Europa wächst zusammen. Mit der für Mai 2004 geplanten Erweiterung der Europäischen Union wird die blaue Europaflagge für 25 Staaten und für insgesamt rund 450 Millionen Menschen stehen. Immer öfter werden Entscheidungen nicht mehr auf nationalstaatlicher, sondern auf europäischer Ebene getroffen. Jeder Bürger eines EU-Staates ist seit In-Kraft-Tretens des Vertrags von Maastricht ob er will oder nicht auch gleichzeitig Bürger der Europäischen Union. Zweifellos übernehmen die Organe der Europäischen Union schon jetzt zahlreiche Aufgaben, die ursprünglich Gegenstand nationalstaatlicher Souveränität waren. Anders als die meisten anderen internationalen Organisationen kann sie Recht setzen, dass für die Bürger ihrer Mitgliedsstaaten unmittelbar bindend ist. Sie verfügt über Organe zur Gesetzgebung und zur Verwaltung und kann Entscheidungen zum Teil sogar gegen den ausdrücklichen Willen einzelner Mitgliedsstaaten durchsetzen. Ihre institutionelle Struktur wird vielfach sogar mit der eines Staates verglichen. Ministerrat und Europäisches Parlament bilden demnach gemeinsam die Legislative, die Europäische Kommission die Exekutive. Die Judikative wird vom Europäischen Gerichtshof verkörpert.
Kann aber deshalb tatsächlich schon jetzt von einem europäischen Staat gesprochen werden? Wie berechtigt ist es, der Europäischen Union schon jetzt „Staatscharakter“ zu unterstellen? Droht auf lange Sicht möglicherweise sogar ein europäischer „Superstaat“? Diesen Fragen soll in dieser Arbeit nachgegangen werden.
Um sie zu beantworten, sollen zunächst einige staatstheoretischen Grundüberlegungen angestellt werden. Was ist überhaupt ein Staat? Wie ist er entstanden und welche Aufgaben hat er zu erfüllen, wo gerät er an seine Grenzen? Das dritte Kapitel ist der Europäischen Union selbst gewidmet. Sie wird vielfach als ein Konstrukt „sui generis“, als Organisation eigener Art, beschrieben. Aber was heißt das eigentlich? Neben einem kurzen Abriss zur Entwicklung der Europäischen Union soll an dieser Stelle außerdem auf das sogenannte „Maastricht-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts eingegangen werden. Im vierten Kapitel schließlich sollen die zuvor erarbeiteten staatstheoretischen Grundlagen auf die Europäische Union bezogen werden. Abgeschlossen wird diese Analyse dann mit einem kurzen Exkurs zum Thema „Die Vereinigten Staaten von Europa“ und einer Zusammenfassung der dargelegten Überlegungen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Staat und Staatstheorie
- Der Staatsbegriff
- Die Entwicklung des modernen Staates
- Die Erosion der feudalen Gesellschaftsstruktur
- Geldwirtschaft und die Etablierung regelmäßiger Steuerabgaben
- Das Gewaltmonopol und die Trennung von Amt und Person
- Westfälischer Friede und staatliche Souveränität
- Staat und Staatstheorie der Gegenwart
- Verschiedene Staatsauffassungen und Versuche einer Systematisierung
- Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt
- Das Problem mit dem Staatsvolk und der Begriff der Nation
- Aufgaben und Grenzen des modernen Staates
- Die Europäische Union
- Versuch einer Annäherung
- Die Geschichte der Europäischen Integration
- Von der EGKS zur EU
- Der Unionsvertrag und das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
- Der Staatscharakter der EU
- Nationalstaatliche und europäische Souveränität
- Staatsgebiet und Staatsgewalt der Europäischen Union
- Staatsvolk und europäische Identität
- Die Vereinigten Staaten von Europa
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob die Europäische Union als Staat betrachtet werden kann. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der EU aus staatstheoretischer Perspektive. Ziel ist es, die Funktionsweise und Struktur der EU mit den Merkmalen des modernen Staates zu vergleichen und mögliche Parallelen und Unterschiede aufzuzeigen.
- Entwicklung und Wesen des modernen Staates
- Die Geschichte der europäischen Integration
- Die institutionelle Struktur und Funktionsweise der EU
- Der Einfluss der EU auf die nationalen Souveränitäten der Mitgliedsstaaten
- Die Frage nach einer europäischen Identität und der Vision der "Vereinigten Staaten von Europa"
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt die Frage nach dem Staatscharakter der EU in den Kontext der aktuellen Debatte über die Zukunft der europäischen Integration. Dabei werden die verschiedenen historisch-politischen Ideen eines geeinten Europas beleuchtet und der Entwurf für eine europäische Verfassung als Motor der aktuellen Debatte vorgestellt.
- Kapitel 2 behandelt die Grundlagen der Staatstheorie. Es werden die wesentlichen Merkmale des Staatsbegriffes und die historische Entwicklung des modernen Staates erläutert. Zudem werden verschiedene staatstheoretische Auffassungen und die Herausforderungen für den modernen Staat im 21. Jahrhundert beleuchtet.
- Kapitel 3 stellt die Europäische Union vor. Die Geschichte der europäischen Integration wird nachgezeichnet und die zentralen Institutionen und Prozesse der EU vorgestellt. Des Weiteren wird auf das sogenannte "Maastricht-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts eingegangen, das die rechtliche Einordnung der EU in das deutsche Rechtssystem betraf.
- Kapitel 4 analysiert den Staatscharakter der EU anhand der in Kapitel 2 erarbeiteten staatstheoretischen Kriterien. Es werden die Themen Nationalstaatlichkeit, europäische Souveränität, Staatsgebiet und Staatsvolk sowie die Herausforderungen der europäischen Integration im Kontext einer möglichen "Vereinigten Staaten von Europa" diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die zentralen Themen Staat, Staatstheorie, Europäische Union, europäische Integration, Souveränität, Staatsvolk, Identität, „Vereinigte Staaten von Europa“, Maastricht-Urteil. Es werden sowohl theoretische Ansätze als auch konkrete Beispiele aus der Geschichte und Gegenwart der EU herangezogen, um die Komplexität der Frage nach dem Staatscharakter der EU zu beleuchten.
- Citation du texte
- Felix Neubüser (Auteur), 2004, Superstaat Europa - Die Europäische Union aus staatstheoretischer Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24453