Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Philippinen als spanische Kolonie
3. Die Entstehung des philippinischen Nationalgefühls Ende des 19. Jahrhunderts
4. José Rizal und die Liga Filipina
4.1. Kindheit, Jugend und Ausbildung José Rizals
4.2. Die Rolle der spanischen Sprache in der nationalen Bewegung unter Rizal
4.3 Die Liga Filipina und die Katipunan
4.4. Rizal in der Verbannung, die philippinische Revolution von 1896 und Tod Rizals
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die gemeinsame Sprache zählt als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel zusammen mit der gemeinsamen Kultur zu den wichtigsten Merkmalen eines Volkes. Das Volk wiederum wird im Staatsrecht – hier bezeichnet als Staatsvolk – neben Staatsgebiet und Staatsgewalt als elementarer Bestandteil eines Staates genannt. [1] In der vornationalen Zeit war die Schriftsprache ein Abgrenzungsmittel der Machthaber gegenüber der einfachen Bevölkerung. Ich verdeutliche dies anhand einiger Beispiele:
Im mittelalterlichen Europa wurden wissenschaftliche Werke vorwiegend in lateinischer Sprache verfasst, die das ungebildete Volk sowieso nicht lesen konnte. In der frühen Neuzeit wurde in vielen europäischen Königs- und Fürstenhäusern französisch gesprochen. [2] Die eigentliche Sprache des Volkes existierte dagegen hauptsächlich als gesprochene Sprache ohne Schriftform.
In der Kolonialzeit, beginnend im späten 15. Jahrhundert, führten die jeweiligen Kolonialherren in ihren Kolonien die eigene (Landes)Sprache ein, welche von der ansässigen Bevölkerung natürlich nicht verstanden wurde. Die Sprachen der Einheimischen waren weder in der Verwaltung noch in sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens von Bedeutung. Erst mit dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert – zunächst in Europa, später auch in den Kolonien Afrikas, Südamerikas und Asiens – erhielten die Volkssprachen ihre heutige wesentliche Bedeutung als nationale Identifikationssymbole und dienten zunächst den nationalen Bewegungen zur Kommunikation und Verbreitung ihrer Gedanken und Ziele, später schliesslich den neuen Nationalstaaten als Landessprachen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rolle von Sprache und Schrift in der nationalen antikolonialen Bewegung auf den Philippinen im späten 19. Jahrhundert. Dabei soll vor allem dargestellt werden, auf welche Art und Weise in diesem Falle die spanische Sprache Organisationen wie der Liga Filipina als Transportmedium zum Erreichen der philippinischen Bevölkerung diente.
2. Die Philippinen als spanische Kolonie
Die Philippinen wurden vom Weltumsegler Ferdinand Magellan, einem portugiesischen Seefahrer in spanischen Diensten, im Jahre 1521 für den europäischen Kulturraum entdeckt und in Besitz genommen. [3] Bis dahin wurde das Archipel von muslimischen Herrschern regiert, die den Islam schon im 14. Jahrhundert in das Land gebracht hatten. Magellan nannte das entdeckte Land „St.-Lazarus-Inseln“ („Las Islas de San Lazaro“). [4] Die Namensgebung „Philippinen“ („Las Islas Filipinas“) erfolgte 1543 zu Ehren des spanischen Infanten Philipp II. Mit der Gründung der ersten spanischen Siedlungen im Jahre 1565 und dem Sieg über die muslimischen Herrscher wurden die Philippinen zur spanischen Kronkolonie. Diesen Status behielten sie bis 1898 bei. 1571 gelang den Spaniern die Eroberung Manilas. Die spanische Herrschaft wurde nach und auf die gesamte Inselgruppe ausgedehnt und erreichte somit auch die „Barangays“ genannten Dorfgemeinschaften, die bis dahin selbstverwaltet waren und nicht von zentraler Stelle aus geführt wurden. Die Häuptlinge dieser Barangays wurden von den spanischen Kolonialherren nicht entmachtet, sondern sie unterstützten diese fortan als „Mittler zum Volk“. Im Gegenzug konnten sie sich von den ansonsten von der Bevölkerung zu verrichtenden Frondiensten freikaufen und genossen diverse weitere Privilegien. Die Häuptlinge wählten einen so genannten Gobernadorcillo. Diesem stand der Provinzgouverneur vor, welcher grundsätzlich ein Spanier war und vom Generalgouverneur eingesetzt wurde. [5]
Kurze Zeit nach der Landnahme erfolgte die Missionierung der ansässigen Bevölkerung durch römisch-katholische Orden. Der Katholizismus wurde zur Staatsreligion. Es bestand eine Einheit von Staat und Kirche: Neben den staatlichen gab es klerikale Verwaltungsstrukturen. Anders als in Südamerika gelang die Missionierung im Grossen und Ganzen gewaltfrei, wenn auch einige muslimische Gebiete im Süden der Philippinen sowie das Bergland Nordluzons nie ganz vom Katholizismus wie auch von der spanischen Administration überhaupt kontrolliert werden konnten.
Die katholischen Mönchsorden erlangten auf lokaler Ebene eine grosse Macht, die sogar jene der weltlichen Staatsfunktionäre übertraf. [6] Von der Regierung in Manila wurde dies geduldet. Zwar wurde vereinzelt versucht, die staatlichen Stellen gegenüber den Mönchsorden zu stärken und zu diesem Zwecke sogar die Einsetzung einheimischer, philippinischer Geistlicher zu fördern. Aufgrund rascher Wechsel im Amt des Generalgouverneurs sowie der strategischen örtlichen Vorteile der Mönche, die nicht selten ihr ganzes Leben an einem Ort verblieben und eine wichtige Informationsquelle für die Regierung waren, konnten sie sich immer wieder durchsetzen. [7] Zudem wurde die Einsetzung einheimischer Geistlicher in Pfarrämter vor dem Hintergrund der Rolle dieser Filipinos im Falle einer möglichen Revolution zunehmend kritisch gesehen. [8]
Tatsächlich kam es in der Epoche der spanischen Fremdherrschaft auf den Philippinen immer wieder zu Aufständen und Rebellionen, die ihre Ursache in der Machtausübung der spanischen Administration, aber auch im Wirken der Missionare hatten. [9] So rebellierten beispielsweise im Jahre 1601 die Igorots in der Bergregion Nordluzon und widersetzten sich der Christianisierung. Auch auf der zentralphilippinischen Insel Bohol kam es 1621 zu Unruhen, als der Priester Tamblot die Bevölkerung zur Rückkehr zu ihrer alten Religion aufrief. Diesem Aufruf folgten 2.000 Menschen. [10]
Die Spanier reagierten mit Härte und Brutalität auf derartige Vorkommnisse. Ebenfalls auf der Insel Bohol ereignete sich 1744 ein Aufstand, nachdem sich ein Einheimischer einer Gefängnisstrafe wegen Abfalls vom Christentum widersetzte, dabei einen einheimischen Polizisten tötete und schliesslich selbst ums Leben kam. Dem Racheschwur des Bruders des Getöteten folgten 20.000 Einheimische, die daraufhin in den Bergen einen Rebellenstaat gründeten. Dem spanischen Militär gelang die Zerschlagung dieser Widerstandsbewegung von Bohol erst im August 1829. [11]
1840 gründete Hermano Pule eine eigene Bruderschaft, nachdem ihm die Aufnahme in einen spanischen Orden wegen seiner philippinischen Abstammung verwehrt worden war. Die Bruderschaft trug den Namen Cofradia de San José und nahm ihrerseits ausschliesslich Filipinos auf. 1842 wurde sie vom spanischen Militär zerschlagen. [12]
Auch die Eingriffe der spanischen Administration in das Leben der philippinischen Bevölkerung, sei es durch Steuern, Besitznahmen oder Arbeitsleistungen wie Frondienste, stiess nicht selten auf Widerstand. Begünstigt wurde dieser Widerstand nicht zuletzt durch die immer bessere Infrastruktur, die die Dorfgemeinschaften untereinander vernetzte, sondern auch durch die politische Unstabilität Spaniens im 19. Jahrhundert, die schnelle Wechsel im Amt des Generalgouverneurs auf den Philippinen zur Folge hatte. [13]
3. Die Entstehung des philippinischen Nationalgefühls Ende des 19. Jahrhunderts
Als Nation wird eine Gruppe von Menschen bezeichnet, die sich durch eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Traditionen, Sitten und Gebräuche sowie eine gemeinsame Abstammung auszeichnen. Der Nationsbegriff erweitert damit den schon eingangs erwähnten Begriff des Staatsvolkes, auch wenn Staat und Nation begrifflich oft gleichgesetzt werden.
Im Studienbrief 03812 KE3 im BA Bildungswissenschaften der Fernuni Hagen wird „Nationalstaat“ wie folgt definiert:
Der Nationalstaat versteht sich als die territorial abgegrenzte gesellschaftliche und staatliche Organisationsform einer Nation. Nationalstaaten begreifen sich deshalb als ethnisch homogen und besitzen eine Nationalsprache, die alle Angehörigen der Nation sprechen; die ethnischen Grenzen sollen mit den staatlichen übereinstimmen. [14]
Kleiner Exkurs: es bilden und bildeten längst nicht alle Länder eine „sprachliche Einheit“. Bei uns in der Schweiz gelten beispielsweise vier Landessprachen, die allesamt als solche anerkannt sind. Ergo bildet die Schweiz keine sprachliche Einheit und würde der Definition aus besagtem Studienbrief wiedersprechen. Denn: nationale Identität bildet sich unter anderem auch aus kollektivem Bewusstsein. Eric Hobsbawn [15] und Reinhard Koselleck [16] gehen in ihren Büchern detailliert auf diese Fragen ein, welche aber im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt werden können. Heckmann [17] führt diese Überlegungen fort und geht in seinem Werk detailliert auf den Fall Schweiz ein (und bringt dabei dann auch noch Wilhelm Tell ins Spiel).
Für die Philippinen konnte zu Beginn der spanischen Fremdherrschaft im 16. Jahrhundert, als das Land zum grossen Teil aus selbstverwalteten Barangays („Gemeinschaften“ oder auch „Familienclans“) bestand, von einer Nation – unabhängig auf welche Definition zurückgegriffen wird – kaum die Rede sein. Auf dem Archipel existierte eine Vielzahl von Stämmen und Sprachen, ein Zusammengehörigkeitsgefühl bestand ebensowenig wie landesweite Bräuche, Sitten und Traditionen.
[...]
[1] Vgl. Jellinek, 1960, S. 484 ff.
[2] So erhob beispielsweise Katharina die Große (1729-1796) während ihrer Regentschaft als Zarin von Russland das damals als modern geltende Französisch zur Hofsprache.
[3] Vgl. Simons, 2001, S. 6
[4] Vgl. Lacsamana, 1997, S. 47
[5] Vgl. Schauerte, 2006, S. 4
[6] Vgl. Osterhamel, 2002, 101
[7] Vgl. Dahm, 1974, S. 14
[8] Vgl. ebd, S. 14
[9] Vgl. Simons, 2001, S. 8
[10] Vgl. ebd, S. 8
[11] Vgl. ebd., S. 8
[12] Vgl. ebd., S. 9
[13] Vgl. ebd, S. 9
[14] Vgl. Wenning 2005, S.69
[15] Hobsbawm Eric: Nationen und Nationalismus, Mythos und Realität seit 1780, deutsche Ausgabe, Campus, Frankfurt/New York 1991
[16] Koselleck, Reinhard, Volk, Nation, Nationalismus, Masse. In: Brunner, O., Conze, W. und Koselleck, R. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, 1972, S. 141–431
[17] Heckmann, Friedrich, Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie
inter-ethnischer Beziehungen. Stuttgart 1992