Die Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA und der türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland

Geschichte, Gegenwart und Ansätze eines Vergleichs


Dossier / Travail, 2013

26 Pages, Note: 2,0


Extrait


Gliederung

1. Einleitung

2. Theoretische soziologische Grundlagen
2.1. Die Theorie des Habitus und des Kapitals nach Bourdieu
2.1.1 Habitus
2.1.2 Kapital
2.2. Die Etablierte-Außenseiter-Theorie nach Norbert Elias
2.2.1 Die Studie
2.3. Die Individualisierungsthese nach Ulrich Beck
2.4. Fazit

3. Die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA
3.1 Geschichtliche Entwicklung
3.1.1 Die Anfänge in der Kolonialzeit bis zum Ende der Sklaverei
3.2 Ethnische, soziale und regionale Unterschiede
3.3 Nach dem Ende der Sklaverei bis zur heutigen Zeit
3.4 Die heutige Situation
3.4.1 Bildung und Wohlstand

4. Die Geschichte der türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland von 1961 bis heute
4.1. Geschichtliche Entwicklung
4.2. Verfehlungen der Politik
4.2.1. Arbeitsmigration in Deutschland
4.2.2. Ansiedlungs- und Bildungspolitik
4.3. Die heutige Situation
4.3.1. Bildungschancen und Einkommen

5. Fazit

Quellen

1.Einleitung

Diese Hausarbeit entstand in Rahmen des Seminars „Neue amerikanische Ansätze in der öffentlichen Soziologie“ bei Herrn Dr. Oliver Neun. Im Seminar wurden der Zustand und die Probleme der US-amerikanischen Gesellschaft anhand von Texten aus dem Bereich der öffentlichen Soziologie behandelt. Öffentliche Soziologie steht für keine streng wissenschaftlichen, vorwiegend an andere Wissenschaftler und Studenten gerichteten Texte, sondern der breiten Öffentlichkeit leicht zugängliche Texte wie Zeitungsartikel, Sachbücher, usw., die aber dennoch von qualifizierten Soziologen geschrieben wurden und einen soziologisch-wissenschaftlichen Gehalt haben und von populärwissenschaftlichen Werken, die nicht von Wissenschaftlern geschrieben wurden, abzugrenzen sind (vgl. Burawoy 2005). Aufgrund dessen wurden in der Arbeit auch einige Quellen aus der öffentlichen Soziologie nach der Definition von Michael Burawoy (vgl. Burawoy, wie zuvor) verwendet, nicht zuletzt, um auch zu zeigen, wie das behandelte Problem in der öffentlichen Soziologie dargestellt wird und wie die öffentliche Soziologie dazu beitragen kann, bestimmte Themen in der Öffentlichkeit zu behandeln. In Seminar ging es um die öffentliche Soziologie in den Vereinigten Staaten, wo die öffentliche Soziologie bereits sehr stark vertreten ist, in dieser Arbeit wurde deshalb ein Vergleich zweier gesellschaftlicher Phänomene in den USA und Deutschland angestrebt, der die Entwicklung von gesellschaftlichen Minderheiten in beiden Ländern vergleichend darstellen und soziologisch einordnen soll.

Die USA sind ein verhältnismäßig junges Land, dennoch ist ihre Geschichte facettenreich und einzigartig, nicht zuletzt, da sie mehr als bei den meisten anderen Nationen eine Einwanderungsnation und deshalb von einer sehr multikulturellen Bevölkerungsstruktur geprägt sind. Trotz der bis heute andauernden Wichtigkeit von Werten wie Einigkeit und Gleichheit in der US-amerikanischen Mentalität war die Geschichte des Landes immer von Gegensätzen zwischen Arm und Reich sowie zwischen verschiedenen Ethnien geprägt. Schon in der „Declaration of Independence“, die 1776 die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten vom britischen Kolonialreich besiegelte und damit den Startpunkt für die Geschichte der USA als eigenständige Nation setzte, waren allgemeine Menschenrechte verankert. Es wurde ausgesagt, dass alle Menschen gleich sind („We hold these truths to be self-evident that all men are created equal[…]“) und dass jedem Menschen das unveräußerliche Recht auf Leben, Freiheit und Verfolgung des Glücks zusteht („[…] that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness”) (zit. nach Feichter 2007). Tatsächlich war die amerikanische Gesellschaft jedoch schon damals weit davon entfernt, Gleichheit und Recht für jedes Individuum bieten zu können. In einem Land, das zum einen erst gegründet wurde, nachdem die Ureinwohner großenteils vernichtet oder auf Reservate zurückgetrieben wurden, und in dem es zur gleichen Zeit eine im Wesentlichen auf Sklaverei aufgebaute Wirtschaft gab, stellt dies einen Widersinn dar (vgl. Feichter 2007). Sucht man nun nach einer Bevölkerungsgruppe, die stets mit am meisten von der Ungleichheit betroffen war und es großenteils bis heute ist, so sind es die Afroamerikaner, die einst als Sklaven massenhaft in die USA gebracht wurden und aufgrund harter, ausbeuterischer Arbeit zur Zeit der Sklaverei und mangelnder Bildung und viel Diskriminierung in der Zeit danach bis heute bei Einkommen, Bildungsstand und Aufstiegschancen deutlich schlechter dastehen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Deshalb wird ihre Geschichte und heutige Situation im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen.

Verglichen mit den USA ist Deutschland ein Land mit langer Geschichte, dennoch kann man in der Entwicklung durchaus gewisse Ähnlichkeiten erkennen – so wurde Deutschland erst im Jahre 1871 eine einheitliche Republik und die jahrhundertelang vorherrschende Kleinstaaterei beendet. Auch gab es in Deutschland zwar keine Beteiligung am Sklavenhandel, aber es gab, wie in der Arbeit dargestellt wird, eine jahrhundertelange Tradition der Arbeitsmigration, um billige Arbeitskräfte ins Land zu holen. Sucht man nach einer Bevölkerungsgruppe, die in Deutschland bezüglich des Stellenwerts in der Gesamtbevölkerung am ehesten mit den Afroamerikanern in den USA vergleichbar ist, so sind es die ehemaligen Gastarbeiter und deren Nachfahren. Dabei ist vor allem eine Gruppe immer wieder besonders im Gespräch: Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, die als Gastarbeiter ab den 60er Jahren nach Deutschland kamen und besonders von den negativen Folgen, mit denen die Gastarbeiter zu kämpfen hatten, betroffen waren. Auch, wenn ihre Geschichte somit wesentlich kürzer ist als die der Afroamerikaner in Nordamerika, lassen sich gewisse Parallelen in der Geschichte feststellen, denn in beiden Fällen entstand dadurch, dass man viel einfache Arbeitskräfte ins Land holen wollte, eine Unterschicht mit deutlich schlechteren Chancen bei Einkommen, Bildung und gesellschaftlicher Inklusion. Vermutlich gibt es auch in anderen Ländern derartige Fälle, in dieser Arbeit wird sich jedoch auf diese beiden Gruppen beschränkt, um zu zeigen, wie sich selbst in zwei so unterschiedlichen Nationen wie Deutschland und den USA gleiche Probleme ergeben, wenn eine Bevölkerungsgruppe, die einst zur Ausnutzug ihrer Arbeitskraft ins Land geholt wurde, vernachlässigt und nicht ausreichend inkludiert wird.

In dieser Arbeit wird somit der Fragestellung nachgegangen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich über die Entwicklung und heutige Situation zwischen Afroamerikanern in den USA und den in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund feststellen lassen und wie die Soziologie diese Gemeinsamkeiten nutzen kann, um die Situation beider Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Es soll dabei insbesondere geklärt werden, was die Probleme beider Bevölkerungsgruppen sind, bzw., inwiefern die häufigen Vorurteile, dass diese Bevölkerungsgruppen besonders bildungsfern sind, stimmen und nach den wahren Hintergründen für diese Vorurteile gesucht werden. Hierfür werden im ersten Kapitel zunächst die zur Erklärung herangezogenen, soziologischen Theorien vorgesellt, im darauffolgenden zweiten Kapitel die Geschichte der Afroamerikaner in den USA kurz zusammengefasst und dabei insbesondere Verfehlungen in der Ansiedlungs- und Bildungspolitik aufgezeigt. Im folgenden Kapitel wird dann auf dieselbe Weise die Geschichte und heutige Situation der türkischen Gastarbeiter in Deutschland dargelegt, wobei ebenfalls Verfehlungen der Politik aufgezeigt werden.

Es sei noch angemerkt, dass eine Arbeit in diesem Umfang freilich nicht die gesamte Situation ausführlich darstellen kann, da es sich bei den Afroamerikanern wie bei den türkischen Gastarbeitern nicht um homogene Gruppen handelt und sie sich nicht alle gleich entwickelt haben, sondern sich teilweise erhebliche ethnische und regionale Unterschiede auftun, weshalb es in dieser Arbeit bei einer kurzen Übersicht bleiben soll, die die Geschichte und aktuelle Situation grob aufgreift, um daraus Schlüsse zu ziehen. Die gesamte Geschichte kann im Rahmen einer solchen Arbeit ohnehin nicht ausreichend dargestellt werden, deshalb werden die wichtigsten Ereignisse zusammengefasst und mit soziologischer Deutung zusammengebracht.

2.Theoretische soziologische Grundlagen

Um die Relevanz des Themas für die Soziologie zu verdeutlichen, werden in diesem Kapitel zunächst die soziologischen Theorien dargestellt, die zur Erklärung der Bildung gesellschaftlicher Schichten und hier speziell der Bildung sozialer Ungleichheit und daraus resultierender gesellschaftlicher Außenseiter bzw. Unterschichten herangezogen werden können, um im Folgenden zu verdeutlichen, welche Schlüsse man aus diesen ziehen kann, bzw. inwiefern diese zur Erklärung der Phänomene zutreffen.

Hierzu ist zunächst ein Überblick über die soziologische Gesellschaftstheorie nötig, wobei insbesondere solche Theorien, die die Bildung sozialer Ungleichheit und damit die Bildung von gesellschaftlichen Schichten und gesellschaftlichen Außenseiter-Gruppen zu erklären versuchen, im Vordergrund stehen sollen. Ansätze zur Erklärung sozialer Ungleichheit sind vergleichsweise neu und versuchen in der Regel, Ungleichheit durch ungleichen Zugang zu Ressourcen zu erklären (Schwinn 2007, zit. nach Rössel 2011: 377).

Tatsächlich wurden seit dem Beginn des Kapitalismus Theorien verbreitet, die das Verhältnis von Kapital und Bevölkerung thematisieren; bekannt ist vor allem die von Karl Marx, der das Verhältnis von Produktion, Kapital und Mensch beschrieb, einen engen Zusammenhang zwischen Klassenzugehörigkeit, ökonomischen Status und Klassenbewusstsein sah und dessen Theorie somit als einer der ersten Versuche gesehen werden kann, soziale Ungleichheit durch ungleiche Ressourcenverteilung zu erklären, heute aber als eher altmodisch angesehen wird, da sie als zu theoretisch und reduzierend gilt. Doch die soziologische Gesellschaftstheorie ging weiter und hat in den vergangenen Jahrzehnten den Fokus immer stärker auf soziale Ungleichheiten gelegt.

Zur Erklärung der Bildung von ungleichen Machtverhältnissen, die zur Bildung starker und schwacher Gesellschaftsgruppen führen, eignen sich die Theorien von Pierre Bourdieu und Norbert Elias, da diese konkrete und leicht nachvollziehbare Konzepte geliefert haben, die bis heute von Bedeutung und geeignet sind, soziale Schichten und Ungleichheiten zu erklären. Zudem stellen beide Theorien eine Verbindung von soziologischer Mikro- und Makroebene dar und eignen sich somit sowohl zur Erklärung der Gesellschaftsbildung allgemein (Makroebene) als auch zur Bildung und Reproduktion von Ungleichheiten (Mikroebene). Um einen weiteren neuen Ansatz zu zeigen, wird auch die Individualisierungs-These von Ulrich Beck und Stefan Hradil kurz angesprochen, die neue Entwicklungen der gesellschaftlichen Schichten und Milieus aufzeigt und von deren zunehmender Auflösung zugunsten von individuellen Lebensläufen ausgeht.

2.1.Die Theorie des Habitus und des Kapitals nach Bourdieu

Zu den bekanntesten Theorien zur Bildung gesellschaftlicher Schichten und auch zur Erklärung sozialer Ungleichheit zählt die Theorie der gesellschaftlichen Milieus und des Kapitals nach den bekanntesten französischen Soziologen der jüngeren Vergangenheit (Vester 2010: 131): Pierre Bourdieu (1930 – 2002). Dieser wurde vor allem von einem weiteren Klassiker der französischen Soziologie, Émile Durckheim, beeinflusst (vgl. Vester 2010), sowie von weiteren bedeutenden Klassikern der Soziologie wie etwa Marx, Weber und Engels und entwickelte deren Theorien weiter. Insgesamt bietet Bourdieu keine abgeschlossenen soziologischen Konzepte zur Erklärung von Gesellschaft oder Sozialverhalten, aber eine Reihe von theoretischen Überlegungen zur Verbindung von Mikro- und Makroebene (Vester 2010: 136).

2.1.1.Habitus

Der bekannteste von Bourdieu geprägte Begriff ist der soziale „Habitus“, der zwar nicht von Bourdieu erfunden, aber maßgeblich von ihm geprägt und zu einem konkreteren, theoretischen Konzept ausgearbeitet wurde (vgl. Vester 2010).

Kurz zusammengefasst kann man als Habitus nach der Definition von Bourdieu das gesamte äußere Erscheinungsbild und Handeln eines Menschen zusammenfassen. Dieses geht wiederum zurück auf bestimmte, über allen Menschen stehende Normen und Werte, wodurch das Konzept eine Verbindung von sozialer Mikro- und Makroebene darstellt (Vester 2010: 138).

Der Habitus ist nach Bourdieu nicht eindeutig definiert, umschreibt aber am ehesten die Gesamtheit der Handlungs- und Verhaltensmuster eines Menschen. Im Habitus eines Menschen kommt auch durch sein spezifisches Verhalten seine Zugehörigkeit zu seiner Klasse und seinem Kollektiv zum Ausdruck, durch die individuellen Verhaltensmuster, Wahlen und Entscheidungen eines Menschen. Die Zugehörigkeit zum Kollektiv lässt sich am Habitus erkennen, und der Habitus prägt die Erscheinung des Kollektivs (vgl. Vester 2010: 138 ff.). Ein weiterer wichtiger Begriff sind die „Sozialen Felder“: Bezüglich der Handlungsorte unterscheidet Bourdieu zwischen dem sozialen Raum als abstraktem Gebilde, das die gesamte soziale Welt zusammenfasst, und den sozialen Feldern, die die Unterteilung des sozialen Raumes in einzelne Bereiche des Lebens beschreiben, wie etwa religiöses, politisches, künstlerisches oder ökonomisches Feld (Lazaj 2002: 6). Akteure in der Gesellschaft agieren also immer auf einem bestimmten sozialen Feld. Sie agieren dabei aber nicht nur, sondern stehen immer auch im Kampf mit anderen Individuen und Gruppen, weshalb Bourdieu auch von „Kampffeldern“ redet (vgl. Vester 2010). Die sozialen Felder haben dabei auch einen engen Bezug zu einem weiteren wichtigen Begriff im Werk Bourdieus, dem Kapital.

2.1.2.Kapital

Ebenfalls ein wichtiger und weit verbreiteter Begriff im Schaffen Bourdieus ist das Kapital, das hier nicht alleine im finanziellen, sondern in einem allumfassenden Sinn gebraucht wird und alle Ressourcen eines Menschen im gesellschaftlichen Leben beschreibt.

Bourdieu unterscheidet zwischen vier grundsätzlich konvertiblen (vgl. ), also veränderbaren Sorten von Kapital. Dieses Kapital des Menschen erzeugt Abgrenzung und Hierarchien und ermöglicht Zugänge zu Macht und Ressourcen (Vester 2010: 142).

- Ökonomisches Kapital: Hierzu zählen alle Formen von materiellem Besitz, also Geld und wertvolle materielle Güter. Laut Bourdieu ist dies die wichtigste der vier Kapitalsorten (Fuchs-Heinritz/König 2005: 161).
- Kulturelles Kapital: Dieser Begriff ist etwas schwieriger zu definieren, da er sich in drei Unterkategorien unterteilt: - Inkorporiertes Kapital meint kulturelles Kapital im Hinblick auf Bildung: Darunter fallen die Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich kulturelles Kapital etwa in Form von Bildung anzueignen.
- Institutionalisiertes Kapital bedeutet im Abgrenzung dazu kulturelles Kapital, das sich in Titeln und Anerkennungen, also Bildungsabschlüssen, akademischen Graden, aber auch kulturellen Auszeichnungen usw., ausdrückt.
- Objektiviertes Kapital ist materielles, kulturelles Kapital, etwa in Form von Kunstgegenständen, etc.. - Soziales Kapital : Hierunter fallen alle sozialen Beziehungen und Netzwerke eines Menschen, aber es ist damit mehr gemeint, als nur soziale Beziehungen, sondern auch Zugehörigkeit zu einer bestimmten gruppe und damit zu seinem Habitus.
- Symbolisches Kapital: Hierunter versteht Bourdieu die Fähigkeit, die eigenen Sorten von Kapital geschickt zum eigenen Vorteil einsetzen und konvertieren zu können.

(zusammengefasst nach Vester 2010: 143; Fuchs-Heinritz/Köing 2005: 161 ff.)

Soziale Ungleichheit entsteht der Kapital-Theorie zufolge nun dadurch, dass die Ressourcen ungleich verteilt und auch die Zugänge ungleich sind. Zudem basiert für Bourdieu die Gesellschaft immer auch auf dem Gewesenen, also der geschichtlichen Entwicklung, ist also immer ein Produkt des Vergangenen, wobei Zeit eine wichtige Rolle spielt (vgl. Lehrbaß 2005). In den folgenden Kapiteln wird überprüft werden, inwiefern all dies auf die geschilderten Entwicklungen zutrifft.

2.2.Die Etablierte-Außenseiter-Theorie nach Norbert Eilas

Zu den bekanntesten Forschungen zur Bildung gesellschaftlicher Außenseiter-Gruppen zählt das Modell des deutsch-polnischen Soziologen Norbert Elias ( 1897 - 1990), der zahlreiche bedeutende Publikationen zur gesellschaftlichen Forschung veröffentlichte und bis heute einer der bedeutendsten deutschen Soziologen des 20. Jahrhunderts ist.

In seinem gemeinsam mit dem Briten John L. Scotson verfassten Buch „Etablierte und Außenseiter“ (Elias/Scotson 1965), entwickelte er, basierend auf einer Studie über zwei verschiedene Gruppen in einem englischen Vorort, die Theorie der Etablierter-Außenseiter-Figuration (vgl. Treibel 2008).

2.2.1.Die Studie

Aaufgrund der Tatsache, dass er aus einer jüdischen Familie kam und auf der Flucht vor den Nationalsozialisten nach England emigrierte, wusste Norbert Elias selbst, was es bedeutet, ein gesellschaftlicher Außenseiter zu sein. Aus der Frage, wie sich Gruppen von Etablierten und von Außenseitern bilden, entwickelte er deshalb die in dem Buch ausgeführte Studie, die in Winston Parva, einem Vorort von Leicester in England durchgeführt wurde. Dabei wurden die Einwohner in Gruppen unterteilt, die wiederum in verschiedenen Zonen wohnten (Treibel 2008: 79 ff.): Die bereits länger vor Ort Wohnenden waren die „Alteingesessenen“, die neu hinzugezogenen die „Neuankömmlinge“. Dabei kamen deutliche Machtgefälle und Hierarchien der Etablierten gegenüber den Zugezogenen zum Vorschein: es war eine deutliche Überheblichkeit und Abneigung festzustellen, da die Etablierten ihre Macht und ihr Revier erhalten wollten, auch war dabei interessant zu beobachten, dass selbst verfeindete Familien sich im „Kampf“ gegen die „Neuankömmlinge“ zu einer Gruppe verbündeten.

Das Ergebnis der Studie war, dass es in dem Netzwerk der Gemeinde eine deutliche Hierarchie zwischen den „etablierten“ Familien und den zugezogenen „Außenseitern“ gab, die auf Machtgewinn beruhte, da die Alteingesessen ihre Macht behalten, die Neuankömmlinge hingegen Macht gewinnen wollten (ebd.: 82). Ein wichtiger Befund war auch der Unterschied zwischen „Gruppencharisma“ auf der Seite der Etablierten (ein spezifisches Wir-Gefühl, verbunden mit Überlegenheit gegenüber anderen Gruppen) und der „Gruppenschande“ andererseits (das Gefühl der zugezogenen Außenseiter, die zum einen kein Wir- und Gruppen-Gefühl hatten und bei denen zum anderen die negative Wahrnehmung durch andere, etablierte Gruppen zum negativen Selbstbild beitrugen (Treibel 2008: 81)).

Auch wenn es sich hierbei um eine spezielle Konstellation von Alteingesessenen und Zugezogenen handelte, kann die Theorie auch in anderen Zusammenhängen auf das Verhältnis stärkerer (Etablierter) und schwächerer (Außenseiter) Gruppen in der Gesellschaft übertragen werden. Elias selbst sah die Ergebnisse der Studie auf soziale Konstellationen in der ganzen Welt übertragbar; ihm zufolge könne man „Varianten derselben Grundfiguration […] überall auf der Welt entdecken“ (Elias 1965/2002, zit. nach Treibel 2008: 80). Elias zufolge ginge es bei Gruppenkonflikten immer um ungleiche Machtbalancen, wobei sich die überlegene Gruppe als bessere Menschen empfindet (Meyer 2006: 9). Als Beispiele nennt er dabei auch das Verhältnis von Alteingesessenen zu Neuankömmlingen in Form von Einwanderern und Ausländern (Eilas, zit. nach Treibel 2008: 80), wodurch bereits der Bezug zum hiesigen Thema deutlich wird.

Noch heute wird deshalb die Etablierte-Außenseiter-Figuration herangezogen, um Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen, seien es Ethnien, soziale Klassen oder sonstige, zu erklären, so insbesondere in der globalen Migrantenforschung sowie zur Erklärung von Unterschieden zwischen Regionen (vgl. Treibel 2008: 84 ff.) und kann somit auch als Erklärungsversuch herangezogen werden, um das Verhältnis zwischen der weißen gesellschaftlichen Mehrheit und der afroamerikanischen Minderheit in den USA ebenso zu erklären wie das Verhältnis zwischen der deutschen Bevölkerungsmehrheit und den Gastarbeitern in Deutschland. Inwiefern das wirklich zutrifft, wird eine Frage in den folgenden Kapiteln sein.

2.3.Die Individualisierungsthese nach Ulrich Beck

Neuere Konzepte zur Erklärung sozialer Ungleichheit, die seit den 80er Jahren Verbreitung finden, gehen davon aus, dass bei der Ungleichheit zunehmend nicht mehr Klassen und Schichten im Vordergrund stehen, da diese sich zunehmend auflösen und die Menschen und ihre Lebensläufe stattdessen zunehmend individualisiert werden, bekannt ist hier vor allem die Individualisierungsthese von Ulrich Beck (vgl. Berger/Neu in: Joas (Hrsg.) 2007). Dieser These zufolge sinkt auch das Klassenbewusstsein und die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse oder Schicht. Gleichwohl entstehen neue Ungleichheiten, zu denen auch die ethnische Zugehörigkeit gehört (vgl. Berger/Neu, wie zuvor), was in dieser Arbeit ebenfalls von Bedeutung sein wird.

2.4.Fazit

In diesem Kapitel wurden drei Klassiker der jüngeren soziologischen Gesellschaftstheorie

zum Thema soziale Ungleichheit und Außenseiter-Bildung beleuchtet – der Habitus und das Kapital von Bourdieu und die Etablierte-Außenseiter-Theorie von Norbert Elias. Bourdieu erklärt die Bildung von sozialen Schichten und Unterschieden durch den Habitus und die vier Kapitalsorten, die das Verhalten eines Menschen beeinflussen und seinen Habitus erkennen lassen. Durch die Ungleichverteilung von Kapital werden Menschen in mehr oder weniger mächtige Gruppen eingeteilt und damit auch zu Etablierten und Außenseitern, was sich bereits gut mit der Theorie von Norbert Elias ergänzt.

Norbert Elias hingegen hat mit seiner Etablierte-Außenseiter-Theorie ein Konzept zur Erklärung der Entstehung von Gruppen sozialer Außenseiter geschaffen, das zeigt, wie durch Etablierung und Über-, bzw. Unterlegenheitsgefühl der Unterschied zwischen gesellschaftlich etablierten und akzeptierten Gruppen und gesellschaftlichen Außenseitern entstehen und zementiert werden kann. Beide Theorien liefern Erklärungs- und Deutungsansätze für die Entstehung von Unterschichten, die zudem auch beide davon ausgehen, dass, so schwierig die Lage auch sein mag, sich die Zustände auch für die Unterlegenen, also die Außenseiter mit wenig Kapital, zu ihren Gunsten ändern können – bei Bourdieu durch die Anhäufung und Konvertierung des Kapitals, bei Elias durch die Tatsache, dass Figurationen von Außenseitern und Etablierten nicht statisch, sondern veränderbar sind und sich die Konstellationen auch regelmäßig ändern. Zudem spielt in beiden Konzepten auch die Macht eine wichtige Rolle, wobei der Machtbegriff sehr abstrakt gefasst ist und recht Unterschiedliches meinen kann; auch wird bei beiden ein gewisser Kampf zwischen den verschiedenen Gruppen thematisiert. Auch dies ist ein wichtiger Punkt, der im den folgenden Kapiteln berücksichtigt werden wird. Gleichwohl sorgt die Individualisierung von Lebensläufen nach der Theorie von Beck dafür, dass man pauschale Aussagen über Schichten und Milieus nicht mehr treffen kann, weshalb diese Arbeit keine pauschalen Aussagen treffen und allenfalls den heutigen Stand und die Grundvoraussetzungen für die beiden besprochenen Gruppen aufzeigen kann.

3.Die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA

3.1.Geschichtliche Entwicklung

3.1.1.Die Anfänge in der Kolonialzeit bis zum Ende der Sklaverei

Der Beginn der afroamerikanischen Geschichte in den heutigen Vereinigten Staaten ist heute nicht eindeutig feststellbar. Die bekannteste diesbezügliche Anekdote stammt aus dem Jahr 1619, als die erste nachgewiesene Lieferung von afrikanischstämmigen Sklaven in Jamestown angekommen sein soll. Es soll sich um 20 Afrikaner gehandelt haben, die von einem niederländischen Piratenschiff stammten (vgl. Dippel 2010). Dieses Ereignis wird häufig als Beginn angenommen, tatsächlich handelt es sich aber eher um eine Legende, da sich auch schon einige Jahre vorher Nachweise finden lassen (vgl. Morgan (Hrsg.) 2002).

Dass zum Aufbau einer Kolonie wie den 13 Gründerstaaten, aus denen später die USA wurden, Sklaven eingesetzt wurden, wird heute als logische Folge des europäischen Kolonialismus angesehen (vgl. Morgan (Hrsg.) 2002). Die Kolonien gründeten ihre Wirtschaft vor allem auf Plantagen, zu deren Bewirtschaftung große Mengen billiger Arbeitskräfte benötigt wurden. Dabei waren afrikanische Sklaven jedoch nicht von Anfang an dominierend - zunächst wurden vor allem Leibknechte, also damals sogenannte „minderbemittelte“ Europäer, und auch europäische Strafgefangene zum Aufbau des Landes eingesetzt; als dies jedoch nicht erfolgreich verlief, wurde mit dem Handel afrikanischer Sklaven im großen Stil begonnen (Feichter 2007: 5 ff.).

Sklaverei hatte es in der Geschichte der Menschheit schon lange zuvor gegeben und geht zurück bis in die Antike (vgl. Morgan 2002, Feichter 2007), wobei heute angenommen wird, dass die Tatsache dass Afrikaner und nicht etwa Europäer versklavt wurden, ein Ausdruck von Herrschaft und Unterdrückung war. Schwarze Afrikaner wurden als minderwertige Menschen angesehen, und das weit über bloße Vorurteile und Rassismus, wie man es heutzutage kennt, hinaus. Sie galten nicht nur als minderwertig, sondern auch als unchristlich und als Heiden und dämonisch, (vgl. Morgan (Hrsg.) 2005). Daneben gab es aber auch praktische Vorteile, etwa, dass Afrikaner in der Regel einen stärkeren Körperbau hatten als Europäer und deshalb auch gut genährt wurden, um kräftige Arbeit leisten zu können (Morgan 2002: 52). In der Tat wird somit die Sklaverei in Nordamerika heute als rational angesehen (vgl. Morgan 2002, wie zuvor), auch wenn sich diese Ansicht heute natürlich nicht mit der Unterdrückung und Unmenschlichkeit verträgt, die damit verbunden war. Zudem wird unter Wirtschaftshistorikern heute durchaus darüber gestritten, inwiefern die Sklaverei ökonomisch gesehen wirklich wirtschaftlich war (Dippel 2010: 43).

3.2.Ethnische, soziale und regionale Unterschiede

Die Sklaven wurden aus ganz Afrika in die nordamerikanischen Kolonien gebracht, folglich gab es somit von Anfang an große ethnische Unterschiede. Obwohl die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der heutigen USA verbreitet war, gab es von Anfang an große, regionale Unterschiede: Nicht alle Sklaven arbeiteten auf Plantagen, auch war die Anzahl der Sklaven im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung recht unterschiedlich. Hier gab es auch einen deutlichen Unterschied zwischen den nördlichen und südlichen Regionen. Es wird deshalb heutzutage zwischen „slave owning societies“ und „slave societies“ (in denen Sklaven mehr als 20% der Bevölkerung ausmachten) unterschieden (Morgan 2002: 51). Zudem stellte sich im Laufe der Zeit ein deutlicher Unterschied zwischen dem Norden und Süden der USA heraus, der im Folgenden noch näher ausgeführt wird.

Bei der sozialen Behandlung und dem sozialen Status der Sklaven gab es ebenfalls Unterschiede: Es wird von Afroamerikanern geredet, die in Florida Landbesitzer waren (vgl. Morgan 2002), aber natürlich lebten die meisten Sklaven in Armut und waren ungebildet.

Die Unterschiede waren also von Bundesstaat zu Bundesstaat (und vermutlich auch innerhalb der Bundesstaaten je nach Region) groß, aber zum 19. Jahrhundert hin wuchs insgesamt vor allem der Unterschied zwischen den Nord- und Südstaaten der USA an, die im Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 gipfelten (Dippel 2010: 41 ff.). Bekanntlich spielte die Sklaverei und die unterschiedliche Einstellung im Norden und Süden dazu dabei eine zentrale Rolle: Im Süden, wo die Sklaven vor allem auf den Baumwollplantagen arbeiteten, trugen die Sklaven wesentlich zum Wirtschaftswachstum bei und wurden, da die Plantagenbesitzer zu den reichsten Leuten der USA gehörten, im auf Nationalismus beruhenden, zunehmenden Konflikt mit dem Norden zunehmend zum Politikum (Dippel, wie zuvor). Gleichzeitig wurden im Norden Fortschritte gemacht, was die Befreiung der Sklaven anging: Insbesondere ab den 1770ern bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurden mehr und mehr Sklaven befreit und Sklaverei in einzelnen Bundesstaaten verboten, was Sklaverei mehr zum Problem des Südens machte und den Konflikt mit dem Norden anschwellen ließ. Gleichwohl war auch dies nicht überall der Fall, sondern regional höchst unterschiedlich (vgl. Morgan 2002). Mit dem Ende des Bürgerkriegs wurde 1865 durch Einführung des „13th Amendment“ die Sklaverei schließlich in den gesamten USA verboten, doch dies bedeutete nicht, dass die Zeit der Unterdrückung und Diskriminierung für die afroamerikanische Bevölkerung vorbei war, wie im folgenden Kapitel ausgeführt werden wird.

3.3.Nach dem Ende der Sklaverei bis zur heutigen Zeit

Die Entwicklung der afroamerikanischen Bevölkerung nach dem Ende der Sklaverei bis zum aktuellen Stand wird Gegenstand dieses Kapitels sein, um zu zeigen, wie sich die Folgen der Sklaverei bis heute auf das Leben der Afroamerikaner auswirken.

Nach dem Ende der Sklaverei und des Bürgerkriegs hätten Chancen für bessere gesellschaftliche Inklusion bestanden, und tatsächlich begann sich die Situation in Sachen Bildung und gesellschaftliche Inklusion allmählich zu bessern (vgl. Hornsby Jr. 2005), und es entstand eine neue Phase in der Geschichte der Afroamerikaner (Heyer 2006: 13). Schulbildung und Inklusion verbesserten sich, jedoch kamen neue Entwicklungen hinzu, die die Inklusion wieder gefährdeten und erschwerten und die Afroamerikaner weiter zurückwarfen, hier sind insbesondere die Segregation und neue, rassistische Bewegungen zu nennen (vgl. Heyer 2006).

Auch gab es in dieser Zeit eine wichtige Wanderbewegung: den „Exodus aus dem Süden“ („Exodus from the south“, Huddle in: Horsnby Jr. (Hrsg.) 2005: 449). Zahlreiche Afroamerikaner zogen, geanuso wie andere Migrantengruppen wie Chinesen oder Mexikaner (vgl. Dippel 2010), nach der Befreiung vom Süden in die Großstädte des Nordens, insbesondere New York, in der Hoffnung, ein besseres Leben zu finden, wurden jedoch bald enttäuscht, da sie, zusammen mit den vielen anderen Migrantengruppen jener Zeit, nämlich den europäischen, in engen, armen Quartieren leben mussten (vgl. Dippel 2010: 74 ff.). Dies war der Anfang der Ghettoisierung, die insbesondere in den Großstädten des Nordens wie New York, Chicago, usw., für die weitere Entwicklung der Afroamerikaner prägend war, und sicher dazu beitrug, dass die meisten Probleme mit armen Afroamerikanern bis heute in den Großstädten im Norden der USA bestehen und sich von Afroamerikanern dominierte Armenviertel wie Harlem, The Bronx, usw., herausbilden konnten. Hier wurde durch die Abgeschiedenheit und Verarmung eine Außenseiter-Situation geschaffen, die der Etablierte-Außenseiter-Figuration nach Elias entspricht; die Afroamerikaner konnten zum einen eine eigen Kultur ungestört entwickeln, hatten zugleich aber durch die Abgeschiedenheit schlechtere Bildungs- und Partizipations-Chancen. Dennoch riss der Strom nach Norden nicht ab: Alleine während der Zeit des Ersten Weltkrieges zogen rund 400.000 Afroamerikaner in den Norden (Huddle in: Horsnby Jr. (Hrsg.) 2005: 451). Man kann somit quasi von einer zweiten Welle der Migration der Afroamerikaner sprechen: Nach der ersten, unfreiwilligen Deportation als Sklaven gab es nun eine freiwillige Migration innerhalb der USA, deren Folgen bis heute stärker nachwirken als die ursprüngliche Versklavung.

Ein schlimmer Rückschritt für bessere gesellschaftliche Inklusion war dann auch die “Segregation“, die „Rassentrennung“, die von 1896 bis 1964 andauerte und zur Ghettoisierung der Afroamerikaner beitrug, da sie von nun an von weißen Bürgern getrennt leben mussten. Zwar war der Grundsatz dabei „Separated but equal“, tatsächlich entstanden den Afroamerikanern dabei aber natürlich Nachteile, insbesondere durch die Abgrenzung von der weißen Mehrheitsgesellschaft, was die gesellschaftliche Inklusion unmöglich machte und die Isolation förderte.

Auch das Erstarken rassistischer Terror-Organisationen, insbesondere des 1915 wiedergegründeten Khu Klux Klans (KKK) in den 10er und 20er Jahren, der Afroamerikaner verfolgte und terrorisierte, trug zur gesellschaftlichen Ausgrenzung und sicher auch zur geringen Wertschätzung und Selbstwahrnehmung als minderwertige Menschen bei (vgl. Heyer 2006, Dippel 2010). Bereits im 19. Jahrhundert begann sich Xenophobie und Rassismus auszubreiten, da durch die zunehmenden Einwanderungsströme aus Europa und hier insbesondere Irland, Sorgen um „Überfremdung“ propagiert wurden, die zur allmählichen Regulierung von Einwanderungsströmen führten (Schneider-Sliwa in: Jäger/Haas/Welz 2007: 4). Aber auch die Afroamerikaner waren von dieser zunehmenden rassistischen und xenophoben Bewegungen benachteiligt, da sie bereits zuvor stets als minderwertig wahrgenommen wurden und stets das Opfer von Rassismus und Ausgrenzung waren.

Gleichwohl gilt auch hier wieder zu bedenken, dass sich die Segregation nicht überall gleich auswirkte, sondern die Unterschiede zwischen Regionen und Bundesstaaten recht groß waren.

All diese Entwicklungen zementierten letztlich den Status der Afroamerikaner als gesellschaftliche Außenseiter (hier sind wieder deutliche Parallelen zur Etablierte-Außenseiter-Figuration nach Elias erkennbar): Segregation und vorherrschender Rassismus haben dazu beigetragen, dass sie noch wesentlich größere Probleme der gesellschaftlichen Inklusion hatten als etwa die europäischen Migranten.

Beendet wurden die gesetzlichen Nachteile mit dem Civil Rights Act of 1964, der in eben diesem Jahr in Kraft trat und wiederum eine Konsequenz aus der erstarkten „Civil Rights Movement“ war, der durch legendäre Ereignisse wie den Rosa Parks Incident und daraus resultierenden Montgomery Bus Boycott und schließlich den „Marsch der Armen“ durch Martin Luther King ausgelöst wurde (vgl. Dippel 2010).

Auch, wenn durch diese Ereignisse die Segregation beendet wurde und die Probleme der afroamerikanischen Bevölkerung zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit rückten, änderte sich an der Situation in den Ghettos zunächst einmal nicht viel, allerdings wurde auch die soziologische Forschung zunehmend auf die Probleme in den Ghettos aufmerksam. Studien über die Zustände in den Ghettos und arme Unterschichten allgemein führten zu neuen Ansichten, und es war zunehmend von einem „rise of social dislocations among the ghetto underclass“ (Wilson 1987:3 ff.) die Rede. Gleichzeitig änderte sich auch die Einstellung, und an Stelle des bislang vorherrschenden Rassismus traten nicht zuletzt durch die soziologische Forschung neue Ansichten. So stellte etwa William Ryan in seinem Buch „Blaming the victim“ (Ryan 1976) die These auf, dass die Afroamerikaner eigentlich die Opfer der schlechten Zustände wie Bildungsbenachteiligung und Armut seien, ihnen aber vom Rest der Gesellschaft die Schuld gegeben werde. Des Weiteren kritisiert Ryan, dass durch die Liberalen in den USA jahrelang Debatten um eine Unterschicht verhindert wurden, was das Problem verstärkte (Ryan 1976: 8 ff.).

3.4.Die heutige Situation

Im Folgenden wird die heutige Situation dargelegt, um daraus Schlüsse zu ziehen, wie die Vergangenheit bis heute nachwirkt und ob es wirklich stimmt, dass Afroamerikaner in Sachen Bildung und Wohlstand noch immer schlechter gestellt sind und wie sie dabei im Verhältnis zu anderen Bevölkerungsgruppen dastehen.

3.4.1Bildung und Wohlstand

Die Afroamerikaner stellen seit geraumer Zeit nicht mehr die größte gesellschaftliche Minderheit in den USA dar, sondern wurden in diesem Punkt von den Latin Americans, den Einwanderern aus Lateinamerika, überholt. Die Afroamerikaner machten mit Stand vom 1. Juli 2008 41,1 Millionen und damit 13,5% der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung aus (United States Census Bureau 2010 [1] ), mit Stand 1. Juli 2011 waren es 43,9 Millionen (United States Census Bureau 2013 [2] ). Aufgrund der hohen Geburtenrate in den USA insgesamt wie bei den Afroamerikanern wird die Zahl weiter ansteigen, für das Jahr 2060 wird die Zahl auf 60 Millionen prognostiziert (United States Census Bureau, wie zuvor).

Noch immer haben nicht speziell die Afroamerikaner, sondern alle nicht-europäisch-stämmigen Bevölkerungsteile in den USA deutlich schlechtere Chancen, was Wohlstand und Bildung betrifft. Auch wenn dies, wie ausgeführt, kein spezielles Problem der Afroamerikaner ist, so sind alleine aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke viele von ihnen davon betroffen. Es zeigt sich sowohl ein „ethnisches Profil der Armut“ (Schneider-Sliwa in: Jäger/Haas/Welz 2007: 15), als auch ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern – wobei hier nicht wie üblich zutrifft, dass Frauen deutlich schlechtere Bildungschancen und –abschlüsse als Männer haben: Viel mehr ist bei afroamerikanischen Frauen die Motivation, gute Bildungsabschlüsse zu erreichen, sogar stärker ausgeprägt als bei Männern, was sich in tendenziell besseren Bildungsabschlüssen widerspiegelt (Schneider-Sliwa in: Jäger/Haas/Welz, wie zuvor).

Auch in Sachen Armut sind Minderheiten deutlich stärker gefährdet - so waren im Jahr 2007 ein Viertel aller Afroamerikaner und Lateinamerikaner von Armut betroffen (Schneider-Sliwa in: Jäger/Haas/Welz 2007: 17), 2011 waren es 27,6% der Afroamerikaner, sodass sich die Zahl sogar erhöht hat. [3]

Bei all diesen statistischen Erhebungen ist anzumerken, dass solche statistischen Zahlen alleine freilich nicht alles über die Situation sagen, aber eine Orientierungshilfe geben können, um die Situation zu verdeutlichen. So muss beispielsweise konstatiert werden, dass natürlich auch andere Bevölkerungsgruppen ähnliche Probleme haben, hier sind insbesondere die Hispanics, die die Afroamerikaner längst als größte Minderheit überholt haben und ebenfalls stark von Armut und Bildungsbenachteiligung betroffen sind, zu nennen.

4.Die Geschichte der türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland von 1961 bis heute

Im Folgenden wird die Geschichte der Bürger mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland, die einst als Gastarbeiter in die Bundesrepublik immigrierten, beleuchtet werden, wobei insbesondere geklärt werden soll, welche sozialen und politischen Probleme und Verfehlungen zur heutigen Situation führten.

Verglichen mit dem Sklavenhandel in den nordamerikanischen und karibischen Kolonien gibt es bei den Gastarbeitern natürlich deutlichen Unterschiede: Während die Sklaven zwangsweise in die Kolonien gebracht wurden und nicht bezahlt wurden, erfolgte die Anwerbung der Gastarbeiter auf freiwilliger Basis, auch sollte ihr Aufenthalt zeitlich begrenzt bleiben, und sie wurden, wenn auch geringfügig, bezahlt. Auch ist die Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland natürlich wesentlich kürzer, weshalb man keine direkten Vergleiche ziehen kann. Dennoch kann man in der Entwicklung einige Parallelen feststellen.

4.1.Geschichtliche Entwicklung

Die Tatsache, dass Menschen türkischer bzw. muslimischer Abstammung in Deutschland leben, mag einem relativ neu vorkommen. Tatsächlich hat es solche Menschen aber schon lange vor der Anwerbung von Gastarbeitern in Deutschland gegeben. Auch waren die Handelsbeziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der islamischen Welt, insbesondere der Türkei und Arabien, stets gut. Erst durch die massenhafte Anwerbung von Gastarbeitern kamen Menschen muslimischen Glaubens in nennenswerter Zahl ins Land.

Die Anwerbung von Gastarbeitern durch die Bundesrepublik Deutschland erfolgte in den 50er Jahren aufgrund des großen Wirtschaftsaufschwungs, umgangssprachlich auch als „Wirtschaftswunder“ bekannt. Kritiker meinen heute, dass die Gastarbeiter nicht etwa deswegen angeworben wurden, weil Vollbeschäftigung herrschte, sondern um einfache Tätigkeiten auszuüben, die die deutschen Arbeiter nicht mehr selbst ausüben wollten und deshalb anspruchsvollere Arbeit vorzogen, um sozial aufzusteigen (vgl. Herbert 2001, Leggewie 2011 in: Ozil/Hofmann/Dayioglu-Yücel (Hrsg.) 2011). Folglich handelte es sich bei den Gastarbeitern um ungelernte, einfache Leute, die über keinerlei nennenswerte Bildung und Qualifikation verfügten. Bei der Anwerbung und Ansiedlung wurden nicht zuletzt deshalb große Fehler gemacht, die bis heute nachwirken.

Infolge der Anwerbung der Gastarbeiter, die offiziell von 1955 bis zum offiziellen Anwerbe-Stopp 1974 dauerte, kamen insgesamt etwa 5,1 Millionen Menschen in die Bundesrepublik (vgl. Jamin 1999; Scholz 2011). Dies war eine bis dato nicht gekannte Größenordnung, die die junge Republik, die damals noch erheblich weniger Einwohner hatte, als heute, vor erhebliche soziale Probleme stellen sollte. Türkische Gastarbeiter kamen dabei erst ab 1961 durch ein offizielles Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei ins Land (Leggewie in: Ozil/Hofmann/Dayioglu-Yücel (Hrsg.) 2011: 11). Weitere Länder, mit denen offizielle Abkommen zur Anwerbung von Gastarbeitern bestanden, waren Italien, Spanien, Griechenland, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien (vgl. Jamin in: Motte/Ohliger/Oswald (Hrsg.) 1999). Warum von all diesen Nationalitäten jedoch gerade die türkischen Gastarbeiter die größten Probleme bei der Inklusion hatten und so oft im Zentrum politischer und sozialer Auseinandersetzungen stehen, was also gerade ihnen diese soziologische Außenseiter-Rolle zuwies, wird im Folgenden zu klären sein.

Kritisch gesehen kann man bereits bei der Anwerbung einige Parallelen zur Versklavung in Nordamerika erkennen – in beiden Fällen wurde durch die massenhafte Ankunft ungebildeter, einfacher Arbeiter eine große Unterschicht geschaffen, was unvorhergesehene soziale Probleme nach sich zog, die bis heute nachwirken.

Ähnlich den Afrikanern in Nordamerika hatten zudem auch die Türken in Deutschland das Problem schwer zu überwindender kultureller Unterschiede, die nicht von ihnen selbst verschuldet waren, die für ihre Inklusion in die Gesellschaft aber große Nachteile mit sich brachten. All dies führte zur Schaffung einer Unterschicht mit deutlich schlechteren Chancen der gesellschaftlichen Inklusion, insbesondere in den Bereichen der Bildung, des Wohlstands und der gesellschaftlichen Aufstiegschancen. Ein häufig kritisierter Fehler war, den Gastarbeitern zu erlauben, dauerhaft in Deutschland zu verbleiben und ihre Familien nachziehen zu lassen. Dies wurde ursprünglich deshalb gemacht, da die auf ein, später auf zwei Jahre begrenzte Aufenthaltsgenehmigung dazu führte, dass gut eingeführte, geschulte Arbeiter nach kurzer Zeit wieder nach Hause geschickt wurden, was betriebswirtschaftlich wenig Sinn machte (vgl. Jamin 1999).

4.2.Verfehlungen der Politik

Zu der Situation maßgeblich beigetragen haben Verfehlungen der deutschen Politik und Gesellschaft, darunter insbesondere Verfehlungen in der Rechtslage und Ansiedlungspolitik sowie die klassische Einstellung der deutschen Politik zum Thema Arbeitsmigration, die im Folgenden dargelegt werden.

4.2.1.Arbeitsmigration und Gastarbeit in Deutschland

Während in den heutigen USA also schon nahezu vom Beginn ihrer Geschichte an durch den Sklavenhandel billige Arbeitskräfte ins Land geholt wurden, war Deutschland zwar nicht am Sklavenhandel beteiligt, doch gab es auch hier eine Tradition der Arbeitsmigration.

Deutschland war politisch gesehen nie eine Einwandererland, gleichwohl gab es schon lange vor der offiziellen Anwerbung der Gastarbeiter 1955 Arbeitsmigration in das damalige Deutsche Reich. Zur Zeit des Kaiserreichs wurden beispielsweise Arbeitskräfte aus Polen zur Erntehilfe angeworben, was als Vorläufer der Gastarbeiter-Anwerbung gesehen werden kann. Kritiker meinen heutzutage, dass die Arbeitsmigration in Deutschland stets zu dem Zweck erfolgte, Arbeitskräftemangel in Deutschland kurzfristig zu kompensieren, was nur für Deutschland positive Folgen, für die Länder, aus denen die Arbeitskräfte kamen, hingegen durchweg negative Folgen hatte (vgl. Nghi Ha 2003). Aus heutiger Sicht wird dabei auch kritisiert, dass im damaligen Deutschland rassistische, völkisch-nationale und antisemitische Ideologien vorherrschten, die diese Form der Arbeitsmigration begünstigten (Nghi Ha 2003: 66).

Auch hieraus geht hervor, dass die billigen Arbeitskräfte als minderwertig angesehen wurden und nur ihre Arbeitskraft ausgenutzt wurde, aber sich nicht um die sozialen Folgen gekümmert wurde, was wiederum durchaus Parallelen zur Versklavung in Nordamerika aufweist. Zudem zeigt sich die Einstellung Deutschlands im Vergleich zu den USA, was die Einstellung zu billigen, ausländisch stämmigen Arbeitskräften angeht: Während die USA die Sklaverei dauerhaft zum Aufbau und zur Fortentwicklung des Landes nutzten, war die Nutzung in Deutschland saisonal und zeitlich befristet, weshalb sich auch der Begriff Gastarbeit durchgesetzt hat. Warum die türkischen Gastarbeiter von dieser Entwicklung besonders betroffen waren, wird Gegenstand der folgenden Kapitel sein.

4.2.2.Ansiedlungs- und Bildungspolitik

Auch bei der Ansiedlung der Gastarbeiter wurden Fehler gemacht, die bis heute nachwirken. Die Gastarbeiter wurden in einfachen, kaum menschenwürdigen Unterkünften untergebracht, waren nach Nationalitäten getrennt und hatten kaum Kontakt mit Deutschsprechenden (vgl. Scholz 2011, ). Auf Bildung und Spracherwerb wurde seinerzeit kein Wert gelegt, da davon ausgegangen wurde, dass die Gastarbeiter nur für kurze Zeit in Deutschland bleiben würden.

Dass die Gastarbeiter türkischer Herkunft von all diesen Fehlentwicklungen besonders betroffen waren, hatte verschiedene Ursachen: Die kulturellen Unterschiede, die durch ihre muslimisch geprägte Lebensweise bedingt waren, trafen bei den Türken besonders zutage. So stieß seinerzeit bei den anderen Gastarbeitern wie den deutschen Arbeitern auf Unverständnis und Verwunderung, dass die türkischen Gastarbeiter keinen Alkohol tranken, kein Schweinefleisch aßen und fünfmal täglich gen Mekka beteten. Dies führte auch dazu, dass infolge der Ausgrenzung eine eigene Infrastruktur entstehen konnte, mit eigenen Geschäften, Sportvereinen und Moscheen, die zur Abgrenzung beitrugen, letztlich aber auch erst aufgrund der ursprünglichen Ansiedlung entstehen konnten (vgl. Mohaghegi, ohne Jahreszahl). Dadurch konnte sich auch eine eigene Lebensweise und somit ein eigener Habitus bilden, der sich durch spezifische Lebensweise ausdrückt. Auch hier kann man wieder Parallelen zu den Afroamerikanern ziehen, die durch die Ansiedlung in den Ghettos der Großstädte ebenfalls ihre eigene Lebensweis und somit einen eigenen Habitus ausprägen konnten.

Bezüglich der Herkunft in der Türkei wird oft kritisiert, dass man wenig gebildete, konservative Türken aus ländlichen Regionen anwarb. Dies war sicher auch ein Problem, jedoch wird heutezutage weniger die Herkunft an sich als Problem gewertet, sondern eher die in der Folgezeit unterbliebene Anpassung an städtisches Leben (vgl. Leggewies 2011). Dadurch konnte hier die Divergenz zwischen Gruppencharisma und Gruppenschande besonders deutlich auftreten, sowohl der Deutschen gegenüber den Türken gegenüber, als möglicherweise auch der anderen Gastarbeiter gegenüber der Gruppe der Türken, was deren Außenseiterstatus zementierte. Hierbei kann man deutliche Parallelen zur Etablierte-Außenseiter-Figuration nach Elias erkennen, denn die Gastarbeiter entsprachen den Zugezogenen, die zudem durch ihre ausländische Herkunft, kulturellen Unterschiede und geringe Bildung und geringes Einkommen noch stärker benachteiligt waren und somit die Außenseiter-Rolle innehatten.

Bei den Faktoren Bildung und Einkommen kommen auch Parallelen zur Kapital-Theorie nach Bourdieu auf: Die Gastarbeiter hatten nur wenig kulturelles wie ökonomisches Kapital, wohnten zudem abseits der deutschen Bevölkerung und hatten somit kaum Chancen auf kulturellen Austausch und Spracherwerb (vgl. Scholz 2011, Mohaghegi, ohne Jahreszahl). Dadurch entstand ein Außenseiterstatus und Bildungsbenachteiligung, die gerade bei den jungen Migranten dazu führte, dass sie nur wenig kulturelles Kapital erlangen konnten, was dann auch in anderen Bereichen keinen großen Kapitalerwerb ermöglichte.

4.3.Die heutige Situation

Heute leben etwa 2,6 Millionen Menschen mit türkischen Migrationshintergrund in Deutschland, von denen mit steigender Tendenz jeder sechste einen deutschen Pass besitzt, weshalb der Begriff der „Türken“ in diesem Zusammenhang nicht mehr sinnvoll ist und deshalb in dieser Arbeit der Begriff des türkischen Migrationshintergrunds verwendet wird, um deutlich zu machen, dass es um alle Menschen türkischer Abstammung geht.

Bei den Menschen mit türkischem Migrationshintergrund handelt es sich freilich nicht um eine einheitliche Gruppe, sie haben sich recht unterschiedlich entwickelt in Bezug auf Bildung, Einkommen, religiöse und politische Einstellung, usw., deshalb kann diese Arbeit sie nicht in ihrer Gesamtheit abbilden, sondern nur generelle Entwicklungen skizzieren, insbesondere, was die mangelnden Bildungschancen eine Großteils dieser Gruppe angeht. Dies ist nämlich bei aller Differenzierung immer noch für viele ein Problem, wie im Folgenden gezeigt werden wird.

4.3.1.Bildungschancen

Analog zu den Afroamerikanern in den USA haben auch die Schüler mit türkischem Migrationshintergrund noch immer schlechtere Bildungschancen und schulische Leistungen. Auch beim Übergang in den Beruf sind die Chancen und Erfolge deutlich geringer, ebenso beim Einkommen (vgl. Scholz 2011). Als Problem gilt dabei oft vor allem der mangelnde Spracherwerb – laut einer Migranten-Studie aus dem Jahr 2010 beherrschen nur etwa 20% der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund die deutsche Sprache gut. Aus dieser Studie ging ebenfalls hervor, dass Türken stärker als andere Migrantengruppen unter sich bleiben. [4] Wie zuvor dargelegt, ist der Grund hierfür allerdings in der Ansiedlungspolitik zu finden, die dafür sorgte, dass die Gastarbeiter kaum Chancen auf kulturellen Austausch und Spracherwerb hatten, weshalb sie es gewohnt waren, unter sich zu sein und an ihrem Außenseiterstatus somit wenig geändert werden konnte. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass in derselben Studie auch andere Gruppen mit ausländischem Migrationshintergrund untersucht wurden und teilweise kaum bessere Ergebnisse aufweisen, als diejenigen mit türkischem Migrationshintergrund. Eine interessante Parallele zeigt sich bei der Differenz der Geschlechter: Wie bei den Afroamerikanern sind auch bei den Türkischstämmigen wie auch bei anderen Gruppen mit Migrationshintergrund in Deutschland die Bildungserfolge der Frauen tendenziell größer als bei den Männern (vgl. Scholz 2011).

Bei den Ursachenforschung wird häufig die muslimische Religion in den Fokus gestellt und für Bildungs- und Inklusionsprobleme verantwortlich gemacht. Wie zuvor gezeigt, hat die Religion sicherlich Einfluss darauf gehabt, die türkischen Gastarbeiter innerhalb der gesamten Gruppe der Gastarbeiter als auch gegenüber den Deutschen zu Außenseitern zu machen, was zum Außenseiterstatus beigetragen hat. Es muss jedoch auch erwähnt werden, dass nicht alle Leute muslimischen Glaubens schlechtere Bildungschancen und –Ergebnisse aufweisen, eine Ausnahme bilden hier etwa die Iraner, die teilweise deutlich bessere Bildungsabschlüsse hervorbringen als der Durchschnitt. Insgesamt zeigt sich bei Schülern mit muslimischen Wurzeln somit ein recht differenziertes Bild bei den Bildungsabschlüssen (vgl. Scholz 2011), weshalb Religion als alleinige Ursache für schlechte Bildung ausgeschlossen werden kann und das Problem speziell der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund andere Ursachen hat. Auch können Statistiken über Bildung und Beschäftigung freilich nicht als alleinige Indikatoren für Inklusion genommen werden, sie können aber dennoch Ansätze bieten, die Lage zu erklären, zumal, wenn man nach der Bourdieuschen Kapital-Theorie geht, die verschiedenen Kapital-Sorten eng miteinander verbunden sind und mangelndes Kapital in einem Bereich schnell zu Defiziten in anderen Bereichen führt.

5.Fazit

In dieser Arbeit wurde versucht, zu erklären, wie durch Arbeitsmigration mit unvorhergesehenen sozialen Folgen gesellschaftliche Gruppen mit deutlich schlechteren Chancen und weniger Kapital entstehen können, einerseits am Beispiel der Versklavung in den USA und anhand der Gastarbeiter in Deutschland. Bei beiden Gruppen gibt es freilich große Unterschiede, die eine generelle Beurteilung nicht zulassen: Die afroamerikanischen Sklaven sind keine homogene Gruppe, sondern weisen große Unterschiede auf, sowohl, was die Ethnizität angeht, als auch Unterschiede, die durch die Ansiedlung in den verschiedenen Bundesstaaten der heutigen USA bewirkt wurden. Durch die Heterogenität sind pauschale Aussagen jedoch kaum möglich, da sich die einzelnen Gruppen je nach Region, Ethnizität und Aufstiegsmöglichkeiten sehr unterschiedlich entwickelt haben. Der Teil der afroamerikanischen Bevölkerung, der heute noch die meisten Probleme mit Bildung und Armut hat, sind diejenigen, die in den Ghettos der großen Städte leben. Da diese Ghettoisierung, die der klassischen Etablierte-Außenseiter-Figuration nach Elias sehr nahekommt, jedoch erst in den vergangenen Jahrhunderten stattfand, wirkt somit tendenziell eher die jüngere Vergangenheit bis heute nach als die ursprüngliche. In den Südstaaten wirken jedoch ebenfalls die schlechten Lebensbedingungen und die Folgen der Segregation bis heute nach. Allerdings sind neue gesellschaftliche Bedingungen hinzugekommen, die die Situation erschweren: Zwar gibt es weniger Rassismus und Ausgrenzung in Gesellschaft und Politik, jedoch sorgen stattdessen Bildungsbenachteiligung und ungleiche Güterverteilung für Benachteiligung; hier sind deutlich die Parallelen zur Kapital-Theorie zu erkennen, denn durch die Ghettoisierung und Armut können die Afroamerikaner wenig ökonomisches und kulturelles Kapital anhäufen und konvertieren.

Wenn man mit diesen Klassikern der Soziologie argumentiert, muss man jedoch auch feststellen, dass diese Figurationen und Kapitalverteilungen nicht auf unbestimmte Zeit gelten, sondern soziale Prozesse darstellen, die veränderbar sind. Bei Elias ist die Figuration ein Prozess und kein fester Zustand, auch Bourdieu betont die Konvertierbarkeit der Kapitalsorten. Somit besteht Grund zum Optimismus, dass sich die Situation für die jeweiligen Gruppen verbessern kann, was sie faktisch für einen Teil der Menschen auch bereits hat, denn wie erwähnt, kann man keine pauschalen Aussagen treffen, da die beiden hier vorgestellten Gruppen nicht homogen sind und zum anderen durch die Individualisierung nach Beck für die Menschen und ihren Lebenslauf zunehmend individuelle statt klassenspezifische Merkmale von Bedeutung sind. Gleichwohl werden bei Beck unter den neuen Ungleichheiten, die dabei entstehen auch Ethnien genannt, weshalb man hier ohnehin weniger von einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht sprechen kann, als von einer bestimmten ethnischen Gruppe, die aufgrund ihrer Ethnizität deutlich schlechtere Chancen in der Gesellschaft hat, was aber nicht an ihrer Ethnizität an sich liegt, sondern an ihrer Geschichte und politischen und sozialen Verfehlungen sowie früher vorherrschenden, rassistischen Ideologien und Vorurteilen.

Die nach Deutschland immigrierten Gastarbeiter mit türkischem Migrationshintergrund waren bereits beim Eintreffen in Deutschland als Gruppe homogener, was Ethnizität und Bildungshintergrund angeht, gleichwohl haben auch sie sich bis heute recht unterschiedlich entwickelt, was Bildung und sozialen Aufstieg angeht. Geht man nach der Individualisierungsthese von Beck, muss man deshalb auch sehen, dass die Gruppe sich auch künftig weiter individualisieren und unterschiedlich entwickeln wird, weshalb die hier besprochenen Probleme resultierend aus Herkunft und Ansiedlung allenfalls als Grundproblem gelten können, die für ihre weitere Entwicklung problematisch sein, aber eine Verbesserung der Lage nicht unmöglich machen werden.

Bei allen Unterschieden, sowohl zwischen den Gruppen als auch zwischen den USA und der BRD, waren doch einige Gemeinsamkeiten festzustellen: In beiden Fällen wurde lange Zeit versäumt, sich um eine Inklusion der Gesellschaftsgruppen zu bemühen, was Ausgrenzung und Ghettoisierung förderte, in beiden Fällen waren rassistische Einstellungen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung mit verantwortlich, in beiden Fällen rächte sich somit letztlich, dass man billige ausländische Arbeitskräfte ins Land holte und nur auf ihre Arbeitskraft aus war, aber die Inklusion vernachlässigte, was somit schwerwiegende soziale Folgen für die Gesamtgesellschaft hatte. All diese Entwicklungen führten in beiden Fällen dazu, dass die Gruppen zu Außenseitern wurden und somit den Außenseitern in der Etablierte-Außenseiter-Figuration nach Norbert Elias entsprachen, während die weiße Bevölkerungsmehrheit die Etablierten waren. Das führte dann auch zu ungleichem Ressourcenzugang, der wiederum zu wenig Kapital nach der Bourdieuschen Kapital-Theorie führte. Im Vergleich zeigt sich auch, dass diese sozialen Folgen immer wieder zum wichtigen Politikum wurden, in den USA u.a. durch den Bürgerkrieg, aber auch rassistische Bewegungen wie den Khu Klux Klan und die Segregation, aber auch in Deutschland sind bereits Tendenzen erkennbar, dass die Probleme mit Mitbürgern mit Migrationshintergrund und hier auch immer wieder mit muslimischem und somit oft türkischem Migrationshintergrund zunehmend Gegenstand politischer Diskussion werden.

Wenn man nun, aus diesen Ergebnissen schließt, was getan werden kann und muss, um die Inklusion derartiger Minderheiten zu verbessern, so gibt es freilich keine alleineige Lösung, zumal bereits einiges versucht wurde. Dennoch ist insbesondere im Bereich der Bildung weiterhin dafür zu sorgen, Armut und Bildungsbenachteiligung zu verringern und Aufstiegschancen zu verbessern, da gerade in Deutschland das viel kritisierte, dreigliedrige Schulsystem und andere Formen der Bildungsbenachteiligung die Bildung von geringem Kapital und Außenseitern begünstigen und sich insbesondere auf Migranten benachteiligend auswirken.

Gleichzeitig ist es freilich auch die Aufgabe der Soziologie, sich weiterhin mit diesen Minderheiten zu befassen, wobei dies bereits sowohl in den USA als auch in Deutschland zunehmend geschieht. In den USA haben sich Studien zur Geschichte und heutigen Situation der Afroamerikaner bereits zu einer eigenständigen Wissenschaftsrichtung, den „Afro American Studies“ verselbstständigt. Auch in Deutschland gibt es zunehmend Studien über die Entwicklung insbesondere der türkischen Gastarbeiter, jedoch kann sicherlich auch hier noch viel getan werden, um den Forschungsstand zu verbessern. Nicht zuletzt kann auch die Soziologie und hier gerade die öffentliche Soziologie dazu genutzt werden, sensible Themen wie den hier behandelten Umgang mit Minderheiten durch wissenschaftliche Betrachtung, die sich von der oft einseitigen und reißerischen Berichterstattung in den Medien unterscheidet, in der Öffentlichkeit fair zu thematisieren und diskutieren.

Quellen

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- Wilson, William Julius: The Truly Disadvantaged. The Inner City, the Underclass, and Public Policy. The University of Chicago Press: Chicago/London 1987

[...]


[1] Nachzulesen unter: http://www.census.gov/newsroom/releases/archives/facts_for_features_special_editions/cb10-ff01.html [Abruf: 09.03.2013]

[2] http://www.census.gov/newsroom/releases/archives/facts_for_features_special_editions/cb13-ff02.html [Abruf: 09.03.2013]

[3] http://www.census.gov/newsroom/releases/archives/income_wealth/cb12-172.html [Abruf: 22.03.2013]

[4] Veröffentlich in „Die Welt“ vom 17.05.2010, abzurufen im Internet unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article7222075/Tuerken-sind-die-Sorgenkinder-der-Integration.html [Abruf: 22.03.2013]

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Die Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA und der türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland
Sous-titre
Geschichte, Gegenwart und Ansätze eines Vergleichs
Université
University of Kassel
Note
2,0
Auteur
Année
2013
Pages
26
N° de catalogue
V262123
ISBN (ebook)
9783656509417
ISBN (Livre)
9783656509653
Taille d'un fichier
583 KB
Langue
allemand
Mots clés
geschichte, bevölkerung, gastarbeiter, bundesrepublik, deutschland, gegenwart, ansätze, vergleichs
Citation du texte
Torsten Scholz (Auteur), 2013, Die Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA und der türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262123

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