Wissenschaft im Bild - Über die Beziehungen der Naturwissenschaften zu ihren Bildern


Diploma Thesis, 2003

71 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Fragestellung und Struktur

2. Warum werden Bilder erzeugt?
2.1 Warum Bilder für die Wissenschaft?
2.2 Warum Bilder für die Öffentlichkeit?
2.3 Warum aber sind die erzeugten Bilder schön?

3. Wie werden Bilder erzeugt?
Exkurs: Schrödingers Katze
Exkurs: Heisenbergsche Unschärfe
3.1 Beobachtung atomarer Oberflächen durch das
Rastertunnelmikroskop
3.2 Experimente im Teilchenbeschleuniger
3.3 Radiospektrometrische Aufnahmen in der
Astronomie

4. Beziehungen
4.1 Modelle und Muster
4.2 Präsentation / Repräsentation
4.3 Bilder – Weltbilder

5. Kunst und Wissenschaft
5.1 Forscher vs. Künstler?
5.2 Die Kraft der Imagination
5.3 Bilder lesen

6. Resümee

Literatur

1. Einleitung

Seit einigen Jahren sind die Naturwissenschaften, allen voran Biologie und Physik, verstärkt in den Fokus des kulturtheoretischen Diskurses getreten; ein Trend, der nicht zuletzt durch das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung initiiert oder zumindest erheblich verstärkt wurde. Neben ethischen Diskussionen um Gentechnologie, Unsterblichkeit und Eugenik gibt es auch ein gesteigertes Interesse an "universellen" Fragen: Wie entstanden Universum, unser Sonnensystem, das Leben auf der Erde? Wie und wann wird alles enden? Sind wir eine gefährdete Spezies, werden wir vom All oder von Außerirdischen bedroht? Gibt es eine (physikalische) "Weltformel", die , ähnlich Einsteins E=mc², alle Antworten knapp zusammenfassen kann?

Alte Fragen, neu formuliert: woher kommen wir, wohin gehen wir, und was machen wir eigentlich hier?

Gründe für solche Fragen gibt es einige: zuvorderst sicher der Zusammenbruch ideologischer Weltgebäude Ende des vergangenen Jahrhunderts und die einhergehende Auflösung und Verunsicherung der jeweiligen Lager bzw. der Stärkung des übrig gebliebenen Lagers, aber auch nachlassendes Interesse an den großen soziologischen und psychologischen Systemtheorien (Marxismus, Freudianismus) mit Anspruch auf Vollständigkeit und Verheißung der Besserung des Menschen respektive seiner Lebensbedingungen. Nicht zuletzt spielt der Verlust glaubwürdiger oder auch nur attraktiver religiöser Modelle noch immer eine große Rolle. All das führt die Menschen zurück auf Fragen, die sie schon seit Anbeginn des Denkens beschäftigen und deren Antworten sie jetzt oder in naher Zukunft von der Wissenschaft erwarten, anscheinend der einzig noch verbliebenen glaub- und vertrauenswürdigen Institution.

Sicher ist auch, dass im Augenblick Pragmatismus und Rationalismus hoch im Kurs stehen, zwei Eigenschaften, die sowohl unser wirtschaftliches System als auch die Naturwissenschaften besonders auszeichnen, man kann sogar sagen: die die westliche Welt auszeichnen. Das verbindende Element ist der unbedingte Fortschrittsglaube – bei genauerem Hinsehen paradoxer Weise äußerst irrational – : die Überzeugung, dass bei Verlangsamung oder Stillstand (ganz zu schweigen von Rückwärtsbewegungen) der Kollaps eintritt und wir zum Untergang verdammt sind.

Wir sind also zum Fortschritt gezwungen, oder zwingen uns selbst; wo aber kann man ihn, vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, am besten ausmachen, am deutlichsten vor Augen führen? In Wissenschaft und Technik! Neue Technologien allerorten, neue Entdeckungen überall – die Naturwissenschaft allein ist übriggeblieben, um uns einer besseren Zukunft im Diesseits zu versichern.

Es gibt aber ein Problem: die hochgradig spezialisierten Forschungsgebiete arbeiten mit Termini, die dem Laien nicht nur unverständlich sind, sondern ihn sogar abschrecken könnten. Die Ergebnisse müssen also in populäre Sprache übersetzt werden. Es gibt eine Unmenge von Büchern und anderen Publikationen, die diese Arbeit leisten, und das Interesse an ihnen ist ungebrochen groß; die am besten verständliche Sprache (zumindest nach allgemeiner Auffassung) ist jedoch nicht verbaler Natur: es ist die Sprache der Bilder.

Gerade um Bilder oder Bildern ähnliche Dinge/Ereignisse, welche die Wissenschaft hervorbringt, geht es in der vorliegenden Arbeit. Dabei werden vorrangig folgende Fragen gestellt: Warum produzieren die Wissenschaften Bilder? Wie werden sie produziert? Welchen Bezug zur Realität haben sie? Wie werden diese Bilder genutzt, um „Weltbilder“ zu erzeugen oder zu stabilisieren? Was unterscheidet und was verbindet wissenschaftliche und künstlerische Bilder? Hat die Kunst mit ihrer Arbeit und ihren Erkenntnissen Einfluss auf die Wissenschaft, oder umgekehrt?

1.1 Fragestellung und Struktur

Ausgangspunkt ist die These, dass die Wissenschaft mit ihren Bildern unser Bild von der Welt formt, indem sie vereinfachte und ästhetisierte Modelle anbietet, mit denen unser Vorstellungsvermögen operieren kann. Auf die Frage, ob und warum wir dies nötig haben, wird die Arbeit nicht oder nur am Rande eingehen (können).

Untersucht werden soll weiterhin, warum und auf welche Weise sich die "zwei Kulturen" Wissenschaft und Kunst in letzter Zeit anzunähern versuchen und ob es gemeinsame Grundlagen gibt, aus denen heraus wissenschaftliche Entdeckungen und Kunstwerke gleichermaßen geschaffen werden.

Innerhalb des Spektrums der Wissenschaften erfolgt eine weitestgehende Beschränkung auf Astro- und Teilchenphysik, da diese den höchsten Abstraktionsgrad besitzen und somit eine besondere Herausforderung an das Vorstellungsvermögen und an die visuelle Umsetzung darstellen. Dennoch werden auch andere Sparten erwähnt, insbesondere dann, wenn es um künstlerische Auseinandersetzungen geht.

Wichtige Ausgangspunkte in der verwendeten Literatur sind Martin Kemp und Hans-Jörg Rheinberger, zwei Autoren, die sich schon seit einigen Jahren näher mit den Beziehungen zwischen Wissenschaft und Kunst beschäftigt und maßgebliche Beiträge entweder selbst geleistet oder aber zusammen getragen haben. Kemp kommt dabei eher aus dem kulturwissenschaftlichen Bereich, Rheinberger aus der Naturwissenschaft. Beiden gemeinsam ist das Interesse für tiefer liegende Zusammenhänge zwischen den beiden Disziplinen, nicht nur für oberflächliche Schnittpunkte und Gemeinsamkeiten.

Eine Hauptquelle der Arbeit ist die Sammlung von Arbeiten "Mit dem Auge denken", zusammengetragen von Bettina Heintz und Jörg Huber. Dort finden sich neben sehr aufschlussreichen Arbeitsberichten aus der Forschung aktuelle Wortmeldungen relevanter Theoretiker, welche sich auf diese Arbeitsberichte beziehen bzw. diese analysieren. Einbezogen werden auch Publikationen von Mitarbeitern oder Gästen des Massachusetts Institute of Technology wie William J. Mitchell, Barbara Maria Stafford und Siân Ede, sowie, im kunsttheoretischen Bereich, Ernst H. Gombrich, Rudolf Arnheim und Georges Didi-Hubermann.

Zu Beginn der Arbeit, im ersten Teil, wird den Fragen nachgegangen warum und wie Wissenschaftler ihre Ergebnisse visualisieren. Gerade Physik und einhergehend Mathematik sind über lange Zeiträume mit Zahlen oder höchstens Diagrammen und Graphen ausgekommen. Welche "objektiven" Notwendigkeiten bestehen, Dinge sichtbar zu machen, die sich vorher nur in Köpfen oder abstrakten Symbolsystemen abgespielt haben? Vor allem Astro- und Teilchenphysik haben zudem das Problem, dass die Vorlagen der Visualisierungen weder mit bloßem Auge erkennbar sind, noch oftmals überhaupt konkret in der gezeigten Form existieren. Entstehen also neue Mythen, mutiert die Physik zu einer Art Esoterik?

Die in Büchern, Magazinen oder im Fernsehen gezeigten Bilder sind oftmals von einer unglaublichen Ästhetik, was die Vermutung nahelegt, dass sie manipuliert worden sind. Ist dies vom wissenschaftlichen Standpunkt aus überhaupt zulässig? Oder bringt es nur ein ungemeines Harmoniebedürfnis der Wissenschaftler ans Tageslicht? Sollen wir vor übermäßigen Irritationen geschützt werden? Welche Versicherung gibt es, dass diese Bilder nicht einfach vollständig erfunden worden sind?

Die erwähnten Bilder werden meist nicht von einer, sondern von einer ganzen Reihe von Maschinen erzeugt, die ihrerseits alle einzeln von Menschen justiert oder programmiert worden sind. Überflüssig zu erwähnen, dass dies nach bestimmten Routinen geschieht, die ihrerseits auf theoretischen Modellen oder auf vorausgegangenen Erfahrungen basieren. Ist es daher nicht nur zu natürlich, dass die Ergebnisse unsere Erwartungen bestätigen oder – wenn sie es nicht tun – ausgezeichnet in bereitgehaltene Modelle hineinpassen? Stimmt diese Behauptung überhaupt?

Wie kommt es, dass uns Worte wie "Unendlichkeit", "Schwarzes Loch" oder "Quantensprung" so leicht über die Lippen gehen? Die so bezeichneten Ereignisse zu verstehen bedarf einigen intellektuellen Kapitals, sie sich vorzustellen ist (fast) unmöglich, aber die Wissenschaft ist schon so weit in unser Alltagsleben eingedrungen, dass wir diese sprachlichen Bilder in unseren Wortschatz eingebaut haben und ganz selbstverständlich benutzen. Ist die Visualisierung (und damit oftmals Simplifizierung) der Wissenschaft nicht einerseits Vehikel, uns diese Denkweise und Weltsicht aufzudrängen, andererseits nicht Grundstein eines quasi-religiösen Weltgebäudes, innerhalb dessen wir völlig selbstverständlich glauben, was die Wissenschaft erzählt? Schaffen die schönen Bilder nicht eine trügerische Sicherheit?

Im zweiten Teil werden die Wechselbeziehungen zwischen Wissenschaft und Kunst genauer betrachtet. Inwiefern können sich beide befruchten? Kann und soll die apollinisch-dionysische Dialektik überhaupt überwunden werden? Auf wissenschaftlicher Seite drängt sich der Verdacht auf, dass das kreative Potential der Künstler aus ökonomischen Gründen ausgebeutet werden soll – vor allem in interdisziplinären Projekten, an denen ein oder zwei Künstler teilnehmen, um "kreativen Input" zu erzeugen. Den Künstlern wiederum könnte man vorwerfen, auf einer populären Welle mitzureiten, um ihrerseits Gewinne zu erzielen. Es gibt aber auch ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen den Disziplinen und nicht wenige Ähnlichkeiten in der Entwicklung von Ideen und der Arbeitsmethoden. Nicht zuletzt gibt es eine signifikante Anzahl von grundsätzlich ähnlichen Ideen, die mitunter zeitversetzt auftreten und für die Martin Kemp den Begriff "strukturelle Intuitionen" geprägt hat.

Untersuchungsgegenstand soll zuletzt noch die Bildsprache der wissenschaftlichen Visualisierungen sein: Ist sie von der Kunst entliehen, mit ihr vergleichbar? Hilft das Vermögen, künstlerische Bilder intuitiv zu erfassen und zu interpretieren auch im wissenschaftlichen Bereich? Sind wir überhaupt erst durch die kulturelle "Vorarbeit" der Kunst in der Lage, visualisierte abstrakte Sachverhalte zu begreifen?

Die Beantwortung all dieser Fragen soll die These untermauern oder untergraben, dass die Wissenschaft unser Weltbild erzeugt, vielleicht weist sie auch darauf hin, dass die Kunst unbedingt notwendig ist, das Weltbild zu komplettieren. Wichtig ist aber vor allem die Betrachtung der Kooperation und der Koexistenz der "zwei Kulturen", die in der Vergangenheit nicht selten Anfeindungen ausgesetzt waren – man denke nur an Bilder- respektive Maschinenstürme oder die Scheiterhaufen der Inquisition.

2. Warum werden Bilder erzeugt?

So simpel die Frage nach dem „Warum?“ auf den ersten Blick erscheinen mag, so vielfältig und teilweise überraschend sind die Antworten darauf. Brian J. Ford gibt vorerst eine generelle Antwort: „Scientific illustration has many functions. It adds dignity to a text. It can conceal a truth behind a welter of high-flown symbols. But essentially there are two main purposes – a didactic function, but also a separate and secondary purpose: the recording of the state of human understanding.“[1] Vorrangig wird hier die didaktische Funktion untersucht, die Funktion der Aufzeichnung und Archivierung soll den Historikern vorbehalten bleiben.

Außerdem werden nicht nur Illustrationen behandelt, sondern Visualisierungen anderer Art, welche sich aus besonderen Bedingungen und Bedürfnissen heraus ergeben. Grundsätzlich ist es für diese Arbeit auch sinnvoll, eine weitere Unterscheidung zu treffen: einerseits Bilder, welche für Publikationen welcher Art auch immer genutzt werden, also für die Öffentlichkeit bestimmt sind, andererseits Bilder, die von Wissenschaftlern für Wissenschaftler produziert werden. Naturgemäß gibt es hier eine nicht gerade kleine Schnittmenge, Bilder also, die beiden Seiten zugänglich sind und Nutzen bringen. Diese werden in der Arbeit auch vorrangig betrachtet, vorerst jedoch werden beide Seiten getrennt voneinander untersucht.

2.1 Warum Bilder für die Wissenschaft?

Auf diese Frage gibt es sogar mehrere Antworten; bestimmt werden diese sowohl vom zeitlichen Status des wissenschaftlichen Prozesses als auch vom jeweiligen Zweig der Forschung. Innerhalb des Prozesses steht am Anfang oft eine Ideenskizze, eine Manifestation des mentalen Bildes einer aufkeimenden Idee. Viele Wissenschaftler lehnen dies jedoch ab: „Coupled with the deep-seated conviction that human thinking takes place in words the supposition persists that the pictures in science are psychological devices that serve as heuristic aids when reasoning breaks down.“[2] Es gibt jedoch genügend Anekdoten (z.B. über Albert Einstein), die belegen, dass oftmals Ideen nicht zuerst in verbaler Form, sondern eben als mentales Bild auftreten – welches dann, um es nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen, festgehalten wird.

Im weiteren Verlauf des Prozesses werden Bilder/Visualisierungen weiterhin didaktisch oder aber für empirische Zwecke genutzt. Didaktisch zum Beispiel, um Modelle zu visualisieren, die gelehrt werden sollen oder über die man mit Kollegen oder interdisziplinär diskutieren kann. Mittlerweile kommen Präsentationen innerhalb der wissenschaftlichen Community eigentlich nicht mehr ohne Visualisierungen, welcher Art auch immer, aus - um den aktuellen Wissensstand schnell anderen Kollegen zu vermitteln oder kompakt abrufbar bereitzuhalten. "»Ich will die Folien sehen«, heißt es, und »sie haben ja keine Plots«, das heißt, sie haben die Arbeit nicht gemacht."[3]

Empirisch benötigt man Visualisierungen sowohl zur Datenaufzeichnung als auch zu deren Auswertung – oftmals werden große Datenmengen, die in Zahlen- oder Buchstabenform vorliegen, zu graphischen Darstellungen komprimiert, um daraus dann Muster, das Fehlen von Mustern oder Abweichungen ablesen zu können. Diese Methode ist weitaus effektiver, als in endlosen Zahlenkolonnen nach abweichenden oder sich wiederholenden Werten Ausschau zu halten. Aber nicht nur das – sie können auch als Speicher benutzt werden: "Bilder sind sehr kompakte und anschauliche Informationsträger. Sie können eine große Informationsdichte auf kleinstem Raum beinhalten (ein farbiges Luftbild mit Bildformat 23 cm x 23 cm repräsentiert unkomprimiert etwa 3 Gigabytes an Informationen) [...]"[4] In beiden Fällen sind die Bilder vor allem einfach "Werkzeuge, mit denen gearbeitet wird."[5]

Die Datenaufzeichnung kann auf vielfache Weise erfolgen (heute meist auf maschineller Basis), immer jedoch gilt: „Visual depictions [...] give us tangible images of bits and pieces of nature, but they do not aim at recording what is visible.“[6] Was nichts anderes bedeutet, als dass die Wissenschaft vor allem an nicht sichtbaren Phänomenen und deren Erforschung interessiert ist. In schönster aufklärerischer Tradition des „Mehr Licht!“-Imperativ versucht die Wissenschaft Dinge aufzudecken, die sich vor den natürlichen Sinnen der Menschen im Verborgenen halten. Dies umfasst Beobachtungen im mikro- oder makroskopischen Bereich, die Aufzeichnung aller Arten nicht-sichtbarer Strahlung (wobei man hier eine Unterscheidung treffen muss: wird die Strahlung von externen Objekten ausgesandt oder aber von den Aufzeichnungsgeräten selber, um beobachtend in das Innere massiver Objekte eindringen zu können?) oder aber Prozesse und Abläufe, die nicht mit dem menschlichen Zeitempfinden kompatibel sind – also entweder zu schnell oder zu langsam für unser Wahrnehmungsvermögen verlaufen.

Letztlich, am Ende des Forschungsprozesses, werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, vielleicht wird eine neueTheorie begründet, vielleicht eine alte Hypothese widerlegt. Wenn Bilder hier beteiligt sind, dann meist aus rein kommunikativen Gründen: sie sollen bei der Präsentation der Ergebnisse hilfreich sein, sollen sie verdeutlichen und vielleicht auch den Sachverhalt vereinfacht darstellen, denn – sie sind für eine mehr oder minder vorgebildete Öffentlichkeit bestimmt.

2.2 Warum Bilder für die Öffentlichkeit?

Wissenschaftliche Bilder oder bildähnliche Erzeugnisse, welche einem (nicht näher definiertem Publikum) zugänglich gemacht oder speziell dafür hergestellt werden, haben hauptsächlich zwei (Unter-) Funktionen: einmal wieder die didaktische und, zweitens, die der Unterhaltung. Die erste Art von Bildern hat klar definierte Aufgaben. Sie wirken affirmativ zum Text, unterstreichen verbal formulierte Sachverhalte oder sparen sogar jede Menge Text ein, indem sie die Beschreibung rein äußerlicher Eigenschaften überflüssig machen. Auch kompliziert zu beschreibende Prozesse können in einfachen Schemata dargestellt werden, wobei hier schon ein wesentliches Problem zu Tage treten kann, welches in der Arbeit immer wieder auftauchen wird: der Autor des Bildes muss, genau wie der Autor des Textes, berücksichtigen, mit welchen konzeptuellen und perzeptuellen Konventionen der vermutliche Leser/Betrachter vertraut ist. Ist er vollständiger Laie oder verfügt er über elementare Vorkenntnisse (wenn ja: welchen Grades?) auf dem jeweiligen Gebiet? Auch wenn es oft so scheinen mag, aber ein Bild simplifiziert und ent-abstrahiert nicht immer und könnte, wenn schlecht gewählt, eher noch zu Missverständnissen beitragen.

Weitaus populärer und spektakulärer sind Bilder oder Visualisierungen, welche vorrangig der Unterhaltung dienen (auch wenn in den weitaus meisten Fällen ein didaktisches Moment nicht abgesprochen werden kann). In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam zunehmend der Begriff des „Infotainments“ in Mode, was Kulturpessimisten nur zu verstärktem traurigen Kopfschütteln veranlasste, Optimisten jedoch (und vermutlich noch immer) von der Bildung der Massen durch die Medien träumen ließ. Bis heute haben sich viele Print- („Focus“, „P.M.“) und TV-Formate („Galileo“, „Welt der Wunder“) erhalten, die den Pessimisten wohl recht geben. Bloße Fakten werden aneinandergereiht und als Information oder gar Wissenschaft bezeichnet und vor allem mit vielen bunten Bildern geschmückt. Da kann es schon mal vorkommen, dass es bei der TV-Explosion einer Supernova mörderisch kracht – im luftleeren Raum.

Verübeln kann man es diesen Medien kaum: Printerzeugnisse leben von ihrer Auflage und aus der Tradition der „Illustrierten“, TV-Programme von der Einschaltquote. Die präsentierten Inhalte müssen also ein Höchstmaß an Attraktion mitbringen – und das erreicht man am besten auf der visuellen Ebene, da diese letzlich auch viel schneller erfassbar ist als gedruckter oder gesprochener Text.

Aber selbst Formate, denen ein seriöser Hintergrund attestiert wird („Nature“, BBC-Dokumentationen) bedienen sich immer häufiger verdächtig ästhetischer, eleganter und oft nicht weniger spektakulärer Bilder – beugen sich offenbar dem von ihnen vielleicht sogar (mit) ausgelösten Trend. Damit könnte ein Problem evoziert werden, dass Bert S. Hall vorsichtig so ausdrückt: „[...] the elegance of an illustration may seduce the viewer into accepting as true something that is not.“[7] – dass also ein (teilweises) Weltbild im Betrachter entsteht, dass von der Realität abweicht und so vielleicht auch gar nicht intendiert war. Außerdem können solche Bilder auch zu einer Mythifizierung und Mystifizierung der Wissenschaften beitragen: „An elegant picture [...] may affect us emotionally so strongly that we unconsciously employ words derived from witchcraft to describe our feelings – we are 'charmed', 'beguiled', or 'entranced'.“[8] Andererseits kann man es auch positiv sehen – wenn man durch ein Bild emotional berührt wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sich näher mit dem offerierten Thema befasst, den Text dazu doch noch liest, die Sendung doch im ganzen anschaut.

Dennoch ist es offensichtlich, dass auch die Wissenschaftler selbst Wert legen auf Eleganz, Harmonie und Ästhetik ihrer (veröffentlichten) Visualisierungen, denn auch wissenschaftliche Publikationen werden mit ihnen meist reichlich ausgestattet. "[...] it is clear that representations of various aspects of science have always been, and indeed still are, influenced and enriched by an aesthetic input."[9] Einerseits steht dies im Widerspruch zur allgemeinen Auffassung von Wissenschaft – kühl, sachlich, rational, aufs Wesentliche beschränkt; andererseits scheinen Wissenschaftler geradezu ein Bedürfnis danach zu haben, ihre Ergebnisse ansprechend zu präsentieren. Dazu werden im nächsten Abschnitt Martin Kemps Spekulationen genauer betrachtet.

2.3 Warum aber sind die Bilder schön?

Martin Kemp, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Oxford, beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den Schnittstellen von Kunst und Wissenschaft. Seine Forschungen begannen bei Leonardo da Vinci, umfassen die Zeit der Renaissance bis heute und wurden in Buchform und regelmäßigen Kolumnen in der Zeitschrift "Nature" veröffentlicht. Innerhalb seiner Arbeit ist er zu Ansichten gelangt, die man vielleicht mit "ganzheitlich" umschreiben könnte. Da er gerade nicht in den exakten Wissenschaften arbeitet, sind seine Ideen als Hypothese zu verstehen, welche er jedoch schlüssig darlegt.

Ausgehend von einem Verständnis von Wahrnehmung, dass von tief verwurzelten (ererbten, angelernten) Prinzipien und psychischen als auch physischen Parametern abhängig ist, also grundsätzlich von Mensch zu Mensch verschieden, konstatiert er jedoch auch fundamentale Gemeinsamkeiten, die uns befähigen, die Dinge ähnlich oder gleich wahrzunehmen und welche wohl auch überwiegen. Diese Gemeinsamkeiten nennt er "Tiefenstrukturen der Intuition bzw. der Anschauung"[10], wobei es sich um Wahrnehmungs- und daraus resultierende Verhaltensmuster handelt, welche auf einer prä- bzw. subsprachlichen Ebene arbeiten, ähnlich Instinkten also.

Als Beispiel benennt er dabei die Fähigkeit, einen zugespielten Fußball zurückzuspielen, ohne Wissen um die dabei wirkenden physikalische Gesetze, ohne Möglichkeit, das Ziel der Flugbahn zu computieren und unabhängig vom kulturellen Hintergrund – eine reflexhaft und instinktiv ausgeführte Bewegung. "An den Strukturen der äußeren Welt, in der wir zu handeln gezwungen sind [...], hat sich die innere Struktur der Intuition herausgebildet – in einem ständigen, sich wechselseitig verstärkenden und immer wieder neu aufeinander einstimmenden Dialog zwischen Vorgabe und Anpassung."[11] Diese intuitive Wahrnehmung wiederum orientiert sich an Ordnungs- und Kategorisierungsmaßstäben, die kulturell vorgegeben sind, wobei das Verlangen nach Ordnung und Kategorien selbst in den Tiefenstrukturen bereits enthalten ist.

In dieser Ansicht finden sich sowohl konstruktivistische Elemente als auch Teile der Gestalttheorie wieder: "Nach der Theorie des Konstruktivismus sind frühere Erfahrungen und der Kontext, in dem sich ein Objekt präsentiert, entscheidend, um eine Vermutung über die reale Form und seine Position im Raum anzustellen."[12] Offenbar reicht aber die Vermutung allein nicht aus bzw. dürfte es sich nicht um eine Vermutung im herkömmlichen Sinne handeln, da gerade im Sport Reaktionen in Sekundenbruchteilen erfolgen, unterhalb der Zeitgrenze bewusster Entscheidungen. "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, sagen die Gestalttheoretiker. Wahrnehmung entsteht aus der Organisation der Sinneseindrücke, nicht durch bloße Assoziation, das heißt Zusammenfügung."[13] (kursiv im Original)

Was aber hat das mit dem Bedürfnis nach, dem Erkennen und auch dem Schaffen von schönen, eleganten, graziösen, ästhetischen Dingen zu tun? "Unser 'ästhetischer Impuls', so scheint mir, ist Teil eines Feedback-Mechanismus, der uns in unserem ungeheuer anspruchsvollen Bemühen bestärkt, den natürlichen Ordnungen, mit denen wir arbeiten können und müssen, wenn wir überleben wollen, einen kohärenten Sinn zu geben. Unserer Freude an Mustern und an Symmetrie, an Ordnung und ihrer kalkulierten Durchbrechung, unsere Lust an minutiösen Unterscheidungen und Ähnlichem mehr schafft ein System der Befriedigung und Belohnung. Wir besitzen die Fähigkeit, dieses System künstlich zu aktivieren; und wir haben diese Fähigkeit kultiviert, in der Wissenschaft nicht weniger als in der Kunst."[14] Wir sind also einem ästhetischen Lustprinzip unterworfen, bei dem man sogar spekulieren kann, ob es sich nicht um einen evolutionären Mechanismus handelt: wenn das generelle Erkennen von Mustern und Ordnungen einen evolutionären Vorteil (vielleicht sogar einen Überlebensvorteil) darstellen, dann wird das Training dafür eben mit Lustgewinn belohnt. Ein Hinweis darauf wäre, dass Menschen vor allem symmetrische Gesichter und Körper als besonders schön empfinden und diese damit auch hinsichtlich der Weitergabe ihrer Gene besonders attraktiv sind.

[...]


[1] Ford, Images of Science, S.2

[2] Baigrie, Picturing Knowledge, S.XVII

[3] Karin Knorr Cetina, »Viskurse« der Physik, in: Heintz / Huber, Mit dem Auge denken, S.309

[4] Armin Grün, Von der digitalen zur virtuellen Erde, in: Heintz / Huber, Mit dem Auge denken, S.83

[5] Bettina Heintz / Jörg Huber, Der verführerische Blick, in: Heintz / Huber, Mit dem Auge denken, S.28

[6] Baigrie, Picturing Knowledge, S.XIX

[7] Bert S. Hall, The Didactic and the Elegant, in: Baigrie, Picturing Knowledge, S.28

[8] ebda., S.29

[9] Ken Arnold, Between Explanation and Inspiration: Images in Science, in: Ede, Strange and Charmed, S.73

[10] Kemp, Bilderwissen, S.12

[11] ebda., S.13

[12] Maffei / Fiorentini, Das Bild im Kopf, S.4f

[13] ebda., S.9

[14] Kemp, Bilderwissen, S.13

Excerpt out of 71 pages

Details

Title
Wissenschaft im Bild - Über die Beziehungen der Naturwissenschaften zu ihren Bildern
College
University of Applied Sciences Potsdam  (Fachbereich Architektur, Studiengang Kulturarbeit)
Grade
2,0
Author
Year
2003
Pages
71
Catalog Number
V26261
ISBN (eBook)
9783638286589
File size
597 KB
Language
German
Keywords
Wissenschaft, Bild, Beziehungen, Naturwissenschaften, Bildern
Quote paper
Falko Neubert (Author), 2003, Wissenschaft im Bild - Über die Beziehungen der Naturwissenschaften zu ihren Bildern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26261

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