"Leben - das heisst: fortwährend Etwas von sich abstossen, das sterben will; Leben -
das heisst: grausam und unerbittlich gegen Alles sein, was schwach und alt an uns,
und nicht nur an uns, wird. Leben - das heisst also: ohne Pietät gegen Sterbende,
Elende und Greise sein? Immerfort Mörder sein? - Und doch hat der alte Moses
gesagt: 'Du sollst nicht tödten!'"1 So antwortet Friedrich Nietzsche (1844-1900) im
vorgefassten Kommentar zu "Also sprach Zarathustra" (1883-1885) auf die
grundlegende Frage nach dem Wesen des Lebens. Es ist das Gesetz des Lebens,
dass neue Lebensinhalte sich nur dann durchsetzen können, wenn im gottlosen
Zeitalter der Zukunft zuerst die alten Gestalten der Wahrheit "grausam und
unerbittlich" vernichtet werden. "Das höchste Gesetz des Lebens, von Zarathustra
formulirt, verlangt, daß man ohne Mitleid sei mit allem Ausschuß und Abfall des
Lebens, - dass man vernichte, was für das aufsteigende Leben bloß Hemmung, Gift,
Verschwörung, unterirdische Gegnerschaft sein würde".2 Das Leben besteht aus
einem unaufhaltsamen Versuch zur Destruktion der alten und "sterbende(n)"
Wahrheiten und zur Konstruktion neuer lebens- und zukunftsorientierter Wahrheiten.
Die Auseinandersetzung mit der Lebensproblematik beschränkt sich im Grunde nicht
auf eine bestimmte Phase der schöpferischen Tätigkeit Nietzsches. So stellt Theodor
Meyer in seinem Buch "Nietzsche und die Kunst" mit vollem Recht fest, dass „sein
ganzes Denken und Schaffen“ in der Wurzel „vom Phänomen und Begriff des
‚Lebens’“ geprägt war.3 Das Leben steht schon zwölf Jahre vor der Entstehung der
"Fröhlichen Wissenschaft" (1882) bereits im Mittelpunkt des Nietzscheschen
Interesses. Seine unzeitgemäßen Betrachtungen mit dem Titel "Vom Nutzen und
Nachteil der Historie für das Leben" (1874) sind ein triftiger Beweis für die
Feststellung Meyers. [...]
1 Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (3), 400.
2 Nietzsche, Nachgelassene Fragmente (13), 594.
3 Meyer, 18.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die monumentalische Historie
- 3. Die antiquarische Historie
- 4. Die kritische Historie
- 5. Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit befasst sich mit der Drei-Teilung der Historie und Kulturkritik in Nietzsches „Unzeitgemäßen Betrachtungen II“. Sie analysiert die von Nietzsche aufgestellte Typologie von Geschichtsbetrachtung und untersucht die positive und negative Wirkung der Historie auf das Leben aus seiner Perspektive.
- Die drei Arten der Geschichtsbetrachtung nach Nietzsche: monumentalische, antiquarische und kritische Historie
- Die Rolle der Historie für die Gestaltung der Zukunft
- Die Verbindung von Lebenswillen und Geschichtsverständnis
- Die Kritik an der Überbewertung der Vergangenheit
- Der Einfluss der Historie auf das Individuum und die Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung
Die Einleitung führt in die zentrale Problematik des Lebenswillens bei Nietzsche ein, der die Überwindung alter Wahrheiten und die Konstruktion neuer Lebenswahrheiten betont. Die Arbeit befasst sich mit Nietzsches Werk „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ und untersucht seine Typologie von Geschichtsbetrachtung.
2. Die monumentalische Historie
Dieses Kapitel analysiert den Ansatz der monumentalischen Historie, die von den tätigen und strebenden Menschen angewandt wird. Für diese Menschen dient die Geschichte als Vorbild und Anreiz, um Großes zu schaffen und die Zukunft zu gestalten. Die Vergangenheit wird als Quelle von Inspiration und Kraft genutzt, um die eigene Gegenwart und Zukunft zu verbessern.
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- Sakine Azodanlou (Author), 2003, Die Dreiteilung der Historie und Kulturkritik Nietzsches in den "Unzeitgemäßen Betrachtungen II", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24868