Ideologisierte Wissenschaft. Rassentheorien deutscher Anthropologen zwischen 1918 und 1933


Mémoire de Licence (suisse), 2003

129 Pages, Note: 5,5 (CH) = 1,5 (D)


Extrait


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Rassenideologien und Wissenschaftsgeschichte
1.2 Fragestellung
1.3 Vorgehensweise

2 Die Lehre vom Menschen – Geschichte der deutschen Anthropologie bis 1918
2.1 Anthropologie und Rassismus
2.1.1 Wurzeln in der Aufklärung
2.1.2 Sprachwissenschaft und der arische Mythos
2.1.3 Gobineau und aufkommendes Nationalbewusstsein
2.1.4 Das imperialistische Zeitalter
2.2 Entwicklung der Anthropologie in Deutschland
2.2.1 Liberale, humanistische Tradition
2.2.2 Nationalismus und der Weg von Virchow und Bastian
2.2.3 Deutsche Anthropologie und die koloniale Frage
2.2.4 Wissenschaftliche Diskurse im Imperialismus
2.3 Deutsche Anthropologie im Fahrwasser von Biologie und Eugenik
2.3.1 Eugen Fischer läutet einen Paradigmawechsel ein
2.3.2 Der Erste Weltkrieg und der Ruf nach Volksgesundheit

3 Deutsche Anthropologie und Ethnologie in der Weimarer Republik
3.1 Situation nach dem verlorenen Krieg
3.1.1 Völkischer Nationalismus und Houston Stewart Chamberlain
3.1.2 Ende der Kolonialmacht Deutschland
3.2 Das Konzept der „nordischen Rasse“ von Hans F. K. Günther
3.2.1 Günthers Theorien
3.2.2 Reaktion der Fachanthropologie auf Günther
3.3 Anthropologie und Ethnologie auf getrennten Wegen
3.4 Universitäre Institutionalisierung der beiden Fächer bis 1933

4 Drei deutsche Völkerkundler in der Weimarer Republik
4.1 Ethnologische Theorieschulen bis in die 30er Jahre
4.2 Karl Weule (1864-1926)
4.3 Leo Frobenius (1873-1938)
4.4 Richard Thurnwald (1869-1954)
4.5 Zwischenresümee

5 Deutsche anthropologische Forschungszentren und Wissenschaftler zwischen 1918 und 1933
5.1 Berlin
5.1.1 Aufbau des Kaiser-Wilhelm-Instituts
5.1.2 Eugen Fischer (1874-1967)
5.2 Leipzig
5.2.1 Otto Reche (1879-1966)
5.2.2 Stramme NS-Gesinnung
5.3 München
5.3.1 Rudolf Martin (1864-1925)
5.3.2 Theodor Mollison (1874-1952)
5.3.3 Völkischer Mahner
5.4 Breslau
5.4.1 Egon Freiherr von Eickstedt (1892-1965)
5.4.2 Kein ernsthafter Abweichler
5.5 Hamburg
5.5.1 Walter Scheidt (1895-1976)
5.5.2 Zweifelnder Antikonformist
5.6 Kiel
5.6.1 Otto Aichel (1871-1935)
5.6.2 Zahlreiche Affinitäten
5.7 Frankfurt am Main
5.7.1 Franz Weidenreich (1873-1948)
5.7.2 Ungehörter Mahner
5.8 Göttingen und Heidelberg
5.8.1 Karl Felix Saller (1902-1969)
5.8.2 Heinrich Münter (1883-?)

6 Fazit

7 Bibliografie
7.1 Quellen
7.2 Literatur

8 Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Situation der Anthropologie (A.) und Ethnologie (E.) an deutschsprachigen Universitäten bis 1933

1 Einleitung

1.1 Rassenideologien und Wissenschaftsgeschichte

Noch heute herrscht in der Wissenschaftsgeschichte zuweilen die Tendenz, Rassenideologien und Rassentheorien auf am Rande stehende politische Extremisten und Pseudo-Wissenschaftler zurückzuführen. Dies betrifft unter anderem auch die Frage, welchen theoretischen Beitrag die Wissenschaft – und in diesem Kontext insbesondere die Lehre vom Menschen, also die Anthropologie oder Humanbiologie – für die Rassenlehren im Nationalsozialismus geleistet hat und inwieweit sie eine geistige Mittäterschaft an den Massenmorden trägt.

Bis vor einigen Jahren war die Ansicht verbreitet, dass die unpolitische und passive Wissenschaftsgilde unter dem Druck des totalitären Systems gestanden habe und machtlos hätte zusehen müssen, wie Politiker und Ideologen die Anthropologie für ihre rassenpolitischen Zwecke missbrauchten. Zu solch einem Geschichtsbild beigetragen haben deutsche AnthropologInnen der Nachkriegszeit, die jegliche Verantwortung ihrer Disziplin für die Gräuel im Nationalsozialismus ablehnten. Diese „apologetische Geschichtsschreibung“[1], wie es Benoît Massin nennt, an dieser Stelle umfassend aufzuzeigen ist nicht möglich; dies wäre eine eigene Arbeit wert.[2]

Insgesamt hat aber (endlich) eine kritische Untersuchung der anthropologischen Wissenschaft über ihre Verstrickungen im Nationalsozialismus eingesetzt. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die spät einsetzende Forschung zur Rolle der Anthropologie im Nationalsozialismus im Vergleich zu anderen Universitätsfächern beileibe kein Einzelfall ist. Selbst die Geschichtswissenschaft, so unbegreiflich dies anmuten mag, hat sich lange Zeit vor einer entsprechenden Diskussion gedrückt.[3] In der Anthropologie oder Humanbiologie hat hingegen eine ähnliche Aufarbeitung unter den deutschen FachvertreterInnen noch gar nicht begonnen. Sie wäre aber nicht zuletzt wegen einer weit über die nationalsozialistische Epoche hinaus führenden Kontinuität rassistischer Denkmuster im Fach, wie im Folgenden kurz dargelegt wird, von Nöten.

Der Begriff des Rassismus unterscheidet sich vom Ethnozentrismus durch die notwendige Implikation mit der Wissenschaft. Unter ethnozentristischen Anschauungen kann eine naive Überzeugung der Überlegenheit der (wie auch immer definierten) eigenen Gruppe gegenüber einer (oder mehreren) anderen verstanden werden. Dagegen ist Rassismus nicht naiv, sondern eine auf wissenschaftlichen Argumenten basierende Ideologie.[4] Und diese Ideologie wird auch heute noch durch akademische Lehren, insbesondere der Anthropologie bzw. Humanbiologie, genährt. Im Jahr 1996 liess beispielsweise eine Auseinandersetzung um das Institut für Humanbiologie an der Universität Hamburg aufhorchen. StudentInnen hatten darauf aufmerksam gemacht, dass am Institut eine Fülle von rassistischen und sexistischen Inhalten in Forschung und Lehre vertreten werde. Diese Vorwürfe leiteten eine fächerübergreifende Debatte um Rassismus in den Wissenschaften ein, in der unter anderem auch das Hamburger Institut analysiert wurde. In einem von Heidrun Kaupen-Haas und Christian Saller herausgegebenen Aufsatzband wird denn nicht nur ein „manifester Rassismus“ des damaligen Hamburger Institutsleiters für Humanbiologie, Rainer Knussmann, dem Verfasser neuester Werke zur vergleichenden Biologie, offenkundig dargelegt, sondern generell die Gegenwärtigkeit der Tradition des wissenschaftlichen Rassismus aufgezeigt.[5]

Doch müssten eine Anthropologie und Humangenetik im 21. Jahrhundert nicht ihre Vergangenheit bewältigen und mit rassistischen Kontinuitäten in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre abrechnen, damit sie sich der Gefahren und des möglichen Missbrauchs modernster Biotechnologie bewusst sind?

Diese Arbeit möchte mit einer historischen Analyse der deutschen Anthropologie einen Beitrag an die gerade erst einsetzende Aufarbeitung der Geschichte des Fachs leisten. Kürzlich sind zwar ergiebige Biografien einiger führender Anthropologen und Rassentheoretiker entstanden.[6] Noch sind aber bei weitem nicht alle einflussreichen AkademikerInnen und ihre Beiträge zum Rassismus untersucht worden. Es fehlt darüber hinaus an Überblicksdarstellungen, insbesondere auch für die Zeit vor der NS-Herrschaft.

1.2 Fragestellung

Die bald nach der NS-Machtübernahme im Januar 1933 eingeleitete Gleichschaltung des Staates betraf auch die Universitäten. Die nationalsozialistische Hochschulpolitik zeichnete sich durch vier Faktoren aus: die Umgestaltung der Hochschulverfassung nach dem „Führerprinzip“, die Umgestaltung des Lehrkörpers durch „Säuberungen“ und politische Rekrutierungspraxis, die Politisierung der wissenschaftlichen Disziplinen durch Orientierung an „völkischen“ Gesichtspunkten und die Instrumentalisierung von Forschung und Entwicklung für den „Endsieg“.[7] Auf der biografischen Ebene von damals tätigen Wissenschaftlern reicht das Spektrum vom ideologischen NS-Wortführer über den opportunistischen Karrieristen, den beflissenen Anbiederer bis zum mutigen Widersprecher. Eine moralische Bewertung der Verhaltensweisen der einzelnen Wissenschaftler unter den totalitären Strukturen und massiven ideologischen Vorgaben solle allerdings nicht leichtfertig erfolgen, meint Peter Lundgreen. Er weist darauf hin, dass das persönliche Verhalten des Forschers teilweise von den „in der Tradition seiner Wissenschaft liegenden Dispositionen für die Zumutungen und Erwartungen der neuen Machthaber“ abhing. Von besonderem wissenschaftlichem Interesse sei daher, inwieweit das Jahr 1933 als eine Zäsur für die einzelnen Wissenschaften gesehen wurde respektive anzusehen ist.[8]

Benoît Massin stellt fest, dass von den knapp hundert tätigen deutschen AnthropologInnen an Universitäten in den 30er Jahren nur wenigen Personen die Lehrbefugnis entzogen wurde bzw. nur eine kleine Anzahl Gelehrter aus Deutschland emigrierte. Von Entlassungen von anthropologischen WissenschaftlerInnen infolge theoretischer oder methodischer Bedenken bzw. wegen der nationalsozialistischen Ideologie zuwiderlaufenden Ansichten ist einzig der Fall von Karl Felix Saller bekannt.[9] Es scheint also, dass die überwiegende Mehrheit der deutschen AnthropologInnen ihre Lehrtätigkeit und Forschung nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ohne grössere Schwierigkeiten fortsetzen konnte. Dies nährt den Verdacht, dass sich die anthropologischen Theorien im NS-Staat nicht wesentlich von jenen vor der Errichtung der Diktatur unterschieden. Demzufolge wäre die Nazi-Anthropologie kein Bruch, keine Zäsur mit der früheren Anthropologie gewesen, sondern eine konsequente Fortführung der Forschung in den 20er und frühen 30er Jahren. Die Intention dieser Arbeit soll es sein, dieser These nachzugehen, indem sie die Anthropologie in der Weimarer Republik unter die Lupe nimmt. Allerdings beabsichtigt diese Untersuchung nicht, direkte Einflüsse der vor 1933 vertretenen anthropologischen Lehren in Deutschland auf die nationalsozialistische Ideologie nachzuweisen. Nicht eine etwaige Funktion der Anthropologie für die Nationalsozialisten ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit, sondern die Herausarbeitung von möglichen grundsätzlichen Affinitäten zwischen der Anthropologie in der Weimarer Republik und der NS-Ideologie; Affinitäten, die es der Wissenschaft leicht machten, sich im neuen System nahtlos zu integrieren. Um mögliche ideologische Berührungspunkte zu finden, gilt es einen kurzen Blick auf die NS-Ideologie zu werfen. Obschon es nicht ausschliesslich Adolf Hitler war, der das Erscheinungsbild der NSDAP und das Parteiprogramm prägte, kommt seiner Weltanschauung für die nationalsozialistische Ideologie und deutsche Politik nach 1933 eine zentrale Bedeutung zu.[10] In seinem Lebenswerk „Mein Kampf“ hatte er sein faschistisches, antisemitisches, vom Sozialdarwinismus geprägtes Weltbild einige Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten erläutert ­– eine politische Religion, in dessen Zentrum der Rassengedanke stand.

Hitler definierte in „Mein Kampf“ den Begriff der Rasse nicht explizit, doch wird durch seine Ausführungen klar, dass er darunter eine biologische, durch das Blut festgelegte Qualität verstand, die Völker und Menschen sowohl körperlich wie geistig-seelisch trennte. Hitler war überzeugt, dass eine höhere menschliche Kultur ausschliesslich rassisch bedingt sei.[11] Letztlich glaubte er daran, dass alles durch die Rasse erklärt werden könne, sich daher alles der Rasse unterzuordnen habe, so auch der Staat.[12] In der arischen erkannte Hitler die einzige kulturbegründende Rasse.[13] Die kulturlosen Juden dagegen würden den „gewaltigsten Gegensatz zum Arier“ darstellen. Mit seinen „bestimmten rassischen Eigenarten“ sei der Jude ein Parasit im Körper anderer Nationen und Staaten: „[…] wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab“. Daher müsse er unbedingt bekämpft werden.[14] In „Mein Kampf“ warnte Hitler nicht nur vor den Juden, sondern vor den Konsequenzen jeglicher Rassenmischung, die nach seinem Ermessen zu einer rassischen Degeneration führen würde. Vehement trat er wider die „Blutschande“ ein, der völkische Staat habe dafür zu sorgen, dass die Rassenreinheit und Rassenhygiene gewahrt blieben.[15] Hitler machte das Überleben und die Stärke eines Volkes ausserdem unabdingbar von einem genügend grossen Lebensraum abhängig. Die Deutschen müssten, um zur Weltmacht aufzusteigen, Lebensraum im Osten (Russland) suchen, dort wo der germanische Kern in der slawischen Rasse durch die Juden „restlos ausgerottet und ausgelöscht“ worden sei.[16] Die Alternative zum Weltmachtsstreben hiess für Hitler Untergang.[17]

Diese knappe Betrachtung einiger Grundpfeiler der Rassenideologie von Adolf Hitler ist längst nicht erschöpfend. Gleichwohl schneiden diese oberflächlichen Auszüge aus seinem Werk „Mein Kampf“ einige konstitutive Pfeiler in der Rassenideologie von Hitler und auch der NS-Ideologie an. Es stellt sich nun die Frage, welche Aspekte dieser grundlegenden NS-Rassenüberzeugungen deutsche AnthropologInnen in der Weimarer Republik allenfalls teilten oder ablehnten. Für die Untersuchung der FachvertreterInnen ergeben sich konkret sechs denkbare Affinitäten, die für diese Arbeit zentral sein sollen: 1. der Primat der Rasse in der Erklärung historischer, gesellschaftlicher und kultureller Phänomene; 2. die Überzeugung einer Überlegenheit der nordischen bzw. arischen Rasse; 3. die Vorstellung, dass innerhalb der arischen Rasse den Germanen bzw. den Deutschen eine spezielle Rolle zukommt;[18] 4. die Überzeugung der Existenz von jüdischen Rasseneigenschaften, gepaart mit radikal-antisemitischem Gedankengut; 5. die Ansicht, dass Blutreinheit und Rassenhygiene eine unbedingte Notwendigkeit sind; 6. eine Verknüpfung des Rassengedankens mit sozialdarwinistischen Lebensraumkonzepten, speziell die Propagierung von deutschem Lebensraum im Osten.

Es stellen sich für diese Arbeit also folgende zentrale Fragen: Welche Rassenkonzepte vertrat die deutsche Anthropologie in der Weimarer Republik, welche Bedeutung hatte darin die „nordische Rasse“ bzw. das deutsche Volk? Wie bewerteten AnthropologInnen die jüdische oder slawische Bevölkerung? Welchen Standpunkt nahm die Disziplin zur Rassenmischung und Eugenik ein? Verband die anthropologische Wissenschaft Rassentheorien mit Lebensraumansprüchen?

1.3 Vorgehensweise

Das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung konzentriert sich fast ausschliesslich auf die Anthropologie in Deutschland. Die Entwicklung der deutschen Anthropologie ist im internationalen Vergleich durch gewisse Eigenheiten gezeichnet. Eine wichtige deutsche Besonderheit besteht in der allmählich vollzogenen Trennung der Disziplin in zwei Fächer: der (physischen) Anthropologie, die sich mit den körperlichen Merkmalen der Menschen auseinandersetzen wollte, und der Ethnologie. Letztere gedachte die kulturelle, geistige Seite des Menschen ins Zentrum ihrer Forschung zu rücken. Die graduelle Teilung in zwei Fächer erfolgte über Jahrzehnte, war jedoch zumindest in dem für die Fragestellung interessanten Zeitraum (1918-1933) nie endgültig. Daher sollen sowohl die anthropologische als auch die ethnologische Disziplin in dieser Arbeit berücksichtigt werden. Allerdings liegt das Interessenschwergewicht auf der physischen (später auch biologisch-genetischen) Anthropologie.[19] Einerseits hat die Historiografie die ethnologische Wissenschaft bislang etwas besser aufgearbeitet als die Anthropologie.[20] Andererseits scheint die Zäsur durch die Machtergreifung in Lehre und Forschung in der Ethnologie grösser gewesen zu sein.[21] Besonders von Interesse sind aber allfällige wechselseitige Abhängigkeiten bzw. speziell die Frage, ob die während der Weimarer Republik in der Anthropologie vertretenen Rassentheorien auf den wissenschaftlichen Diskurs der Ethnologie Einfluss genommen haben.

Die vorliegende Untersuchung schliesst für die anthropologische Disziplin die wichtigsten universitären Forschungszentren der Anthropologie und die wichtigsten Dozenten[22] im betreffenden Zeitraum ein. Konkret sind dies das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) in Berlin und die Institute an den Universitäten in Leipzig, München, Breslau, Kiel, Frankfurt a.M., mit den Institutsleitern Eugen Fischer, Otto Reche, Theodor Mollison, Egon von Eickstedt, Otto Aichel und Franz Weidenreich. Auch Walter Scheidt, der in Hamburg dozierte, aber erst ab 1933 über einen ordentlichen Lehrstuhl verfügte, war mit seinen zahlreichen diskursiven Beiträgen und Theorien einflussreich und soll in die Analyse einbezogen werden. Ebenfalls berücksichtigt diese Arbeit weitere damals bekannte Anthropologen und Leiter kleinerer Institute. Da die renommiertesten Wissenschaftler mit Lehrtätigkeit Eingang in diese Untersuchung finden, sollte diese Personenauswahl ein repräsentatives Bild der Anthropologie ermöglichen.

Für die Ethnologie beschränkt sich diese Arbeit auf drei Völkerkundler, die zwischen 1918 und 1933 forschten und lehrten: Karl Weule, Leo Frobenius sowie Richard Thurnwald. Diese Auswahl und die kurz gehaltenen Analysen dieser drei Fachvertreter werden nicht ausreichen, um verallgemeinerungsfähige Aussagen über die deutsche Ethnologie der Weimarer Republik zu machen. Immerhin gehörten die ausgesuchten Wissenschaftler aber zu den einflussreichsten ihrer Disziplin im untersuchten Zeitraum. Weule und Frobenius leiteten in Leipzig und Frankfurt a.M. Institute, Thurnwald machte sich an der Berliner Universität auch ohne ordentlichen Lehrstuhl national und international einen Namen. Ansatzweise sollte es gelingen, die Standpunkte der drei bedeutenden Ethnologen bezüglich der Rassenfrage zu klären.

Bei der Analyse so vieler Personen können im Rahmen einer Lizenziatsarbeit bei weitem nicht alle wissenschaftlichen Publikationen der ausgewählten Wissenschaftler untersucht werden. Die Quellensuche war selektiv und auf die entsprechende Fragestellung ausgerichtet. Des Weiteren hing sie vom gegenwärtigen Forschungsstand über die einzelnen Fachvertreter ab. Ein besonderes Augenmerk galt den publizierten Zeitschriftenartikeln der Wissenschaftler. Dies hatte den Vorteil, dass die zeitgenössischen wissenschaftlichen Debatten in dieser Arbeit berücksichtigt werden konnten.

Bevor die Theorien der ausgewählten Akademiker vorgestellt werden, befassen sich die beiden folgenden Kapitel mit der Entstehung der anthropologischen Wissenschaft und der Geschichte der deutschen Anthropologie und Ethnologie bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Erläutert werden insbesondere die wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten und Einflüsse, die den Weg der beiden Disziplinen entscheidend prägten. Da – wie noch gezeigt werden soll – der Erste Weltkrieg einen Einschnitt in der deutschen anthropologischen und ethnologischen Wissenschaft markiert, gliedern sich diese allgemeinen Ausführungen in zwei Teile: Kapitel 2 befasst sich mit der deutschen Anthropologie und Ethnologie bis 1918, während das dritte Kapitel sich der Zeit der Weimarer Republik widmet. Im anschliessenden Hauptteil dieser Untersuchung in den Kapiteln 4 und 5 werden Leben, Werk und Lehren der ausgewählten Vertreter der Ethnologie und der Anthropologie aufgezeigt.

Vor den weiteren Ausführungen sei noch darauf hingewiesen, dass sich diese Arbeit nicht vollständig von den üblich verwendeten Termini im analysierten Zeitraum lösen konnte. Dabei ist zum Beispiel schon der Begriff der „Rasse“ nach dem heutigen Stand der Forschung obsolet.[23] Zwecks besserer Lesbarkeit und Verständlichkeit wurden aber nicht alle aus gegenwärtiger Sicht zweifelhaften oder unhaltbaren Begriffe durch Anführungs- und Schlusszeichen kenntlich gemacht.

2 Die Lehre vom Menschen – Geschichte der deutschen Anthropologie bis 1918

Dieses Kapitel befasst sich mit der Geschichte der anthropologischen Wissenschaft in Deutschland bis ins Jahr 1918. Bevor jedoch die Konzentration ausschliesslich der deutschen Anthropologie gilt, soll zuerst das Unterkapitel 2.1 eine generelle internationale Übersicht über die Anfänge der vergleichenden Lehre vom Menschen bieten. Darin eingebettet sind die verschiedenen auf die Disziplin wirkenden Einflüsse bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts sowie ein kurzer Abriss der Etablierung des modernen Rassismus. Bezugnehmend auf diese Grundlagen zeichnen die Unterkapitel 2.2 und 2.3 dann den Weg der Fachgeschichte in Deutschland vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des Wilhelminischen Kaiserreiches.

2.1 Anthropologie und Rassismus

2.1.1 Wurzeln in der Aufklärung

Der seit der Neuzeit zunehmende Kontakt mit fremden Ländern, deren Bevölkerung und die daraus entstandenen Eindrücke steigerten das Interesse, mehr über den Ursprung des Menschen und die Anfänge menschlicher Kultur, Sprache und Religion zu erfahren. Aus diesem Wunsch heraus entstand im 18. Jahrhundert die Anthropologie. Ihre geistigen Wurzeln liegen in der Aufklärung. Beim Versuch, den Standort des Menschen in der Natur zu definieren, verbanden sich Naturbeobachtungen jedoch von Anfang an mit den moralischen und ästhetischen Idealen der griechischen und römischen Antike. Dies markiert den Ursprung des modernen, wissenschaftlichen Rassismus.[24] Die Lehre vom Menschen, wie Anthropologie übersetzt heisst, war besonders die Lehre von verschiedenen Menschenrassen und als solche zumeist mit Werturteilen besetzt.

Der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné, dessen 1735 veröffentlichte Klassifikation der Menschen und Tiere auf die folgenden Jahrzehnte massgeblichen Einfluss ausübte, charakterisierte als Beispiel die körperlichen Eigenschaften des „homo europaeus“ wie folgt: „[…] von weisser, rosiger Hautfarbe, muskulös, mit dichten blonden Haaren, blauen Augen“.[25] Diese ästhetischen Merkmale haben bis ins 20. Jahrhundert zur Beschreibung der so genannten „nordischen Rasse“ gedient. Ein knappes halbes Jahrhundert nach Linné gliederte Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840), der als Begründer der modernen physischen Anthropologie gilt, die Menschheit in fünf Rassen. Er behauptete, die Schönheit des Gesichts werde durch das Klima geprägt – je gemässigter das Klima, desto schöner das Gesicht. Die Propagierung eines Ideals der Mässigung erwies sich als folgenschwer; neben dem ästhetischen Vorbild umfasste der Idealtypus fortan auch bestimmte Verhaltensweisen, die auf Mässigung abzielten.[26] Das Interesse an Moralfragen korrespondierte mit den damaligen pietistischen Bewegungen und führte schliesslich zu einem dem Rassismus anhaftenden Stereotyp. Christian Meiner (1747-1810) unterschied in seinem einflussreichen Buch „Grundriss der Geschichte der Menschheit“ aus dem Jahre 1785 zwischen der „mongolischen Rasse“, die unter anderem gefrässig, schamlos, reizbar und egoistisch sei und den mutigen, freiheitsliebenden, mitleidigen und gemässigten „Kaukasiern“.[27]

Unter dem Einfluss der romantischen Naturphilosophie machte die Anthropologie von Blumenbach einer noch stärker wertenden Platz. Der Naturforscher Heinrich Steffens veröffentlichte 1822 eine zweibändige „Anthropologie“, in der er Rassen als von Anfang an körperlich und geistig verschieden betrachtete.[28] Immer wieder wurde von Anthropologen auch am gemeinsamen Ursprung der Menschen gezweifelt. Seit der Aufklärung konkurrenzierten monogenetische und polygenetische Erklärungsversuche für die Verschiedenheit der Menschen.

2.1.2 Sprachwissenschaft und der arische Mythos

Carl Gustav Carus (1789-1869), ein Mediziner aus Dresden, unterschied im Jahre 1849 zwischen „Tag-, Nacht- und Dämmerungsvölker“. Die kaukasisch-europäischen Völker stellte er auf der Tagseite der Menschheit dar, auf der Nachtseite die Schwarzen, dazwischen die „mongolische“ und „amerikanische Rasse“. Die symbolische Zuordnung impliziert bereits seine Urteile über die geistigen Befähigungen der verschiedenen Menschenarten. Beeinflusst von der neuesten Sprachforschung stellte Carus die Völker der Indogermanen an die Spitze der führenden Entwicklung. Alle Vorzüge der Tagvölker gäben ihnen „das Recht, sich als eigentliche Blüte der Menschheit zu betrachten“.[29]

Im Zuge der Romantik und deren Begeisterung für den Orient hatten sich europäische Sprachwissenschaftler vermehrt dem Persisch und Sanskrit gewidmet. Schon vor dem 19. Jahrhundert waren Ähnlichkeiten zwischen vorderasiatischen und europäischen Sprachen aufgefallen. Schliesslich war es der Deutsche Franz Bopp (1791-1867), der im Alter von 25 Jahren die Verwandtschaft der Sanskritsprache mit den griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprachen nachwies.[30] Diese neu entdeckte Sprachfamilie wurde „indogermanisch“, „indoeuropäisch“ oder auch „arisch“ genannt. Der Orientalist Friedrich Schlegel hatte dieser vermuteten Sprachverwandtschaft schon vorher (1808) einen anthropologischen Anstrich verliehen, indem er auf eine Rassenverwandtschaft schloss. Mit seinen Vermutungen, dass sich im Norden Indiens durch Vermischung ein neues Herrenvolk gebildet hätte, dass dieses Volk „nach Westen ausgeschwärmt“ wäre und die grössten Nationen von diesem Stamm ausgingen, hatte er den Grundstein für den Mythos einer „arischen Rasse“ gelegt.[31]

Schon früh beeinflussten sich die Anthropologie und Sprachwissenschaft gegenseitig. Während die einen hofften, ihre Schlüsse liessen sich mit linguistischen Argumenten stützen, liess sich die Sprachforschung dazu verleiten, Geschichte und Abstammung von Völkern und Rassen aus dem Zusammenhang der Sprachen zu erschliessen. Verhängnisvoll sollte sich die linguistische Annahme erweisen, dass Arier und Semiten nicht der gleichen Sprachfamilie entspringen. Die Trennung der „Kaukasier“ in zwei Sprachfamilien und somit zwei Stammes- und Völkerverbände wurde von den Forschern als Dogma akzeptiert. Gleichzeitig tendierten viele Wissenschaftler dazu, die Arier für wertvoller zu erachten als die Semiten.[32] Gerade in einer Zeit, als sich die gesellschaftliche Assimilierung der Juden vollzogen hatte oder auf dem Weg dazu war, verstärkten sich Vorurteile und Hassgefühle gegenüber Semiten in ganz Europa. Dem Jahrhunderte lang lodernden religiös motivierten Antisemitismus gesellte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts unter der Wirkung von Rassentheorien ein säkularer, rassistischer Antisemitismus hinzu. Letztlich konnte die christliche Taufe die Judenfrage nicht mehr lösen, da die missliebigen jüdischen Charaktereigenschaften eine Folge ihres Blutes waren.[33]

2.1.3 Gobineau und aufkommendes Nationalbewusstsein

Der Franzose Arthur Comte de Gobineau (1816-1882) verwertete die Literatur der anthropologischen, linguistischen und historischen Forschung seiner Zeit für sein Werk „Essai sur l’inégalité des races humaines“ aus den Jahren 1853-1855. Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde der „Essai“ rezipiert und besonders weit reichend war sein Einfluss auf den deutschen Sprachraum. Ludwig Schemann, ein Mitglied des Bayreuther Kreises um Richard Wagner und der Gründer der so genannten Gobineau-Gesellschaft, widmete dessen Schriften sein Leben und verbreitete sie in Deutschland, allerdings in verfälschter und entstellter Form.[34]

Gobineau klassifizierte die Menschheit in drei Rassen, nämlich weiss, gelb und schwarz. Zu deren Beschreibung bediente er sich gängiger Stereotypen. Innerhalb der überlegenen weissen Rasse stünden die Arier an der Spitze. Seine Schlussfolgerungen mündeten in tiefen Pessimismus. In den Menschen europäischer Abstammung erkannte er bereits keine reinen Rassen mehr, sie hätten das arische Blut durch Mischung herabgemindert und langfristig sei der Niedergang das sichere Schicksal der weissen Rasse.[35] Den unverdienten Ruf eines Antisemits erwarb er sich durch falsch wiedergegebene Zitate der Verbreiter seiner Werke. Die Juden rechnete Gobineau zur weissen Rasse, die mit den Ariern das Los des Niedergangs teilten.[36]

Gobineaus Thesen fielen in eine Zeit, wo die Nachwirkungen der 1848er-Revolutionen noch im Gange waren. In vielen Teilen Europas vereinnahmte das erwachende Nationalbewusstsein zusehends die Wissenschaften, was auch ein engeres Zusammengehen von Nationalismus und Rassismus zur Folge hatte. Die Grundlagen dafür waren bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet worden. Die Wiederbelebung des historischen Bewusstseins hatte die geistige Verwandtschaft der durch eine gemeinsame Sprache verbundenen Völker schon um 1800 hervorgehoben. Höchst einflussreich war in diesem Zusammenhang Johann Gottfried von Herder (1744-1803), ein Schüler von Immanuel Kant. Für Herder manifestierte sich der Charakter eines Volkes in einem durch die Geschichte geformten „Volksgeist“.[37] Zwar missbilligte er rassische Klassifizierungen, doch konnten seine Äusserungen leicht dazu benutzt werden, Eigenschaften eines Volkes oder einer Rasse zu beschreiben. Mit seiner Schrift unterstützte Herder zumindest das Aufkommen des Nationalbewusstseins in Mittel- und Osteuropa. Die wiederentdeckte Beschreibung der germanischen Stämme von Tacitus aus dem Jahr 98 v. Chr., worin dieser gewisse Qualitäten der Lebensweise der Germanen lobte, wurde schliesslich die Quelle der deutschen Geschichte.[38]

Mit der Entfaltung des Positivismus wandte sich die Anthropologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr der Schädelforschung zu. Die so genannte Kraniologie eingeleitet hatte der schwedische Gelehrte Andreas Retzius (1796-1860). Er war überzeugt, dass die „langschädeligen“ Völker (besonders jene aus Skandinavien, Deutschland und England) in ihren seelischen Eigenschaften den „kurzschädeligen“ Völkern (Lappen, Finnen und Bretonen) überlegen seien.[39] Weitere Schädelindizes wurden eingeführt und die Schädel mit allen möglichen Instrumenten vermessen. Die Unterscheidung zwischen Lang- und Kurzschädeln hatte in ganz Europa die Idee bestärkt, die Menschenrassen – und deren Eigenschaften – anhand von Schädeln definieren zu können. Dazu beigetragen hatte auch Charles Darwins (1809-1882) Epoche machendes Werk „On the origin of species by means of natural selection“ aus dem Jahr 1859, das auf die gesamte Wissenschaft weit reichenden Einfluss ausübte. Der vermeintliche Siegeslauf der physischen Anthropologie beruhte dann aber zu einem grossen Teil auf der 1871 über die Abstammungslehre erschienenen Schrift „The descent of man and selection in relation to sex“.[40]

2.1.4 Das imperialistische Zeitalter

Die zahlreichen Schädel- und Körpermessungen brachten gegen Ende des 19. Jahrhunderts allerdings nicht die erhofften Ergebnisse. Eine verbindliche Klassifikation der Menschen in verschiedene Rassen gelang nicht. Viele Anthropologen kamen gar zur Überzeugung, dass es nach zoologischen Termini nicht verschiedene Arten (Rassen) der Menschen gebe, sondern bestenfalls „Varietäten“.[41]

Der russischstämmige Franzose Josephe Deniker beeinflusste mit seinem Werk „Les Races et les peuples de la terre“ aus dem Jahr 1900 die physische Anthropologie für die kommenden Jahre noch einmal entscheidend. Zwar hielt auch Deniker den Begriff „Rasse“ für den Menschen unangebracht, doch beugte er sich dem üblichen Sprachgebrauch und verwendete den Terminus in einem sehr breiten Sinn für „somatische Einheiten“ innerhalb ethnischer Gruppen. Darauf aufbauend unterschied der französische Anthropologe die gesamte Weltbevölkerung in sechs Grundrassen und 30 Einzelrassen. Praktisch alle Anthropologen hielten bezugnehmend auf Deniker fortan am Rassebegriff fest und viele benutzten seine Rasseneinteilung.[42] Abseits der zahlreichen Körpervermessungen und Klassifikationsversuchen hatte die Anthropologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtige Impulse durch die Verbreitung der darwinistischen Lehren durch zahlreiche Autoren erhalten. Viele übertrugen die Prinzipien der Theorie von Darwin teilweise auf gesellschaftliche Vorgänge und vermengten sie mit politischen Überzeugungen. Die Schlagworte „surviving of the fittest“ und „natural selection“ wurden oft biologistisch aufgefasst und der Imperialismus dadurch zu rechtfertigen versucht.[43] Der Sozialdarwinismus legitimierte die grossen Klassengegensätze als natürliche Begleiterscheinung des Kampfes ums Dasein und diente zur Rechtfertigung einer imperialistischen Ausbeutungs- und Eroberungspolitik.[44]

Die grossen wissenschaftlichen Entdeckungen, wie z.B. auch Mendels Vererbungsgesetze, wurden im Denken der Zeitgenossen zunehmend als „Sieg der Wissenschaft über die Naturkräfte“ und als Ausdruck des „Fortschritts der Menschheit zu Wohlstand und Glück“ interpretiert.[45] Dieses optimistische Denken wich – nicht zuletzt der pessimistischen Grundstimmung am Fin de Siècle wegen – mitunter der Sorge vor einer Degeneration. In England hatte Francis Galton (1822-1911) argumentiert, dass die Zivilisation die natürliche Auslese weitgehend ausschalte und damit eine „negative Auslese“ begünstige. Faule und Dumme sowie Kriminelle und Kranke pflanzten sich stärker fort, als die Tüchtigen und Gesunden. Dem müsse man mit geeigneten Massnahmen entgegensteuern. Mit seinen Vorschlägen zur Sterilisation, erbbiologischen Ehezeugnissen oder neomalthusianischen Massnahmen gilt Galton als Begründer der Eugenik und Rassenhygiene.[46] Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden in ganz Europa rassenhygienische Gesellschaften. Die Anthropologie übernahm die wissenschaftliche Expertenrolle betreffend dem Umgang mit der indigenen Bevölkerung in den Kolonien sowie in Fragen der Rassenvermischung, war aber seit Anfang des 20. Jahrhunderts in weiten Bereichen der zum grossen Teil unabhängig von der Anthropologie entstandenen Eugenik unterworfen.

2.2 Entwicklung der Anthropologie in Deutschland

2.2.1 Liberale, humanistische Tradition

Bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte in Deutschland der Humanismus die Diskurse in den sich entfaltenden Wissenschaften. Matti Bunzl zeigt, dass die Tradition des Naturforschers Alexander von Humboldt die Väter der anthropologischen Wissenschaft nachhaltig beeinflusste. Politisch waren die Gründungsväter der Anthropologie meist dem Liberalismus zugewandt.[47] Als Begründer der deutschen Anthropologie gelten der Universalgelehrte Theodor Waitz (1821-1864), der Arzt und Völkerkundler Adolf Bastian (1826-1905) sowie der Pathologe Rudolf Virchow (1821-1902).

Theodor Waitz steht stellvertretend für die humanistische liberale Gesinnung im Kreis der frühen deutschen Anthropologen. Sein dringendstes Anliegen bestand im Nachweis der Einheit der Menschheit. Kulturelle Vielfalt erklärte er mit den unterschiedlichen Umweltbedingungen, nicht aber durch vererbbare, biologische Merkmale. Er bezog Gegenposition zu den aufkeimenden Rassentheorien und deren Bestreben, anthropologische Unterschiede als Legitimation für Ungleichheit, Sklaverei und Kolonialsystem ins Feld zu führen. Mit seiner universalen und interdisziplinären Perspektive legte er die Basis für einen „mehr oder minder durchgängigen Konsens innerhalb der liberalen Gründergeneration der deutschen Anthropologie: es gibt keine rassisch bedingten geistigen Unterschiede, nur verschiedene Milieubedingungen“.[48]

Seit den 1860er Jahren begann sich die Anthropologie unter Adolf Bastian und Rudolf Virchow in zwei unterschiedliche Zweige aufzufächern, einerseits in die Ethnologie und andererseits in die physische Anthropologie. Zwar verstanden die anthropologischen Forscher ihre Tätigkeit noch immer als Einheit der zwei Zweige, die umfassende Anthropologie in der Tradition von Waitz fand jedoch schon bald keine Nachahmer mehr. Die zwei Richtungen der Anthropologie sollten in den folgenden Jahrzehnten noch weiter auseinanderdriften. Die Völkerkunde, gleichbedeutend mit Ethnologie[49], befasste sich zunehmend mit der kulturellen und geistigen Seite der Menschen, die Anthropologie mit den körperlichen Merkmalen der Menschen. Zunächst arbeiteten die Ethnologie und Anthropologie aber noch eng zusammen. Neben der Linguistik diente in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ur- und Frühgeschichte als wichtige Hilfswissenschaft. 1869 wurde bezeichnenderweise die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gegründet. Ein Jahr später folgte die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie.

2.2.2 Nationalismus und der Weg von Virchow und Bastian

Theodor Waitz und später auch sein Schüler Georg Gerland betonten fortwährend die Gemeinsamkeiten der Menschheit. Den naturwissenschaftlichen Beweis blieben sie letztlich aber schuldig, warum die Menschheit aller ethnokultureller Unterschiede zum Trotz als Einheit zu betrachten sei.[50] Daher waren ihre Theorien leicht angreifbar und traten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuweilen in den Hintergrund. Generell schwappte der erstarkte Nationalismus auf die anthropologische Wissenschaft über. Die späte nationale Einigung verlieh der deutschen Anthropologie neue, stark normative Impulse.

Nach dem preussisch-französischen Krieg 1870/71 versuchte der französische Anthropologe Armand de Quatrefages zu beweisen, dass die Preussen keine Arier oder Germanen, sondern Slawo-Finnen seien, eine Art „vorgeschichtliche Menschen“ mit einem Hang zur List und Brutalität. Quatrefages durfte auf die Unterstützung von Paul Broca zählen, dem berühmten Pariser Anthropologen. Dieser hatte sich mit seinen unzählbaren Schädelmessungen und der Annahme, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Schädel- bzw. Gehirngrösse und der Intelligenz, international einen Namen gemacht.[51] In Deutschland rief die These von Quatrefages grosse Empörung hervor. Adolf Bastian verstieg sich in seiner Replik zu darwinistischen und nationalistischen Aussagen. In Preussen gebe es weder Finnen noch Slawen, versicherte er. Die Flut der stärkeren germanischen Rasse habe die schwächeren unbarmherzig nach Osten gedrängt. In den Ostgebieten hätten sich die Deutschen eine neue Heimat geschaffen und was die Väter erobert hätten, würden die Söhne zu wahren wissen.[52]

Nicht ganz so martialisch griff Rudolf Virchow die „französische Theorie“ auf. Virchow kritisierte vehement die Form des wissenschaftlichen Angriffs. Doch der Inhalt, dass die Preussen vom anthropologischen Standpunkt her keine Germanen seien, sondern von schon vor den Ariern in Nordeuropa ansässigen Ureinwohnern in Nordosteuropa abstammten, schien ihm nicht gänzlich unsinnig. Virchow wollte Gewissheit und begann eine gross angelegte Bevölkerungsuntersuchung in Preussen. Er nahm die Haar- und Augenfarben unzähliger Schulkinder auf und initiierte die Zusammenstellung eines gesamtdeutschen Schädelkataloges. 1876 hielt der deutsche Anthropologe die ersten Resultate in den Händen und verkündete, die Untersuchungen hätten zutage gebracht, dass die Bevölkerung in Norddeutschland überwiegend blond und blauäugig sei, was die germanische Abstammung beweise.[53]

Mit seinen zahlreich vorgenommenen Schädel- und Körpermessungen setzte Rudolf Virchow in der Anthropologie neue Massstäbe. Virchow war aber alles andere als ein extremer Nationalist. Als Politiker kämpfte er gegen das Anwachsen des Antisemitismus und Pangermanismus. Im Laufe seiner wissenschaftlichen Tätigkeit verlor Virchow gar den Glauben an die Aussagekraft der Kraniologie.[54] Aufgeben wollte er die Schädelvermessungen allerdings nicht. Der charismatische Arzt und oft bewunderte Gesundheitsreformer konservierte in seiner Privatsammlung Köpfe von Chinesen, die anlässlich des Boxeraufstandes von deutschen Truppen exekutiert worden waren.[55]

Der Ethnologe Adolf Bastian war ein Vertreter der evolutionistischen Schule und auf insgesamt neun Weltreisen 25 Jahre seines Lebens unterwegs. Selten hielt er es allerdings mehr als ein paar Tage am selben Ort aus, nirgends knüpfte er menschliche Beziehungen. Seine Biografen sind sich zumeist einig, dass er vollkommen einsam war.[56] Bastian gilt zwar als Begründer der deutschen Völkerkunde, seine wertvollsten Verdienste liegen aber nicht unbedingt in seinen schwer verständlichen Theorien.[57] Zur Feier des 100. Geburtstages von Bastian erschien in der „Zeitschrift für Ethnologie“ – damals das führende Fachorgan in Deutschland – ein Artikel über den gut 20 Jahre zuvor verstorbenen ersten deutschen Völkerkundler unter dem bezeichnenden Titel „Die Entwicklung der Ethnologie seit Adolf Bastian“.[58] Der Autor Bernhard Ankermann, freilich Anhänger der nach Bastians Tod aufgekommenen kulturhistorischen Methode, konnte Bastians theoretischen Grundgedanken, die dieser selber „durch die Absonderlichkeiten seiner Schreibweise“ erschwert habe, wenig abgewinnen.[59] Unbestreitbar verdienstvoll seien aber seine unablässigen Mahnungen, „von Zeugnissen primitiver Kultur zu retten, was noch zu retten sei“. Durch die darauf eingeleiteten ethnografischen Sammlungen hätten viele völkerkundliche Museen in Deutschland wenigstens indirekt ihre Existenz zu verdanken. Bastians erhörter Aufruf war nach Ansicht Ankermanns „für sich allein gross genug, um seinen Namen in der Geschichte der Völkerkunde in Deutschland unsterblich zu machen“.[60] Für die ethnologische Forschung waren die Museen in der Tat von hoher Bedeutung. Während bis 1933 die Ethnologie an den Universitäten maximal durch vier Ordinariate vertreten war, standen in den grössten Städten Deutschlands Museen für Völkerkunde, die viele wissenschaftliche Mitarbeiter anstellten.

2.2.3 Deutsche Anthropologie und die koloniale Frage

Abgesehen von den nationalistischen Scharmützeln mit französischen Anthropologen bestimmte gegen Ende des Jahrhunderts aber wieder das Rassenkonzept von Waitz den wissenschaftlichen Diskurs in Deutschland. Stellvertretend für die moderaten Theorien seiner Zeit steht Johannes Ranke (1836-1916), ein Freund von Rudolf Virchow. Ranke relativierte in seinem Hauptwerk „Der Mensch“, das erstmals 1887 erschien, zumeist die Unterschiede zwischen den verschiedenen Menschen und Kulturen. Freilich hielt er in seinen Beschreibungen oft an ästhetischen Idealen fest und sprach zum Beispiel den australischen Ureinwohnern gar eine körperliche und geistige Entwicklungsfähigkeit ab.[61] Die Hauptabsicht seines Werks war es jedoch, die immer wieder auftauchenden Thesen, einige „Naturvölker“ seien das fehlende Bindeglied zwischen Mensch und Tier, endgültig zu widerlegen: „Es existieren in der Gegenwart in der gesamten bekannten Menschheit weder Rassen, Völker, Stämme oder Familien noch einzelne Individuen, die zoologisch als Zwischenstufen zwischen Mensch und Affe bezeichnet werden könnten“.[62] Ob man überhaupt von „Rassen“ sprechen könne, habe die Wissenschaft noch nicht erwiesen, befand der Münchner Professor darüber hinaus.[63]

In einem Punkt wandten sich die meisten deutschen Anthropologen aber von den Ausführungen von Waitz ab: Sie teilten dessen liberale Kolonialismuskritik immer weniger. In den 70er und frühen 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war es unter anderem der Geograf Friedrich Ratzel (1844-1904), Gründungsmitglied des Deutschen Kolonialvereins, der mit anthropologisch-geografischen Theorien die Kolonisation wissenschaftlich zu legitimieren versuchte. Ratzel argumentierte sozialdarwinistisch und glaubte, dass Völker und Nationen in beständiger Rivalität um die für sie angemessenen Siedlungsräume seien. Damit ein Volk überleben und prosperieren könne, müsse es sein Territorium stetig vergrössern. Ratzel führte in Bezug dazu den Begriff „Lebensraum“ ein und postulierte explizit eine agrarisch-orientierte Kolonisation.[64] Dies sollte ein einflussreicher Beitrag sein für eine imperialistische Lebensraumpolitik und schliesslich ein wichtiges Mosaikstückchen für die Entstehung der Blut- und Bodenideologie des Nationalsozialismus.

1884/85 reihte sich das Deutsche Reich mit der Inbesitznahme von Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika und einiger pazifischen Inseln in den Kreis der Kolonialmächte ein. Pascal Grosse zeigt in seiner Studie überzeugend auf, wie sowohl Wissenschaft als auch Staat und Gesellschaft sich in der kolonialen Frage implementierten. „Der Kolonialismus seit den 1880er Jahren war […] keine ausschliesslich politische Sphäre, sondern auch ein Feld der wissenschaftlichen Erkenntnisbildung, das Staat und Gesellschaft mit der Wissenschaft rückkoppelte. Diese Interaktion führte einerseits zur politischen Kolonialwissenschaft, andererseits zum Novum der verwissenschaftlichten Kolonialpolitik“.[65] Durch die eminent politischen Dimensionen der Rassenfrage, Rassenvermischung und dem Umgang mit indigener Bevölkerung bzw. anderen Rassen schlüpften Anthropologie und Ethnologie in eine machtvolle Expertenrolle. Während der Kolonialzeit unterstützten die meisten deutschen Anthropologen und Ethnologen die Kolonialherrschaft ohne Vorbehalte. Wie weit einige Wissenschaftler mit der liberalen Tradition von Waitz brachen, sei am Beispiel von Adolf Bastian aufgezeigt. Er war der Überzeugung, dass die „Wilden“ ohne Hilfe der „Weissen“ nicht länger existieren konnten. In stark herablassender Art und Weise verglich er die indigene Bevölkerung in den deutschen Kolonien mit wilden Tieren oder „Tollhäuslern“, die gebändigt werden müssten.[66]

2.2.4 Wissenschaftliche Diskurse im Imperialismus

Hatte schon Theodor Waitz den Topos vom „Aussterben der Naturvölker“ verbreitet, befürchteten ebenfalls Kolonialisten gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Vernichtung der indigenen Bevölkerung. Damit wäre die wirtschaftliche Grundlage der europäischen Kolonialherrschaft zerstört worden. Geplant war nämlich, die Einheimischen zu abhängigen Arbeitsleistungen heranzuziehen. Der „Eingeborenenschutz“ wurde zu einer bedeutsamen Forderung, dem sich grosse Teile der deutschen Anthropologie widmeten.[67] Ein weiterer zeitgenössischer anthropologischer Diskurs fand über die „Mischehenfrage“ oder das „Rassenmischungsproblem“ statt. Im Verlauf der 30jährigen deutschen Kolonialherrschaft waren sexuelle Begegnungen zwischen Kolonisten und indigener Bevölkerung üblich und Kinder, so genannte „Rassenmischlinge“ oder „Bastarde“, die Folge. Anthropologen griffen die Auseinandersetzung um die Rassenmischfrage in verstärktem Masse auf.[68]

Brisanz erhielt dieses Thema zusätzlich im Jahr 1904 durch einen Aufstand der unterworfenen Populationen gegen die Kolonisten in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Die Deutsche Kolonialverwaltung hatte Beschwerden und Klagen der ansässigen Herero und Nama gegen deutsche Siedler, die Land und Vieh nach Lust und Laune beschlagnahmten, stets überhört. Schliesslich wurde gar die systematische Enteignung beschlossen. Auch die Gewohnheit vieler deutscher Siedler, „eingeborene“ Frauen zu vergewaltigen, wurde weitgehend toleriert. Die verfeindeten Ethnien der Herero und Nama schlossen angesichts ihrer prekären Lage Frieden und erhoben sich gemeinsam gegen die Kolonialverwaltung und die Siedler. Nachdem deutsche Truppen in Südwestafrika eingetroffen waren, schlugen die technisch haushoch überlegenen Deutschen den Aufstand brutal nieder. Nach dem militärischen Sieg ermordeten Truppen unter der Führung von Generalleutnant Lothar von Trotha in den folgenden Monaten und Jahren systematisch Männer, Frauen und Kinder von sowohl am Aufstand beteiligten als auch unbeteiligten Ethnien. Den Kolonialherren und besonders Trotha galten alle „Eingeborene“ als „Wilde“. Angesichts der Art und Weise des Vernichtungsfeldzuges und den 120’000 zu beklagenden Toten – 80 Prozent aller Herero und die Hälfte aller Nama wurden zwischen 1904 und 1907 umgebracht – spricht Brigitte Fuchs vom ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.[69]

1905 und 1906 erliess die deutsche Kolonialverwaltung in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika ein Mischehenverbot.[70] Dabei spielten auch von zeitgenössischen Anthropologen vertretene Thesen mit, die davon ausgingen, dass von „Mischlingspopulationen“ ein besonderes Umsturzpotential ausgehe. Das „Rassenmischungsproblem“ war Ausdruck von Angst vor Verlust der politischen Kontrolle und des gesellschaftlichen Machtanspruchs.[71] Diese Furcht sowie neue rassische und eugenische Überlegungen sollten am Vorabend des Ersten Weltkrieges die anthropologischen Debatten im Mutterland nun entscheidend prägen.

2.3 Deutsche Anthropologie im Fahrwasser von Biologie und Eugenik

2.3.1 Eugen Fischer läutet einen Paradigmawechsel ein

Der deutsche Anthropologe Eugen Fischer (1874-1967) machte sich im Jahr 1908, also ein Jahr nach dem Ende der Massenmorde, zu einer achtwöchigen Expedition nach „Deutsch-Südwestafrika“ auf. Mit der Untersuchung eines im 18. und 19. Jahrhundert entstandenen Mischlingsvolks von Buren und einheimischen Khoikhoi (so genannten „Hottentotten“) hegte Fischer die Absicht, den endgültigen Nachweis zu erbringen, dass sich die menschlichen Rassenmerkmale nach den Gesetzen Mendels weiter vererbten.[72]

Erst 1913, fünf Jahre nach seiner Reise, erschien Fischers Werk „Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen“. Die lange Dauer zwischen seiner Rückkehr aus Afrika und dem Erscheinen des Buchs könnte ein Indiz dafür sein, dass Fischer erhebliche Schwierigkeiten hatte, auf Grund seines erhobenen Zahlenmaterials den unumstösslichen Beweis fürs „Mendeln“ zu erbringen. Dennoch wollte der Deutsche eine ganze Anzahl dominant-rezessiver Erbgänge beim Menschen „mit Sicherheit“ nachgewiesen haben.[73]

Einen eindeutigen Beweis blieb Fischer aber auf den über 300 Seiten schuldig.[74] Nach unzähligen Tabellen und Statistiken über Körpermasse beendete er seine Studie mit einem knappen Schlusskapitel „Zur Psychologie“. Darin charakterisierte er den Rehobother[75] unter anderem als „stumpf“, „träge“ und störte sich an seinem „Gefühlsmangel“. Zwar attestierte er ihm eine gewisse Intelligenz, aber das beweise nichts. Entscheidend sei, dass das farbige Mischlingsvolk kulturell und nach geistiger Leistungsfähigkeit gegenüber der weissen Rasse minderwertig sei.[76] Verglichen hingegen mit der farbigen Stammrasse, den „Hottentotten“, schnitten die Mischlinge gut ab. Insgesamt gelte es jedoch unter allen Umständen zu verhindern, dass das Erbgut der Weissen „herabgezüchtet“ werde: „Wenn die Bastards irgendwie dem Weissen gleichgesetzt werden, kommt ganz unweigerlich Hottentottenblut in die weisse Rasse. […] Noch wissen wir nicht sehr viel über die Wirkung der Rassenmischung. Aber das wissen wir ganz sicher: Ausnahmslos jedes europäische Volk […], das Blut minderwertiger Rassen aufgenommen hat – und dass Neger, Hottentotten und viele andere minderwertig sind, können nur Schwärmer leugnen – hat diese Aufnahme minderwertiger Elemente durch geistigen, kulturellen Niedergang gebüsst“.[77]

Die Ergebnisse der Rehobother-Studie waren für die zeitgenössischen deutschen Anthropologen von grosser Bedeutung. Das Resultat des „Mendelns“ beim Menschen entsprach zwar der Erwartungshaltung der grossen Mehrheit der Wissenschaftler. Obwohl Eugen Fischer bei wichtigen Merkmalen wie Haar- noch Hautfarbe keinen dominant-rezessiven Erbgang nachweisen konnte, galt in Fachkreisen von nun an die Vererbung beim Menschen nach mendelschen Regeln als bewiesene Tatsache. Entgegen der landläufigen Meinung war Fischer aber darüber hinaus zum Ergebnis gekommen, dass Mischlinge im Vergleich zu der farbigen Stammrasse nicht minderwertig, sondern überlegen seien. Zudem wies Eugen Fischer die ungestörte Fruchtbarkeit der Bastarde nach. Dies waren hinsichtlich der Rassenfrage ausserordentlich wichtige Forschungsergebnisse. Ausserdem stellte Fischer klar, dass durch Rassenkreuzung keine neuen Rassen entstünden, sondern die Merkmale sich eben nach der mendelschen Regel aufspalteten.[78] Diese Feststellungen bestärkten die Theorie der „Entmischung“ von Felix von Luschan. Demnach liessen sich aus Mischrassen die ursprünglichen Grundrassen wieder „herausmendeln“. Praktisch alle Fachvertreter waren sich damals einig, dass in Europa keine reinen Rassen mehr existierten, die Völker Europas daher Mischlingspopulationen aus einmal existierenden Grundrassen darstellten.[79]

Die neue Rezeption der mendelschen Gesetze um 1900 und vor allem dann Fischers Werk über die „Rehobother Bastards“ sollten die deutsche Anthropologie nachhaltig prägen und schliesslich einen Paradigmawechsel einläuten. Joseph Denikers Begriff der „somatischen Einheiten“, also die charakteristischen Körpermerkmale aus denen sich Rassen zusammensetzten, konnten nun neu als im Wesentlichen unabänderliche „Erbeinheiten“ aufgefasst werden. Hatte die klassische Anthropologie mit methodischen und terminologischen Problemen hinsichtlich der „Rassenmerkmale“ gekämpft, galt fortan jene Körpereigenschaft als „Rassenmerkmal“, die nach den Gesetzen Mendels vererbt wurde.[80] Biologische und genetische Konzepte machten der physischen Anthropologie somit ihren Stellenwert innerhalb der Disziplin streitig. Eugenische Einflüsse verschärften diese Entwicklung noch. Die vor dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Idee der Rassenhygiene war zwar nicht unmittelbar ein Kind der Anthropologie, sondern entstand aus einer interdisziplinären Verbindung aus Medizin und darwinistischer Humanbiologie sowie praxisbezogener politischer Theoriebildung. Trotz der zunächst getrennten Entwicklung waren die Auswirkungen der Rassenhygiene auf die Anthropologie allerdings beträchtlich. Es vollzog sich ein Wandel von der beschreibenden und vermessenden zu einer handlungsorientierten Wissenschaft, „wobei die Anthropologie eher ins Fahrwasser der Rassehygiene geriet als deren Entwicklung zu beeinflussen“.[81]

Zentrale Figur für den Aufbau einer rassenhygienischen Bewegung in Deutschland war Alfred Ploetz (1860-1940). Der Arzt und Sozialdemokrat trat der „Berliner Gesellschaft für Anthropologie“ bei, wo er unter anderem in Kontakt mit dem Anthropologen Felix von Luschan und dem Ethnologen Richard Thurnwald kam. Ploetz arbeitete zielgerichtet daraufhin, seine Ideen zu popularisieren. So konnte er die Mitglieder der Berliner Anthropologischen Gesellschaft dazu gewinnen, eine Zeitschrift für Rassenhygiene herauszugeben. 1904 erschien die erste Nummer des „Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“. Ein Jahr später gründete Ploetz zusammen mit dem Psychiater Ernst Rüdin und Richard Thurnwald die „Gesellschaft für Rassenhygiene“, die später in „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ umbenannt wurde.[82] Gerade bei den Anthropologen und Medizinern warb Alfred Ploetz erfolgreich um ein Engagement in der von ihm institutionalisierten Bewegung. Nach Luschan und Thurnwald traten alsbald der Münchner Anthropologe Johannes Ranke und sein Wiener Kollege Rudolf Pöch der Gesellschaft bei. In einigen Universitätsstädten erfolgten gar Gründungen von rassenhygienischen Ortsgruppen. Eugen Fischer, von Ploetz persönlich dazu ermutigt, wurde 1910 der Vorsitzende der Ortsgruppe Freiburg und gehörte also noch vor der Publikation seiner Schrift über die Rehobother ebenfalls fest zum Kreis der Rassenhygieniker.[83]

2.3.2 Der Erste Weltkrieg und der Ruf nach Volksgesundheit

Durch eugenische Theorien und unter dem Eindruck des Standardwerkes von Eugen Fischer hatte die deutsche Anthropologie gerade begonnen, sich vermehrt biologischen Fragestellungen zuzuwenden, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Während vier Jahren tobte in Europa ein Krieg, erstmals mit modernster Technik geführt, in welchem Menschen massenhaft und anonym vernichtet wurden. Sowohl erlebte Kriegserfahrungen als auch grundlegende politische und wirtschaftliche Umwälzungen bedeuteten für die gesamte europäische Gesellschaft eine einschneidende Zäsur. Dies trifft auch für die Wissenschaft zu, insbesondere für die Medizin und ihre verwandten Fächer, war doch der naturwissenschaftliche Zukunftsoptimismus einmal mehr schwer erschüttert worden. Galten Hunger und Seuchen um die Jahrhundertwende als besiegt, war das Elend im Krieg immens. Tod bringende Infektionskrankheiten rafften zudem Millionen Menschen dahin.[84]

Auch die deutschen Humanwissenschaften litten unter einer schweren Bewusstseinskrise. Neben dem alltäglichen Kriegsgrauen und seinen Folgen lag der Grund hierfür im Zusammenbruch der ärztlichen Ethik. Die riesige Menge an Schwerverletzten hatte unter dem „mörderischen Pragmatismus“ der militärischen Führungen die „Triage“ mit sich gebracht. Entgegen den Verpflichtungen des hippokratischen Eides waren jene Soldaten bevorzugt behandelt worden, die schnell wieder frontfähig zu machen waren, während denjenigen, die voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht mehr in die Kämpfe eingreifen konnten, die Therapie bewusst verweigert wurde. Eine unrühmliche Rolle spielten in diesem Zusammenhang viele Psychiater, die Soldaten mit Kriegsneurosen solange unter Elektroschocks setzten, bis diesen das Sterben an der Front weniger schlimm erschien als das Verbleiben in den Händen des „behandelnden“ Arztes.[85]

Rassenforscher und Eugeniker verfolgten die lang anhaltenden Kämpf zumeist mit grosser Sorge. Zwar waren vor Kriegsausbruch einige Sozialdarwinisten der Überzeugung gewesen, dass Kriege ein geeignetes Selektionsinstrument für Rassen und Völker seien. Die grosse Mehrheit der Eugeniker fürchtete jedoch schon rasch nach Kriegsbeginn die kontraselektive Wirkung der Kämpfe, starben doch die gesunden, tüchtigen und starken Männer auf dem Schlachtfeld, derweil die Kranken und Gebrechlichen sich daheim fortpflanzten. Trotz der wachsenden Sorge sahen sich aber die meisten Rassenhygieniker in der patriotischen Pflicht, die Kriegsbemühungen ihrer jeweiligen Regierungen zu stützen. Von grossen patriotischen Wallungen erfasst wurde auch die deutsche Eugenik, deren Gesellschaft sich mitten im Krieg in eine nationale Organisation umwandelte. Nicht mehr die Erhaltung der weissen Rasse war nun Primat im eugenischen Programm, pangermanische und alldeutsche Ideen durchdrangen viele deutsche Eugeniker, die fortan eine völkisch orientierte Rassenhygiene propagierten.[86] Auch eher technokratisch orientierte Eugeniker, die rassistischen und germanophilen Ideologien ablehnend gegenüberstanden, forderten unverzüglich staatliche Massnahmen für die Rettung des deutschen Volkes.[87]

Krieg, Elend und Hunger verstärkten den Ruf nach Volksgesundheit ebenso wie die Paranoia um eine rassische Degeneration. Die Entwicklung einer praktischen Anthropologie als Hilfswissenschaft der Medizin erschien fast allen Fachvertretern als vordringliches Ziel. Dies sollte die anthropologischen Diskurse für die kommenden Jahre beeinflussen; biologische und eugenische Fragestellungen schienen jetzt erst recht notwendig.

3 Deutsche Anthropologie und Ethnologie in der Weimarer Republik

Die junge demokratische Republik war durch die militärische Niederlage und das Erbe des Kaiserreichs erheblich belastet. Die Staatsschulden aus den Kriegsanleihen sowie Reparationszahlungen führten zu einer immer schnelleren Geldentwertung. Die Versailler Friedensverträge und die Gebietsabtretungen waren für viele ZeitgenossInnen demütigend, nationalistische Verbände hatten Hochkonjunktur. Die Wissenschaften und auch die Anthropologie oder Ethnologie bzw. ihre Fachvertreter bildeten in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Das nächste Kapitel widmet sich diesem Sachverhalt und schildert die Situation der deutschen Anthropologie nach dem Ersten Weltkrieg und die allgemeine Verbreitung eines völkischen Nationalismus in der Gesellschaft. Höchst einflussreich für die Anthropologie und ihre verwandten Disziplinen war dann für die weiteren Jahre die nordische Rassenlehre von Hans F. K. Günther, dem sich Unterkapitel 3.2 annimmt. Unter dem Eindruck des Krieges und nicht zuletzt dank der Popularisierung des Rassenkonzepts von Günther wurde der Graben zwischen der Anthropologie und Ethnologie breiter. Die anschliessenden Kapitel befassen sich damit und geben einen Überblick über die universitäre Institutionalisierung der beiden Fächer bis ins Jahr 1933.

3.1 Situation nach dem verlorenen Krieg

Hatten die deutschen Universitäten im Wilhelminischen Staate eine weit über die nationalen Grenzen ausstrahlende Glanz- und Blütezeit erlebt, stürzte der verlorene Krieg die geistigen Eliten in eine arge Krise. Eine Mehrheit der Professorenschaft, im Kaiserreich noch sozial und ökonomisch privilegiert und grosszügig vom Staat gefördert, hatte die deutschen Kriegsziele bis zuletzt unterstützt. Ratlos und verbittert wie der Rest der bürgerlichen Gesellschaft verfolgten viele die Niederlage und das Ende der gewohnten Welt. Mit der Unterzeichnung der Versailler Verträge verlor das neue politische System bei vielen staatsverwöhnten Akademikern endgültig jeglichen Kredit. Isoliert von der internationalen Wissenschaftsgemeinde und, spätestens als die Inflation der wirtschaftlichen Situation des Landes schwer zusetzte, gedemütigt durch eingeschränkte Forschungsmittel wurde es in Universitätskreisen üblich, der ruhmvollen Vergangenheit des Kaiserreichs und dem Kaiser nachzutrauern.[88] Auch als die Republik mit den Jahren gefestigt schien, blieben fast alle akademischen Eliten gegenüber dem politischen System, lehnten sie es nicht gleich offen ab, sehr distanziert. Die übergrosse Mehrheit der Professoren in der Weimarer Republik war vor 1918 politisch sozialisiert worden und fand keine „realitätsadäquate Einstellung zur republikanischen Staatsform und demokratischen Politik“.[89]

[...]


[1] Benoît Massin, Anthropologie und Humangenetik im Nationalsozialismus oder: Wie schreiben deutsche Wissenschaftler ihre eigene Geschichte?, in: Heidrun Kaupen-Haas/Christian Saller (Hg.), Wissenschaftlicher Rassismus: Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, Frankfurt a.M. 1999, S. 12-64, hier S. 13.

[2] Unter anderem wiesen renommierte Figuren der deutschen Nachkriegsanthropologie wie Wilhelm Emil Mühlmann und Ilse Schwidetzky eine Mitverantwortung der Disziplin im NS entschieden zurück. Siehe Wilhelm Emil Mühlmann, Geschichte der Anthropologie, Wiesbaden 41986 [Erstauflage 1948] und Ilse Schwidetzky, Geschichte der Anthropologie, in: Rainer Knussmann (Hg.), Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen, Bd. 1, 47-126, Stuttgart 1988. Ebenfalls völlig unschuldig an den NS-Rassenlehren sind nach Ansicht des noch heute viel zitierten Humangenetikers Peter Emil Becker sowohl Wissenschaftler als auch Pseudowissenschaftler vor und während des NS. Siehe Peter Emil Becker, Wege ins Dritte Reich, Teil I, Zur Geschichte der Rassenhygiene, Stuttgart 1988 sowie Peter Emil Becker, Wege ins Dritte Reich, Teil II, Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus und Völkischer Gedanke, Stuttgart 1990.

[3] Erst am 42. Deutschen Historikertag im Jahr 1998 in Frankfurt a.M. wurde auf breiter Basis diskutiert, inwiefern Historiker an der Etablierung und Aufrechterhaltung des NS-Systems beteiligt waren. Dazu: Winfried Schulze/Gerd Helm/Thomas Ott, Deutsche Historiker im Nationalsozialismus. Beobachtungen und Überlegungen zu einer Debatte, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 22000, S. 11-48, hier: S. 11. Überrascht reagierte die deutsche Geschichtswissenschaft auch beispielsweise auf die unlängst bekannt gewordene NSDAP-Mitgliedschaft des langjährigen Direktors des Instituts für Zeitgeschichte in München, Martin Broszat (1926-1989). Kürzlich erst wurde ebenfalls die deutsche Germanistik damit konfrontiert, dass zahlreiche renommierte Germanisten der Nachkriegszeit in jungen Jahren der NSDAP beigetreten waren. Siehe Joachim Günther, Parteimitglied – was heisst das? Die Debatte um Germanisten in der NSDAP, in: NZZ, 29.11.2003, Nr. 278, S. 45.

[4] Definitionen nach Gerhard Hauck, Vom „faulen Neger“ zum „Egoismus der Gene“ – Über Kontinuität und Wandel rassistischer Denkfiguren in der Ethnologie, in: Peripherie, Nr. 96, 1996, S. 88-103, hier: S. 88. Dem Rassismus sind darüber hinaus zwei Merkmale konstitutiv, die in ethnozentristischen Anschauungen gegeben sein können, aber nicht müssen: Unterschiede zwischen Menschengruppen definiert die rassistische Ideologie als natürlich (z.B. durch das Blut oder die Herkunft) und sie fordert eine Privilegierung der überlegenen Gruppe.

[5] Siehe Heidrun Kaupen-Haas/Christian Saller (Hg.), Wissenschaftlicher Rassismus: Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, Frankfurt a.M. 1999. Zu den Theorien von Institutsleiter Knussmann siehe als Beispiel: Marianne Schuller, „Entartung“. Zur Geschichte eines Begriffs, der Geschichte gemacht hat, in: Kaupen-Haas, Heidrun/Saller, Christian (Hg.), Wissenschaftlicher Rassismus: Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, Frankfurt a.M. 1999, S. 122-136, hier: S. 132-134.

[6] Zu erwähnen sind insbesondere biografische Abhandlungen über Eugen Fischer, Otto Reche, Otto Schlaginhaufen sowie eine ausführliche Monografie über die österreichische Anthropologie: Niels C. Lösch, Rasse als Konstrukt. Leben und Werk Eugen Fischers, Frankfurt a.M. 1997; Katja Geisenhainer, „Rasse ist Schicksal“: Otto Reche (1879-1966) – ein Leben als Anthropologe und Völkerkundler, Leipzig 2002; Christoph Keller, Der Schädelvermesser. Otto Schlaginhaufen – Anthropologe und Rassenhygieniker, Zürich 1995. Brigitte Fuchs, „Rasse“, „Volk“, Geschlecht. Anthropologische Diskurse in Österreich 1850-1960, Wien 2003.

[7] Peter Lundgreen, Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich, in: Peter Lundgreen (Hg.), Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1985, S. 9-30, hier: S. 10.

[8] Ebd., S. 9.

[9] Anderen Wissenschaftlern wurde die Lehrbefugnis wegen ihrer jüdischen Wurzeln entzogen, bzw. wegen der jüdischen Herkunft ihrer Frauen. Siehe Benoît Massin, Anthropologie raciale et national-socialisme: heurs et malheurs du paradigme de la „race“, in: Josiane Olff-Nathan (Hg.), La science sous le Troisième Reich, Paris 1993, S. 197-262, hier: S. 202f.

[10] Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Frankfurt a.M. 1996, S. 25.

[11] Hitler, Adolf, Mein Kampf, Zwei Bände in einem Band, München 61933 [Original 1925/1926], S. 431.

[12] Ebd., S. 446.

[13] Ebd., S. 318.

[14] Ebd., S. 329-334.

[15] Ebd., S. 444-446.

[16] Ebd., S. 742.

[17] Ebd.

[18] Dieser Punkt lässt sich nicht explizit aus den oben gemachten Ausführungen zu „Mein Kampf“ ableiten. Die nationalsozialistische Ideologie bejaht aber die Existenz einer deutschen „Herrenrasse“, der es vorbehalten sei, über die anderen minderwertigen Völker zu bestimmen. Siehe Walther Hofer (Hg.), Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, Frankfurt a.M. 1982, S. 15.

[19] Der Begriff „Anthropologie“ hat sich in der deutschen Sprache im Laufe der Zeit gewandelt: Seit der Aufklärung wurde unter Anthropologie die Wissenschaftsgattung von der Lehre des Menschen verstanden, die sowohl Anthropologie als auch Ethnologie umfasste. Etwa ab dem Jahr 1860 wurde der Terminus fast nur noch in Abgrenzung zur Ethnologie für die Beschreibung der physischen (später im 20. Jahrhundert auch der biologisch-genetischen) Anthropologie gebraucht. Der in dieser Arbeit verwendete Begriff „Anthropologie“ korrespondiert mit diesem Bedeutungswandel: Wo nicht anders vermerkt, ist fortan unter Anthropologie für die Zeit bis Mitte des 19. Jahrhunderts die gesamte Wissenschaftsgattung gemeint und ab 1860 im Gegensatz zur Ethnologie die physisch-vermessende Anthropologie bzw. die biologisch-genetische.

[20] Geisenhainer, „Rasse ist Schicksal“, S. 16.

[21] Sowohl die Zahl der durch die Nationalsozialisten erlassenen Berufsverbote als auch die der emigrierten EthnologInnen war im Vergleich zur Anthropologie deutlich grösser. Siehe Berthold Riese, Während des Dritten Reiches (1933-1945) in Deutschland und Österreich verfolgte und von dort ausgewanderte Ethnologen, in: Thomas Hauschild (Hg.), Lebenslust und Fremdenfurcht. Ethnologie im Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1995, S. 210-220.

[22] Da die damals bestimmenden Figuren in der anthropologischen und ethnologischen Wissenschaft zumeist Männer waren und sich die Auswahl der in dieser Arbeit untersuchten Vertreter auf männliche beschränkt, wird aus Gründen besserer Lesbarkeit fortan auf eine geschlechtsneutrale Formulierung in Bezug auf die VertreterInnen der beiden Disziplinen verzichtet. Aus eben genannten Gründen wurde hinsichtlich anderer häufig verwendeter Bezeichnungen in dieser Untersuchung ohnehin von Anfang an von einer geschlechtsneutralen Ausdrucksweise abgesehen (z.B. bei Wörtern wie Wissenschaftler oder Nationalsozialisten etc.).

[23] Siehe z.B. Christine Hertler, Menschenrassen und das Problem der Variabilität – ein Lösungsvorschlag von Franz Weidenreich, in: AA, 60. Jg., 2002, S. 81-94, hier: S. 81.

[24] Der Rassismus nährte sich unter anderem aus den intellektuellen Strömungen des Pietismus als religiöse Wiedererweckungsbewegung. Georg L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a.M. 31994, S. 28f.

[25] Ruth Römer, Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland, München 21989, S. 18.

[26] Mosse, Rassismus, S. 37.

[27] Ebd.

[28] Römer, Sprachwissenschaft, S. 21.

[29] Zit. nach Werner Conze, Rasse, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 5. Bd., Stuttgart 1984, S. 135-178, hier S. 154.

[30] Römer, Sprachwissenschaft, S. 51.

[31] Léon Poliakov, Der arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus, Hamburg 1993, S. 217f.

[32] Conze, Rasse, S. 160.

[33] Mosse, Rassismus, S. 154.

[34] Ebd., S. 80f.

[35] Römer, Sprachwissenschaft, S. 30.

[36] Mosse, Rassismus, S. 79.

[37] Ivan Hannaford, Race. The History of an Idea in the West, Washington 1996, S. 230f.

[38] Mosse, Rassismus, S. 72.

[39] Ebd., S. 297.

[40] Römer, Sprachwissenschaft, S. 16.

[41] Andreas Lüddecke, Rassen, Schädel und Gelehrte. Zur politischen Funktionalität der anthropologischen Forschung und Lehre in der Tradition Egon von Eickstedts, Frankfurt a.M. 2000, S. 36.

[42] Lösch, Rasse als Konstrukt, S. 30-32.

[43] Römer, Sprachwissenschaft, S. 16.

[44] Erich Freisleben, Grundelemente der Rassenkunde und Rassenhygiene der Weimarer Zeit. Eine Untersuchung zu zwei Standardwerken, Berlin 2003, S. 20f.

[45] Wolfgang J. Mommsen, Das Ringen um den nationalen Staat 1850 bis 1890, in: Propyläen Geschichte Deutschlands, Bd. 7 Erster Teil, Frankfurt a.M. 1993, S. 778.

[46] Paul Weindling, Health, Race and German Politics between National Unification and Nazism 1870-1945, Cambridge 1989, S. 91f. Die Eugenik wurde in Deutschland häufig als Rassenhygiene bezeichnet und war die Wissenschaft vom „guten Erbe“. Das Erbgut der Menschen sollte verbessert werden, wobei Werte wie höhere Intelligenz, bessere körperliche Konstitution, Schönheit oder rassische Reinheit im Vordergrund standen. Als Mittel propagierten Eugeniker bzw. Rassenhygieniker züchterische Massnahmen (= „positive Eugenik“) und/oder die Beseitigung „schlechten Erbgut“ in der Bevölkerung (= „negative Eugenik“). Siehe Peter Weingart/Jürgen Kroll/Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, S. 16. Die Begriffe Eugenik und Rassenhygiene werden in dieser Arbeit synonym verwendet.

[47] Matti Bunzl, Franz Boas and the Humboldtian Tradition, in: George W. Stocking Jr. (Hg.), Volksgeist as Method and Ethic. Essays on Boasian Ethnography and the German Anthropological Tradition, Madison 1996, S. 17-78, hier: S. 43-52.

[48] Pascal Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, Frankfurt a.M. 2000, S. 107.

[49] Der Begriff Völkerkunde wurde damals sinngleich mit Ethnologie gebraucht. Dies gilt auch für diese Arbeit. Heute ist der Terminus Völkerkunde allerdings eher im populären Sprachgebrauch üblich. Siehe dazu Hans Fischer, Artikel: Völkerkunde, in: WdV, begründet von Walter Hirschberg, Berlin 1999, S. 399.

[50] Grosse, Kolonialismus, S. 113.

[51] Hannaford, Race, S. 288.

[52] Poliakov, Der arische Mythos, S. 296.

[53] Lüddecke, Rassen, Schädel und Gelehrte, S. 31.

[54] Poliakov, Der arische Mythos, S. 299.

[55] Thomas Hauschild, „Dem lebendigem Geist.“ Warum die Geschichte der Völkerkunde im „Dritten Reich“ auch für Nichtethnologen von Interesse sein kann, in: Thomas Hauschild (Hg.), Lebenslust und Fremdenfurcht. Ethnologie im Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1995, S. 13-61, hier: S. 45.

[56] Karl-Heinz Kohl, Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung, München 1993, S. 106.

[57] Bastian kam auf seinen Reisen mit diversen Sprachen in Kontakt, ohne dass er jemals eine richtig gelernt hätte. Zu guter Letzt wurde er auch noch unsicher in seiner Muttersprache. Seine Theorien waren daher schwierig zu verstehen. Siehe Fritz Kramer, Einfühlung. Überlegungen zur Geschichte der Ethnologie im präfaschistischen Deutschland, in: Hauschild, Lebenslust und Fremdenfurcht, S. 85-102, hier: S. 92-95.

[58] Bernhard Ankermann, „Die Entwicklung der Ethnologie seit Adolf Bastian“. Ein Festvortrag, in: ZfE, 58. Jg., 1926, S. 221-230.

[59] Ebd., S. 230.

[60] Ebd., S. 222.

[61] Johannes Ranke, Der Mensch, Bd. 2: Die heutigen und die vorgeschichtlichen Menschrassen, Leipzig 31912, S. 318.

[62] Ebd., S. 341.

[63] Lösch, Rasse als Konstrukt, S. 32. Siehe auch Kapitel 2.1.4 dieser Arbeit.

[64] Zu Friedrich Ratzel und seinem „Lebensraum“-Konzept siehe Woodruff D. Smith, The Ideological Origins of Nazi Imperialism, New York 1986, S. 146-152.

[65] Grosse, Kolonialismus, S. 240.

[66] Ingeborg Winkelmann, Adolf Bastian – Leben und Werk, in: EAZ, 27. Jg., 1986, S. 405-413, hier: S. 412.

[67] Grosse, Kolonialismus, S. 114f.

[68] Ebd., S. 176-181.

[69] Fuchs, „Rasse“, „Volk“, Geschlecht, S. 190-193.

[70] Zu den Mischlingsdebatten und der Mischlingsgesetzgebung im Deutschen Reichstag siehe Fatima El-Tayeb, Schwarze Deutsche. Der Diskurs um „Rasse“ und nationale Identität 1890-1933, Frankfurt a.M. 2001, S. 92-109 sowie S. 118-131.

[71] Grosse, Kolonialismus, S. 157-160.

[72] Fischer fuhr nicht nach „Deutsch-Südwestafrika“, um herauszufinden, ob sich die mendelschen Regeln auf Rassenmerkmale beim Menschen anwenden liessen; er reiste mit der festen Überzeugung dorthin, dass dem so sei! Siehe Lösch, Rasse als Konstrukt, S. 53f.

[73] Eugen Fischer, Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen. Anthropologische und ethnologische Studien am Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwest-Afrika, Jena 1913, S. 171.

[74] Lösch, Rasse als Konstrukt, S. 65.

[75] Fischer untersuchte ausschliesslich EinwohnerInnen aus Rehoboth, ein Ort, der 80 Kilometer südlich von Windhoek liegt.

[76] Fischer, Die Rehobother, S. 296.

[77] Ebd., S. 302.

[78] Ebd., S. 306.

[79] Lösch, Rasse als Konstrukt, S. 76f.

[80] Ebd., S. 152.

[81] Lüddecke, Rassen, Schädel und Gelehrte, S. 33. „Rassehygiene“ steht hier in Anlehnung an Wilhelm Friedrich Schallmayer, einem Begründer eugenischer Theorien, der aber den Begriff „Rasse n hygiene“ ablehnte.

[82] Weingart u.a., Rasse, Blut und Gene, S. 199-201.

[83] Lösch, Rasse als Konstrukt, S. 97.

[84] Lüddecke, Rassen, Schädel und Gelehrte, S. 38.

[85] Ebd., S. 37f.

[86] Stefan Kühl, Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1997, S. 48.

[87] Der Anthropologe Felix von Luschan, ohne Zweifel ein Gegner rassistischer und alldeutscher Theorien, glaubte zum Beispiel fest daran, dass die Zukunft der Völker und Nationen in der qualitativen und quantitativen Überlegenheit des Nachwuchses entschieden werde. Angesichts der drohenden „Entartung“ durch Geburtenrückgang der starken und gesunden Deutschen beschwor Luschan „eugenische Lehren“, die Teil des „nationalen Glaubensbekenntnisses“ werden müssten. Siehe Felix von Luschan, Rassen und Völker. Rede gehalten am 2. November 1915 in Berlin, in: Deutsche Reden in schwerer Zeit, 3. Bd., 1915, S. 349-381, hier: S. 380.

[88] Notker Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur 1920-1945, München 1999, S. 13-31.

[89] Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Vierter Band. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2003, S. 471.

Fin de l'extrait de 129 pages

Résumé des informations

Titre
Ideologisierte Wissenschaft. Rassentheorien deutscher Anthropologen zwischen 1918 und 1933
Université
University of Bern  (Historisches Institut)
Note
5,5 (CH) = 1,5 (D)
Auteur
Année
2003
Pages
129
N° de catalogue
V25570
ISBN (ebook)
9783638281430
ISBN (Livre)
9783638696968
Taille d'un fichier
1085 KB
Langue
allemand
Annotations
Dass Wissenschaftler der deutschen Anthropologie/Völkerkunde in NS-Verbrechen verstrickt waren ist wenig überraschend, hantierten sie doch mit Rassentheorien aller Art. Unklar war aber, inwieweit sie schon vor 1933 für die NS-Ideologie empfänglich waren. Diese Arbeit untersucht daher die führenden Wissenschaftler der Weimarer Zeit, die an deutschen Unis lehrten. Das Ergebnis ist erschütternd: Bei den meisten paarten sich primitivste Rassenvorurteile mit pseudowissenschaftlichen Verlautbarungen.
Mots clés
Ideologisierte, Wissenschaft, Rassentheorien, Anthropologen
Citation du texte
Michael Vetsch (Auteur), 2003, Ideologisierte Wissenschaft. Rassentheorien deutscher Anthropologen zwischen 1918 und 1933, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25570

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