Das Ruhrdeutsche


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

24 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Einleitung in die Thematik

3. Ist das Ruhrdeutsche ein Dialekt?

4. Die Sprachmerkmale des Ruhrdeutschen

5. Die Entstehungsgeschichte des Ruhrdeutschen

6. Die Grunddialekte der Region – Das Westniederdeutsche und das Niederfränkische.

7. Soziale Aspekte des Ruhrdeutschen – Soziale Schichtzugehörigkeit und Gesprächssituation

8. Exkurs: Die Entwicklung des Bergbaus im Ruhrgebiet.

9. Das Ruhrdeutsche als Soziolekt der Industriearbeiter in Bergbau und Stahlerzeugung?

10. Die kommunikative Funktion.

11. Polnische Einflüsse im Ruhrdeutschen?

12. Zusammenfassung

13. Literaturverzeichnis

Das Ruhrdeutsche

1. Einführung

Das Ruhrdeutsche wird in der folgenden Arbeit in Anlehnung an die Arbeiten von Herrn Prof. Mihm (Vgl. Mihm 1981) entweder als Substandard oder als Sprachvarietät bezeichnet. Die Bezeichnung „Dialekt“ wird - abgesehen von einem Kapitel, das sich dieser Frage speziell widmet – von mir nicht verwendet.

Die vorliegende Arbeit soll sowohl einen Überblick bieten über die Entstehungsgeschichte und die historische Entwicklung der Sprachvarietät Ruhrdeutsch, als auch über die sozialen Aspekte und die kommunikative Funktion dieses Substandards. Es wird – neben der Darstellung der sprachlichen Gesetzmäßigkeiten und der Entstehung des Ruhrdeutschen - letztlich auch der Versuch unternommen, die Frage nach der korrekten sprachlichen Einordnung des Ruhrdeutschen zu beantworten.

Ein Exkurs beschäftigt sich – in bezug auf die Dissertation Kerstin Salewskis – mit der Entstehungsgeschichte des Bergbaus im Ruhrgebiet, da in meinen Augen der Bergbau in einer Arbeit über die Ruhrgebietsregion und ihre Sprache nicht außer Acht gelassen werden kann.

2. Einleitung in die Thematik

Das Ruhrgebiet besitzt keine einheitliche räumliche Abgrenzung. Auch eine einheitliche Bezeichnung existiert nicht. Man bezeichnet diesen bedeutenden europäischen Wirtschaftsraum neben Ruhrgebiet als „Ruhrkohlenbezirk“, „Revier“, „Ruhrpott“, „Kohlenpott“ und „Ruhrkohlenrevier“. Die räumliche Ausdehnung des Ruhrgebiet veränderte sich fortlaufend parallel zum Kohlenabbaugebiet und den damit in Zusammenhang stehenden Industriezweigen. Während es sich im 18.Jahrhundert beim Ruhrgebiet ausschließlich um eine Region handelte, die entlang der Ruhr lag, so befinden sich seine Grenzen heute im Norden an einem Gebiet entlang der Lippe, im Süden etwa bei Wuppertal, im Westen und Osten ungefähr bei Moers und Unna bzw. Hamm.

Das Ruhrdeutsche lässt sich wie das Ruhrgebiet nicht geographisch festlegen.

„Denn das Ruhrdeutsche ist eben nicht als territoriale oder administrative Einheit zu verstehen, sondern als eine zusammenhängende städtische Siedlungszone des 19. und 20. Jahrhunderts mit hohem Industrialisierungsgrad und interner Mobilität, in der sich allmählich ein überstädtisches Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte und Kultur entwickelt hat“ (Ehlich 1995, 17).

Daher existiert das Ruhrdeutsche als Monovarietät nicht.

Charakteristisch für das Ruhrdeutsche ist die Tatsche, dass es mehr als andere Umgangssprachen das Plattdeutsche in die Umgangssprache integriert. Aufgrund der Dialektvielfalt herrschen beispielsweise in Essen in unterschiedlichen Stadtteilen unterschiedliche Dialekte vor. Während sich im südlichen Vorort Werden rheinische und bergische Elemente als Dialekt vermischen, dominiert in Steele das Westfälische.Aus diesem Grund lässt sich der Dortmunder aufgrund seiner Sprache deutlich vom Duisburger differenzieren. Der Dortmunder benutzt das Wort „woll“ an einer Stelle, an der der Duisburger „ne“ verwendet. Im Tonfall jedoch schlägt sich das Ruhrdeutsche überall gleich nieder.

Das Ruhrdeutsche ist keine abstrakte Sprache. Es ist eine harte, derbe, breite und kurzgefasste Sprache, die grob artikulierend, ohne grammatische Finessen auskommt. Dennoch unterliegt es Gesetzmäßigkeiten. Man erkennt den Ruhrgebietler an bestimmten Wörtern, Redewendungen, an Satzgefüge und Aussprache, obgleich die Wortwahl regional – wie bereits angeführt – teilweise erheblich variiert.

Eine wissenschaftliche Forschung zum Substandard des Ruhrgebiet existiert erst seit etwa 30 Jahren, obwohl das Ruhrgebiet den größten urbanen Siedlungsraum Deutschlands bildet. Die einzelnen vor dieser Zeit erschienene Arbeiten bewerten diese Sprachform zumeist negativ als „das verdorbene Deutsch dieser Region“ (Mihm 1985,7),

wobei sie „entweder den hohen `proletarischen´ Bevölkerungsanteil oder die Mischung mit den Sprachen slawischer Zuwanderer dafür verantwortlich“ (Mihm 1985,7) machen. So beschränken sich fast alle dieser Arbeiten ausschließlich auf eine Auflistung auffälliger Merkmale dieses Substandards.

Eine Ausnahme bildet Hildegard Himmelreich (Himmelreich 1939), die zu differenzierteren Ergebnissen gelangt, da sie die regionale und soziale Herkunft der Sprecher berücksichtigt.

3.Ist das Ruhrdeutsche ein Dialekt?

Der Terminus des „Substandards“ wurde bereits in den dreißiger Jahren des 20.Jahrhundets in der linguistischen Forschung verwendet. L. Bloomfield verwendete ihn zur Bezeichnung einer Untergruppe des Nicht – Standards. Nach Bloomfield unterscheidet sich der Substandard vom lokalen Dialekt vor allem durch seine regionale und soziale Verteilung. Der Substandard hat einen größeren Geltungsbereich, während der Dialekt von Ort zu Ort variiert.

In Berichten über das Ruhrgebiet und dessen Bewohner tritt heute oftmals der Terminus „Dialekt“ im Zusammenhang mit dem Ruhrdeutschen auf. Es liegt noch nicht sehr lange zurück, dass das Ruhrdeutsche als „Slang“, „Jargon“ oder „Umgangssprache“ beschrieben wurde. Der Dialekt scheint im nichtlinguistischen Bewusstsein zum Gegenpol des Hochdeutschen geworden zu sein. Diese Einteilung erinnert an die zuvor vorherrschende Einteilung in „Platt“ und „Deutsch“. Es existiert jedoch die verbreitete Ansicht, dass im ganzen Ruhrgebiet der gleiche Nonstandard gesprochen wird, wobei die Eigenarten des ruhrdeutschen „Dialektes“ nur begrenzt bekannt sind. Die Aussprache dat und wat werden dem Ruhrgebiet zugeordnet, die Verwendung der Verlaufsform, die Vertauschung der Kasus, sowie bestimmte Kontraktionen wie hasse und bisse.

Das Ruhrdeutsche kann als eigenständiges Teilsystem der deutschen Sprache betrachtet werden. Diese Aussage bezieht sich

1. auf den Lautstandard, denn schon eine kurze Äußerung enthält so viele phonetisch - phonologische Merkmale, dass sowohl Sprecher dieser Varietät als auch „Außenstehender“ die regionale Herkunft des Gesprochenen erkennen können
2. auf die Morphologie, denn Kasusgebrauch und Pluralbildung, Verb – und Adjektivflexion, sowie Wortbildung und Komposition sind regionalspezifisch
3. auf die Syntax z. B. in Hinblick auf die Rektion vieler Verben und auf für das Ruhrdeutsche typische Präpositionalfügungen wie gehsse auf Schalke
4. auf die Phraseologie, denn das Ruhrdeutsche weist eine Anzahl redensartlicher Verbindungen auf, die nur in dieser Region zu finden sind
und
5. auf das Lexikon, da das Ruhrdeutsche einen dieser Region eigenen Wortschatz besitzt.

Das Repertoire an Zeichen und Regeln, die „langue“ bildet nur eine Ebene, die die sprachliche Autonomie des Ruhrdeutschen aufzeigt. Auch auf der „parole“ – Ebene, die sozial und situativ bedingte Verwendungsweisen und - muster gesprochener Sprache beschreibt, lassen sich Aspekte zur Eigenständigkeit des Ruhrdeutschen erkennen:

1. in der Satzmelodie, der Satzakzentuierung und der Phrasierungsweise
und
2. in einem für die Dialogeröffnung, Dialogsteuerung und – beendigung typischen Formelschatz.

4. Die Sprachmerkmale des Ruhrdeutschen

Das Ruhrdeutsche besitzt etwa 50 charakteristische Merkmale auf der lautlichen Ebene, in der Formenlehre und in der Syntax, sowie eine regional reichhaltige Lexik. Die ruhrdeutschen Sprachmerkmale fallen jedoch nicht mit den Grenzen des Ruhrgebietes zusammen.

Es handelt sich bei diesen Sprachmerkmalen um großlandschaftliche Erscheinungen. So finden sich beispielsweise sowohl Kontraktionen wie „hasse“ (hast du) und „lasset“ (lass es), als auch die Vokalsenkungen vor r wie bei „Lährer“ (Lehrer) und „mähr“ (mehr) auch in Dialekten des Münsterlandes und des Niederrheins.

Die „Übergeneralisierung des Akkusativs“ (Mihm in Ehlich 1995, 19), die zu Folge hat, dass statt des Dativs der Akkusativ verwendet wird (aus dat Bett statt aus dem Bett, die andern Leute ginget genauso statt den anderen Leuten ging es genauso), erscheint im gesamten Sprachgebiet.

Die g – Spirantisierungen (sarrich statt sag ich, traurich statt traurig) reichen von Flensburg bis Nürnberg. Andere Merkmale sind über das gesamte deutsche Sprachgebiet verbreitet, so z.B. die Possessivkonstruktion mit dem „Akkusativus possessoris“ (mit dem Peter sein Auto statt mit Peters Auto, dem seine Schwester statt seine Schwester).

Auch die Verlaufsform (ich bin am Reden statt ich rede) und die Abschwächung der unbetonten Silben (ham statt haben, ich komm statt ich komme, gehn statt gehen) lassen sich im ganzen deutschen Sprachgebiet nachweisen.

„Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass bestimmte Merkmale sonst nur in den bodenständigen Dialekten vorkommen, während andere auch andernorts in nicht – dialekten Sprachlagen auftreten. So haben etwa die unverschobenen Formen dat, wat und et in den Dialekten von Trier bis Greifswald durchgehende Gültigkeit. In der städtischen Alltagskommunikation treten sie jedoch nur in der Kölner Region, im Ruhrgebiet und in Berlin auf, nicht aber in Münster, Bremen, Hannover oder Hamburg“ (Mihm in Ehlich 1995, 19).

Daher kann Ruhrdeutsch – aufgrund der Ausbreitung seiner Merkmale – nicht als „Regionalsprache“ bezeichnet werden. Das Ruhrdeutsche reiht sich – nach Mihm - wie das Berlinische oder das Hamburger Missingsch in den Kontext der norddeutschen Umgangssprachen ein.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Ruhrdeutsche
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Germanistik)
Veranstaltung
Sondersprachen
Note
gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
24
Katalognummer
V24196
ISBN (eBook)
9783638271226
ISBN (Buch)
9783656450849
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ruhrdeutsche, Sondersprachen
Arbeit zitieren
Maja Tinthoff (Autor:in), 2000, Das Ruhrdeutsche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24196

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