Zwischen Hitler und Henlein


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2001

23 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Begriffsdefinition
1.2. Zur Problematik des Widerstandsbegriffs

2. Von den Anfängen des Aktivismus bis zur Parteispaltung
2.1. Äußere Bedingungen

3. Von der ersten deutschen Regierungsbeteiligung bis zum Verbot der DNSAP
3.1. Die Beziehungen der DSAP zur reichsdeutschen Schwesterpartei SPD

4. Vom Aufstieg der DSAP bis zum Anschluß der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich

5. Fazit
5.1. Abkürzungen
5.2. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Gerade heute, wo eine Lösung der sprunghaft angestiegenen Nationalitätenkonflikte immer mehr auf gewaltsame Art und Weise, im Falle des ehemaligen Jugoslawien sogar wieder mittels sog. ‚ethnischer Säuberungen’ angestrebt wird, erlangen die friedlichen Lösungsmöglichkeiten zur Überwindung und Beseitigung nationaler Gegensätze, wie sie die sudetendeutsche Sozialdemokratie bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert dargelegt und in Angriff genommen hat, besondere Aktualität.“[1]

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in gebotenem Umfang mit dem politischen Wirken der „Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei“ (DSAP) in der Ersten Tschechoslowakischen Republik in den Jahren von der Gründung der Tschechoslowakei 1918 bis zum Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich im September/Oktober des Jahres 1938.

Insbesondere untersucht werden soll der Kampf der DSAP um eine Tschechoslowakische Republik, in der ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben des tschechoslowakischen Volkes mit der sudetendeutschen Minderheit möglich ist. Was tat die sudetendeutsche Sozialdemokratie, um nach der problematischen Staatsgründung die (nationalen) Interessen der Bevölkerung der sudetendeutschen Gebiete angemessen zu vertreten? Wie verhielt sie sich angesichts des aufsteigenden Nationalsozialismus im Deutschen Reich und bald darauf auch in der Tschechoslowakei? Warum war es ihr nicht gelungen, den nationalsozialistischen Rattenfängern mit einem überzeugenden friedlich-demokratischen Politikkonzept Widerstand zu leisten, das die sudetendeutsche Bevölkerung innerhalb der tschechoslowakischen Grenzen staatsrechtlich und nationalpolitisch zufriedenstellte und immun machte gegenüber großdeutschen Anschlussgedanken?

Vor allem in Hinblick auf das deutsch-tschechische Verhältnis seit 1945 ist die Frage nach dem Widerstand der deutschen Parteien in der Tschechoslowakei gegen Faschismus und Nationalsozialismus und dessen Unterstützung durch die Bevölkerung von großer Bedeutung. Denn dieses Verhältnis ist seit der gewaltsamen Vertreibung der Deutschen aus ihrer sudetendeutschen Heimat – zumindest auf persönlicher Ebene – äußerst gespannt. Die Vollstrecker der Austreibung begründen ihr Vorgehen bis heute damit, „[...] daß die Sudetendeutschen in ihrer Gesamtheit dem nationalsozialistischen Regime bis zum Schluß bedingungslos Gefolgschaft und keinerlei Widerstand geleistet hätten.“.[2] Mit der daraus abgeleiteten These von der Kollektivschuld aller Sudetendeutschen rechtfertigten sie die Durchführung der Austreibung ohne einen Unterschied machen zu müssen zwischen „ [...] Anhängern des nationalsozialistischen Regimes und dessen Opfern und Gegnern, zwischen Schuldigen und Unschuldigen [...].“.[3] Kann die Kollektivschuldthese gehalten werden? Sind wirklich alle Sudetendeutschen schuldig geworden?

Auch unter geschichtswissenschaftlichem Aspekt ist die Thematik des Widerstands der Sudetendeutschen gegen den Nationalsozialismus interessant, reduziert sich die Beschäftigung mit deutschem Widerstand zwischen 1933 und 1945 doch hauptsächlich auf die im Deutschen Reich wirkenden Widerstandskämpfer. „Seine auslandsdeutsche Komponente [...] ist bisher vernachlässigt worden.“ – stellt Klaus Sator fest.[4]

Jörg Kracik bilanziert in seiner Arbeit zum deutschen Aktivismus in der Tschechoslowakei, ausgehend von den Ergebnissen der „Gemeinsamen deutsch-tschechischen Historikerkommission“ vom Jahr 1996, dass es an einer Untersuchung bezüglich des deutschen Aktivismus, „ [...] die von seiner Entstehung bis zu seinem Scheitern reicht und seine Nuancen sowie seine vollständige parteipolitische Breite untersucht und darstellt.“[5] fehlt.

Wissenschaftlich kontrovers diskutiert wird ebenfalls die Definition eines einheitlichen Widerstandsbegriffs, der bisher nicht existiert. Klaus Sator wirft die Frage auf, ob ein Engagement der auslandsdeutschen Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus dem deutschen Widerstand zugerechnet werden kann. Auch hiermit beschäftigt sich die vorliegende Arbeit in einem kurzen Kapitel.

Im wesentlichen gliedert sich die Arbeit in drei Teile.

Im ersten wird die Politik der DSAP ab der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918 bis zur Parteispaltung 1921 dargestellt und die Frage untersucht, ob es sich – trotz des Fehlens einer konkreten nationalsozialistischen Gefahr, wie sie sich später in Parteien wie der DNSAP und SHF/SdP sowie in der Machtergreifung Hitlers im benachbarten Deutschen Reich manifestierte – schon um eine Politik des Widerstands handelte. Auch die Rahmenbedingungen, in denen die DSAP ihre Politik in den schwierigen Anfangsjahren der jungen Republik entwickeln musste, werden hier kurz vorgestellt.

Der zweite Teil greift die Zeit ab dem Eintreten sudetendeutscher Parteien in die Prager Regierung im Jahr 1926 bis zum Verbot der „Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei“ (DNSAP) 1933 auf. Hier begegnete die DSAP das erste Mal der realen Bedrohung durch den aufsteigenden Nationalsozialismus und musste sich angesichts erheblicher Stimmenverluste kritisch mit der eigenen Politik auseinandersetzen. Ob dies gelungen war, wird hier kurz zu zeigen versucht. In einem zweiten Abschnitt beschäftigt sich dieser Teil auch mit den Beziehungen, die ab der Machtübernahme Adolf Hitlers zu der reichsdeutschen Schwesterpartei bestanden.

Der Aufstieg der „Sudetendeutschen Heimatfront“ (SHF) und der Kampf der sudetendeutschen Sozialdemokratie gegen eine gewaltsame großdeutsche Lösung der „Sudetenfrage“ bis zum Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an das faschistische „Dritte Reich“ ist Bestandteil des dritten und letzten Teils meiner Arbeit.

1.1. Begriffsdefinitionen

In meiner Arbeit werde ich Begriffe verwenden, die in der Wissenschaft teils sehr umstritten sind und im Volksmund oft so polemisch und ungenau benutzt werden, dass ich es für nötig erachte, meine Auswahl hier in gebotenem Umfang zu erläutern.

Da ich mich mit dem sudetendeutschen sozialdemokratischen Widerstand gegen den Aufstieg der Sudetendeutschen Heimatfront (SHF), bzw. Sudetendeutschen Partei (SdP), sowie gegen den Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich beschäftige, werde ich im Folgenden kurz die Begriffe „Faschismus“, „Nationalsozialismus“, „Drittes Reich“ und „Sudetendeutsche“ definieren.

Als wissenschaftliche Kategorie ist der Ausdruck „Faschismus“ äußerst fragwürdig geworden, da er ideologisch und propagandistisch motiviert häufig zur plumpen Diffamierung des politischen Gegners, bzw. polemisch übersteigert zur Bezeichnung aller nicht-kommunistischen Staats- und Gesellschaftsformen angewendet wird. Ich verwende diesen Begriff für die Bezeichnung rechtsextremer, antiparlamentarischer, antisozialistischer und antikommunistischer Bewegungen bzw. Organisationen[6], wie ich sie in Deutschland zwischen 1933 und 1945 in der NDSAP für manifestiert halte.

Zur zusätzlichen Begründung meiner Auswahl möchte ich folgendes Zitat anführen: „Alle politischen Bewegungen, die im strengen Sinne als faschistisch angesehen werden können, haben sich direkt oder indirekt auf das italienische Vorbild oder seit der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 zumindest auf den seinerseits ursprünglich an Italien orientierten Nationalsozialismus berufen.“[7]

Den Begriff „nationalsozialistisch“ verwende ich ergänzend zu „faschistisch“, um den Charakter Deutschlands zwischen 1933 und 1945 einzuordnen. Er bezeichnet die Ideologie der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) (und des „Dritten Reiches“), die sich durch folgende Merkmale auszeichnet, wobei ich nur die wichtigsten herausgreifen möchte: militaristisch, totalitär, antisemitisch, antidemokratisch und antiparlamentarisch[8]. Des weiteren entspricht dieser Terminus „ [...] dem Selbstverständnis dieser Bewegung und des von ihr geprägten Staats [...]“[9].

Indem ich vom „Dritten Reich“ spreche, verwende ich bewusst die Bezeichnung Hitlers für den nationalsozialistischen Einparteienstaat des Deutschen Reiches.

Den Ausdruck „Sudetendeutsche“ prägte F. Jesser 1902 für die deutschsprachige Bevölkerung in Böhmen und Mähren. Wissenschaftliche Verwendung fand der Begriff allerdings bereits Ende des 19. Jahrhunderts, sowohl von deutscher als auch von tschechischer Seite aus. Ich verwende diesen Begriff, obwohl spätestens nach dem Münchner Abkommen belastet, als Bezeichnung „ [...] für die Deutschen Böhmens, Mährens und Schlesiens, die im Gefolge des Untergangs des Habsburgerreichs Staatsangehörige der neuentstandenen Tschechoslowakei geworden waren.“[10]

1.2. Zur Problematik des Widerstandsbegriffs

Immanuel Weiss definiert in seinem Aufsatz „Widerstand“ als die Summe der politischen, gesellschaftlichen, bewaffneten Opposition in der Bevölkerung gegen die Achsenmächte, in der Illegalität und im Untergrund[11]. Eine solche Festlegung ist nicht selbstverständlich, da

„ [...] bisher kein allgemein anerkannter Widerstandsbegriff existiert. Selbst unter Historikern gibt es keine einheitliche, etwa nur auf die NS-Zeit beschränkte Verwendung.“.[12] Die Teile der deutschen Arbeiterbewegung, die gegen Hitler und den Nationalsozialismus kämpften, bezeichneten sich selbst vorwiegend nicht als Widerstandskämpfer, sondern verstanden sich als Antifaschisten oder Illegale.

Des weiteren macht Klaus Sator auf die verschiedenen Facetten und Dimensionen aufmerksam, in denen sich „Widerstand“ ausdrücken kann, die eine Verengung auf einen so statischen Begriff problematisch werden lassen. Er sieht in dieser Eingrenzung die Gefahr,

„ [...] historischen Wandel nicht mehr adäquat erfassen zu können.“.[13]

Ich möchte mich in meiner Arbeit jedoch trotz der wissenschaftlichen Kontroversen um eine Definition des Begriffs „Widerstand“ auf die oben zitierten Ausführungen Immanuel Weiss’ stützen und fasse deshalb die Politik der sudetendeutschen Sozialdemokraten gegen Hitler und Henlein unter „Widerstand“ zusammen, auch wenn diese bis zum Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an Nazi-Deutschland nicht im Untergrund stattfinden musste.

Außerdem rechne ich den Kampf der sudetendeutschen Sozialdemokratie gegen den Aufstieg der SHF/SdP und Hitlers in den sudetendeutschen Teilen der Tschechoslowakei dem Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung zu, was ich im Folgenden kurz zu begründen versuche: Die sudetendeutsche Bevölkerung der Tschechoslowakei sah sich immer aufs Engste verbunden mit der des Deutschen Reiches, und das nicht nur in sprachlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht. Vor allem während der Zeit des Nationalsozialismus und der Verfolgung der (sudeten-) deutschen Sozialdemokratie bestanden intensive Beziehungen zwischen den Schwesterparteien. Man kämpfte gegen denselben Feind und dieselbe menschenverachtende Weltanschauung und unterstützte sich gegenseitig auf vielfältigste Art und Weise, wie im Laufe der Arbeit noch angerissen werden wird. „Die Geschichte der sudetendeutschen Arbeiterbewegung ist unter ideengeschichtlichen Gesichtspunkten Teil der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.“[14] Außerdem wird die Errichtung einer Ascher Zweigstelle des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) im September 1863, im selben Jahr der Gründung des ADAV in Leipzig, als Wiege der sudetendeutschen Sozialdemokratie gesehen, was noch einmal zeigt, dass sich die Geschichte der sudetendeutschen Arbeiterbewegung nicht so ohne weiteres von der der deutschen trennen lässt, ja sogar mit gutem Recht als Teil von ihr betrachtet werden darf.

[...]


[1] Sator, Klaus: Anpassung ohne Erfolg. Die Sudetendeutsche Arbeiterbewegung und der Aufstieg Hitlers

und Henleins 1930 – 1938. Darmstadt, 1996, S. 20.

[2] Grünwald, Leopold: Sudetendeutscher Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Für Frieden, Freiheit,

Recht. Benediktbeuern, 1986, S. 9.

[3] Grünwald, S. 9.

[4] Sator, S. 1.

[5] Kracik, Jörg: Die Politik des deutschen Aktivismus in der Tschechoslowakei 1920 –

1938. Frankfurt/Main, 1999, S. 10.

[6] Weitere Merkmale siehe Weiss, Immanuel: Geschichte griffbereit. Die sachsystematische Dimension der

Weltgeschichte. (Bd. 4). Hamburg, 1988, S. 604 ff.

[7] Schieder, Wolfgang: Faschismus. in: Dülmen van, Richard (Hrsg.): Fischer

Lexikon Geschichte. Frankfurt/Main, 1991, S. 177.

[8] weitere Merkmale siehe Weiss, S. 612.

[9] Sator, S. 22.

[10] Sator, S. 20.

[11] Weiss, S. 656.

[12] Sator, S. 3.

[13] Sator, S.4.

[14] Sator, S.34.

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Zwischen Hitler und Henlein
Université
Humboldt-University of Berlin  (Philosophische Fakultät)
Cours
Proseminar
Note
2,0
Auteur
Année
2001
Pages
23
N° de catalogue
V2501
ISBN (ebook)
9783638115261
Taille d'un fichier
524 KB
Langue
allemand
Mots clés
Zwischen, Hitler, Henlein, Proseminar
Citation du texte
Nina Dombrowsky (Auteur), 2001, Zwischen Hitler und Henlein, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2501

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