Dantons Tod (Büchner, Georg) - Gesellschaftsanalyse und Revolutionsdeutung


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

30 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

Einleitung

Über die Verwendung theatermetaphorischer Beschreibungssemantik in Dantons Tod und Quellentexten

Welche Position vertritt Büchner in Bezug auf die

Französiche Revolution und wie beeinflusste sie

seine politische Meinungs­bildung?

Wie stehen sich Danton und Robespierre im Drama gegenüber?

Das Volk: Eine dritte Position in Büchners Revolutionsdeutung?

Literaturverzeichnis

Einleitung

In dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit Georg Büchners Drama Dantons Tod, mit der theatermetaphorischen Beschreibungssemantik, die diesem Werk als besonderes Merkmal eigen ist und daraus resultierend mit der Aussage die Georg Büchner über die Französiche Revolution macht. Hier spielt das Verhältnis zwischen Autorintention und Dramentext eine besondere Rolle, die im ersten Teil aufeinander bezogen werden. In dem folgenden Teilen werden angrenzende Fragen der Autorintention behandelt, die einen weiteren Einblick in Georg Büchners Selbstverständnis als Revolutionär, Dichter und Skeptiker ermöglichen sollen.

Über die Verwendung theatermetaphorischer Beschreibungs­semantik und deren Bedeutung in Dantons Tod und Quellentexten

Betrachtet man die Mittel, mit denen Büchner in Dantons Tod, sein Bild der Revolution zeichnet, so fällt auf, dass die theatermetaphorische Beschreibungssemantik das gesamte Stück durchzieht. Diese zu untersuchen wird Aufgabe des folgenden Textes sein. Die Ereignisse der Revolution werden mit lexikalischen Elementen wie: „Spiel, erhabenes Drama, Marionette und Puppenspiel, Rolle, Maske, Draperie, Pose, Loge, Applaus, (ein Stück) geben,“[1] beschrieben. Nahezu alle Figuren gebrauchen, in unterschiedlicher Weise, Metaphern aus dem Umfeld des Theaters, um ihre Auffassung der Ereignisse plastisch zu machen.

Da die neuere Büchnerforschung „mit sich ausweitender Tendenz, den hohen Anteil von Zitaten“[2] festgestellt hat, liegt es nahe, die von ihm genutzten Quellen, auf die Verwendung von Theatermetaphern zu untersuchen. „Die textvergleichende und quellenkritische Forschung zu "Dantons Tod" hat nachgewiesen, dass die, Büchner seit ihrem Erscheinen 1926 bekannten, leicht zugänglichen Hefte von Unsere Zeit, neben Thiers'“Histoire de la Revolution Francaise „die wichtigste Materialquelle für sein Drama bildeten.“[3] Die strukturelle Bedeutung dieser historischen Quellen für ein Geschichtsdrama wie das Büchners, das „der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen" versucht, (Brief an die Eltern, 28. Juli 1935), bedarf kaum weiterer Erläuterung; die Entstehungsgeschichte (s. MBA III.2, Editionsbericht 1.2.4.) bezeugt diese besondere Rolle.

Belegt wird diese Quelle durch einen Brief Wilhelm Büchners an Karl Emil Franzos vom 23. Dezember 1978, in dem es über Johann Konrad Friedrichs Geschichtswerk Unsere Zeit heisst, „Vielfach wurde diese Abends vorgelesen, und nahmen wir alle den lebhaftesten Antheil daran." Die Geschichte unserer zeit, so der Bandtitel des zur Fortsetzung angelegten Werkes, behandelt die europäische Geschichte vom Jahre 1789 bis zum 1. Januar 1830.

Besaß Thiers' Revolutionsgeschichte den Vorzug einer konziseren Darstellungsweise, so versammelte Unsere Zeit eine Vielzahl charakteristischer Anekdoten und referierte viele historische Reden. Thiers liefert daher "im Ganzen die szenische Struktur", Unsere Zeit „das für Erweiterungen und Präzi­sie­run­gen nötige stoffliche und sprachliche Material.“[4]

In seiner Funktion als Literat, verwendet Büchner historische Texte als Rohmaterial, das er nach Belieben verwertet. „Er synthetisiert z.B. Robespierres Rede im Jakobinerclub (1,3) oder Dantons Rede vor dem Revolutionstribunal aus eigenen Text Zitaten und abgewandelten Zitaten verschiedener Redner.“[5] So baut Büchner aus historischen Versatzstücken und Eigenem eine Version der Französischen Revolution, die über eine bloße Dramatisierung historischer Begebenheiten hinausgeht. „Es ist die psychische Realität der Personen, (...), der Büchner eine solche Bedeutung beimisst, dass er die historischen Fakten in ihren Dienst stellt.“[6] So sind Dantons Lebensstil und seine Handlungsarmut vor der Verhaftung in den Quellen dokumentiert, seine pessimistischen Reflexionen und seine Schuldgefühle wegen der Septembermorde, Erfindungen Büchners.

Ebenso verfährt Büchner mit der Figur des Robespierre. Ist seine Rede vor dem Jakobinerclub aus Zitaten über. Die Prinzipien der Moral, welche die Revolutionsregierung lenken müssen vom 5. Februar 1794 zusammengefügt, die Rede vor dem Nationalkonvent, bis auf den letzten Satz, reines Zitat, so erweitert Büchner die Figur Robespierre um "die nächtlichen Anfeindungen in Form verdrängter sexueller Wünsche.“[7]

Gerhard Kurz schreibt zu diesem Umgang mit Quellen: „Eigene und zeitgenössische revolutionäre Ansprüche, Gefühlslagen und Mythen werden, dies ist meine These, dem scharfen Licht des dramatischen Spiels ausgesetzt.“[8] Dies wurde zunächst übersehen und so schrieb Gutzkow an Büchner:

„Ihr Danton zog nicht. Vielleicht wissen Sie den Grund nicht? Weil Sie die Geschichte nicht betrogen haben: weil einige der bekannten heroica dicta in Ihre Komödie hineinliefen u von den Leuten darin gesprochen wurden, als käme der Witz von ihnen. Darüber vergaß man, dass in der Tat doch mehr von Ihnen gekommen ist, als von der Geschichte u machte aus dem Ganzen ein dramatisiertes Kapitel des Thiers.“[9]

Die Theatermetaphern, die „Dantons Tod“ durchziehen, sind auch in den Quellen, die Büchner gebraucht bereits präsent. Sie waren zu Zeiten der Französischen Revolution sogar allgemein gebräuchlich. „Die Theatralisierung des öffentlichen Lebens, von den Festen, bis zu den Hinrichtungen wurde von vielen Beobachtern notiert.“[10]

Die Frage, die sich nun stellt, ist folgende: In welcher Weise werden die Theatermetaphern in den Quellentexten verwendet und in welcher Weise gebraucht Büchner sie? Dies ist interessant, weil die Art der Verwendung einer solchen Metaphorik immer in engem Zusammenhang mit der Position steht, die der Autor oder Redner in Bezug auf die Französische Revolution vertritt. Die Französische Revolution und vor allem die jakobinische Terreur polarisierten und so wurde ein Text über sie immer auch ein eine Stellungnahme zur Revolution und zur Gewalt als Mittel der Revolution. So bewegen sich alle Kommentare der Französischen Revolution, die sich fast ausnahmslos der theatermetaphorischen Beschreibungssemantik bedienen „in den Spannungsfeldern zwischen Rechtfertigung und Kritik der Revolution sowie, auf der einer etwas anderen Ebene liegend, zwischen dem Ernst gegenüber dem Schrecklichen der Blutopfer und der jakobinischen Terreur-Politik auf der einen Seite, der Neigung zur satirisch- komisierenden Kritik auf der anderen Seite und der Tendenz zu einer weltanschaulich überhöhenden, anthropologischen oder geschichtsphilosophischen Weitwinkeloptik auf einer dritten Seite.“[11]

In diesem Spannungsfeld gilt es sowohl die Zeitgenossen deren Texte Büchner als Quellen verwertete, als auch Büchner, soweit möglich zu positionieren. Wenden wir uns zunächst den Zeitgenossen zu.

Marat spricht in seiner Zeitschrift „L´ami du people“ von der „berechtigten Wut“[12] des Volkes. Die „tragischen Szenen“[13] zu denen es kommt sind dem Einzelnen, der da Gewalt ausübt, nicht anzulasten. Bedauern über die Opfer wird zwar zum Ausdruck gebracht, aber nicht dem Individuum angelastet, das aufgrund der Jahrhunderte langen Ausbeutung und Unterdrückung gar nicht anders kann als sich in seiner „juste fureur“ zu verlieren.

Wie auch Marat, ist Robespierre ein Befürworter der Terreur-Politik und wählt eine dementsprechende Theatermetapher. So beschwört er die Konventsmitglieder in seiner großen Rede vom 25.Dezember 1793 „es nicht am nötigen Ernst gegenüber dem ´erhabenen Schauspiel der Revolution` fehlen zu lassen.“[14]

Mit dem „erhabenen Schauspiel“ meint Robespierre die Guillotine.

Er richtet diese Rede auch als Angriff gegen Desmoulins der in Artikeln, die er in der Zeitschrift Le vieux Cordelier veröffentlicht, das „erhabene Schauspiel“ mit einer profanen Theateraufführung vergleicht und unterstellt, das Volk befriedige dort lediglich seine Neu- und Sensationsgier. „Es war nicht so sehr die Liebe zur Republik, die Tag für Tag so viele Leute auf dem Revolutionsplatz versammelte, sondern die Neugier und das neue Stück von dem es nur eine Aufführung geben konnte.“[15] Das „erhabene Schauspiel“ dient also, laut Desmoulins, auf makabere Weise der Belustigung des Volkes und wird so zu einer wahnsinnigen Komödie. Eine Meinung die Desmoulins später den Kopf kostet.

Thiers Werk über die Französische Revolution gilt als seriöses Standardwerk, so sagt Heine über Thiers, er sei „vielleicht der lichteste kopf unter den Deputirten“ dessen „Verstand […] durch den Nebel keines Systems getrübt, aber auch durch keine Bewegung des Gemüths beunruhigt“[16] sei.

Wesentlich für seine Darstellung ist, dass er das „Erbe der Französischen Revolution in seiner Gesamtheit – einschließlich der Jakobinerdiktatur und der kulturellen Revolution des Jahres II – für das französische Bürgertum“[17] reklamiert. Die Vertreter des vierten Standes treten als diffuse, leidende und destruktive Individuen auf. „Durch alle Zeiten verharrten dessen Angehörige, so Thiers, in einem vorzivilisatorischen Zustand.“[18] Thiers behauptet die „Notwendigkeit aller Phasen der Revolution“ konstatiert aber, dass aus der Revolution, die in ihren Anfängen „tragique mais grande“[19] war, durch die Terreur-Politik 1794 eine „farce ridicule“[20] wurde. Das Drama kippt und wird zur Satire.

Thiers wurde wegen seiner Behauptung eines, durch die historischen Gegebenheiten bedingten notwendigen Verlaufs der Französischen Revolution, von Vertretern der romantischen Geschichtsschreibung als Kopf einer „ecole fataliste“ beschimpft. Das französische „fataliste“ kann aber nicht mit dem deutschen „fatalistisch“ (Schicksalsergeben) gleichgesetzt werden, sondern meint vielmehr eine „unvermeidliche Verbindung der Ursachen mit den von ihnen hervorgerufenen Wirkungen.“[21]

In Gegensatz zu Thiers historischem Standardwerk, ist die in mehreren Bänden erschienene Schrift „Unsere Zeit“ des Autors und Journalisten Friedrich (der hier unter dem Pseudonym Strahlheim schreibt) eindeutig als Populärwissenschaftlich zu bezeichnen und folgt in Aufbau und Formulierung dem journalistischen Paradigma: Unterhalten und Informieren. So übernimmt Friedrich einerseits den kompletten Wortlaut wichtiger Reden, Verträge usw., erzeugt andererseits aber durch die detaillierte Beschreibung psychologischer und privater Momente „eine Verbindung zwischen Historie und biedermeierlichen Lebenswelt“.[22] Es entsteht der Anschein von Authenzität. Auch vor dem Griff in die Trickkiste des Boulevardjournalismus scheut er nicht zurück und beschreibt die Ermordung einer Prinzessin mit einer geschmäcklerischen Ausführlichkeit, die einem Schauerroman in nichts nachsteht. „Jetzt ergriffen sie zwei Kerle, hielten sie fest und führten sie über geschlachtete Menschen hinweg. […] Dann wurde sie nackend ausgezogen, auf die abscheulichste Weise verstümmelt, ihr Kopf auf eine Pike gesteckt und der verstümmelte Körper durch die Straßen von Paris geschleift.“[23]

Interessant ist, dass Friedrich wie Thiers ein Verfechter der konstitutionellen Monarchie, die Bürger, die „arbeitsame und gewerbetreibende Classe des Volkes“[24], den städtischen Plebejern und ihren Anführern den Jakobinern, gegenüberstellt. Die Bürger haben nach Friedrich eine notwendige Revolution durchgeführt, die Armen und die Jakobiner sie während der Terreur, den niedrigsten Instinkten folgend im Blut ertränkt. „Die Brücke lag voller Cadaver, und die scheußlichste Neugier des Pöbels besichtigte sie.“[25] Die städtische arme Bevölkerung wird von Friedrich ähnlich wie von Thiers als triebhafter Mob dargestellt. Er unterstellt ihm eine „bis ins Ekelhafte getriebene Unreinlichkeit sowie Wollust des Blutvergießens.“[26]

Ihre Anführer die Jakobiner, und hier kommt die Theatermetaphorische Beschreibungssemantik wieder zum Einsatz, werden als Schauspieler dargestellt. Friedrich zitiert ausführlich Concordet einen Girondisten der sich über Robespierres lustig macht: „Er tritt auf wenn er Eindruck machen kann und tritt ab, wann andere, beliebtere Schauspieler die Bühne betreten.“[27] Ein weiteres theatrales Element, das in den Quellen bereits angelegt ist, ist die „Vorliebe der Revolutionäre, sich im Gewand römischer Republikaner zu kleiden.“[28]

[...]


[1] Kurz 1991: 555

[2] ebenda: 551

[3] Marburger Ausgabe 2000: 89

[4] Hausschild 1992: 67

[5] Kurz 1991: 553

[6] Leiteritz 1994: 71

[7] Leiteritz 1994: 71

[8] ebenda: 553

[9] ebenda: 551

[10] ebenda: 555

[11] Bornscheuer 1992: 63-64

[12] Marat 1967: 290

[13] ebenda

[14] Bornscheuer 1992: 71

[15] Bornscheuer 1992: 12

[16] Marburger Ausgabe 2000:39

[17] Marburger Ausgabe 2000: 35

[18] ebenda; Seite 34

[19] Leiteritz 1994: 58

[20] ebenda

[21] Drux 1986: 136-137

[22] Marburger Ausgabe 2000: 93

[23] ebenda: 134

[24] Marburger Ausgabe 2000: 93

[25] ebenda: 134

[26] ebenda: 93

[27] ebenda: 143

[28] Leiteritz 1994: 60

Fin de l'extrait de 30 pages

Résumé des informations

Titre
Dantons Tod (Büchner, Georg) - Gesellschaftsanalyse und Revolutionsdeutung
Université
University of Hamburg  (IGF II)
Cours
Einführung in das Studium der neuen deutschen Literatur
Note
1,3
Auteur
Année
2003
Pages
30
N° de catalogue
V24437
ISBN (ebook)
9783638273114
Taille d'un fichier
795 KB
Langue
allemand
Mots clés
Dantons, Georg), Gesellschaftsanalyse, Revolutionsdeutung, Einführung, Studium, Literatur
Citation du texte
Lars Bosselmann (Auteur), 2003, Dantons Tod (Büchner, Georg) - Gesellschaftsanalyse und Revolutionsdeutung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24437

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