Das Problem der Kindstötung im Kontext von Peter Singers "Praktische Ethik"


Term Paper, 2013

20 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Theoretische Grundlagen Singers
1.1 Singers präferenzutilitaristische Grundposition
1.2 Der Personenbegriff und Einteilung von Leben

2 Peter Singers Prinzip der gleichen Interessenabwägung und Implikationen

3 Fazit und Kritik

Literaturverzeichnis

1 Theoretische Grundlagen Singers

Die Frage und das Bedürfnis nach einer allumfassenden und begründeten Handlungsorientierung ist so alt wie die Menschheit selbst. So suchte sich der Mensch bis heute auf verschiedene Art und Weisen Antworten. Unter anderem wurden metaphysische Erklärungsmodelle zu Rate gezogen, die in der Mehrzahl eine Orientierung an allgemeingültigen und objektiven Werten beispielsweise auf der Basis von Offenbarungswahrheiten vorgaben. Wenn sich diese Herangehensweise im Privaten vielleicht häufig bewährt hat, musste jedoch früh erkannt werden, dass im Falle von globalen ethischen Problemstellungen diese aber keine zufriedenstellenden Lösungen mehr boten, da komplexe Sachverhalte auf dieser Basis nicht adäquat gelöst werden konnten. Da die Naturwissenschaften zunehmend auch im Bereich der Medizin erfolgreich neue Methoden zur Anwendung brachten und somit neue Handlungsmöglichkeiten eröffneten, mussten auch zwangsläufig die Grundlagen einiger Gebiete und dazugehörige Handlungsoptionen neu überdacht werden.1 In dieser Arbeit geht es um das Thema der Kindstötung, im Speziellen um den Schwangerschaftsabbruch im embryonalen Stadium und die Tötung schwerbehinderter Neugeborener im Kontext von Peter Singers Praktischer Ethik. Die zentrale Frage, die beantwortet werden soll lautet: „ Ist Peter Singers Moralkonzeption und die daraus abgeleiteten Implikationen der ethisch gerechtfertigten Kindstötung im embryonalen Stadium und der Tötung von schwerbehinderten Neugeborenen philosophisch begründet und ohne Probleme vertretbar? “ Zur Klärung dieser Frage soll zunächst eine Grundlagenskizzierung der wichtigsten Annahmen Peter Singers erfolgen, um im Späteren zu zeigen wie Singer sein Prinzip der gleichen Interessenabwägung entfaltet. In Kapitel 1 wird Singers spezielle utilitaristische Moralauffassung dargestellt und gezeigt, wie er weiter seinen Personenbegriff definiert. Kapitel 2 erklärt dann schließlich sein Prinzip der gleichen Interessenabwägung. Hier soll nun ausführlich gezeigt werden, was sich hieraus für das umstrittene Thema der Kindstötung ergibt. Schlussendlich soll aufbauend auf einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Punkte die Theorie Singers in Kapitel 3 kritisch hinterfragt, die schwierigsten Probleme identifiziert und kommentiert werden.

1.1 Singers präferenzutilitaristische Grundposition

Wie bei jeder Theorie beginnt die Entfaltung der entsprechenden Konzeption bei den Grundannahmen des jeweiligen Verfassers, auf denen sein Argumentationsgebäude errichtet ist. Jenes Fundament stellt in unserem Fall der klassische Utilitarismus dar. Peter Singer ist Präferenzutilitarist, eine spezielle Form der ethischen Position des Utilitarismus, welche in der aktuellen bioethischen Debatte eine wichtige Rolle spielt.2 Um Singers Argumentation nachvollziehen zu können, muss daher der Utilitarismus als Grundlage seiner Ethik verstanden werden. Dieser besagt im Allgemeinen, dass der Wert von moralischem Handeln immer an das größtmögliche Glück der größten Zahl geknüpft ist.

„Der klassische Utilitarismus betrachtet eine Handlung als richtig, wenn sie ebensoviel oder mehr Zuwachs an Glück für alle produziert, als irgendeine alternative Handlung, und als schlecht, wenn sie das nicht tut.“3

Das Glück, welches hier vermehrt werden soll wird im klassischen Utilitarismus als Lustempfinden des einzelnen Individuums charakterisiert.

Dementsprechend ist das Prinzip der Lustgewinnung und Leidvermeidung, also im Sinne eines hedonistischen Moralprinzips, für den Utilitarismus grundlegend.4 Es geht einem Utilitaristen also primär um die Konsequenzen einer Handlung. Wenn diese Konsequenzen das Ziel des größtmöglichen Glückes der von dieser Handlung Betroffenen fördert, wäre diese Handlung als die beste in dieser Situation zu bevorzugen und daher zu realisieren. Daraus folgt beispielsweise, dass eine Lüge zur Zeit des Nationalsozialismus unter gewissen Umständen moralisch richtig gewesen wäre, da so die Mehrzahl der Betroffenen von diesem Handeln profitiert hätte (im Falle des Bestreitens der Existenz der jüdischen Familie auf dem Dachboden).5

Diese Basis ist auch bei Peter Singer vorzufinden, obwohl es sich um eine modifizierte Form des Utilitarismus handelt. Singer betont in seiner Ethik die Interessen der Lebewesen und deren unterschiedliche Relevanz. Wichtig ist aber, dass bei Singer moralisches Denken notwendigerweise auch eine Form des utilitaristischen Denkens ist. Dies folgert er aus seiner Behauptung, dass eine Ethik über das eigene Ich und Du hinausgehen muss; sie also notwendig universell sein muss. Wenn wir also moralisch urteilen bedeutet dies, dass wir über unsere eigenen Neigungen und Abneigungen hinausgehen.6

„Der universale Aspekt der Ethik, so behaupte ich, versieht uns mit einem überzeugenden, wiewohl nicht endgültigen Grund dafür, eine utilitaristische Position im weiteren Sinne einzunehmen“7

Seine Begründung ist die, dass wenn man den universellen Standpunkt akzeptiert, gleichzeitig auch akzeptiert, dass die eigenen Interessen nicht bloß deshalb mehr zählen weil sie meine Interessen sind und daher andere Interessen gleich zu berücksichtigen sind. Wenn man also moralisch denkt, muss es natürlich sein, dass meine Interessenbefriedigung ausgedehnt wird auf die Interessenbefriedigung der anderen.8 Es ist also nach Singer unbedingt notwendig, möchte man moralisch argumentieren, von einem utilitaristischen Standpunkt aus zu beginnen. Denn wenn ich die Interessen aller Beteiligten mit in meine Rechnung einbeziehe und den Handlungsverlauf wähle, in welchem die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist dass sie die Interessen der Mehrzahl berücksichtigt, wähle ich eine Form des utilitaristischen Handelns.9

„Die utilitaristische Position ist eine minimale, eine erste Grundlage, zu der wir gelangen, indem wir den vom Eigeninteresse geleiteten Entscheidungsprozeß universalisieren. Wollen wir moralisch denken, so können wir uns nicht weigern, diesen Schritt zu tun.“10

Weiter kann nun in Singers Fall weiter spezifiziert werden, dass es sich in seiner Ethik um eine utilitaristische Position handelt, die nicht mehr im klassischen Sinne hedonistische Ziele anstrebt, sondern in welcher es um die Berücksichtigung von gleichen Interessen geht. Dies geschieht unabhängig von der Art des Lebens, das diese Interessen aufweist. Der Unterschied zu der Position des klassischen Utilitarismus besteht nun darin, dass die Konsequenzen der Handlung als moralisch richtig bewertet werden wenn die meisten, für Singers Ethik relevanten Interessen, berücksichtigt werden. Diese Interessen macht er an seinem Prinzip der Gleichheit deutlich. Bevor nun das Prinzip der gleichen Interessenabwägung und dessen Implikationen erläutert werden, soll folgend erst auf den Personenbegriff Singers eingegangen werden. Dies geschieht deshalb, weil seine Definition der Form des personalen Lebens darüber mitentscheidet, welche Wesen überhaupt wichtige Interessen ausbilden können, was wiederum für eine ethische Einstufung der jeweiligen Lebensform ausschlaggebend ist.

1.2 Der Personenbegriff und die Einteilung von Leben

In unserem Zusammenhang der Kindstötung, die in der Hauptsache in Kapitel 2 und 3 diskutiert werden soll, ist es nun von Nöten zu klären, wie Singer sein Prinzip der gleichen Interessenabwägung entfaltet. Dies bewerkstelligt er mit Hilfe einer hierarchischen Einstufung von Leben in entsprechende Lebensformen mit dazugehörigen Fähigkeiten. Hier stellt der Begriff der Person ein wichtiges Bewertungskriterium dar.

„SINGER gelangt dabei zu drei Kategorien des Lebens: die unterste Kategorie umfaßt nicht-bewußtes Leben, die mittlere bewußtes und die oberste Kategorie selbstbewußtes Leben, d.h. personale Wesen (Personen).“11

Dieser Einteilung des Lebens ordnet Singer dementsprechend Lebewesen zu, welche, je nach Kategorie, verschiedene Interessen ausbilden können. Im Kontext der Kindstötung ist es nun von besonderer Bedeutung, wo Singer die Grenze zwischen lebenswertem und nicht-lebenswertem Leben zieht. Diese Grenze zieht er unabhängig der Zugehörigkeit zu einer Spezies oder Gattung. Berücksichtigung in Singers Ethik, also der Beginn von lebenswertem Leben, beginnt bei der Eigenschaft der Leidensfähigkeit. „Ist ein Wesen nicht leidensfähig oder nicht fähig Freude oder Glück zu erfahren, dann gibt es nichts zu berücksichtigen.“12 Diese Grenzziehung und das Ignorieren des gewohnten ethischen Prinzips der Heiligkeit des menschlichen Lebens werden uns in Kapitel 2 und 3 dann als zentrale Ursache der singerschen Problematik hinsichtlich der Kindstötung weiter beschäftigen.

Welche Lebewesen gehören nun zu den erwähnten drei Kategorien und welche Eigenschaften kommen welcher Lebensgruppe zu? Die erste Kategorie des nicht- bewußten Lebens hat es somit unmittelbar mit dieser Grenze der Lebenswertigkeit zu tun. So handelt es sich eben bei nicht-bewußtem Leben um Leben ohne Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit und dieses hat für Singer keinen Wert an sich.13 Zu dieser untersten Stufe von Leben zählt Singer beispielsweise Steine und Pflanzen, von denen wir annehmen, dass sie keine bewussten Erlebnisse haben. Zur mittleren Kategorie des Lebens zählt er Wesen die in der Lage sind bewusst Lust und Schmerz zu empfinden, sich aber nicht selbst als Wesen begreifen und zudem auch keine Vernunft besitzen, was sie wiederum von den Lebewesen mit Personenstatus abgrenzt.14

„Nach SINGER gilt es, bewußtes Leben als einen Wert zu achten, um der Lust willen, die es empfinden kann. Ein lustvolles Leben, d.h. ein Leben, in dem die Summe der Lust die des Leides übertrifft, zu vernichten, wäre demnach falsch, da zukünftige Lust verhindert würde.“15

Zu dieser Kategorie des bewussten Lebens zählt Singer viele nicht-menschliche Wesen (die meisten Tiere), aber auch Neugeborene und einige Geisteskranke würden in diese Stufe des Lebens fallen.16 Das entscheidende Kriterium für die Zugehörigkeit in eine der Lebensgruppen ist daher eindeutig das mehr oder weniger ausgeprägte Bewusstsein der entsprechenden Lebensform, die ihren Höhepunkt in dem personalen Leben findet. Es handelt sich daher bei Personen um Lebewesen mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein, rationalem Denken und der Fähigkeit Wünsche hinsichtlich der eigenen Zukunft zu haben; sich dementsprechend auch als einer distinkten Entität mit Vergangenheit und Zukunft bewusst zu sein.17 Allein dieser Gruppe der Personen gesteht Singer generellen Lebensschutz zu. Interessant und neu ist, dass es durchaus sein kann, dass gewissen Tieren der Personenstatus zugesprochen wird, manche Menschen diesen aber aberkannt bekommen. Somit werden konventionelle Grenzen bei der Bewertung von Leben (Mensch, Tier, Pflanze) durch Singers neue Kategorisierung (selbstbewusstes Leben, bewusstes Leben, nicht- bewusstes Leben) ersetzt und die Annahme der generellen Heiligkeit des menschlichen Lebens über Bord geworfen.18 Es stellt sich daher ein zunehmender Schutz vor Tötung mit dazugehörigem Lebenswert dar, je höher entwickelt das Bewusstsein des einzelnen Lebens ist.

„Im allgemeinen dürfte gelten: Je höher entwickelt das bewußte Leben eines Wesens, je größer der Grad von Selbstbewußtsein und Rationalität, umso mehr würde man dieses Lebewesen vorziehen, wenn man zwischen ihm und einem Wesen auf einer niedrigeren Bewußtseinsstufe zu wählen hätte.“19

[...]


1 Vgl. Pöltner, Günther: Grundkurs Medizin-Ethik. Facultasverlag UTB. Wien 2002. S.12. 3

2 Vgl. Düwell, Marcus: Bioethik. Eine Einführung. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2003.S.57.

3 Singer, Peter: Praktische Ethik. Reclam. Stuttgart 1984. S.11.

4 Vgl. Düwell, Marcus: a.a.O., S.57.

5 Vgl. Singer, Peter: a.a.O., S.11.

6 Vgl. Singer, Peter: a.a.O., S.22.

7 Singer, Peter: a.a.O.,S.23.

8 Vgl. Singer, Peter: a.a.O., S.23.

9 Ebd., S.24.

10 Singer, Peter: a.a.O., S.24f.

11 Nogradi-Häcker, Annette: Die Personenwerdung des Menschen. Zur Ethik Peter Singers. Litverlag. Münster/Hamburg 1994. S.22. Hervorhebung im Original.

12 Singer, Peter: a.a.O., S.73.

13 Vgl. Singer, Peter: a.a.O., S.128.

14 Vgl. Singer, Peter: a.a.O., S.117.

15 Nogradi-Häcker, Annette: a.a.O., S.26. Hervorhebung im Original.

16 Vgl. Singer,Peter: a.a.O., S.117.

17 Ebd., S.109.

18 Vgl. Nogradi-Häcker, Annette: a.a.O., S.29.

19 Singer, Peter: a.a.O., S.125.

Excerpt out of 20 pages

Details

Title
Das Problem der Kindstötung im Kontext von Peter Singers "Praktische Ethik"
College
RWTH Aachen University  (Philosophie)
Course
Einführung in die Bioethik
Grade
1,0
Author
Year
2013
Pages
20
Catalog Number
V262191
ISBN (eBook)
9783656510451
ISBN (Book)
9783656510505
File size
435 KB
Language
German
Keywords
problem, kindstötung, kontext, peter, singers, praktische, ethik
Quote paper
Daniel Jacobs (Author), 2013, Das Problem der Kindstötung im Kontext von Peter Singers "Praktische Ethik", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262191

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