Analyse der Restrukturierung von Staatsverschuldung in Entwicklungsländern


Diplomarbeit, 2003

75 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

2 RESTRUKTURIERUNG, REPUDIATION UND RETORSIONEN
2.1 RESTRUKTURIERUNG
2.2 REPUDIATION UND RETORSIONEN

3 ANALYSE DES RESTRUKTURIERUNGSPROZESSES
3.1 KLASSIFIZIERUNG DER OPTIONEN UND GLÄUBIGERREGIME
3.2 VERHANDLUNGEN
3.2.1 Verhandlungen im Londoner Club
3.2.2 Verhandlungen im Pariser Club
3.2.3 Taktische Konzepte
3.3 INTERESSENHETEROGENITÄT
3.3.1 Interessen und Verhandlungsziele des Schuldnerlandes
3.3.2 Interessen und Verhandlungsziele der internationalen Regime
3.3.3 Interessen und Verhandlungsziele der sonstigen Akteure
3.3.4 Gleichbehandlung aller Gläubigergruppen
3.4 MERKMALE DER SCHULDENTRAGFÄHIGKEIT
3.4.1 Überschuldungsgrenzwerte und Zahlungsfähigkeit
3.4.2 Insolvenzbedingungen
3.4.3 Aufbringungs-, Transfer und Akzeptanzproblem
3.4.4 Moral-hazard-Problematik
3.5 DURCHSETZBARKEIT INTERNATIONALER KREDITVERTRÄGE
3.6 STÄRKEN-SCHWÄCHEN-PROFIL

4 REDESIGN DES RESTRUKTURIERUNGSPROZESSES
4.1 INTERNATIONALER WÄHRUNGSFONDS UND EINBEZIEHUNG DES PRIVATSEKTORS
4.1.1 Kreditvergabestrategie des IWF
4.1.2 Reform des IWF
4.1.3 Einbeziehung des Privatsektors
4.2 COLLECTIVE-ACTION-CLAUSES IN ANLEIHEBEDINGUNGEN
4.2.1 Definition und Beschreibung der Unterklauseln
4.2.2 Beurteilung der CAC’s
4.3 INTERNATIONALE INSOLVENZORDNUNG
4.3.1 Vorbild USA
4.3.2 Sovereign Debt Restructuring Mechanism
4.3.3 Beurteilung des SDRM

5 SCHULDENRESTRUKTURIERUNGEN RUSSLANDS
5.1 ALLGEMEINE WIRTSCHAFTSLAGE
5.2 SCHULDENSTAND
5.3 RESTRUKTURIERUNGSSTRATEGIE RUSSLANDS
5.4 BISHERIGE RESTRUKTURIERUNGSABKOMMEN

6 SCHLUSSBEMERKUNGEN UND AUSBLICK

A B B I L D U N G S V E R Z E I C H N I S

Abbildung 1: Allgemeine Optionen im Restrukturierungsprozess

Abbildung 2: Klassifizierung der Optionen im Restrukturierungsprozess

Abbildung 3: Prozess multilateraler Restrukturierungsverhandlungen

Abbildung 4: Akteure im Restrukturierungsprozess

Abbildung 5: Interessen des Schuldnerlandes

Abbildung 6: Interessen der Gläubigerbanken

Abbildung 7: Veränderungsraten des realen BIP (in%)

Abbildung 8: Warenexporte und Warenimporte in US-Dollar

Abbildung 9: Ausgabenrelationen im föderalen Haushalt Russlands

Abbildung 10: Einnahmerelationen im föderalen Haushalt Russlands

Abbildung 11: Verschuldung der russischen Föderation

Abbildung 12: Schuldendienst der russischen Föderation bis

Abbildung 13: Struktur der russischen Verschuldung in Mrd. US-Dollar

Abbildung 14: Struktur der russischen Verschuldung in Anteilen

A B K ÜR Z U N G S V E R Z E I C H N I S

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

T A B E L L E N V E R Z E I C H N I S

Tabelle 1: Stärken des analysierten Restrukturierungsprozesses

Tabelle 2: Schwächen des analysierten Restrukturierungsprozesses

Tabelle 3: Collective-action-clauses

Tabelle 4: Bisherige Restrukturierungsabkommen Russlands

1 Einleitung

Die Verschuldungskrisen in einzelnen Ländern führten zur Restrukturierung ihrer Aus- landsverschuldung. Die etablierten Institutionen führten Verhandlungen und unterstütz- ten mit wirtschafts- und währungspolitischen Maßnahmen sowohl das Schuldnerland als auch Gläubigerländer und -banken. Die Stabilität des internationalen Finanz- und Währungssystems ist durch Verschuldungskrisen in ständiger Gefahr. Neue Institutionen wie das Forum für Finanzmarktstabilität (FSF) entstanden, etablierte Institutionen wie der Londoner und Pariser Club intensivierten ihre Bemühungen zu effizienteren Restruk- turierungsverhandlungen. Insbesondere der IWF steht in der Kritik und entwickelt konti- nuierlich neue Instrumente und Maßnahmen zur Krisenprävention und -bewältigung. Neue Verschuldungsarten entstanden in Anleihen und deren Derivate. Sie führen zu großen Herausforderungen an die etablierten Institutionen und Restrukturierungspro- zesse.

Sobald sich ein Schuldner in einer Situation befindet, in der er seine Schulden nicht mehr bedienen kann (Verschuldungskrise)1, bieten sich ihm zwei Möglichkeiten: Seine Schul- den werden restrukturiert, so dass er weiterexistieren kann, oder es droht ihm die Liqui- dation. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einerseits Kreditverträge verbindlich und einzuhalten sind, andererseits Ansteckungsgefahren für andere Schuldner und Gläubiger bestehen, wenn ein Schuldner seine Verbindlichkeiten nicht zurückzahlen kann. Auch souveräne Staaten finanzieren ihre Ausgaben über Kreditaufnahme und setzen sich der Gefahr aus, diese nicht bedienen zu können. Sie lösen Finanz- und Schuldenkrisen aus, die volkswirtschaftliche und soziale Kosten im Schuldnerland verursachen. Da die Liqui- dation eines souveränen Staates unmöglich ist, wird eine Restrukturierung des Schulden- bestandes unumgänglich. Auch Gläubiger erleiden dabei Verluste durch ineffiziente Restrukturierungsprozesse.

Diese Arbeit thematisiert den gesamten Restrukturierungsprozess. Auf den Definitions- teil folgt eine Analyse des Restrukturierungsprozesses, wobei insbesondere auf Verhand- lungen, Interessenheterogenität und Schuldentragfähigkeit eingegangen wird. Das Redesign des Restrukturierungsprozesses wird anhand von derzeit diskutierten Ansätzen vorgenommen. Das letzte Kapitel analysiert Russland und seine bisherigen Restruktur- ierungen.

2 Restrukturierung, Repudiation und Retorsionen

2.1 Restrukturierung

Die Begriffe „Restrukturierung“ und „Umschuldung“ werden in der Literatur synonym verwendet. Sowohl Umschuldung als auch Refinanzierung sind Unterbegriffe der Re- strukturierung finanzieller Verbindlichkeiten2. Restrukturierungsvereinbarungen modifi- zieren grundsätzlich verbindliche Kreditverträge. Sie ermöglichen Schuldnern die Ver- tragserfüllung durch veränderte Konditionen, die ihren finanziellen Umständen Rech- nung tragen. Refinanzierungen ersetzen Altkredite durch Neukredite zu veränderten Kon- ditionen. Ziel von Restrukturierungen sollte sein, den jeweiligen Schuldnerländern eine Chance zu bieten, Wirtschaft und Finanzen in Ordnung zu bringen und das vorhandene Entwicklungspotenzial produktiv zum allgemeinen Wohl zu nutzen.3 Auf globaler Ebene hat der Erhalt der Stabilität des internationalen Währungs- und Finanzsystems oberste Priorität.4

In vielen Aspekten ist die Auslandsverschuldung eines Staates der Binnenverschuldung ähnlich.5 Zwei wichtige Unterschiede sind dagegen: Erstens stellen die Zins- und Tilgungs- zahlungen der Auslandsverschuldung (Schuldendienst) einen Einkommenstransfer ins Ausland dar. Zweitens bleibt einer Regierung der Weg versperrt, ihre Auslandsverschuldung durch Inflation zu entwerten. Auslandsverschuldung denominiert üblicherweise in aus- ländischer Währung und unterliegt direkt keinen binnenwirtschaftlichen Geldwert- änderungen. Nach empirischen Untersuchungen6 kommt es in der Regel zu einer Restruk- turierung, wenn ein Schuldnerland seine fälligen Kredite nicht bedienen kann (Default)7, den Schuldendienst zeitweise einstellt (Moratorium) oder sich dauerhaft nicht in der Lage sieht, seinem Schuldendienst nachzukommen und die Schulden zurückweist (Repudiation)8. Neben einem Moratorium und der Repudiation stehen dem Schuldnerland weitere Strategien offen, wenn es kurz vor dem Default steht9: Sie erkennen die Staatsschuld der Vorgängerregierung nicht an, berufen sich auf eigenes Recht und Gerichtsbarkeit (waivers of sovereignty) oder ändern den Schuldendienst ohne Gläubigermitsprache.

2.2 Repudiation und Retorsionen

Der Nutzen einer Repudiation ist der entfallende Schuldendienst. Die frei werdenden Budgetmittel sind entsprechend den Präferenzen der Regierung für andere Ausgaben zu verwenden: soziale Sicherungssysteme, Konjunkturprogramme oder Steuererleichterungen. Der politische Druck aus der Opposition und der Bevölkerung sinkt und die Regierung bleibt länger an der Macht.

Durch eine Repudiation entstehen dem Schuldnerland Kosten10. Gläubiger drohen mit der Konfiszierung von Schuldnereigentum - Flugzeuge- und Schiffe staatlicher Gesell- schaften, Devisenreserven und Gold. Transaktionen und Transfers zwischen dem Schuld- nerland und Gläubigerländern werden unterbrochen, indem Gläubigerländer mit einem Handels- und Kreditembargo den Waren- und Kapitalverkehr einstellen. Im Schuld- nerland sinken die Exporte und deren Bezahlung in Devisen. Das Importvolumen sinkt und das Schuldnerland wird zunehmend vom internationalen Handel ausgeschlossen. Eine Destabilisierung im Schuldnerland droht, wenn es zu starken Kapitalabflüssen kommt. Das Schuldnerland verliert die Kontrolle über die Inflation. Der Binnenverschul- dung droht ebenfalls die Repudiation, denn es ist nur ein kleiner Schritt von der Repudiation der Auslandsverschuldung hin zur Binnenverschuldung.

Auf die Hauptdrohung der Repudiation durch ein Schuldnerlandes reagieren die Gläubiger mit der Drohung der genannten Sanktionen (Retorsionen). Dabei sind die Kosten der Repudiation umso höher11, je stärker der Schuldner für die Finanzierung von Investitionen auf zukünftige Kredite und damit auf seine Reputation angewiesen ist, und je mehr er unter Strafmaßnahmen leiden wird, die seinen Außenhandel stören. Insgesamt ist schwer festzustellen, ob die tatsächlich entstehenden Kosten vergleichsweise gering sind, oder zur wirtschaftlichen Katastrophe führen. Es ist wahrscheinlich, dass eine Schuldnerregierung nicht versucht, die Kosten einer ökonomischen Auseinandersetzung mit den Gläubigern zu berechnen. Bei Gefährdung ihrer innenpolitischen Basis stellen sie keine hypothetischen Berechnungen der langfristigen Kosten einer Repudiation an. Sie schätzen lediglich die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden Vergeltung durch die Gläubiger und vergleichen diese mit den Vorteilen einer Repudiation.12

3 Analyse des Restrukturierungsprozesses

Die Prozessanalyse analysiert die Einzelelemente während der Restrukturierungsphase. Sie zeigt Probleme und Abhängigkeiten der einzelnen Elemente untereinander auf und verfolgt das Ziel, durch eine strukturierte Darstellung mögliche Stärken und Schwächen im Prozess zu ermitteln.

3.1 Klassifizierung der Optionen und Gläubigerregime

Gerät ein Schuldnerland in die Verschuldungskrise, so stehen unabhängig von institutionalisierten Restrukturierungsverhandlungen mit Gläubigergruppen mehrere Optionen offen. Grundsätzlich sind Verhandlungen mit jedem einzelnen Gläubiger möglich (bilaterale Verhandlungen). In diesen Verhandlungen besteht das Menü aus den nachfolgend dargestellten Optionen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Allgemeine Optionen im Restrukturierungsprozess Quelle: Eigene Darstellung

Da sich durch wiederholte Verschuldungskrisen mit anschließenden Restrukturierungsprozessen Gläubigerregime (multilaterale Verhandlungen) und Maßnahmenbündel herausgebildet haben, besteht ein zusätzliches Menü für Schuldnerländer und Gläubiger aus den nachfolgend dargestellten Optionen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Klassifizierung der Optionen im Restrukturierungsprozess Quelle: Eigene Darstellung

Da von den Maßnahmenbündeln keines auf den Fall Russland anwendbar ist, bleiben sie bei der Analyse unberücksichtigt. Im Kapitel 4 - Redesign des Restrukturierungsprozesses - werden die derzeitig global diskutierten Ansätze der collective-action-clauses und ein internationales Insolvenzrecht behandelt. Gläubigergruppen haben sich in Gläubigerregimen organisiert. Nachfolgend sind diese kurz dargestellt.

Im Londoner Club13 sind die Gläubigerbanken organisiert und führen fallweise länder- spezifische Restrukturierungsverhandlungen über Bankkredite. Üblicherweise sind mehrere hundert Banken als Gläubiger in einem Schuldnerland aktiv, so dass eine Koordination der beteiligten Banken schwierig ist. Im Pariser Club14 treffen sich die Vertreter der wichtigsten Gläubigerländer: Australien, Belgien, Kanada, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Niederlande, Norwegen, Österreich, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien und USA. Weitere Gläu- bigerländer kommen je nach Verhandlungen dazu. Gläubigerregierungen verhandeln mit dem Schuldnerland analog zum Londoner Club fallweise länderspezifisch über die öffentlich-bilateralen Schulden. Verbriefte Verbindlichkeiten (Anleihen) bedingen keine direkten Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldnerland.15 Anleihegläubiger orga- nisieren sich in Gläubigerversammlungen. Eine Koordination ist schwierig, denn An- leihegläubiger sind global verteilt und ihre Interessen sehr heterogen. Sie reichen von länderspezifischen, langfristigen Investitionen bis zur Spezialisierung auf den Ankauf Not leidender Kredite. Die Gesamtheit der Gläubiger ist bei einem Default an einer mög- lichst gerechten Schuldenrestrukturierung interessiert. Der einzelne Gläubiger hat ein Interesse daran, auf die vollständige Erfüllung seines rechtmäßigen Anspruchs zu bestehen. Es besteht ein Anreiz, sich diesen so schnell wie möglich einzuklagen. Damit existieren zwei konkurrierende Probleme: Zum einen streben alle Gläubiger nach Koor- dination und Gleichbehandlung. Zum anderen gibt es Anreize nicht zu kooperieren und sich seinen rechtmäßigen Anspruch allein zu erwirken. Gemeinsam mit den Schuldner- ländern versuchen Banken, die drohende Zahlungsunfähigkeit und das damit verbundene Risiko einer Kettenreaktion im Bankensektor des Schuldnerlandes und drohende globale Ansteckungsgefahren auszunutzen. Die in der Bank für Internationalen Zahlungsaus- gleich (BIZ) organisierten Zentralbanken und der IWF sind gezwungen, ihre Funktion des lender-of-last-resort16 auszuüben und für Neukredite (fresh-money) im Schuldnerland zu sorgen, sowie den vom Konkurs bedrohten Gläubigerbanken zu helfen. Dazu bieten sich Einlagensicherungsfonds, bankaufsichtsrechtliche Regelungen hinsichtlich Groß- kreditgrenzen und steuerlich variabel auslegbare (Bilanz-)Wertberichtigungsregeln an.

3.2 Verhandlungen

Internationale Kreditverträge spielen eine zunehmend untergeordnete Rolle bei der Finanzierung der Entwicklungsländer. Es ist jedoch auszuschließen, dass Banken und Regierungen vollständig auf eine Kreditvergabe über das traditionelle Kreditgeschäft ver- zichten werden17. Kreditverträge bleiben Bestandteil von Restrukturierungsprozessen. Verhandlungen finden auf multilateraler Ebene im Londoner und Pariser Club statt. Auf bilateraler Ebene führen einzelne Gläubigerländer konkrete Verhandlungen mit dem Analyse der Restrukturierung von Staatsverschuldung in Entwicklungsländern Schuldnerland. Da Verhandlungen von taktischen Konzepten beeinflusst werden, sind diese im letzten Teil thematisiert.

3.2.1 Verhandlungen im Londoner Club

Der Londoner Club setzt den organisatorischen Rahmen für die Aktivitäten der Gläu- bigerbanken.18 In ihm koordinieren sich die Gläubigerbanken und erarbeiten länderspezi- fische Restrukturierungsvorschläge hinsichtlich individueller Konsolidierungsperioden, Überwachungsvereinbarungen und Verzugskriterien. Länderspezifische Verhandlungen sind sinnvoll, weil andernfalls die Gefahr besteht, dass sich die Schuldnerländer organi- sieren und eine Position einnehmen, die erhebliches Stör- oder Bedrohungspotenzial für die Gläubigerbanken hat.19 Zudem sind individuelle Verschuldungs- und politische Strukturen einfacher zu berücksichtigen.20 Bei einer Kreditvergabe an ein souveränes Land bilden sich Gelegenheitsgesellschaften (Konsortien)21, um Risiken der Kreditver- gabe zu diversifizieren. Bei einer drohenden Verschuldungskrise versuchen kleine Banken mit einer meist geringen Kredittranche das Konsortium zu verlassen. Sie sind nicht mehr bereit, das Risiko mitzutragen. Mit der Drohung, ihre Kredite fällig zu stellen, zwingen sie andere Mitglieder des Konsortiums (Konsorten), ihnen ihre Kredittranchen abzukaufen. Sie werden zu free-ridern22.

Während im Londoner Club über Restrukturierungen verhandelt wird und den Schuld- nerländern Zugeständnisse gemacht werden, sind die nicht mehr beteiligten Konsorten von potenziellen Ertragseinbußen verschont. Sie haben zuvor ihre Kredittranchen an andere Konsorten verkauft und sichere Verluste wertberichtigt. Sie entziehen sich dem unsicheren - höheren - Wertberichtungsbedarf aus dem Restrukturierungsprozess. Eine andere Sicht des free-riding bezieht sich auf Banken, die sich nicht im Londoner Club engagieren, aber in Finanzbeziehungen zum Schuldnerland stehen: Über Restruktur- ierungen im Londoner Club steigen für die nicht beteiligten Banken die Marktwerte ihrer Kredite. Den Nettogewinnen daraus stehen keine Kosten für Restrukturierungsverhand- lungen bei den free-ridern gegenüber. Ein Zwang zur Mitarbeit im Londoner Club wird notwendig, da andernfalls alle Banken in die Position des free-riding streben. Keine Bank kann jedoch gezwungen werden, sich im Londoner Club zu engagieren. Im so genannten information-free-riding werden die Kosten der Kreditwürdigkeitsprüfung in den Mittel- punkt gestellt. Die Kreditwürdigkeitsprüfung durch eine internationale Großbank ist mit hohen Kosten verbunden. Sie gilt als Marktführer, dem andere Konsortien zu relativ ge- ringen Informationsbeschaffungskosten folgen und Kredite vergeben. Der Marktführer hat theoretisch keine Chance, sich die Kosten der Informationsbeschaffung von seinen Marktfolgern erstatten zu lassen. Die Kreditpraxis zeigt jedoch, dass sich der Konsortial- führer seine Kreditwürdigkeitsprüfung durch eine höhere Kreditmarge, höhere Gebühren von den Konsorten oder dem Schuldnerland bezahlen lässt. Somit haben allein Markt- folger einen Vorteil aus dem information-free-riding, jedoch der Marktführer zumindest keinen Nachteil daraus.

Im Londoner Club bildet sich für anstehende Verhandlungen ein Steuerungsausschuss.23 In ihm sitzen Vertreter der großen Gläubigerbanken und koordinieren einzelne Unteraus- schüsse. In den Unterausschüssen werden die volkswirtschaftliche Entwicklung, die Schul- dendienstfähigkeit des Schuldnerlandes und ausstehende Forderungen ermittelt und analy- siert. Da sich Gläubigerbanken in Größe und Kreditengagement unterscheiden, geht es originär um eine ausgeglichene Lastenverteilung innerhalb der Gruppe der Gläubiger- banken und sekundär um eine Gleichberechtigung mit den öffentlichen Gläubigern im Pariser Club. Restrukturierungen werden über die gerade fälligen und sich im Verzug befindlichen Schulden geführt. Zukünftig fällige Schuldendienste sind üblicherweise eben- falls vom Verzug bedroht, so dass sich mehrjährige Restrukturierungsabkommen (MYRA) herausgebildet haben24. In MYRA’s werden neben den gerade fälligen Schuldendiensten zugleich die in den nächsten 12-18 Monaten fälligen Verbindlichkeiten restrukturiert. Sie verfolgen das Ziel, den Zugang der Schuldnerländer zu den internationalen Kapitalmärkten zu normalisieren, eine erzwungene Kreditvergabe abzubauen und den Marktteilnehmern die Unabhängigkeit von Forderungen des IWF und der Gläubigerländer zurückzugeben. Die Zugeständnisse zeigen sich im Vergleich zu einmaligen Restrukturierungen in längeren Kreditlaufzeiten und durch verminderte Spreads. MYRA’s geben Planungssicher- heit für das Schuldnerland und deren Gläubigerbanken. Regelmäßige Informationen helfen den Gläubigerbanken, die Entwicklung der inländischen Wirtschaftspolitik und deren Pläne zu beobachten und ihre Kreditvergabe dementsprechend anzupassen.

3.2.2 Verhandlungen im Pariser Club

Verhandlungen im Pariser Club entwickeln sich ohne formellen institutionellen Rahmen und sind üblicherweise ebenfalls nach dem MYRA-Konzept aufgebaut.25 In der Vergangenheit hat sich ein informeller Prozess herausgebildet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Prozess multilateraler Restrukturierungsverhandlungen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an EBERLEI (1999), S. 14-15

Das Pariser Protokoll26 als Abschlussvereinbarung der Restrukturierungsverhandlungen gibt den Ordnungsrahmen für bilaterale Verhandlungen zwischen einer einzelnen Gläubi- gerregierung und dem Schuldnerland vor. Es enthält keine Zinssätze, sondern regelt die folgenden Konditionen: Definition der erfassten Forderungen und deren Laufzeit, Datum bis zu dem Verbindlichkeiten in die Restrukturierung einbezogen werden und Konsoli- dierungs-, Tilgungs- und Rückzahlungszeiträume. Üblich ist eine so genannte Meistbe- günstigungsklausel, die das Schuldnerland dazu verpflichtet, mit Nicht-Mitgliedern des Pariser Clubs keine günstigeren Konditionen auszuhandeln. Ziel ist eine gerechte Lasten- verteilung und Gleichbehandlung aller Gläubiger. Eine so genannte good-will-clause signalisiert dem Schuldnerland, dass der Pariser Club prinzipiell bereit ist, Fälligkeiten innerhalb eines bestimmten zukünftigen Zeitraums über den MYRA-Zeitraum hinweg zu restrukturieren. Das Schuldnerland sichert sich damit eine flexible Reaktion auf adverse ökonomische Entwicklungen, insbesondere hinsichtlich der Schwierigkeiten und Un- sicherheiten der IWF-Anpassungsprogramme. Auch diese Klausel verfolgt das Ziel einer gerechten Lastenverteilung und Gleichbehandlung aller Gläubiger. Sie wird an Vorbe- dingungen geknüpft:

- Übereinkunft des Schuldnerlandes mit dem IWF über die Inanspruchnahme einer Kredittranche zu höherer Konditionalität,
- vergleichbare Zugeständnisse wie vom Pariser Club von bisher noch nicht beteiligten öffentlichen Kreditgebern, Banken und sonstigen Gläubigern und
- Einhaltung der vorausgegangen Pariser Protokolle.

Bestehende Kreditverträge werden in bilateralen Verhandlungen zwischen einzelnen Gläubigerregierungen und dem Schuldnerland individuell restrukturiert und beinhalten Zahlungsaufschübe zu besonderen Zinssätzen (Moratoriumszinssatz). Normalerweise bleibt der Moratoriumszinssatz unverändert wie zum Zeitpunkt der ursprünglichen Kre- ditvergabe. Das Pariser Protokoll kann aber vorsehen, dass sich der Moratoriumszinssatz am Marktzins zum Zeitpunkt der bilateralen Verhandlungen orientiert. Dies wird das Pariser Protokoll vorsehen, wenn das Zinsniveau im Restrukturierungszeitraum höher liegt als bei der ursprünglichen Kreditvergabe. Damit signalisiert der Moratoriumszins- satz, dass Schuldendiensterleichterungen Notmaßnahmen sind und nicht Entwicklungs- hilfe zu Vorzugsbedingungen.27 Andernfalls haben Schuldnerländer einen Anreiz, Re- strukturierungen immer dann zu beginnen, wenn das Zinsniveau gerade höher ist als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Kreditvergabe. Deutschland setzt für den Moratoriumszinssatz entsprechend der Fälligkeiten den Refinanzierungszinssatz des Bundeshaushalts zuzüglich einer Marge zur Deckung des Verwaltungsaufwands an.28

3.2.3 Taktische Konzepte

Restrukturierungsverhandlungen werden durch diverse taktische Konzepte sowohl auf Gläubiger- als auch auf Schuldnerseite langwierig und kostenintensiv.29 Die Verhandlungen werden ineffizient.

Schuldnerländer lassen zunächst solche Mitglieder ihrer Gruppe Restrukturierungsverhandlungen mit ihren Gläubigern führen, die für die Gläubigerländer von geostrate gischer Bedeutung sind. Die Schuldnergruppe hofft, dass sich die Gläubiger bei ihnen zu größeren Zugeständnissen bereit erklären. Die übrigen Schuldnerländer erwarten dann ähnlich günstige Konditionen in ihren eigenen Restrukturierungsverhandlungen durchzusetzen. Dagegen sind Gläubiger bemüht, den Zusammenhalt der Schuldnergruppe zu destabilisieren. Sie versuchen einzelne aggressiv verhandelnde Schuldnerländer dadurch zu isolieren, dass sie bei ihnen nur sehr geringe Zugeständnisse machen. Sie setzen damit das Signal, dass sie nicht mit aggressiven Schuldnerländern verhandeln werden und geben Anreize zur Selbstdisziplin in der Schuldnergruppe.

Die Drohungen der Repudiation durch ein Schuldnerland oder Retorsionen der Gläubiger werden nicht offen ausgesprochen, sondern in abgeschwächter Form indirekt über Dritte vorgetragen (implizite Drohungen): Sperrkontenregelungen, Anleiheumtauschpflichten, Begrenzung des Schuldendienstes auf einen bestimmten Prozentsatz des BIP, unbe- fristetes Moratorium oder Kreditboykott bei der Syndizierung von Projektkrediten. Mit impliziten Drohungen sichern sich Schuldnerländer und Gläubiger eine günstigere Verhandlungsposition. Um ihren Drohungen Glaubwürdigkeit zu verleihen, wird eine be- grenzte Kriegführung angestrebt. Diese Taktik ist sinnvoll einsetzbar, wenn die kurz- fristige Wahrmachung der Drohung in voller Konsequenz nicht glaubwürdig erscheint. Sie gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn sie in Teile zerlegt und in ihrer sukzessiven An- wendung vom weiteren Verhalten des jeweiligen Verhandlungspartners abhängig ge- macht wird. Die Verhandlungspartner vermeiden einen möglichen umfassenden Vergel- tungsschlag des Kontrahenten. Allerdings dürfen die Verhandlungspartner diese Taktik nicht soweit führen, dass sich der Kontrahent gezwungen fühlt, Gegenmaßnahmen einzu- leiten, um sein „Gesicht zu wahren“. Die Verhandlungspartner sind sich des System- risikos ihrer Maßnahmen bewusst. Es besteht das Risiko, dass der IWF mit Sanktionen eingreift, wenn er die Stabilität des Weltfinanz- und Weltwährungssystems in Gefahr sieht. Die Kontrahenten eröffnen damit einen dritten Kriegsschauplatz, was nicht in ihrem Interesse liegt.

Internationale Banken verleihen ihrer Hauptdrohung Glaubwürdigkeit, indem sie kom- merzielle Lieferungen von Staatsunternehmen pfänden und weitergehende Verfahren zur Klärung der Rechtssituation anstreben oder Auslandsguthaben des Schuldnerlandes ein- frieren30. Ein Schuldnerland vermeidet diese Retorsionen, indem es seine Guthaben in befreundete Länder transferiert. Gläubigerregierungen verleihen ihren Drohungen Glaub- würdigkeit, indem sie ihre Unterstützung bei politischen Zielen des Schuldnerlandes, beispielsweise einem WTO-Beitritt31, verweigern oder Exportbürgschaften32 einfrieren. Schuldnerländer zerlegen ihre Hauptdrohung ebenfalls in einzelne Teile: zu niedrige Wertansätze für Schuldendienstzahlungen im jährlichen Haushaltsentwurf33, teilweise Zahlung des fälligen Schuldendienstes, Tilgungsstreckung auf unüberschaubare Fristen oder Moratoriumserklärungen auf einzelne Kredittranchen. Gleichzeitig gibt es aber auch Signale des guten Willens wie Abschlagszahlungen auf fällige Zinsen.34

Nach dem Prinzip der kleinen Mittel wird in Verhandlungen bei einer größeren Zahl von relativ unwichtigen Verhandlungspunkten ein wenig nachgegeben, anstatt bei einem wichtigen Verhandlungspunkt umfangreiche Zugeständnisse zu machen. Die Gläubiger tasten sich so an die Reizschwelle des Schuldnerlandes heran. Gibt der Gläubiger bei einem wichtigen Verhandlungspunkt viel nach, führt dies beim Schuldnerland zu großer Unzufriedenheit. Offensichtlich hat der Gläubiger die Verhandlungen mit überzogenen Bedingungen begonnen, so dass viel Verhandlungsspielraum besteht. Beide Verhand- lungspartner sind mit diesem Prinzip in der Lage, bei umfangreichen Zugeständnissen ihr Gesicht zu wahren. Tatsächlich dient das Prinzip dazu, die Verhandlungsmacht des Schuldnerlandes abzuschöpfen. Bei Restrukturierungsverhandlungen wird zuerst Ver- handlungsmacht der Schuldnerländer verbraucht, indem bei Gebühren nachgegeben wird

- beispielsweise für die Kreditbereitstellung, fällige Zins- oder Tilgungsleistungen, Kreditverwaltung oder Koordination der Konsorten. Danach wird über Spreads, Laufzeiten oder andere wichtige kreditvertragliche Bestandteile verhandelt.

3.3 Interessenheterogenität

Am Restrukturierungsprozess ist neben dem Schuldnerland ein komplexes Geflecht von nationalen und internationalen, staatlichen und privaten Akteuren beteiligt. Sie wirken auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Interessen auf den Restruktur- ierungsprozess ein. Auf globaler Ebene wirken insbesondere die G7-Staaten. Auf multi- lateraler Ebene sind internationale Regime tätig: IWF, Weltbank, Londoner und Pariser Club. Die bilaterale Ebene besteht hauptsächlich aus einzelnen Gläubigerbanken und - regierungen sowie den Anleihegläubigern. Das einzelne Schuldnerland steht im Zentrum aller Bemühungen. Nachfolgend sind die am Restrukturierungsprozess maßgeblich be- teiligten Akteure dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Akteure im Restrukturierungsprozess Quelle: Eigene Darstellung

3.3.1 Interessen und Verhandlungsziele des Schuldnerlandes

In Restrukturierungsverhandlungen stehen sich die Interessen des Schuldnerlandes und die Interessen der Gläubigergruppen gegenüber. Das Schuldnerland verfolgt ein ganzes Bündel an Verhandlungszielen, die es nicht alle erreichen kann. Nachfolgend eine mög- liche Klassifizierung der Verhandlungsziele nach Handelsbeziehungen, Finanzmarkt und Schuldendienst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Interessen des Schuldnerlandes

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an REINHARDT (1990), S. 170-172

Die Umsetzung der Verhandlungsziele ist problematisch. Ein Schuldnerland wird sich im Fall eines drohenden Handels- und Kreditembargos einer Situation gegenübersehen, in der es einzelne Sektoren nicht vor Importbeschränkungen schützen kann und den Inter- banken- und Kapitalmarkt austrocknen sieht. Gelingt es dem Schuldnerland andererseits durch weitreichende Zugeständnisse beim Schuldendienst die Handels- und Kreditbe- ziehungen aufrechtzuerhalten, wird der hohe Schuldendienst weder tragfähig noch poli- tisch durchsetzbar sein. Es entwickelt sich ein Geflecht an Zielinterdependenzen, so dass Restrukturierungsverhandlungen langwierig, kompliziert und letztlich ineffizient werden.

3.3.2 Interessen und Verhandlungsziele der internationalen Regime

Internationale Regime sind Teil einer neuen Weltordnung und damit Bausteine einer global-governance-Architektur.35 Souveräne Staaten haben Teile ihrer nationalen Hand- lungsspielräume auf ein internationales Regime übertragen: der IWF führt das Welt- währungssystem, die WTO das Handelsregime und das Regime der wirtschaftlichen Ent- wicklung gruppiert sich um die Weltbank. Daneben bestehen informelle internationale Regime mit dem Londoner und Pariser Club. Sie agieren nach bestimmten Prinzipien, Normen, Regeln und Verhaltensroutinen und zeichnen sich durch Dauerhaftigkeit und eine gewisse Unabhängigkeit und Effizienz aus.

Die Staats- und Regierungschefs der USA, Japans, Deutschlands, Frankreichs, Großbri- tanniens, Italiens und Kanadas begründeten 1975 ein Geflecht von Beziehungen und Zu- sammenkünften sowohl auf Ebene der Staatschefs, als auch auf der Ebene der Minister, Staatssekretäre und Mitarbeiter (G7 - Gruppe der sieben gr öß ten Volkswirtschaften)36. Die G7-Staaten nutzen für ihre Restrukturierungsstrategie den Pariser Club. Zwar stehen die beiden Regime in keinem Weisungsverhältnis zueinander, aber die G7-Staaten wirken auf die Politik des Pariser Clubs ein. Die Restrukturierungsbedingungen des Pariser Clubs orientieren sich an den Ergebnissen der jährlich stattfindenden G7-Gipfel. Formal können Länder, die nicht zur G7 gehören, die Umsetzung von G7-Beschlüssen im Pariser Club verhindern. Aber die G7-Staaten sind bei fast allen Schuldnerländern Hauptgläubiger und besonders interessiert, ihre Ziele im Restrukturierungsprozess durch- zusetzen. Sie setzen ihre Interessen im Pariser Club gegen Nicht-G7-Staaten durch. Eine ähnliche Argumentation ergibt sich für den IWF und die Weltbank. Die G7-Staaten halten den größten Teil des Kapital- und Stimmenanteils37, so dass ihre Interessen im IWF und der Weltbank dominierend sind. Die Lösung der Verschuldungskrise, insbe- sondere das Ausmaß der Restrukturierungserleichterungen, wird weniger auf die kon- krete Situation eines Schuldnerlandes ausgerichtet, als vielmehr auf die Situation und Interessen der Gläubigerländer und hier insbesondere auf die G7-Staaten. Den Schuldner- ländern wird ein unparteiisches Gremium vorenthalten, denn die G7-Staaten sind direkt und indirekt Ankläger, Richter, Geschworene, Sachverständige und Gerichtsvollzieher in einer Person38.

Regierungskredite sind politisch motiviert zur Entwicklungshilfe oder Stärkung ihrer Ex- portindustrie. Im Pariser Club und in bilateralen Verhandlungen kann auf Forderungen aus politischen oder geostrategischen Gründen verzichtet werden. Internationale Banken sind auf Gewinnmaximierung durch Kreditausleihungen beschränkt und Anleihegläu- biger auf eine Vermehrung ihrer eingesetzten Ersparnisse. Im Londoner Club und auf Gläubigerversammlungen ist ein Schuldenerlass lediglich aus kontrakttheoretischer Sicht möglich. Zugeständnisse im Restrukturierungsprozess werden von ihnen nur akzeptiert, um den Restbestand an Forderungen zu sichern.

IWF und Weltbank sind keine vollkommen unabhängigen und eigenständig agierenden Akteure. Sie sind von den Interessen ihrer Anteilseigner geleitet. Während die Weltbank eine Entwicklungspolitik verfolgt, ist die Strategie des IWF auf die Förderung der inter- nationalen währungspolitischen Kooperation, Wechselkursstabilität und die Abschwäch- ung kurzfristiger Zahlungsbilanzschwierigkeiten beschränkt. In Restrukturierungsver- handlungen verfolgt der IWF das Ziel, durch wirtschaftspolitische Anpassungsmaß- nahmen einerseits und Schuldenerleichterungen bzw. fresh-money andererseits zu einem makroökonomischen Gleichgewicht im Schuldnerland zu kommen und es in eine offene Weltwirtschaft zu integrieren.39 Im Laufe der Zeit sind diese deutlichen Grenzen zwischen den beiden Institutionen verwischt, so dass auch der IWF inzwischen lang- fristige Entwicklungspolitik betreibt und die Weltbank sich an zahlungsbilanzpolitischen Stützungsoperationen beteiligt.40 Die Kreditvergabe des IWF ist an ein Beistandsab- kommen im Schuldnerland gekoppelt. Damit erfolgt eine Signalwirkung sowohl für weitere Kredite der Weltbank und internationale Banken als auch für Restrukturierungen im Pariser und Londoner Club.41

Bei Verhandlungen im Pariser Club nehmen die Weltbank und der IWF an jeder Restrukturierungsverhandlung teil und geben jeweils eine Analyse der finanziellen und wirtschaftlichen Situation des Schuldnerlandes ab. Große Gläubigerregierungen halten mit dem IWF vor den Restrukturierungsverhandlungen Rücksprache, um die Empfehl- ungen des IWF an den Pariser Club abzustimmen. Als eine Voraussetzung für Restruk- turierungsverhandlungen gilt seit 1966 ein IWF-Abkommen, die Rolle des Beobachters fällt ebenfalls dem IWF zu. Er berichtet über Art. IV-Konsultationen regelmäßig über Entwicklungen im Schuldnerland und beeinflusst mögliche weitere Restrukturierungs- verhandlungen. Da der IWF oftmals Hauptgläubiger eines Schuldnerlandes ist, sieht er sich zweier konkurrierender Interessen gegenüber. Einerseits ist er aufgrund der IWF- Statuten verpflichtet das öffentliche Gut „Stabilität des Weltwährungs- und finanz- systems“42 zu sichern und deshalb auf Forderungen zu verzichten, andererseits die ver- gebenen Kredite zurückzuerhalten, um weiterhin das öffentliche Gut bereitzustellen.

3.3.3 Interessen und Verhandlungsziele der sonstigen Akteure

Große Gläubigerländer wie Deutschland binden sich an die Beschlüsse des Pariser Clubs und erkennen an, dass ein internationales Regime die internationale Finanzpolitik und die Gläubigerpolitik im Speziellen entwickelt, koordiniert, lenkt und verantwortet43. Im Ge- flecht der G7-Staaten, Pariser Club, IWF und Weltbank hat Deutschland Sitz, Stimme und politisches Gewicht. Gemeinsam mit den USA, Japan, Großbritannien und Frank- reich legt Deutschland den Kurs der internationalen Regime fest. Im Pariser Club vertritt eine relativ konstant besetzte deutsche Delegation von professionellen Restrukturierungs- experten die deutschen Interessen. Andere Nationalstaaten mit anderen Interessen sind kaum in der Lage, gegen die Interessen der großen Gläubigerländer zu agieren. Die großen Gläubigerländer setzen ihre Interessen über die Regime-Institutionen wirkungs- voller durch als dies im Alleingang möglich wäre. Zudem prägen sie die Politik anderer, weniger einflussreicher Staaten wirkungsvoll mit. Die Interessen anderer Gläubiger- ländern bleiben unberücksichtigt, wenn sie nicht mit den Interessen der Regime-Institu- tionen konform gehen.

Die Verhandlungsziele 44 der Geschäftsbanken sind sehr unterschiedlich und differieren je nach Nationalität, Größe und Internationalisierungsgrad der Bank. Sie erklären sich einerseits aus unterschiedlichen bankaufsichts-, bilanzierungs- und steuerrechtlichen Be- stimmungen in den einzelnen Gläubigerländern und andererseits aus den Portfolio- strukturen und -strategien der Banken. Kleine Banken mit absolut und relativ niedrigen Kredittranchen bereinigen ihre Portfoliostrukturen, indem sie beim Auftreten von Ver- schuldungsproblemen versuchen, die Bankenkonsortien zu verlassen. Sie stellen ihre Kredite fällig oder lassen sich vom Konsortium ihre Kredittranche abkaufen und begeben sich in eine free-rider-Position. Theoretisch bieten Vertragsklauseln einen Schutz gegen das Ausbrechen einzelner Banken aus dem Konsortium, aber praktisch kann kein Kon- sorte davon abgebracht werden, das Konsortium zu verlassen. Deshalb werden einerseits so genannte „Schwarze Listen“ (black-listings)45 vom Schuldnerland und Londoner Club Analyse der Restrukturierung von Staatsverschuldung in Entwicklungsländern veröffentlicht. In ihnen sind die Namen der Banken publiziert, die ihren Beitrag zu Restrukturierungslösungen verweigern. Andererseits laden Zentralbanken der Gläubigerländer die Vorstände der unkooperativen Gläubigerbanken vor, um sie mit gütlichem Zureden (moral-suasion)46 vom free-riding abzuhalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Interessen der Gläubigerbanken

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an REINHARDT (1990), S. 170-172

In Deutschland sind mehrere Institutionen mit unterschiedlichen Interessen an der politischen Willensbildung in Restrukturierungsverhandlungen beteiligt.47

- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): Es ist federführend bei Umsetzungen der G7-Gipfelbeschlüsse und Restruk- turierungen von Krediten aus der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ). Es entsendet den Exekutivdirektor in die Weltbank. Das BMZ ist daran interessiert, die Entwick- lungsländer näher an die Industrienationen heranzuführen und deshalb auf Forde- rungen zu verzichten.
- Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA): Es leitet die Verhand- lungen im Pariser Club bei staatlich verbürgten Handelskrediten. Das BMWA ist daran interessiert, der deutschen Exportwirtschaft wachsende Märkte in den Entwick- lungsländern zu sichern. Dafür ist es bereit, auf Forderungen zu verzichten und deutsche Exporteure über Hermes48 -Bürgschaften zu entschädigen.
- Bundesfinanzministerium (BMF): Es führt die Verhandlungen zur Restrukturierung der bilateralen Kreditverträge nach Vorgaben des Pariser Clubs und entsendet den Exekutivdirektor in den IWF.

[...]


1 Vgl. zum folgenden REINHARDT (1990), S. 1.

2 Vgl. zu folgenden REINHARDT (1990), S. 145.

3 MÜLLER (2000), S. 70.

4 Vgl. MISHKIN (2002), S. 499-503.

5 Vgl. BURDA/WYPLOSZ (1994), S. 727.

6 Vgl. REINHARDT (1990), S. 272.

7 MISHKIN (2002), S. 25.

8 REINHARDT (1990), S. 3.

9 Vgl. REINHARDT (1990), S. 217.

Restrukturierung, Repudiation und Retorsionen 2

10 Vgl. zum folgenden BURDA/WYPLOSZ (1994), S. 741.

11 Vgl. zum folgenden PFISTER (2000), S. 15.

12 Vgl. REINHARDT (1990), S. 226-227.

Restrukturierung, Repudiation und Retorsionen 3

13 Vgl. WALDMANN (2000), S. 153.

14 Vgl. zum folgenden EBERLEI (1999), S. 13.

15 Vgl. zum folgenden KARRER (2002), S. 2-3.

16 Vgl. MISHKIN (2002), S. 444 und 499-501.

17 Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1999), S. 35.

18 Vgl. zum folgenden REINHARDT (1990), S. 174-188.

19 Vgl. WALDMANN (2000), S. 153.

20 Vgl. SPEYER (2003), S. 3.

21 Vgl. GRILL/PERCZYNSKI (1992), S. 441.

22 Vgl. zum folgenden MISHKIN (2002), S. 189 und REINHARDT (1990), S. 83-84.

23 Vgl. zum folgenden REINHARDT (1990), S. 178-183.

24 Vgl. zum folgenden REINHARDT (1990), S. 184-187.

25 Vgl. REINHARDT (1990), S. 163 und www.clubdeparis.org.

26 Vgl. EBERLEI (1999), S. 14-15.

27 Vgl. REINHARDT (1990), S. 157.

28 Vgl. REINHARDT (1990), S. 168.

29 Vgl. soweit nicht anders angegeben zum folgenden REINHARDT (1990), S. 285-290.

30 Vgl. WRAGSTYL (2000).

31 Vgl. KOCH/HULVERSCHEIDT (2001).

32 Vgl. HULVERSCHEIDT (2001a).

33 Vgl. JACK (2001).

34 Vgl. HULVERSCHEIDT (2001d) und RYBAK/PRAUSE (2001).

35 Vgl. NUSCHELER/MESSNER (1996), S. 4-7.

36 Vgl. zum folgenden EBERLEI (1999), S. 8.

37 Vgl. BURDA/WYPLOSZ (2001), S. 513.

38 Vgl. RAFFER (2000), S. 229-230.

39 Vgl. SPEYER (2000), S. 5 und DEUTSCHE BUNDESBANK (2000), S. 15-31.

40 Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1999), S. 37.

41 Vgl. NUSCHELER/EBERLEI (2000), S. 317 und ZIENER/RYBAK (2000).

42 Vgl. SPEYER (2000), S. 5.

43 Vgl. zum folgenden NUSCHELER/EBERLEI (2000), S. 320-321.

44 Vgl. zum folgenden REINHARDT (1990), S. 168-178 und NUSCHELER/EBERLEI (2000), S. 325.

45 Vgl. REINHARDT (1990), S. 175.

46 Vgl. REINHARDT (1990), S. 175.

47 Vgl. zum folgenden NUSCHELER/EBERLEI (2000), S. 322-324.

48 Hermes-Kreditversicherung-AG ist die bundeseigene Bürgschaftsbank.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Analyse der Restrukturierung von Staatsverschuldung in Entwicklungsländern
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
75
Katalognummer
V25174
ISBN (eBook)
9783638278836
Dateigröße
874 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Restrukturierung, Staatsverschuldung, Entwicklungsländern, Thema Staatsverschuldung
Arbeit zitieren
Stephan Müller (Autor:in), 2003, Analyse der Restrukturierung von Staatsverschuldung in Entwicklungsländern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25174

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