Die Rolle der Religion bei der Entwicklung des Kapitalismus - Max Webers Protestantismus-Kapitalismus-These in der Diskussion


Seminar Paper, 2003

13 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Max Weber's Protestantismusstudie
2.1. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung
2.2. Der „Geist“ des Kapitalismus
2.3. Die protestantische Ethik und der Calvinismus
2.4. Weber's Fazit

3 Diskussion der Protestantismus-Kapitalismus-These
3.1. Die Reformation als Prozess: Herbert Lüthy
3.2. Der internationale Handel als Grundstein des Kapitalismus: Jean Baechler

4 Schlusswort

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die 1904 von Max Weber unter dem Eindruck einer vorangegangenen USA-Reise verfasste Schrift Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus trifft den Kern von Weber's sozialökonomischem Erkenntnisinteresse, da sich alle seine Untersuchungen unmittelbar oder mittelbar mit Ursachen, Wirkungen und Erscheinungsformen des Kapitalismus und seiner revolutionären Kraft beschäftigen.

Weber baute eine Beziehung zwischen der protestantischen, genauer gesagt der calvinistischen Glaubenslehre und dem Entstehen des Systems des modernen Kapitalismus auf.

Dass dies zwar nicht im Sinne einer Kausalbeziehung geschah, wohl aber das Aufkeimen des Protestantismus als wichtigster Einflussfaktor dieser neuen Wirtschaftsordnung gesehen wurde, hat in den Jahrzehnten nach dem erstmaligen Erscheinen des Werkes im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (1905) für reichhaltige und kontroverse Diskussionen gesorgt[1].

In dieser Arbeit soll zunächst das Objekt dieser Diskussionen, die Protestantismusstudie, zusammengefasst wiedergegeben werden um anschließend anhand zweier Repräsentanten einen Eindruck der unterschiedliche Facetten der Diskussion zu vermitteln.

2 Max Weber's Protestantismusstudie

2.1. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung

Den Anstoß zur Untersuchung boten einige empirische Beobachtungen: Zum einen ließ sich feststellen, dass der Anteil der Protestanten unter Unternehmern, Eigentümern und Bildungsbürgertum signifikant höher war als der von Mitgliedern anderer Konfessionen.

Auch fiel ihm auf, dass in Bayern und Baden nicht nur der Anteil der Protestanten an Schülern höherer Bildungseinrichtungen signifikant höher war als der der Katholiken[2]. Die Mitglieder der beiden Konfessionen unterschieden sich auch in ihren Neigungen, was die Wahl des Bildungszweiges anging (Katholiken: humanistisch, Protestanten: technisch und kaufmännisch).

Zum anderen stellte Weber vor allem in den protestantisch geprägten USA und Großbritannien eine viel euphorischere und rasantere Industrialisierung fest als in anderen europäischen Ländern wie Italien oder dem Deutschen Reich, wo andere Glaubenslehren eine ebenso große oder größere Rolle spielen.

Einige Autoren hatten dem Protestantismus generell einen stärkeren weltlichen Bezug und eine bessere Ausstattung seiner Anhänger mit ökonomischem und materiellem Kapital als etwa dem eher „weltfremden“ Katholizismus bescheinigt und führten diese Feststellungen darauf zurück. Diesen Verweis auf einen generellen Weltbezug der Religion lehnte Weber als nicht hinreichend ab, er war vielmehr der Meinung, die Ursache der Unterschiede müsse in der protestantischen Glaubenslehre selbst liegen und den darin enthaltenen Urteilen über Beruf und Wirtschaften. Besonders anhand der Unterschiede bei der Wahl des Bildungszweiges könne man dies sehen, so Weber.

In den Schriften von Benjamin Franklin fand Max Weber schon erwähnt, dass in den USA eine Ethik des Eigennutzes herrschend geworden war, die nicht nur Geschäftstüchtigkeit als Technik vermitteln sollte, sondern das Wirtschaften und Erwerben selbst zum eigenständigen moralischen Wert und Handlungszweck erhoben wurde. Mit anderen Worten, das Erwerben war zum Lebenszweck geworden und war nicht länger nur Mittel zum guten Leben. Aus Weber's Sicht lässt sich nun der heutige Berufsethos nur historisch verstehen, d.h. die Menschen werden heute in diese Wertordnung und ökonomische Struktur hineingeboren und entscheiden sich kaum frei zu diesen Werten, die herrschende Norm wird ihnen aufgezwungen. Zum Verständnis und zur ursächlichen Erklärung der Entwicklung des Kapitalismus in diesen Gebieten kann nur die Frage dienlich sein, wie einzelne Menschen, und dann soziale Gruppen, dazu gekommen sind, anfänglich dieses Ethos zu vertreten und zu normieren für die nachfolgenden Generationen, d.h. die Ursachen der Entstehung des „Geistes des Kapitalismus“ sind bei den ersten Vertretern des neuen Geistes zu suchen, deren rationale Handlungsform dann die kapitalistische Unternehmung ist. Weber will also die Entstehung materieller kapitalistischer Strukturen auf das wertorientierte Verhalten sozialer Akteure und Gruppen zurückführen, eine Symbiose von Norm und Struktur also, bei der die Norm der Ausgangpunkt sozialer und technischer Entwicklung ist.

2.2. Der „Geist“ des Kapitalismus

Um die weitere Betrachtung handhabbar zu machen, muss Weber nun zunächst definieren, was den Ethos, den „Geist“ des Kapitalismus idealtypisch ausmacht. Daher beschreibt er den Idealtypus des ethisch korrekten Kapitalisten[3] als eine Person, die unnötigen Aufwand scheut, aber auch nur ungern bewusst den eigenen Reichtum und den eigenen Ruhm genießt und konsumiert. Leitmotiv ist die Bescheidenheit und der entscheidende Orientierungspunkt ist die gute Berufs- und Pflichterfüllung. Insgesamt trägt diese Ethik starke (weltlich-)asketische Züge in sich.

Weber wendet sich entschieden gegen eine rein materialistische Analyse dieses Ethos im Sinne einer Basis-Überbau-Theorie, die diese Werte auf den Entwicklungsstand der Produktivkräfte zurückführt und an die technisch-materielle ökonomische Struktur koppelt.

So ist das Leitbild des asketischen Kapitalisten in einer hochindustrialisierten Stadt wie Florenz eher verpönt, kann sich aber im rückständigen, vom Naturaltausch geprägten Pennsylvania in den USA voll entfalten. Eine Bindung dieser Ethik an den materiellen Fortschritt einer Region ist daher empirisch kaum haltbar. Der Rationalismus dieser kapitalistischen Gesinnung ist eher in einer rein normativen, ethischen Entwicklung zu begründen, in einer Verbreitung des Berufs als höchste sittliche Selbstbetätigung, die durch bestimmte protestantische Ideale den Rationalismus der Kulturepoche des Kapitalismus vorbereitet und dabei selbst zur Durchsetzung beiträgt.

Diese normative Entwicklung muss aufgrund der ethisch prägenden Rolle der Religion in vorkapitalistischer Zeit in einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen weltlichem Verhalten und jenseitiger Belohnung in der christlichen Dogmatik liegen.

2.3. Die protestantische Ethik und der Calvinismus

Für Weber markiert die Reformation eine wichtige normative Veränderung, da die religiöse Prämie für innerweltliches, berufliches Verhalten vergrößert wurde. Die vor-reformatorische Berufsethik war eher eine traditionalistische - der Beruf war hin zu nehmendes Schicksal, das jenseitige Seelenheil war eher an gute Taten und gläubig-frommes Verhalten in der Ausübung der Religion gebunden und weniger an die Berufserfüllung. Auch bei Luther selbst sieht Weber eher noch ein traditionalistisches Berufsethos vertreten. Den entscheidenden normativen Paradigmenwechsel, der zwar nicht ökonomische Beweggründe, aber sehr starke nicht-intendierte ökonomische Folgen hatte, findet Weber in der Entwicklung der calvinistischen Prädestinationslehre.

Nach dieser Lehre ist der Daseinszweck des Menschen die Verherrlichung Gottes und seiner göttlichen Ordnung. Ob ein Mensch selig ist oder der Verdammung preisgegeben wird ist unabänderlich vorbestimmt. Ethische Implikation dieser für Weber vollendeten Entzauberung der Welt, also die Absage an jeden Einfluss des Menschen auf sein jenseitiges Seelenheil, ist eine Bejahung der göttlichen Ordnung der Welt durch den Menschen. Die Nächstenliebe liegt nach Calvin in der Erfüllung der individuellen Aufgabe, des eigenen Schicksals in der göttlichen weltlichen Ordnung, also vor allem in einer disziplinierten Berufserfüllung.

In dieser Prädestinationslehre steckt naturgemäß eine besondere Verunsicherung für alle gläubigen Menschen, d.h. sie leben in der unerträglichen Spannung, nichts an ihrem eventuell verdammten Schicksal ändern zu können. Während im Katholizismus und im Protestantismus lutheranischer Prägung die Vergebung diese Spannung mindert, entsteht im Calvinismus ein riesiger seelsorgerischer Druck, wie Max Weber anhand der Auswertung von theologischen Schriften mit seelsorgerischen Bezügen entwickelt.

Dieser Druck wird durch die Etablierung für jedermann gelöst durch die Pflicht, sich selbst für auserwählt zu halten. Rastlose Berufsarbeit wird als höchste sittliche Betätigung normiert, sie soll die Zweifel vertreiben, und eine feste Position in der göttlichen Berufsordnung soll Sicherheit über den Gnadenstand für jeden einzelnen geben. Der Calvinismus normiert also für seine Anhänger keine guten Taten als Weg zum Seelenheil sondern vertritt eine zum System gesteigerte Werkheiligkeit des Berufslebens insgesamt. Konstante Selbstkontrolle und planmäßiges Leben sind Kennzeichen eines frommen Lebens, das Weber insgesamt mit dem Idealtypus der innerweltlichen Askese belegt, die eine an Gottes Willen orientierte Durchrationalisierung und asketische Durchdringung des Lebens beschreibt. Diese neue Askese ist keine Askese des Klosters, wie die traditionalistische, sondern steht im Zentrum des weltlichen Lebens, in der ökonomischen Alltagswelt. Die Zurschaustellung dieser Lebensweise vor aller Welt soll zugleich eine Zurschaustellung des hohen Grades der Verherrlichung Gottes und der absoluten Ohnmacht seiner prädestinierenden Kraft gegenüber sein.

Max Weber untersuchte schwerpunktmäßig den Calvinismus in seiner Studie, befasste sich aber auch mit dem Täufertum, also vor allem den Quäkern und Baptisten, bei denen er diese innerweltliche Askese sogar noch stärker sieht, da in diesen Glaubenslehren sogar die Übernahme öffentlicher Ämter wie überhaupt die Herausbildung jeder weltlichen Aristokratie verpönt ist. Als protestantische Ethik dieser Prägung definiert Weber nun wiederum einen Idealtypus, der durch Ablehnung unbefangenen Genusses und der Luxuskonsumption, durch den Glauben an eine notwendige rechtliche Ordnung und die Ablehnung jeder triebhaften Habgier gekennzeichnet ist. Darüber hinaus sind Rastlosigkeit und Stetigkeit der Berufsausübung höchste sittliche Güter.

[...]


[1] auch wenn Weber selbst darauf hingewiesen hatte, dass er andere Einflüsse, wie soziale und politische nicht ausreichend beachtet hat

[2] obwohl diese die Mehrheit in der Bevölkerung stellten

[3] „Kapitalist“ ist hier ausdrücklich nicht in der Trennung Arbeiter und Kapitalist, wie sie in den marxistischen Ansätzen oft vertreten wird, zu verstehen. Es handelt sich vielmehr um das Idealbild eines ökonomisch funktionierenden Menschen im Kapitalismus, gleich welcher Seite von Kapital und Arbeit.

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Details

Title
Die Rolle der Religion bei der Entwicklung des Kapitalismus - Max Webers Protestantismus-Kapitalismus-These in der Diskussion
College
LMU Munich  (Institut für Soziologie)
Grade
1,7
Author
Year
2003
Pages
13
Catalog Number
V25620
ISBN (eBook)
9783638281867
ISBN (Book)
9783656314660
File size
536 KB
Language
German
Notes
Zunächst Darstellung der Protestantismus-Studie von Max Weber, anschließend Darstellung der unterschiedlichen Ansätze zweier Vertreter der umfangreichen Weber-Diskussion.
Keywords
Rolle, Religion, Entwicklung, Kapitalismus, Webers, Protestantismus-Kapitalismus-These, Diskussion, Max Weber, Protestantismus-Studie
Quote paper
Michael Grindmayer (Author), 2003, Die Rolle der Religion bei der Entwicklung des Kapitalismus - Max Webers Protestantismus-Kapitalismus-These in der Diskussion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25620

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