Die Spanienkonzeption in Honoré de Balzacs récit fantastique "L'elixir de longue vie"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Spanienbild der französischen Romantik

3. Das Spanienbild in Balzacs Werken
3.1. Die Darstellung Spaniens in der Erzählung „L’élixir de longue vie“
3.1.1. Die Spanier
3.1.2. Landschaft, Sitten und Gebräuche Spaniens
3.1.3. Der Gegensatz Spanien-Italien
3.1.4 Der Grenzüberschreiter: Die Figur des Don Juan de Belvidéro

4. Schluss

Literatur

1. Einleitung

In Honoré de Balzacs phantastischer Erzählung „L’élixir de longue vie“[1], die erstmals 1830 in der Revue de Paris veröffentlicht, aber erst 1846 in die Etudes philosophiques der Comédie humaine aufgenommen wurde,[2] spielt Spanien eine zentrale Rolle: Schöne Andalusierinnen, stolze Hidalgos und Priester bevölkern eine paradiesische Landschaft und wohnen einer wundersamen Auferstehung bei.

Diese Arbeit geht der Frage nach, wie sich die Spanienkonzeption in Balzacs „L’elixir de longue vie“ zusammensetzt und ob sie den zeitgenössischen Stereotypen in Frankreich entspricht. Dabei werden zuerst die Spanien betreffenden Klischees der Aufklärung und der Romantik skizziert. In einem zweiten Schritt thematisiert die Arbeit Balzacs Relation zu Spanien im Allgemeinen und geht dann ausführlich auf die Darstellung der Menschen, Landschaft, Sitten und Gebräuche Spaniens im „L’elixir de longue vie“ ein. Schließlich werden die Konzeptionen der beiden im Text vorhandenen Räume Spanien und Italien gegenüber gestellt. Eine nähere Betrachtung der Figur Don Juans, der beiden Welten angehört und somit die Grenze zwischen ihnen überschreiten kann, ergänzt diese Opposition.

2. Das Spanienbild der französischen Romantik

Das französische mirage Spaniens in der Zeit der Aufklärung ist eindeutig ein Düsteres: Französische Aufklärer übten Kritik an einer sich in Äußerlichkeiten ausdrückenden Frömmigkeit, der Tolerierung der Inquisition durch die spanische Bevölkerung, einer „gravitätische Lächerlichkeit“, einem „mönchischen Fanatismus“ und einer grundlegenden Primitivität. Sie sprachen der Nation jegliche Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufklärung ab.[3]

Die Romantik kreiert unter Beibehaltung vieler Motive der Aufklärung ein dem aufklärerischen mirage entgegen gesetztes Bild durch eine Umdeutung und Positivierung eben dieser Topoi. Besonders bei Hugo, Musset, Stendhal, Chateaubriand und auch bei Blazac finden sich „sehnsuchtsvolle“ Beschreibungen Spaniens als „Reich der Leidenschaften,“ der Muße und der „religiösen Glut,“[4] die verbunden ist mit der „Bindung an einen unerschütterlichen Glauben.“[5] Die Religion ist Lebensmittelpunkt der Spanier, ihr Einfluß bestimmt das gesamte Leben des Volkes, besonders der spanischen Frauen. Jeder zeitgenössische Reisebericht erwähnt diesen dann in der Literatur immer wieder ausgeweiteten Aspekt des Lebens auf der iberischen Halbinsel. Die Leidenschaft der Spanier in Liebesdingen überträgt sich auch auf ihre Haltung gegenüber der Religion. Trotz der Positivierung Spaniens stellen französische Schriftsteller der Romantik gern den Aspekt des tyrannischen Regimes der Kirche dar und machen den spanischen Geistlichen zu einer Figur mit lächerlichen Zügen.[6]

Der arabische Einfluss in Spanien wird positiv gewertet und zu einem wichtigen Motiv. Er symbolisiert ein verborgenes tieferes Wissen.[7] Spanien wird zu einem verklärten „Exotikum“, zu einem „poetischen Land.“[8]

Im Allgemeinen beurteilen die französischen Romantiker Spanien als ein Land, das eine „Ursprünglichkeit in materiellen und geistigen Dingen“ bewahrt hat.[9] Außerdem charakterisieren sie die spanische Gesellschaft als eine nach „edler Gleichheit“ strebende, ständisch kaum differenzierte Gesellschaft.[10]

Die Figur des Spaniers ist in der Literatur der französischen Romantik eine immer wiederkehrende Figur mit bestimmten Charakterzügen und Erscheinungsmerkmalen. Überbordende Leidenschaft und sehnsüchtiges Liebeswerben eines spanischen Caballero stellt dabei den ältesten Topos dar. Auch die spanischen Frauen werden durch ihre Passion gekennzeichnet.[11] Ein weiteres Motiv ist die aus dieser Leidenschaft resultierende Eifersucht. Der eifersüchtig wachende spanische Ehemann ist eine besonders in der Literatur Romantik regelmäßig anzutreffende Figur. Treue bis in den Tod, ein Ehrgefühl, dass über allem steht, und wilde Rachegelüste sind andere häufig auftretende Charakteristika der spanischen Figuren.[12]

3. Das Spanienbild in Balzacs Werken

Spanien spielte eine wichtige Rolle in Balzacs Werken, besonders in der Comédie Humaine. Mehrere Hundert Male finden das Land, die Leute oder Zitate spanischer Werke Erwähnung in seinen Texten. Viele dieser Erwähnungen sind jedoch nur zeitgenössische Gemeinplätze. Auch Figuren spanischer Herkunft bevölkern sein Oeuvre. Allein in der Comédie Humaine finden sich mehr als zwanzig solcher Charaktere. Diese sind jedoch unterschiedlich angelegt. Dadurch ist fest zu stellen, dass sich seine Ansichten über Spanien mehrere Male im Laufe seines Lebens veränderten.[13]

Laut Victor Leathers, folgte Balzac mit seinem Interesse für Spanien einer Moderescheinung:

„Presque tout le monde en France s’intéressait, de gré ou de force, à l’Espagne entre 1800 et 1830. Cet intérêt général s’est largement reflété dans la littérature de cette période, et la Comédie Humaine, miroir fidèle de la société de la Restauration et de la Monarchie de juillet, porte en maints endroits les traces de cette orientation péninsulaire de la pensée française.“[14]

Balzac brüstete sich gern damit, spanische Texte im Original zu lesen, in Wirklichkeit kannte er jedoch nur einige Wörter.[15] Es ist also wahrscheinlich, das er seine Inspirationen nicht in spanischen Originaltexten fand. Auch folgte er nicht der Mode der französischen Romantik nach Spanien zu reisen.[16] Er hat das Land also niemals betreten.[17] Daher zog er sein Wissen über Spanien und die Inspiration über dieses Land zu schreiben aus der Lektüre französischsprachiger Texte und aus Unterhaltungen mit Menschen, die Spanien besucht hatten.[18]

Um 1829 zeigte Balzac sich enttäuscht von der Leidenschaftslosigkeit der Mittel- und Nordeuropäischen Gesellschaft im Allgemeinen und der französischen Frauen im Besonderen: „Mais c’est dans la mesure même où la sociabilité française lui semble destructive des énergies spontanées qu’il exagère de vives préférences.“[19] Diese Energien meint er in Spanien zu finden und stellt das Land und seine Gesellschaft in einen Gegensatz zum nördlichen und mittleren Europa.[20]

Dennoch stand er den Motiven der Romantik kritisch gegenüber: „Il reste toujours rebelle au romantisme. Des romantiques, il raille le goût pour l’Espagne, l’Italie, l’Orient...les diableries, les fantomes, les vampires (...).“[21] In dem récit „L’élixir de longue vie“ bestimmen aber viele dieser Topoi die Handlung. Auch in den Beschreibungen seiner spanischen Charaktere folgte Balzac den oben beschriebenen Klischees seiner Epoche: „Ses personnages espagnols ne trahissaient jamais cette noble tradition.“[22] So zum Beispiel auch bei der Darstellung der spanischen Frauen. Diese sind in der Literatur der Romantik meistens hinreißend schöne Andalusierinnen. So auch bei Balzac.[23]

3.1. Die Darstellung Spaniens in der Erzählung „L’élixir de longue vie“

3.1.1. Die Spanier

Dona Elvira, die junge Frau des gealterten Don Juan de Belvidéro, ist eine solche Andalusierin. Bei ihrer Beschreibung findet sich das Klischee der entzückenden Anmut der andalusischen Frauen, wieder: „Il épousa une jeune et ravissante Andalouse. (...) Dona Elvire était tout dévouement et toute grâce.“ (S.258) Mit dieser Beschreibung folgt Balzac einem Topos, der sich in seinen Texten immer wieder finden läßt: „Chez Balzac, comme chez le romantique le plus entiché, les Andalouses ne peuvent être autrement que ravissante, avec des petit pieds et des yeux veloutes. La femme de don Juan n’est pas tout à fait typique, cependant, elle est d’une vertu intransigeante“[24] Dass Dona Elviras Ausmaß an Tugend nicht typisch für Balzacs Vorstellung von Spanien ist, wird explizit im Text, zumindest als Vermutung, erwähnt: „(...) soit que dona Elvire eût plus de prudence ou de vertu que l’Espagne n’en accorde aux femmes (...)“ (S. 259).

Einhergehend mit ihrer Tugend ist auch ihre Frömmigkeit bei ihrer Charakterisierung von Bedeutung. Ihre Religiosität spielt eine besondere Rolle für den Ausgang der Geschichte, da sie bei der teilweisen Wiederbelebung ihres Ehemanns aus eben diesem Grund den Abbé herbeiruft. Sie glaubt nicht an Magie, sondern ordnet das besondere Geschehnis sofort in einen religiösen Kontext ein: „Trop pieuse pour admettre les mystères de la magie, dona Elvira envoya chercher l’abbé de San-Lucar.“ (S. 260). Damit tut sie jedoch unwissentlich den ersten Schritt, um das Schicksal des Abbés zu besiegeln, der bei der Zeremonie der Heiligsprechung durch Don Juan getötet wird.

Philippe Belvidéro, der Sohn Don Juans, wird in besonderem Sinn als typischer Spanier charakterisiert, nämlich als aufrichtig frommer junger Mann, der dadurch im Gegensatz zur Figur des an nichts wirklich glaubenden, mit satanischen Zügen ausgestatteten Vaters Don Juan de Belvidero steht: „Le jeune Philippe Belvidéro, son fils, devint un espagnol aussi consciencieusement religieux que son père était impie.“ (S.259). Außerdem zeigt sich Philippe als sehr emotionaler Charakter, vor allem im Zusammenhang mit seinem Vater. Als dieser ganz gegen seine Gewohnheit plötzlich freundlich-liebevoll mit seinem Sohn spricht, reagiert der letztere übertrieben gefühlvoll: „Le jeune homme tressaillit et pleura de bonheur.“ (S. 259).

[...]


[1] Honoré de Balzac, „L’Élixir de longue vie, in: ders., La Comédie humaine, tome 7, présentation et notes de Pierre Citron, Paris: Éditions du Seuil, 1966. Im Folgenden wird nach dieser Ausgabe unter Angabe der Seitenzahl im fortlaufenden Text zitiert

[2] Pierre Citron, in: Honoré de Balzac, La Comédie humaine, tome 7, présentation et notes de Pierre Citron, Paris: Éditions du Seuil, 1966

[3] Manfred Tietz, Das französische Spanienbild zwischen Romantik und Auufklärung: Inhalt, Funktion Repliken, In: Literarische Imagologie, Formen und Funktionen nationaler Stereotyypen in der Literatur (=Komparatistische Hefte, Heft 2 1980), Bayreuth 1980, S. 31.

[4] Tietz, 1980, S. 35.

[5] Ebd, S.36.

[6] Victor L. Leathers, L’Espagne et les Espagnols dans l’œuvre de Honoré de Balzac, Paris 1931, S. 66 f.

[7] Tietz, 1980, S.36

[8] Ebd. S. 35.

[9] Ebd. S. 36.

[10] Ebd. S. 35.

[11] Leathers 1931, S. 63.

[12] Ebd., S. 64 f.

[13] Ebd., S. 13 f.

[14] Ebd., S. 7.

[15] Ebd., S. 9 f.

[16] Ebd., S. 10

[17] Fernand Baldensprenger, Orientations Étrangers chez Balzac, Paris 1927, S. 141.

[18] Leathers, 1931, S.11.

[19] Baldensprenger, 1927, S. 142.

[20] Ebd.

[21] L.-J. Aragon, Les années romantiques de Balzac, Paris 1927, S. 69.

[22] Leathers, 1927, S. 65.

[23] Ebd., S. 59.

[24] Ebd., S. 59.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Spanienkonzeption in Honoré de Balzacs récit fantastique "L'elixir de longue vie"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Romanisches Seminar der CAU)
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V24245
ISBN (eBook)
9783638271608
ISBN (Buch)
9783640861545
Dateigröße
797 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spanienkonzeption, Honoré, Balzacs
Arbeit zitieren
Daniela Martens (Autor:in), 2004, Die Spanienkonzeption in Honoré de Balzacs récit fantastique "L'elixir de longue vie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24245

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