminalität
2.4 Eysencks Kriminalitätstheorie
3. Aggressionstheorien
3.1 Sündenbocktheorie
2.4. Der labeling approach

V. Empirische Wirklichkeit und Anwendbarkeit
1. Bedeutung von Kriminalitätsstatistiken und deren Verzerrung durch Selektionsprozesse
2. Geschlecht und Kriminalität

VI. Integrationsmodell der Kriminalitätstheorien
1. Diskussionsstand
1.1 Theorienmodell mittlerer Reichweite
2. Einzelne Integrationskonzepte
2.1 Albert K. Cohen
2.2 Richard Quinney
2.3 Edwin M. Schur
2.4 Werner Rüther
2.5 Theorie der unterschiedlichen Sozialisation

VII. Wertung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Ursprünglich hätte meine Arbeit den Titel „Kriminalität“ haben sollen, also der spezielle mit Beispielen versehene Block zum Thema Devianz und soziale Kontrolle. Da es zu umfangreich ist, einen Überblick über alle Arten von Kriminalität zu verschaffen, sah ich mich gezwungen, das Thema in "Theorien der Kriminalität" zu ändern. Ich werde eher versuchen, die Arbeit anhand einiger Theorien und Beispiele zu gestalten. Von Vollständigkeit wird also keine Rede sein können.

Bei Kriminalität handelt es sich um einen Bereich, der eine Spannweite von Ladendiebstahl bis zu Massenmord umfaßt und daher nicht in eine Erklärung gegossen werden kann. Jede Theorie versucht also nur, bestimmte Arten von Devianz zu erklären, und keine vermag selbst das ohne Widersprüche.

Kriminelles bzw. delinquentes Verhalten ist jenes abweichende Verhalten, das gegen Gesetze verstößt und mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht ist - nicht mehr und nicht weniger. Das verbindet die verschiedenen Arten von Kriminalität und das relativiert sie wiederum, da bestimmte Verhaltensweisen in verschiedenen Gesellschaften, Kulturen und Epochen unterschiedlich bewertet werden (hier als abweichend, dort als normal). Es ist also eine Frage der Zuschreibung, was als delinquent qualifiziert wird und nicht abhängig von einer höheren Moral, Gut und Böse usw. .

Ich möchte in meiner Arbeit einige Theorien herausgreifen, die helfen, das Entstehen von Kriminalität zu erklären. Diese Theorien sind vorwiegend soziologische, obwohl es eine Reihe von biologischen, die hier ausge-klammert werden sollen, und psychologischen Erklärungsansätzen gibt, die, um die Thematik abzurunden, am Anfang der Arbeit besprochen werden.

Jene Theorien neigen dazu, kriminelles Verhalten eines Täters als konstante, umweltunabhängige und genetische Merkmale seiner Persönlichkeit zu deuten und fragen nicht oder zu wenig nach den Umweltbedingungen und gesellschaftlichen Einflüssen, denen der einzelne ausgesetzt ist. Sie sind natürlich unerläßlich, z.B. Verhaltensweisen geistig abnormer Rechtsbrecher zu erklären, jedoch interessieren uns weniger einzelne "pathologische" Persönlichkeiten, vielmehr wollen wir das Entstehen von Delinquenz aufgrund gesellschaftlicher Faktoren wie Sozialisation, Schichtzugehörigkeit oder Geschlecht untersuchen.

Dieser Ansatz scheint nicht zuletzt deshalb gerechtfertigt zu sein, da 97% aller Verbrechen (Delikte mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe) in Österreich Eigentumsdelikte sind (vgl. Schulz, 1993:298), das heißt, daß man mit biologischen und psychologischen Ansätzen nur einen minimalen Teil der Gesamtkriminalität untersuchen kann.

In einem ersten Teil werde ich den Begriff der Theorie und daraus ableitend den Begriff der Kriminalitätstheorie abgrenzen.

Danach folgt ein Kapitel, in dem ich einen Überblick über die verschiedenen psychologischen Theorien der Kriminalität geben werde, angefangen bei Freud, der die Psychoanalyse begründet, bis hin zu Hirschi, einem der drei Hauptvertreter der Kontrolltheorie.

Im Hauptteil zum Thema „Theorien der Kriminalität“ werden eben die soziolo-gischen Theorien behandelt, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichem Ganzheitlichkeitsanspruch das Phänomen von Devianz zu erklären trachten. Unterpunkte sind in diesem Kapitel die Anomie, die Lerntheorien und die Aggressionstheorien.

Sowohl den psychologischen als auch den soziologischen Theorien ist im Einzelnen eines gemein: Nach der Ausdifferenzierung der Theorieschwer-punkte, ihrer Hauptaussagen, folgt eine meist an die Fachliteratur angelehnte Kritik an derselben Theorie.

Einen kurzen Exkurs will das folgende Kapitel mit dem Untertitel „empirische Wirklichkeit und Anwendbarkeit“ der Kriminalitätstheorien geben, um erneut einige Kririkpunkte in Erinnerung zu rufen oder neu anzubringen und die Bedeutung von Kriminalitätsstatistiken herauszuarbeiten.

Schließlich will das Kapitel „Integrationsmodell der Kriminalitätstheorien“ nach Umreißen des Diskussionsstandes einzelne Modelle darstellen, die versuchen, eine integrative und umfassende Theorie der Kriminalität aufzustellen. Die Präsentation der bemerkenswertesten Ansätze von Cohen bis Rüther resultiert dann in der Annahme, daß es bedenklich ist, ein um-fassendes und kanalisierendes Integrationsmodell der Kriminalitätstheorien anzustellen, wenn es auch zur Erhellung des breiten Spektrums der Theorien der Kriminalität beiträgt. Dies ist auch Tenor meiner Wertung, die die Arbeit beendet.

II. Begriff der Theorie

Um eine Wertung vornehmen zu können, bedarf es zunächst der Bestimmung des Begriffes der Theorie. Unter Theorie versteht man ein Erklärungssytem, das eine Vielzahl von Annahmen, Behauptungen und Definitionen enthält und diese Bestandteile in einer Art und Weise miteinander verbindet, daß Bezieh-ungen zwischen zwei oder mehr Variablen erklärt und / oder vorausgesagt werden können. Zu den Kennzeichen einer kriminologischen Theorien zählen die logische Beständigkeit und die konzeptionelle Klarheit, d.h. je komplexer eine Theorie, um so schwerer ist verifizierbar.

Als Kriminalitätstheorie sind all jene Aussagesysteme anzusehen, die zumindest eine Bedingung aufstellen, die entweder im Zusammenhang mit kriminellem Verhalten steht oder stehen soll. Unter solchen Bedingungen werden Ursachen, Faktoren, Gründe sowie Entstehungszusammenhänge u.ä. verstanden. (Jung, 1975:18) Kriminologische Theorien sind in sich sehr heterogen. Nach dem Anspruch auf Geltung wird unterschieden in allgemeine Theorien und Theorien mittlerer Reichweite, gelegentlich wird auch von Konzepten, Ansätze und Modellen gesprochen, ohne dabei jedoch die Qualität einer Theorie zu besitzen. (Bock, 1995:52)

III. Psychologische Theorien

1. Die Psychoanalyse

In der Psychoanalyse werden zwei Schwerpunkte kriminologischer Relevanz deutlich. Sie beschäftigt sich mit dem Täter als Individuum einerseits und der strafenden Gesellschaft als kollektivem psychischen Mechanismus andererseits. (Bock, 1995:59) Sie faßt Kriminalität als Ausdruck einer Persön-lichkeitsstörung auf, deren Bedingungen in früheren Beeinträchtigungen der psychischen Entwicklung gesehen werden. (Kaiser / Lösel, 1993:255)

1.1 Sigmund Freund (um 1900)

1.1.1 Theorie

Die Psychoanalyse geht auf Sigmund Freud zurück und basiert auf zwei elementaren Grundsätzen. Erstens geschieht im Seelenleben nichts rein zufällig und ohne Grund und zweitens ist uns ein großer Teil unserer Psyche unbewußt, wir wissen nichts von ihm, und dennoch beeinflußt er unser Handeln und Fühlen. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 3 aE) Der Ansatz Freuds konzentriert sich zunächst auf die Unterscheidung von Bewußtem, Vorbe-wußtem und Unbewußtem. Dementsprechend unterteilte Freund die Persön-lichkeit in die Es-Instanz, die Ich-Instanz und das Überich. Die Es-Instanz ist die seelische Instanz der Persönlichkeit. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 7) Die Ich-Instanz, also das Selbstbild hat eine vermittelnde Aufgabe zwischen den Anforderungen, die das "Es" stellt und zwischen den Bedingungen, die die Außenwelt bieten kann. Sie ist eine Art Anpassungs- und Selbst-erhaltungsorgan des Menschen. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 8) Das Überich stellt die dritte psychische Instanz dar und ist, wie das "Es" im Unbewußten angesiedelt. Es wird weithin als das unbewußte Gewissen angesehen und enthält moralische und sittliche Gebote und Verbote, Wertvorstellungen, sowie kulturelle und gesellschaftliche Normen. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 7) Die Entscheidungen des einzelnen Individuums werden nach dem psycho-analytischen Persönlichkeitsmodell durch die vorgenannten drei Instanzen getroffen. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 9) Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die Psychoanalyse davon ausgeht, daß der Mensch als kriminelles Wesen auf die Welt kommt und erst nach und nach, so die Entwicklung normal verläuft, zu einem sozial angepaßten Wesen wird. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 10) Kriminalität wird also nicht als Geburtsfehler angesehen, sondern wie die formulierte Einschränkung schon andeutet, als Erziehungsfehler. Das Ziel der Psychoanalyse ist es daher, psychische Defekte aufzuarbeiten und sie auf diese Weise zu eliminieren. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 13)

1.1.2 Kritik

Kritisiert wird an der Psychoanalyse, besonders aber an Freud, daß die Theorie begrifflich unscharf ist und von fiktiven Persönlichkeitsstrukturen ausgehe. (Kaiser / Lösel, 1993:256) In jüngster Zeit wurden daher auch Zweifel an den Erfolgsaussichten der Psychoanalyse laut. Das wird u.a. damit begründet, daß hohe sprachliche Fähigkeiten vorausgesetzt werden sowie eine bei dem Probanden vorhandene erhöhte Motivation, sich "testen" zu lassen. Ein Großteil der Strafgefangenen stamme aus der Unterschicht und erfülle solche Voraussetzungen nur unzureichend, meist aber gar nicht. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 15) Es kann damit auch dem unbefangenem Betrachter nicht verborgen bleiben, daß es der Psychoanalyse bisher nicht gelungen ist, auf empirischer Basis auch nur annähernd den Beweis zu erbringen, die psychoanalytische Lehre sei empirisch abgesichert. (so zumin-dest Kürzinger, 1996:116)

1.2 Alexander und Staub

1.2.1 Theorie

Alexander und Staub unterschieden in ihrem Ansatz nach dem Beteiligungsgrund des Ichs an den verschiedenen seelischen Vorgängen und am Verbrechen bei der chronischen Kriminalität in vier Punkten. (Alexander / Staub, 1929:52) Nach kriminellen Handlungen, bei denen aufgrund von toxischen oder anderen organisch-pathologischen Vorgängen die Funktion des Ichs weitgehend beeinträchtigt oder ausgeschlossen ist. Dies kann hier schon als Beschreibung des Phänomens des Rauschtäters gelten. Nach neurotisch bedingten Handlungen, und zwar Zwangs- und Symptomdelikten sowie neurotisch kriminellem Agieren mit Beteiligung der Gesamt-persönlichkeit. Nach kriminellen Handlungen der normalen nicht neurotischen Verbrecher mit kriminellem Über-Ich und nach kriminellen Handlungen des als Grenzfall anzusehenden gedachten, genuinen, sozial nicht angepaßten Verbrechers. (Alexander / Staub, 1929:84)

1.2.2 Kritik

Alexander und Staub haben die wohl umfassendste und geschlossenste Kriminalitätstheorie aus psychoanalytischer Sicht vorgelegt. Jedoch ist zu kritisieren, daß sie nicht erklären, warum die Entladungsreaktion aus dem innerpsychischen Konflikt gerade zu kriminellem Verhalten einer bestimmten Art führt. Aufgrund der schmalen empirischen Basis der psychoanalytischen Kriminalitätsforschung muß ein Großteil der Aussagen hier jedoch als Spekulation, allenfalls als Annahme angesehen werden. (Jung, 1975:32) Insoweit weist der Ansatz von Alexander und Staub schon recht gravierende Mängel in Form von Erklärungslücken auf, die entstehen, würde man davon ausgehen, daß nur empirisch gesicherte Erkenntnisse Bestandteil der Theorie wären. Neu an der Konzeption war - und das ist angesichts der Entstehungs-zeit beachtlich - das Wissen um neurotische Kriminalität, also das Verbrechen aus Schuldgefühl. Dies ist sehr wichtig, weil die Massenmedien, normaler-weise das Bild eines Verbrechers zeichnen, der sich durch zielgerichtetes Handeln, wohlüberlegte Bereicherungssucht und volle Zurechnungsfähigkeit auszeichnet. (Kerscher, 1977:16) Sicherlich wird es eine Vielzahl von Verbrechern geben, die diesem Vorurteil entsprechen, jedoch erreicht die Zahl nicht im entferntesten eine in den Medien dargestellte Höhe.

2. Kontrolltheorien (auch Halt- und Bindungstheorien genannt)

Bei den Kontrolltheorien gestaltet es sich als schwierig, diese entweder der Psychologie oder der Sozialpsychologie zuzuordnen. Nach Ansicht der Verfasser ist es jedoch passender, sie im Unterpunkt Psychologie zu erwähnen, ist doch eine Gemeinsamkeit der Kontrolltheorien ihre enge theoretische Verwandtschaft mit der Psychoanalyse. Nichtsdestotrotz vermag es auch in der Literatur andere Argumente geben, die dagegen sprechen. (vgl. Jung, 1975:36), die die Kontrolltheorien unter Sozialpsychologie erwähnt Sie bilden den wohl mittlerweile bedeutsamsten psychologischen Ansatz der Kriminalitätserklärung. (Kaiser / Lösel, 1993:257)

2.1 Theorie

Die an die Psychoanalyse anknüpfenden Kontrolltheorien fragen primär nicht nach dem Grund, warum Menschen sich sozial abweichend verhalten, sondern gehen den umgekehrten Weg. Sie stellen die Frage auf, warum sich gerade so viele Menschen sozial angepaßt, also konform verhalten. Die sozialen Kontrolltheorien gehen davon aus, daß ein festes Netz informeller sozialer Beziehungen, Bindungen und Verantwortlichkeiten zur Verhinderung von Delinquenz beiträgt. Je mehr jedoch diese Bindungen gelockert oder gestört werden, um so größer wird damit die Gefahr, delinquent zu werden. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 18b)

2.1.1 Reiss (1951)

Reiss hat das Auftreten von Kriminalität mit dem Versagen der Familie als die wichtigste Sozialisationsinstanz erklärt. Seine Theorie basiert auf der Annahme, daß sich sozial konformes Verhalten durch intakte familiäre Bezie-hungen, also zwischen Eltern und Kind und der Erziehung, herausbildet. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 17) Soziales Versagen im Gegensatz dazu soll durch schwach entwickelte Ich- und Überich-Instanzen beeinflußt sein. Im Ergebnis fehlt der innere Halt, der notwendig ist, um kriminellen Versuchungen jed-weder Art zu widerstehen. (Schwind, 1997:§ 6 Rn 17 aE) Hier wird auch der Bezug zur Psychoanalyse deutlich, wird doch gerade die Unterteilung des menschlichen Individuums in die drei Instanzen übernommen.

[...]

Fin de l'extrait de 30 pages

Résumé des informations

Titre
Theorien der Kriminalität
Université
University of Bonn  (Soziologisches Seminar)
Cours
Hauptseminar: 'Soziologische Theorien'
Note
2
Auteur
Année
2002
Pages
30
N° de catalogue
V23867
ISBN (ebook)
9783638268912
Taille d'un fichier
556 KB
Langue
allemand
Mots clés
Theorien, Kriminalität, Hauptseminar, Theorien“
Citation du texte
Juliane Polenthon (Auteur), 2002, Theorien der Kriminalität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23867

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Titre: Theorien der Kriminalität



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