Selbstbestimmung über Liebe,Partnerschaft und Sexualität im Alter(-sheim)

Aktueller Forschungsstand und Empfehlungen für zukünftige Forschung


Bachelor Thesis, 2013

60 Pages, Grade: 1,5


Excerpt


Inhalt

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Das Alter, Sexualität und Alterssexualitä
2.2 Liebe und Partnerschaft im Alte
2.3 Gesundheit, Wohlbefinden und Selbstbestimmung
2.4 Fragestellung

3 Literaturrecherche
3.1 Datenbanken
3.2 Schlagwörte
3.3 Ein- und Ausschlusskriterien

4 Ergebnisse
4.1 Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alte
4.1.1 Sexualität im Alte
4.1.2 Sexuelle Aktivität über die Lebensspanne
4.1.3 Sexuelles Verlangen über die Lebensspanne
4.1.4 Einfluss von Alter, biologische und psychosoziale Faktoren
4.2 Einstellungen zur Sexualität im Alter(-sheim
4.2.1 Einstellungen und Wissen in Langzeitpflegeeinrichtungen
4.2.2 Einstellungen zur Sexualität in Pflegeheimen
4.2.3 Einstellungen zur Sexualität in Wohn- und Altersheimen
4.3 Auswirkungen von Sexualität und Ehe auf die Gesundhei
4.3.1 Gesundheit und Dimensionen der Sexualität im Alte
4.3.2 Zusammenhang zwischen Familienstand und Mortalitä
4.3.3 Lebensqualität im Alte

5 Diskussion
5.1 Zusammenfassung
5.2 Methodische Einschränkungen und Empfehlungen
5.3 Implikationen für zukünftige Forschung

6 Pressemitteilung

7 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

Im Jahre 2009 lebten 1,5 Millionen Menschen in Deutschland die mindestens 85 Jahre alt waren. Mitte 2050 wird der Anteil der über 85-jährigen voraussichtlich etwa bei 6 Millionen liegen (statistisches Bundesamt, 2011). Angesichts des demografischen Wandels, mit einer deutlichen Zunahme älterer und alter Menschen in der Bevölkerung, gewinnt das Thema Gesundheit, Prävention und Selbstbestimmung an Bedeutung (Bruch, Kunze & Böhm, 2010). In der Medizin wird es voraussichtlich nicht mehr in erster Linie um die Lebensverlängerung als solche gehen, sondern um die Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität. Weg von der pathogenetischen Sicht hin zu einem salutogenetischen Ansatz: Es wird nicht mehr danach gefragt, was den Menschen krank macht, sondern was ihn gesund hält (Berberich & Brähler, 2001). Dazu ist es wichtig die individuellen Voraussetzungen, Lebensumstände und Lebensverläufe, ebenso die damit einhergehenden Chancen und Risiken für Gesundheit und Wohlbefinden im Alter zu betrachten. Aktuelle Ergebnisse aus der Lebensqualitätsforschung und der Medizin belegen, dass Zufriedenheit in den Bereichen „Liebe und Zuneigung“ sowie „Ehe und Partnerschaft“ als wichtige Prädiktoren für das subjektive Wohlbefinden gelten. Es konnte nachgewiesen werden, dass Ehe und eheliche Zufriedenheit, das Risiko nach einer Bypassoperation innerhalb von 15 Jahren zu sterben, deutlich verringert (King & Reis, 2012).

Liebe, Partnerschaft und Sexualität werden die meisten Menschen in ihrem Leben gelebt und erlebt haben. Die Sexualität ist ein integrierter Bestandteil der Gesamtpersönlichkeit und spielt bei der Erhaltung des psychophysischen und sozialen Wohlbefindens, auch bei älteren Menschen eine herausragende Rolle (Eitner, Rühland & Siggelkow, 1975). Diese Annahme unterstützen die Ergebnisse einer Studie über sexuelles Verlangen und sexuelle Aktivität von Männern und Frauen über die Lebensspanne. Darin postulieren die Autorinnen und Autoren Beutel, Stöbel-Richter, Daig, und Brähler (2008) zwar eine Abnahme des sexuellen Verlangens und der sexuellen Aktivität ab der Lebensmitte, allerdings bleibt sexuelles Verlangen bei einem Großteil Teil der Frauen und der Mehrheit der Männer bis ins hohe Lebensalter bestehen. Auch Weeks (2002) konnte in einer retrospektiven Analyse von sexuellen Biografien zeigen, dass gegenwärtige sexuelle Aktivität ein entscheidender Prädiktor für höhere subjektive Lebensqualität darstellt. Aufgrund der Beziehung zwischen gegenwärtiger und früherer erlebter sexueller Zufriedenheit, deduzierte er, dass Zufriedenheit und sexuelle Aktivität wesentliche Indikatoren für gegenwärtige und zukünftige Lebensqualität darstellen.

Um von einer eindimensionalen Betrachtung des Begriffes der Sexualität, nur in Hinsicht auf Lust, Verlangen und Häufigkeit abzusehen, differenzieren Autoren wie beispielsweise Loewit (2010) den Begriff ganz bewusst. Sie weisen auf die Bedeutung der Ganzheitlichkeit partnerschaftlichen Lebens hin. In diesem Zusammenhang spricht er von biopsychosozialen „ Existenzminima “, welche die universellen Grundbedürfnisse darstellen: nach Dazugehören, Angenommen-, Wertgeschätzt- und Respektiert werden, nach Zuwendung, Geborgenheit und Sicherheit. Biopsychosozial gesehen geht es immer um den ganzen, unteilbaren Menschen in seinen somatischen Funktionen, seinem psychisch-emotionalen Befinden und seinen sozialen Beziehungen (Loewit, 2010). Ob im Alter diese komplexe Form von Sexualität und Partnerschaft weiterhin gelebt werden kann ist abhängig von vielen Faktoren. So stellen körperliche Veränderungen, vorherrschende gesellschaftliche Normen, die Lebenssituation, die eigene Biografie, die Lebensumstände und die Lebensform, wesentliche Grundvoraussetzungen. Betrachtet man unter diesen Aspekten die vorherrschenden Bedingungen in Alters- und Pflegeheimen, wird schnell deutlich, dass hier durch das Fehlen von Häuslichkeit, Selbstständigkeit, mangelnder Privatsphäre, Identität und Autonomie der Rahmen für erfüllte Partnerschaft und Sexualität nur schlecht gegeben sein kann (Michelchen, 2008). Laut Thiele (2001) wird die Privatsphäre, trotz Einzelzimmer, kaum respektiert. Eine Umfrage in Altersheimen ergab, dass ein Drittel des Pflegepersonals nicht anklopft, bevor das Zimmer betreten wird (Bauer & Geront, 1999). Das Thema Liebe und Sexualität wird im täglichen Umgang mit den Heimbewohnerinnen und Bewohnern in aller Regel ausgeklammert, ist oft unerwünscht und führt zu Verunsicherungen seitens der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch des Personals (Thiele, 2001). Hier handelt es sich um eine Situation, die ein hohes Maß an Sensibilität und Empathie von Seiten der Pflegefachkräfte erfordert. Ein offener Austausch und fundiertes Wissen um die Vielzahl möglicher Formen von Partnerschaft und Sexualität wäre wünschenswert. Leider fehlen jedoch häufig fachlich kompetente Ansprechpartner, hier besteht großer Fortbildungsbedarf (Kästner, 2006). Mittel- bis langfristig gesehen muss auf Grundlage der demografischen Daten berücksichtigt werden, dass sich in Zukunft neue Modelle von Partnerschaften im Alter entwickeln (Berberich & Brähler, 2001). So werden junge Generationen das Alter unter völlig anderen Voraussetzungen leben als heutige Seniorinnen und Senioren (Baltes & Montada, 1996). Dazu gehört auch, dass Zärtlichkeit und Sexualität nach den individuellen Wünschen und Bedürfnissen, ohne einschränkende Tabus, gelebt werden kann (Gatzka-Höfler, 2008). Bei aufmerksamer Betrachtung gibt es dazu bereits heute wünschenswerte Ausnahmen im Bereich der Pflegeeinrichtungen.

Hierzu ein Auszug aus einer regionalen Tageszeitung im Oktober 2012:

Im Altenheim verliebt, verlobt und geheiratet . Renate und Lutz haben geheiratet, ... . Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, dass zwei Liebende sich zur Ehe entschließen. Bei Renate Gassner und Lutz Pörschke aber doch. Denn die 64-jährige Renate und ihr 70-jähriger Ehemann sind Bewohner des Caritas-Seniorenheims St. Irmengard in Traunstein. Dort haben sich die beiden vor eineinhalb Jahren kennengelernt, ineinander verliebt und nun geheiratet. … Für Lutz, den gebürtigen Potsdamer, war es Liebe auf den ersten Blick. »Sie ist neben mir auf dem Sofa gesessen und zwei Tage später war ich schon bei ihr im Zimmer«, schmunzelt der frischgebackene Ehemann. Und auch für Renate war die erste Begegnung im Altenheim mit Herzklopfen verbunden … . Als Lutz vor drei Jahren und Renate vor zwei Jahren ins Haus St. Irmengard kamen, waren sie sehr krank. Doch für beide ging es gesundheitlich wieder aufwärts und sie haben besonders durch die Liebe zueinander neuen Lebensmut gefunden. »Von nun an passen wir aufeinander auf«, sagt Lutz. Für beide ist es die zweite Ehe in ihrem Leben. … Im Caritas-Altenheim haben beide ihre eigenen Zimmer, doch eines wird als Wohnzimmer genutzt und das andere als gemeinsames Schlafzimmer.… pv

Wie dem Artikel zu entnehmen ist, fanden beide Lebenspartner durch die Liebe, Partnerschaft und Intimität wieder neuen Lebensmut und bessere Gesundheit. Dieser anzunehmende Zusammenhang stellt die grundlegende Idee zu den weiter unten genannten leitenden Fragestellungen dieser Arbeit dar.

Insgesamt ist die aktuelle empirische Forschungslage zum Thema Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alter breit gestreut, vielfältig untersucht und diskutiert, andererseits methodisch häufig wenig abgesichert. So beruhen viele Untersuchungen auf kleinen Stichproben und einer recht willkürlichen und fragwürdigen Auswahl der Erhebungspersonen (Thiele, 2001). Für die meisten Untersuchungen im Bereich der Sexualität, körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden gilt auch die Einschränkung, dass lediglich Korrelationen, nicht jedoch Kausalitäten untersucht wurden (Thiele, 2001). Das Thema Selbstbestimmung über Liebe, Partnerschaft und Sexualität in Hinsicht auf Wohlbefinden und Gesundheit im Alter scheint in der modernen Forschung völlig uninteressant und unbeforscht zu sein. Recherchiert man diese Bereiche mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten, Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alter, Einstellungen zur Sexualität im Alter(-sheim) und Auswirkungen von Sexualität, Partnerschaft und Ehe auf die Gesundheit, finden sich wiederum eine Vielzahl empirischer Studien. Daher ist eine Rezeption und Strukturierung wissenschaftlicher Literatur, in Hinsicht auf weitere spezifische Forschung, zunächst einmal unumgänglich.

Die vorliegende Arbeit gibt im Folgenden einen theoretischen Einblick über die Situation der alternden Gesellschaft. Verwendete Begriffe werden erläutert, abgegrenzt und miteinander in Bezug gesetzt. Hierzu wird die Literatur anhand folgender leitender Fragen überprüft: Wirkt sich Selbstbestimmung über Liebe, Partnerschaft und Sexualität in Hinsicht auf Wohlbefinden und Gesundheit im Alter(-sheim) aus? Und welche Unterschiede gibt es im Erleben von Liebe und Sexualität in Partnerschaften und Beziehungen im Alter? Anschließend wird mittels bisheriger empirischer Befunde zu den oben genannten unterschiedlichen Schwerpunkten überprüft, ob sich Zusammenhänge soweit belegen lassen, dass sich als übergreifendes Ziel der Arbeit konkrete Hypothesen für die zukünftige Forschung formulieren lassen. In der anschließenden Diskussion werden die Ergebnisse der Studien und Implikationen weiterführender Forschung hinsichtlich der Fragestellung erörtert. Die Erkenntnisse sollen die Wichtigkeit zukünftiger spezifischer Altersforschung hervorheben, besonders für das Gesundheits- und Sozialwesen, die psychosoziale und medizinische Beratung, Alters-, Pflege- und Wohnheime, die Marktwirtschaft, die Politik und nicht zuletzt für die allgemeine Bevölkerung selbst. Hier, besonders um Vorurteile und Ängste vor dem Alter abzubauen, Transparenz zu schaffen und um Chancen und Möglichkeiten im Alter besser einschätzen zu können.

2 Theoretischer Hintergrund

Warum Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alter gegenwärtig diskutiert wird, ist wohl nicht nur auf Grund der demografischen Entwicklung zu erklären. Auch die im Wandel befindlichen Vorstellungen vom „Leben im Alter“ könnten als möglicher Anstoß dazu zu sehen sein. Zunächst einmal stellt sich die Frage: Was bedeutet Alter? Einen umfassenden historischen Wertewandel des Altersbegriffes hier zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dennoch ist es wichtig einige Definitionen an dieser Stelle anzubringen, um die vorgestellten Studien in einen bestimmten Rahmen einzugliedern und um die einzelnen Konstrukte Selbstbestimmung, Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alter einzugrenzen.

2.1 Das Alter, Sexualität und Alterssexualität

Das Altern, darüber scheint sich die Forschung einig, ist ein relativer und höchst individueller Prozess. Das Alter selbst wird ebenso von gesellschaftlichen, wie auch von kulturellen Werten bestimmt (Busse, 1991). So zählten zu einer Zeit, in der nur wenige Menschen älter als 40 oder 50 Jahre alt wurden, diese zu den Alten (Brähler & Berberich, 2009). In der heutigen Zeit wird in Europa kaum jemand der 40 - 50 jährigen, selbst wenn er oder sie älter erscheint, als alt eingestuft (Thiele, 2001). Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2009) gelten Menschen in Europa ab 65 Jahre als „junge Alte“, zwischen 75 bis 80 Jahren als alt, zwischen 80 und 90 Jahren zählt man zu den „alten Alten“ und wer über 90 Jahre alt ist, zu den „ältesten Alten“. Eine klare einheitliche biologische, medizinische oder wissenschaftliche Definition, wann das Alter beginnt und wie es sich differenziert, gibt es nicht. So liefern auch die Altersbegriffe wie das chronologische Alter, das nach Jahren abgezählte und objektiv erfassbare Alter, oder der biologische Altersbegriff, welcher das veränderte Erscheinungsbild und Veränderungen hinsichtlich der physischen Fähigkeiten beschreibt, nicht ausreichend Informationen über die gesamte Spannbreite des Alters (Bruch, Kunze & Böhm, 2010). Der Begriff des psychologischen Alters kommt den Anpassungsprozessen des Menschen im Zeitverlauf schon näher. Er drückt sich aus im subjektiven Altersempfinden. Leistungsfähigkeit, Ressourcen und Kompetenzen sind nicht nur abhängig vom kalendarischen oder biologischen Alter, sondern von der gesamten Lebenssituation (Thiele, 2001). Deshalb können alte Menschen auch keinesfalls als homogene Gruppe betrachtet werden. So werfen, um hier nur einige Beispiele zu nennen, persönliche Biografien, Geschlechter- und Generationszugehörigkeit, soziokultureller Kontext, Religion, Gesundheit, Beruf, Familie und soziale Kontakte, die Frage nach der Notwendigkeit einer Binnendifferenzierung auf.

Laut sexualwissenschaftlicher Forschung führt das Älterwerden, zu einer Vielzahl von biologischen und körperlichen Veränderungen. Diese betreffen auch den Bereich der Sexualität (Rossow, 2012). Um auf das Problem der Operationalisierung in diesem Forschungsbereich hinzuweisen, ist es wichtig zu erörtern, wie Sexualität definiert wird. In vielen Studien wird Sexualität mit sexueller Aktivität bzw. Koitushäufigkeit gleichgesetzt. Untersuchungen führten hierbei zu unterschiedlichen Ergebnissen. So fand Hallström (1979) in einer Befragung von 800 Frauen im Alter von 45 - 60 Jahren eine invasive Korrelation der beiden Parameter „sexuelles Interesse“ und „sexuelle Aktivität“ zum Alter. Auch McCoy und Davidson (1985) bestätigten eine Abnahme des Interesses und der Aktivität, jedoch nicht des sexuellen Genusses und das Auftreten von Orgasmen. Andere Untersuchungen betonten die Variabilität der Reaktionen. So sprach ein Teil der Befragten von keinen Veränderungen, andere wiederum von Zunahmen sexueller Aktivität und sexuellen Interesses, aber auch von Abnahmen und/oder Verschlechterungen (Bitzer, 2003). Besonders bei alternden Frauen führten viele Studien zu einer unangemessenen Reduktion und Verzerrung der Befunde. Der demografische Kontext, dass derzeit ein Drittel der ab 65-jährigen Frauen alleinstehend und ohne Partner leben (durch „Männermangel“ bedingt), bleibt unberücksichtigt (Busse, 1991). Ebenso wurden mögliche Kohorteneffekte, wie z.B. die kindliche Sozialisation sehr alter Menschen im Sinne von beibehaltenem Konservatismus bezüglich Einstellungen zur Sexualität und große Verschwiegenheit, kaum berücksichtigt (Thiele, 2001). Dies führte häufig bei empirischen Untersuchungen zu Antwortverzerrungen durch Antwortverweigerung oder zu Erwünschtheitseffekten. Innerhalb der Forschung wird auch von männlicher und weiblicher Sichtweise berichtet. Während sich die männliche Sichtweise laut Ebberfeld (1992) wohl eher auf das Aufzählen von Häufigkeiten und die erektile Potenz richtet, stellte von Sydow (1991, 1992) und Freese (1996) die Sexualität von alternden Frauen in deren biografischen Kontext. Sie erweiterte mittels halbstrukturierter Interviews die Dimensionen auf das sexuelle Interesse, nicht koitale Aktivitäten, den sexuellen Genuss, sowie subjektive Erlebnisweisen und Bedeutungen. Da es sich in der vorliegenden Arbeit um Sexualität im Alter handelt, bleiben die rein biologischen Sichtweisen, wie beispielsweise von Wickler und Seibt (1983), Sexualität als den „Austausch und das Neukombinieren von genetischem Material“, bzw. als „Austausch und Rekombinieren von Erbmaterial“ zu betrachten, unberücksichtigt. In Anbetracht dieser Variationen kann von einer einheitlichen Definition zur Sexualität nicht die Rede sein.

Es stellt sich auch die Frage: Ändert sich die Sexualität im Alter? Gibt es ein Konstrukt Alterssexualität ? Und gibt es Unterschiede im Erleben von Sexualität und Zärtlichkeit bei Frauen und Männern? Sexualwissenschaftlerinnen und Sexualwissenschaftler bezeichnen, laut Sdun (2001), Alterssexualität als die letzte Phase menschlicher Sexualität. Dazu wird, vor allem aus Gründen statistischer Erhebungen, häufig ein bestimmtes kalendarisches Alter festgelegt. In der Regel ab dem 45. Lebensjahr im Sinne von Sexualität in der zweiten Lebenshälfte. Die damit verbundene Problematik wurde bereits erörtert. Grond (2011) beschreibt verschiedene Theorien zur Alterssexualität. Die verbreitete Defizit-Theorie geht davon aus, dass der alternde Mensch körperlich abbaut und deshalb entsexualisiert wird. Die Disuse-Theorie beschreibt die Atrophie der Genitalorgane durch Nichtgebrauch. Demnach kann Erektionsfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten bleiben, wenn sie gepflegt und trainiert wird. Die Austausch-Theorie konstatiert die Ablehnung von Sexualität bei älteren Frauen. Sie sollen verärgert sein über Ausbeutung und eine Ungleichverteilung von Chancen und Macht. Die Kontinuitäts-Theorie erklärt, dass sich das Verhalten eines Menschen im Alter nicht grundlegend verändert. Ein heterosexueller Mensch wird nicht plötzlich homosexuell, auch die Art und Weise der Sexualität ändert sich nicht wesentlich. Nach der Kommunikations - Theorie werden positive Gefühle, wie Liebe, der Wunsch nach Nähe oder Zuneigung als intime Handlungen gezeigt. Auch wenn diese Theorien zur Alterssexualität aufgestellt wurden, könnten einige von ihnen genauso gut auf viele jüngere Menschen übertragen werden. Es gibt wohl auch junge Frauen und Männer die Sexualität ablehnen, sich der Austausch-Theorie oder auch der Kommunikationstheorie zuordnen lassen können. Hieraus allein lässt sich ein Konstrukt wie Alterssexualität nicht ableiten. Betrachten wir Sexualität als ein natürliches Bedürfnis aller Menschen mit allen dazugehörigen Dimensionen, müssen die oben gestellten Fragen nach dem Verändern der Sexualität im Alter und die Frage nach dem Konstrukt der Alterssexualität wohl zunächst einmal mit „nein“ beantwortet werden. Denn sicher können alte, kranke und einsame Menschen mit allen Sinnen genießen (Grond, 2011), vorausgesetzt es besteht die Möglichkeit dazu. Im Sinne der gegebenen Möglichkeiten kann sich die Sicht auf ein mögliches Konstrukt wie Alterssexualität verändern. Weder Alter, noch Pflegebedürftigkeit scheint Sexualität auszuschließen, demnach werden Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen und in der privaten Pflege, mit der Sexualität älterer Menschen konfrontiert. Ein Konstrukt Alterssexualität scheint für die Bewohner von Wohn- und Altersheimen,- für Pflegeeinrichtungen, Pflegekräfte, sozialpsychologische Beratungsstellen und Gerontologen eine spezielle Bedeutung zu haben. Dadurch bedingt, dass sie häufig in unmittelbarer Nähe, der in aller Regel alten und oft auch kranken Pflegebedürftigen, arbeiten. Sie sind es, die alle menschlichen Regungen miterleben, bei der Erfüllung ihrer Wünsche aber nur bedingte Möglichkeiten haben sie dabei zu unterstützen. Hier spielen die persönlichen Einstellungen und Vorurteile zur Alterssexualität seitens der Bewohner, des Pflegepersonals, aber auch der Angehörigen, eine wesentliche Rolle. Dabei sind auch Unterschiede im sexuellen Verhalten und unterschiedlichen Vorlieben bei Männern und Frauen, aber auch zwischen kranken und gesunden Menschen zu berücksichtigen. (Waite, Laumann, Aniruddha & Schumm, 2009).

Das sexuelle Interesse überdauert oft die sexuelle Aktivität im Lebenslauf (von Sydow, 1992). Der Wunsch nach Geschlechtsverkehr, Phantasien, erotische Gedanken und Träume sind bei Männern wohl das ganze Leben lang vertreten, dennoch lässt sich im Alter eine Abnahme feststellen. Dies ist weniger bedingt durch das Alter an sich, wohl eher durch die Schwierigkeit eine/n passende Partnerin oder Partner zu finden oder aus gesundheitlichen Gründen ((Bucher, Hornung & Buddeberg, 2003). Verschiedene Ergebnisse sprechen dafür, dass sexuelles Interesse im Alter bei gesunden Männern weniger abnimmt als bei kranken Männern (von Sydow). Auch scheint sich Gesundheit auf das sexuelle Interesse bei Männern deutlicher auszuwirken, als bei Frauen (Bucher et al. 2003). Frauen hingegen messen nicht nur dem bloßen Vorhandensein eines festen Partners, sondern vor allem der Qualität des Sexuallebens eine größere Bedeutung zu (Bucher et al. 2003). Die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs scheint bei älteren Frauen viel stärker von der Gesundheit des Partners und dem Ausmaß an sexuellem Interesse bestimmt zu sein. Sexuelles Interesse und sexuelle Aktivität erwecken den Anschein im Wesentlichen ein partnerschaftliches Phänomen zu sein (Bucher et al. 2003).

Abschließend lässt sich zusammenfassen, das die Befunde aus der Literatur und Forschung zu den Begriffen Alter, Sexualität und Alterssexualität, keine einheitlichen Definitionen zu lassen. Dies scheint wiederum Auswirkungen auf die Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse zu haben. Unterschiedliche Operationalisierungen und Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu den Themen Alter, Sexualität im Alter und Alterssexualität zeigen die Notwendigkeit einer Binnendifferenzierung, da diese Begriffe nicht spezifiziert, unterteilt und einheitlich verwendet werden. Damit wird in dieser Arbeit keine bestimmte Definition verwendet, sondern in der Vorstellung der entsprechenden Studien auf die jeweilige Problematik verwiesen.

2.2 Liebe und Partnerschaft im Alter

Berberich und Brähler (2001) sehen Zufriedenheit in den Bereichen Liebe, Zuneigung und Partnerschaft als wichtige Determinante für das subjektive Wohlbefinden jedes Menschen. Ebenso stellt das Zusammensein mit einem Partner, in Verbindung mit Liebe und Vertrauen, eines der wichtigsten Lebensgüter älterer Menschen dar (von Sydow, 1992). Die Liebe wird in dieser Arbeit aus bindungstheoretischer Sicht betrachtet, damit ist nach Weiss (1980), die Verfügbarkeit des anderen wichtig für das eigene Wohlbefinden. Zudem sollen Gründe für eine positive Wertschätzung wie Respekt und Bewunderung, oder für den anderen zu sorgen, vorhanden sein. Eine Untersuchung von Davis, Katz und Jackson (1999) beschreibt die sexuelle Zufriedenheit als ausschlaggebend für die Stabilität von Partnerschaften. Am stärksten ausgeprägt, wenn beide Partner Anstrengungen unternehmen auf die Wünsche des anderen einzugehen. Die Bindung an den anderen scheint dafür verantwortlich zu sein, dass man sich nicht mehr einsam fühlt. Fisher, Aron, Mashek, Li und Brown (2002) stellten in ihrer Studie fest, dass als Basis sozialer Bindungen und als grundlegendes Element für Paarbindung, das Ausleben sexueller Lust zu sehen ist. Der in dieser Arbeit verwendete Begriff von Partnerschaft , schließt jede Form von zwischenmenschlicher Beziehung ein, in der nicht ausschließlich Sexualität gelebt wird. Es gelten Aspekte emotional naher Partnerschaften, wie häufiges Interagieren, sich gegenseitig beeinflussen und eine Vielzahl gemeinschaftlicher Aktivitäten ausüben, auch auf die Zukunft bezogen (McKinney & Sprecher, 1991). Aus diesem Grund wird der Begriff Ehe in dieser Arbeit mit dem Begriff Partnerschaft synonym verwendet. Einige Forschungen haben sich nur auf die Auswirkungen von Ehe auf die Gesundheit gerichtet, in diesem Fall wird Ehe unter Partnerschaftlichen Aspekten betrachtet, auch wenn es einer genaueren Differenzierung bedarf. Daher ist es nicht nur im Bereich der Forschung bedeutsam, sowohl die Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen im Alter zu betrachten, als auch die Verfügbarkeit von Lebens- und Sexualpartnern.

2.3 Gesundheit, Wohlbefinden und Selbstbestimmung

Die Lebensqualitätsforschung beschäftigte sich bisher hauptsächlich mit sozialen und ökonomischen Indikatoren der Lebensqualität. In jüngerer Zeit rückten auch subjektive Indikatoren, wie Lebenszufriedenheit und das subjektive Wohlbefinden in den Forschungsfokus (Diener & Suhl, 1997). Schwerpunktmäßig befasste sich die Forschung dabei mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Health-Related Quality of Life. HRQOL). Nach Bullinger (1997) stellt sie heute ein zentrales psychologisches Forschungsthema und ein zunehmend an Bedeutung gewinnendes Evaluationskriterium in der Gesundheitspsychologie, der Medizinischen Psychologie, der Soziologie und auch in der Psychotherapieforschung dar. Betrachtet man den aktuellen Forschungsstand in Hinsicht auf die Frage nach der Beziehung von Gesundheit, körperliches, psychisches sowie soziales Wohlbefinden und Sexualität, so ergibt sich ein recht positives Bild. Lauman, Gagnon Michael und Michaels (1994) fanden eine deutliche Assoziation persönlicher Zufriedenheit mit der Häufigkeit von sexueller Aktivität und Orgasmen, insbesondere bei Frauen. Ebenfalls bei Frauen konnte Ellison (2000) die entspannenden und Stress reduzierenden Funktionen von Sexualität durch den Oxytocin-Anstieg erklären. In einer schwedischen Längs-schnittuntersuchung bei 292 Frauen im Alter von 30 - 65 Jahren mit Herzerkrankungen, identifizierte Orth-Gomér, Wamala, Horsten, Schnek-Gustafsson und Schneidermann (2000) die Gruppe mit Partnerschaftsproblemen, mit einem fast 3-fach höheren Risiko für Koronare Herzkrankheiten, im Gegensatz zu der Gruppe mit Problemen oder Stress am Arbeitsplatz. Bei Männern, die mehr als einmal pro Woche einen Orgasmus hatten, erwies sich die Sterblichkeitsrate um 50% geringer, als bei Männern mit geringerer Orgasmus Frequenz. Dies ergab eine 10 Jahres Kohorten Folgestudie mit 918 Probanden zwischen 45 und 59 Jahren (Smith, Frankel & Yarnell, 1997). Für Frauen konnte diese Korrelation in einer Studie von Palmore (1982) nicht bestätigt werden. Hier zeigte sich der Genuss von sexueller Aktivität als signifikanter Prädiktor für eine höhere Lebenserwartung. Das Fazit dieser Studien: Sexuelle Aktivität und Genuss scheint eine schützende Wirkung auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Männern und Frauen zu haben.

Selbstbestimmung, auf Partnerschaft und Sexualität im Alter(-sheim) bezogen, wurde in keiner einzigen dieser Studien als Variable berücksichtigt. Hahns (1995) ethische und auch in dieser Arbeit priorisierte Sichtweise, beschreibt Selbstbestimmung als einen Bestandteil der Autonomie (im Sinne von Selbstständig- bzw. Unabhängigkeit) und Willensfreiheit, welches ein natürliches biologisches Bedürfnis des Menschen darstellt. Das Wohlbefinden ist unter anderem davon abhängig ob dieses Bedürfnis befriedigt werden kann. Allerdings schließt er nicht aus, dass Menschen in bestimmten Lebensbereichen auch bewusst auf Selbstbestimmungsmöglichkeiten verzichten können, wenn dies als vorteilhaft beurteilt wird. Demnach ist Selbstbestimmung an kognitive Fähigkeiten gebunden. Keller und Novak (1993) verstehen unter Selbstbestimmung die Möglichkeit und die kognitive Fähigkeit eines Menschen, selbst Entscheidungen über sein Handeln, Verhalten und seinen Körper zu treffen. Die rechtliche Sichtweise auf Selbstbestimmung ist sogar im Grundgesetzes (1995) Art. 2 Abs. I verankert. Damit zählt das Recht auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ und damit das Recht zur Selbstbestimmung zu den Menschenrechten. Umso wichtiger erscheint die Erkenntnis, dass die Forschung sich der Thematik bisher nicht angenommen hat. Es gibt Untersuchungen hinsichtlich subjektiv wahrgenommener Kontrolle und persönlicher Verantwortung mit positiven Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit, wie beispielsweise die von Langer und Rodin (1976) und Rodin & Langer, (1977). Die Intervention bezog sich auf die selbstverantwortliche Pflege von Zimmerpflanzen und der Auswahl an Aktivitäten in einem Pflegeheim. Es ließ sich ein positiv signifikanter Effekt hinsichtlich der Lebhaftigkeit, des Glücksempfindens, der Aufmerksamkeit und der Gesundheit feststellen. Zunächst wurde sogar von einer hoch signifikant geringeren Mortalitätsrate, 18 Monte nach der Intervention, berichtet. Aber selbst nach einer Ergebniskorrektur durch die Autorinnen, erwies sich dieser Effekt immer noch als signifikant (Rodin & Langer, 1978). Solche Untersuchungen treffen nicht den Kern dieser Arbeit, sind aber hinsichtlich der unterschiedlichen Definitionen von Selbstbestimmung interssant. Die mangelnde Forschungslage in Hinsicht auf Selbstbestimmung über Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alter(-sheim) hängt möglicherweise mit der Schwierigkeit zusammen, die Bedeutung der Begriffe Selbstbestimmung, im Sinne Autonomie und Willensfreiheit auch adäquat in der Praxis umzusetzen. Viele alte Menschen sind pflegebedürftig und können ihr Leben nur noch sehr vermindert selbst gestalten. Umso schwieriger wird es wenn restriktive Einstellungen des Pflegepersonals, fragwürdige Regeln in Wohn- und Pflegeheimen und gesellschaftliche Vorurteile Selbstbestimmung unterbinden (Matthiesen, 2007). Wie oben beschrieben, lassen bisherige Studienergebnisse darauf schließen, dass sich Liebe, Partnerschaft und Sexualität positiv auf die Gesundheit auswirken kann. Es ist davon auszugehen, dass diese menschlichen Verhaltensweisen in aller Regel keiner Kontrolle unterliegen und jeder Mensch ganz individuell seine Handlungen diesbezüglich selbst bestimmt. Liegt damit nicht der Schluss nahe, dass Selbstbestimmung darüber, in welcher Form ein Mensch seine ganz individuelle Liebe, Partnerschaft und Sexualität, auch im Alter leben will und kann, ebenfalls positive Auswirkungen auf seine Gesundheit haben könnte?

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Details

Title
Selbstbestimmung über Liebe,Partnerschaft und Sexualität im Alter(-sheim)
Subtitle
Aktueller Forschungsstand und Empfehlungen für zukünftige Forschung
College
University of Hagen
Course
Lehrgebiet Community Psychologie
Grade
1,5
Author
Year
2013
Pages
60
Catalog Number
V263198
ISBN (eBook)
9783656518099
ISBN (Book)
9783656518013
File size
635 KB
Language
German
Keywords
selbstbestimmung, liebe, partnerschaft, sexualität, alter, aktueller, forschungsstand, empfehlungen, forschung
Quote paper
Heike Rieperdinger (Author), 2013, Selbstbestimmung über Liebe,Partnerschaft und Sexualität im Alter(-sheim), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263198

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