Der Korruptionsdiskurs neu betrachtet - Ansatz für eine neo-institutionalistische Sichtweise


Term Paper (Advanced seminar), 2004

21 Pages, Grade: 1.3

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die zwei Seiten der Medaille – Funktion und Schädlichkeit von Korruption
2.1 Die positiven Funktionen von Korruption
2.2 Negative Auswirkungen der Korruption

3. Verzerrung und falsche Erwartungen - Methodische Probleme der Korruptionsforschung

4. Wie Phönix aus der Asche – Der Anti-Korruptionsdiskurs vor 10 Jahren und heute

5. Dekonstruktion

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als Peter Eigen 1993 die Weltbank verließ, um sich mit der Gründung von Transparency International dem Kampf gegen die Korruption widmen zu können, ahnte er wohl noch nicht, dass sein alter Arbeitgeber nur wenige Jahre später voller Enthusiasmus auf seinen Zug aufspringen würde. Wurde das Thema Korruption – trotz zahlreicher Publikationen zu diesem Thema – in der Entwicklungsindustrie[1] bis Mitte der 90er Jahre gemieden, kam es danach innerhalb des Entwicklungsdiskurses zu einer wahren Inflation zum Thema Korruption: A new star was born! Die Weltbank widmete sich dem Thema unter anderem im World Developement Report von 1997 sowie in separaten Publikationen (World Bank 1997b). Als wichtiger Bestandteil des in etwa gleichzeitig aufgekommenen „Good Governance“ -Paradigmas beeinflusst Korruption heute mehr denn je die Verteilung von Entwicklungsgeldern, wie das Beispiel Kanada (Goldfarb 2001) und der Millenium Challenge Account der USA zeigen.

Auch die Forschung zum Thema Korruption wandelte sich grundlegend Mitte der 90er Jahre. Der in den 60er Jahren überwiegende Grundtenor war: Korruption ist ein Ergebnis des Modernisierungsprozesses und erfüllt Funktionen, die durch das System nicht bewerkstelligt werden. Man gestand der Korruption positive Auswirkungen im Rahmen des Modernisierungsprozesses zu, z.B. dass es als Schmiermittel einer sich entwickelnden Industriegesellschaft wirken kann (Huntington 1970). Obwohl sich manche Grundannahmen, die zu diesen Ergebnissen geführt hatten, als falsch erwiesen[2], stand die Funktion von Korruption im Mittelpunkt der Überlegungen. Mit der Zeit änderte sich dieser Fokus. Im verstärkten Maße werden nun die Auswirkungen der Korruption untersucht. War der funktionale Ansatz hauptsächlich durch Theoriebildung bestimmt, rechtfertigt sich die neue Forschung durch eine Masse von Daten. Obwohl es natürlich auch generelle Kritik an diesem Ansatz gibt – Globalisierungskritiker werfen den Geberländern vor, durch Strukturanpassungsmaßnahmen die hegemonialen Machtstrukturen aufrechtzuerhalten (Moore 1995: 6) – scheint innerhalb der Entwicklungsindustrie weitgehend Konsens über die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes zu herrschen. Die empirische Datenlage scheint dem Recht zu geben. Doch es melden sich immer mehr Stimmen, die zum einen die methodische Qualität dieser Studien anzweifeln (Johnston 2001) als auch betonen, dass die Kosten, die eine Verringerung der Korruption verursachen würden, den Nutzen weit übersteigen (Anechiarico 1996). Trotz dieser Unsicherheit hat die Weltbank seit 1996 mehr als 600 Anti-Korruptions-Projekte in fast 100 Ländern implementiert (www.worldbank.org). Es scheint mir also angebracht, die Hintergründe der Entstehung dieser weitgreifenden Anti-Korruptionsmaßnahmen und der zugrunde liegenden Entwicklungspolitik näher zu beleuchten. Meine These soll lauten, dass der „Good-Governance“ -Ansatz und insbesondere der darin enthaltene “Kampf gegen die Korruption“ der Entwicklungsindustrie dazu dient, Rationalität zu reproduzieren und dadurch Legitimität herzustellen

Zur Verdeutlichung dessen, werden die verschiedenen Forschungsansätze der Korruptionsforschung nachgezeichnet, um die unterschiedliche Wahrnehmung und Veränderung zu zeigen, denen der Begriff der Korruption unterliegt (Abschnitt 2). Ich versuche in diesem Abschnitt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass keineswegs Sicherheit über den schädlichen Einfluss von Korruption auf Entwicklung herrschen muss. In einem weiteren Schritt (Abschnitt 3) wird gezeigt, aus welchen Gründen insbesondere die empirisch konzentrierte Forschung zum Thema Korruption auf wackligen Beinen steht. Anschließend werden die Gründe für die Entstehung des modernen Anti-Korruptions-Diskurses kritisch beleuchtet (Abschnitt 4) und im letzten Abschnitt wird versucht, diese Gründe aus einem neo-institutionalistischen Blickwinkel zu betrachten. Ich habe eine neo-institutionalistische Herangehensweise gewählt, da diese helfen kann, eine kritische Beschreibung abseits der generellen Kritik an Neoliberalismus und „ungerechter Globalisierung“ zu liefern. Kritisch ist dieser Ansatz insofern, als er der Außendarstellung von Organisationen misstraut und zu fragen versucht, wieso eine Organisation unter allen existierenden Darstellungs- und Handlungsweisen gerade die vorherrschende gewählt hat. Ich werde mich dabei hauptsächlich auf die Weltbank beziehen, da sie ein zentraler Akteur der Entwicklungsindustrie ist.

2. Die zwei Seiten der Medaille – Funktion und Schädlichkeit von Korruption

Man kann das Phänomen Korruption von zwei verschiedenen Seiten betrachten. Die eine Seite versucht Korruption als ein soziales Phänomen zu sehen, das – obwohl es moralisch nicht legitimiert ist – eine Funktion in der Gesellschaft erfüllt. Je nach Fachrichtung, die das Phänomen erklären will, besitzt diese Funktion dann hauptsächlich eine politische, soziale oder wirtschaftliche Ausprägung (Zur politischen Funktion der Korruption siehe Huntington 1968 und Nye 1967; zur sozialen Funktion siehe Sissener 2001 und Maingot 1994 sowie als Ausnahme bei den Wirtschaftswissenschaften Leff 1964). Hauptaugenmerk wird dabei auf die Funktion der Korruption in den so genannten „Übergangsgesellschaften“ gelegt. Dort kommt es durch die geplante Umwandlung traditionaler Gesellschaftsformen in moderne Industriestaaten nach westlichem Vorbild zu einer Reihe von Veränderungen, die in bestimmten Teilbereichen Spannung zwischen verschiedenen Gruppen erzeugt. Korruption erfüllt dem funktionalistischen Ansatz zufolge die Aufgabe, diese Spannungen zu vermindern. Korruption wird somit als Chance aufgefasst. Es kann positive Wirkung auf bestimmte Teilbereiche haben oder auch nicht. Die Rahmenbedingungen sind hier der kritische Faktor.

Auf der anderen Seite existiert eine immer größere Fülle an Literatur, die Korruption aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Die Auswirkungen der Korruption sind in diesen Arbeiten jeglicher positiven Funktion beraubt. Sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher (Graf Lambsdorff 2001 und Bardhan 1997) Ebene soll gezeigt werden, welch Schaden durch Korruption entsteht. Korruption wird somit nicht als Chance, sondern als ein Problem gesehen. Politischer und wirtschaftlicher Erfolg sind demnach leichter zu erreichen, wenn Korruption als Problem erkannt und bekämpft wird. Aufgabe der Forschung ist es auf interdisziplinärer Ebene die verschiedenen Arten von Korruption zu erkennen, die Auswirkungen möglichst genau zu benennen und Strategien für die Bekämpfung von Korruption zu entwickeln.

Um nun zeigen zu können, auf welche Weise sich der Diskurs über Korruption gewandelt hat, ist es unerlässlich, die Ansätze und Argumente der jeweiligen „Lager“ genauer kennen zu lernen. Ich will mich dabei nicht auf eine Position festlegen. Ich werde vielmehr versuchen aufzuzeigen, dass sowohl der funktionalistische als auch der korruptionskritische Ansatz wichtige Beiträge zum Verständnis des Phänomens liefern. Eine einseitige Betrachtung lässt notgedrungen wichtige Aspekte beiseite. Weshalb dieses Auslassen von wichtigen Aspekten durchaus im Sinn der Entwicklungsindustrie ist, versuche ich in diesem Essay zu zeigen.

2.1 Die positiven Funktionen von Korruption

Die Theorie, dass Korruption eine positive Funktion für eine Gesellschaft erfüllen kann, wird überwiegend von Politikwissenschaftlern vertreten. Die einflussreichsten Arbeiten zu diesem Thema stammen von Nye und Huntington. Ihr Ansatz soll nachfolgend vorgestellt werden.

Laut Huntington (Huntington 1968) entsteht Korruption als Folge eines Modernisierungsprozesses beziehungsweise ist ein Strukturmerkmal dieses Prozesses. Durch Modernisierung ändern sich die Grundwerte einer Gesellschaft. Traditionales Denken wird von Fortschrittseliten wie Studenten oder dem Militär in Frage gestellt. Beeinflusst durch Ideen, die durch außen an diese Eliten herangetragen werden, entwickeln sich unter diesen universalistische Werte und eine Identifikation mit übergeordneten Werten. Diese neuen Ideen werden verglichen mit dem gegenwärtigen Verhalten: „Behaviour which was acceptable and legitimate according to traditional norms become unacceptable and corrupt when viewed through modern eyes. “ (Huntington 1968: 60) Korruption ist somit nicht per se in einer Gesellschaft vorhanden, sondern wird erst durch den Vergleich mit anderen, scheinbar fortgeschritteneren Gesellschaften sozial konstruiert. Es wird eine Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Interesse vorgenommen, die davor nicht bekannt war.[3] Einerseits kommt es durch diese Unterscheidung zu Problemen verschiedener Art, man denke an Regierungsstürze, die durch das korrupte Verhalten der Vorgängerregierung „legitimiert“ werden. Andererseits ist Korruption, will man Huntington Glauben schenken, geradezu notwendig für sich entwickelnde Gesellschaften. Sie fungiert als Ersatz für Aufgaben, die von den Gesellschaften im Übergang nicht erfüllt werden können (oder die diese Gesellschaften nicht erfüllen wollen).

Korruption kann neuen gesellschaftlichen Gruppen dabei helfen, sich eine politische Stimme zu verschaffen. Gerade in Übergangsgesellschaften kann Korruption neue Gruppen mittels Zahlung von Bestechungsgeldern in das politische Feld integrieren, wo Strukturen zu derer Aufnahme bzw. Teilnahme sonst nicht vorhanden sind. Huntingtons These hierzu lautet, dass dort, wo viel wirtschaftliches Potential vorhanden ist und wenig politisches, jenes wirtschaftliche genutzt wird, um das politische zu erreichen[4]. Kritiker mögen hier einwenden, dass eine solche Situation nur hypothetisch besteht. Allerdings gibt es empirische Beispiele, die eine solche Situation beschreiben. In Indonesien wird etwa nahezu der gesamte wirtschaftliche Bereich von einer Minderheit von Chinesen kontrolliert, die gemessen am Umfang in der Gesamtbevölkerung keinen politischen Einfluss hätten, da sie nur etwa 2% der Bevölkerung stellen. Mittels Korruption kann diese Minderheit politischen Einfluss gewinnen und so effektiver in das wirtschaftspolitische System integriert werden.[5] Indem diese Gruppen integriert werden, hilft Korruption dabei die Gesellschaft zu stabilisieren, da verschiedene Interessen ausgeglichen werden. Huntington weist in diesem Zusammenhang auf die hohe Verwandtschaft zwischen Korruption und Gewalt hin. Beides kann als Mittel dazu dienen, eigene Interessen jeglicher Art gegen meist staatlichen Widerstand durchzusetzen. Gewalt stellt dabei die, gesamtgesellschaftlich gesehen, ungünstigere Alternative dar, da versucht wird, die Ziele mittels Widerstand und nicht mittels Integration zu erreichen.

Korruption bzw. die ihr verwandten Spielarten wie Vetternwirtschaft können außerdem den Bewohnern in Übergangsgesellschaften helfen, ihre traditionelle Lebensweise in einer sich verändernden Gesellschaft beizubehalten. Das für die westliche Gesellschaft nur zu geläufige Diktat des Kapitalismus sowie dasjenige einer legal-rational organisierten Verwaltung hat dort in Teilen der Bevölkerung (noch) nicht denselben Stellenwert erreicht. Wenn familiäre Netzwerke eine größere Bedeutung bei der Besetzung einer Stelle haben als wirtschaftliche Effizienz und Leistungsfähigkeit, so ist das für westliche Beobachter ein Hinderungsgrund wirtschaftlicher Entwicklung. Für die beteiligten Personen ist es jedoch ein Weg, den Konflikt zwischen moderner und traditioneller Lebensweise zu überwinden. Hier sieht man, dass es auf den Standpunkt ankommt. Der Moralismus westlicher Beobachter trifft somit nicht den Kern dessen, welche Funktion Korruption in Übergangsgesellschaften erfüllt.

[...]


[1] Mit Entwicklungsindustrie sind hier sowohl nationale als auch transnationale Entwicklungshilfeorganisationen als auch die Forschungsgemeinde, die das geistige Futter für diese Institutionen liefern gemeint.

[2] Huntington hat hier sehr modernisierungstheoretisch gedacht: Er bemerkt die positive Rolle, die Korruption bei der wirtschaftlichen Entwicklung der USA und Großbritannien gespielt hat, und überträgt diese Situation auf die Entwicklungsländer der Dritten Welt, in der Annahme, der Entwicklungsprozess würde genauso ablaufen.

[3] Interessanterweise beanspruchen dennoch manche für ihre Korruption bekannten Staatsoberhäupter eine Rolle als traditioneller Herrscher für sich, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. So sah sich Indonesiens Suharto als javanischer Prinz, ausgestattet mit den dazugehörigen Rechten wie Anhäufung von Kapital und Vetternwirtschaft. Siehe dazu: Schwartz, zitiert in Renoe 2002: Fussnote 31

[4] Diese These ließe sich auch umdrehen, um den politischen Einfluss von internationalen Organisationen zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele zu untersuchen

[5] Dennoch muss ich hier in Spekulationen verbleiben, da mir keine Studie über den politischen Einfluss der chinesischen Minderheit mittels Korruption bekannt ist. Eine solche Studie wäre sicher von großem Interesse, um Huntingtons These zu überprüfen.

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Details

Title
Der Korruptionsdiskurs neu betrachtet - Ansatz für eine neo-institutionalistische Sichtweise
College
LMU Munich  (Institut für Soziologie)
Course
Seminar: Entwicklung und Modernisierung - Die Organisierung der Welt
Grade
1.3
Year
2004
Pages
21
Catalog Number
V26108
ISBN (eBook)
9783638285384
File size
696 KB
Language
German
Keywords
Korruptionsdiskurs, Ansatz, Sichtweise, Seminar, Entwicklung, Modernisierung, Organisierung, Welt
Quote paper
Anonymous, 2004, Der Korruptionsdiskurs neu betrachtet - Ansatz für eine neo-institutionalistische Sichtweise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26108

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