Chancen und Grenzen von Erlebnispädagogik als Methode Sozialer Arbeit


Mémoire (de fin d'études), 2000

76 Pages, Note: 1,3


Extrait


Vorwort

Erlebnispädagogik ‚boomt‘ seit etwa fünfzehn Jahren. Die Begründung dafür ist vor allem in dem Zeitgeist unserer Epoche zu sehen. Das ‚Erleben‘ ist in aller Munde: Der alltägliche Einkauf wird in einem Erlebniskaufhaus getätigt, die Freizeit verbringt man in Erlebnisparks und einige Anbieter von Pauschalurlauben sprechen von ihren Produkten als Erlebnisreisen.

Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Soziologe Gerhard Schulze im Jahre 1992 mit seinem Buch ‚Die Erlebnisgesellschaft‘ für Furore sorgte. „Das Leben schlechthin“, so Schulze, „ist zum Erlebnisprojekt geworden“ (SCHULZE, in: SCHAD, S. 106). Die Pädagogik und Soziale Arbeit liegen mit ihrer ‚Erlebnisorientierung‘ somit voll im Trend der Zeit. In Konzepten Sozialer Arbeit finden sich immer öfter Schlagwörter wie Erlebnis, Erleben, Echtheit, Ganzheitlichkeit, Gruppenerfahrung, Abenteuer und Natur. Kein Bereich der Sozialen Arbeit scheint von dieser Begriffsflut ausgenommen. Dieses Sammelsurium an aufgeführten Begriffen wird zumeist unter dem ‚Label‘ Erlebnispädagogik zusammengefasst. So ist es nicht verwunderlich, dass in Fachkreisen große Unstimmigkeit darüber herrscht, was unter Erlebnispädagogik zu verstehen ist. Dies wird auch aus dem Titel einer Fachtagung 1992 in München deutlich, die unter dem Motto ‚Erlebnispädagogik: Mode, Methode oder mehr?‘ stattfand.

Gerhard Schad sieht in der Weitgefasstheit und Unbestimmtheit der Erlebnispädagogik eine große Gefahr für diese: „Ein Begriff [der der Erlebnispädagogik; d.A.], der in seiner Extension unermeßlich wird, gerät allmählich zur Leerformel: Wenn er alles (mögliche) aussagt, sagt er zu guter Letzt gar nichts mehr aus. Diese Gefahr ist insbesondere dort gegeben, wo Erlebnispädagogik ihre pädagogische Legitimation vernachlässigt, nur mehr oder vor allem auf die ‚Aktion‘ schielt und sich damit einem letztlich indifferenten Aktionismus ausliefert“ (SCHAD, G., S. 106).

Diese von Schad herausgestellte Kritik an der Erlebnispädagogik war für mich einer der Gründe, mich in meiner Diplomarbeit mit Erlebnispädagogik als Methode der Sozialen Arbeit auseinander zu setzen. Auffällig erschien mir, dass ausgewiesene Fachleute der Erlebnispädagogik diese als eine Art ‚Neue Pädagogik‘ anpreisen, die augenscheinlich in der Lage sei, die herausgestellten Krisen im sozialpädagogischen Handeln zu überwinden. Dabei wird von den Protagonisten, wie zum Beispiel Bernd Heckmair und Werner Michl aus Süddeutschland ‚eingeräumt‘, dass „viele Behauptungen und Thesen [in Bezug auf erlebnispädagogische Aktivitäten; d.A.] auf tönernen Füßen stehen“ (HECKMAIR/MICHL, S. 206). Ähnlich ist auch Jörg Ziegenspeck von der Universität Lüneburg zu verstehen. Er fordert dazu auf, „zu fundieren und zu substantiieren, was gegenwärtig eher noch im Vagen, Vorurteilsbelasteten und vorwissenschaftlichen Dunkel liegt“ (ZIEGENSPECK, S. 998). Etwas überspitzt lässt sich somit zusammenfassen: Erlebnispädagogik wird als ein Gewinn für die Pädagogik und die Soziale Arbeit herausgestellt, ohne dass dies näher wissenschaftlich belegt wird. Sie wird als ein guter Ansatz verstanden, da sie auf irgendeiner Weise ‚wirkt‘: Dabei wird auf „die normative Kraft des Faktischen“ verwiesen (HECKMAIR/MICHL, S. 206). Diese wissenschaftlich zu fundierende ‚Wirkung‘ wird als sehr vielfältig und allgemein beschrieben und lässt sich wahrscheinlich am besten mit dem Begriff der ‚Persönlichkeitsentwicklung‘ zusammenfassen.

Durch meinen Abstand zur behandelten Materie und geprägt durch mein ‚kritisch-reflektiertes‘ Studium der Sozialpädagogik habe ich einen anderen Weg gewählt, mich der Erlebnispädagogik zu nähern. Ausgangspunkt und Hintergrund für die Auseinandersetzung sollen die Soziale Arbeit und Überlegungen zum methodischen Handeln sein[1]. Somit verorte ich die Erlebnispädagogik als eine Methode innerhalb der Sozialen Arbeit. Um die Abgrenzung zu den Vertretern der Erlebnispädagogik noch einmal plakativ auf den Punkt zu bringen: In meiner Arbeit bin ich nicht darauf angewiesen, der Methode ‚Erlebnispädagogik‘ das Wort zu reden. Im Vordergrund steht vielmehr die Überprüfung, inwieweit erlebnispädagogische Ansätze dazu befähigen, gelingend methodisch zu handeln bzw. aufzuzeigen wo Probleme offenkundig werden. Daher sehe ich Überlegungen zum methodischen Handeln für die Erlebnispädagogik genauso bindend an wie für andere Methoden in der Sozialen Arbeit. Somit erhält die Erlebnispädagogik in meiner Diplomarbeit keine Vorschußlorbeeren, im Gegenteil, sie muss beweisen, inwieweit sie als Methode sozialpädagogische Relevanz hat.

Um dieser Frage nachzugehen, ist es für mich unablässig, mich ausführlich mit methodischem Handeln in der Sozialen Arbeit ‚per se‘ auseinander zu setzen. Zuerst werde ich den Rahmen für dieses Handeln abstecken: Wo liegen die Probleme methodischen Handelns? Wodurch wird methodisches Handeln determiniert?

Daran schließt sich ein ‚neuer Blick‘ auf methodisches Handeln an: Als eine Grundlage dafür stelle ich kurz die ‚Membership-Theorie‘ von Hans S. Falck vor und erläutere dann das ‚Arbeitsprinzip Partizipation‘ von Timm Kunstreich. Abschließend werde ich in diesem Teil Maximen für ein gelingendes methodisches Handeln aufstellen.

In einem nächsten Schritt begebe ich mich auf eine geschichtliche Spurensuche. Anliegen dieser historischen Kontaktaufnahme ist der Versuch, in der Geschichte der Pädagogik alternative handlungs- und erlebnisorientierte Ansätze aufzuspüren und diese in Verbindung zu der modernen Erlebnispädagogik zu setzen. Wichtige Eckpunkte sind hier naturgemäß die Überlegungen und die praktische Arbeit von Kurt Hahn, der als Urvater der Erlebnispädagogik gehandelt wird.

Im 3. Kapitel arbeite ich heraus, wie sich die Erlebnispädagogik heute präsentiert. Ich weise auf Definitionen und Charakteristika hin, zeige verschiedene Modelle der Erlebnispädagogik auf, setze mich mit Wirkungen und ‚Wirkungsanalysen‘ und dem sogenannten ‚Transferproblem‘ auseinander. Weitere Schwerpunkte bilden die Fragen, ob sich Erlebnisse pädagogisch nutzen lassen und wie es um den Umgang mit der Dominanz männlicher Werte in der Erlebnispädagogik steht.

Als weiterer Schritt folgt im 4. Kapitel eine kritische Stellungnahme zur Methode ‚Erlebnispädagogik‘, die ich mit meinen Überlegungen zum methodischen Handeln verknüpfe. Der abschließende Punkt ist als ein Ausblick konzipiert. Hier gehe ich der Frage nach, inwiefern erlebnispädagogische Elemente das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit bereichern können. Auch diese Ausführungen stehen in Korrespondenz mit meinen Vorüberlegungen zum methodischen Handeln.

Nun noch eine Anmerkung zur Zielgruppe erlebnispädagogischer Aktivitäten:

Erlebnispädagogik wird heute für alle erdenklichen Adressatengruppen[2] konzipiert, generell liegt der Schwerpunkt aber auf Kindern und Jugendlichen. Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch in meiner Arbeit wieder. Stellenweise werde ich jedoch auch Bezüge zu anderen Personengruppen herstellen.

Wegen der besseren Lesbarkeit meiner Diplomarbeit verzichte ich darauf, beide Geschlechtsformen zu verwenden (wie z.B.: die Doppelnennung Sozialpädagogin/ Sozialpädagoge). Soweit wie möglich versuche ich, eine geschlechtsneutrale Variante zu verwenden, ansonsten greife ich auf die männliche Form zurück. In allen Fällen sind beide Geschlechter angesprochen.

1 Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit

In diesem Abschnitt soll die grundlegende Frage behandelt werden, was unter einer Methode bzw. methodischem Handeln in der Sozialen Arbeit zu verstehen ist. Einleiten möchte ich diese Abhandlung mit Definitionen von Michael Galuske und Marianne Meinhold. Es folgt eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Kräften und Einflüssen, die das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit beeinflussen. Abschließend werde ich auf der Grundlage der ‚Membership-Theorie‘ und dem ‚Arbeitsprinzip Partizipation‘ Maximen für ein methodisches Handeln aufstellen.

Galuske definiert Methoden in der Sozialen Arbeit folgendermaßen:

„Methoden der Sozialen Arbeit thematisieren jene Aspekte im Rahmen sozialpädagogischer/sozialarbeiterischer Konzepte, die auf eine planvolle, nachvollziehbare und damit kontrollierbare Gestaltung von Hilfeprozessen abzielen und die dahingehend zu reflektieren und zu überprüfen sind, inwieweit sie dem Gegenstand, den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, den Interventionszielen, den Erfordernissen des Arbeitsfeldes, der Institutionen sowie den beteiligten Personen gerecht werden“ (GALUSKE, S. 25).

Meinhold führt zum methodischen Handeln aus:

„Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit umfaßt alle Tätigkeiten, um die Ereignisse in komplexen sozialen Situationen in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Methodisches Handeln strukturiert den gesamten Prozeß der Wahrnehmung von Arbeitsaufträgen, des Nachdenkens über die Notwendigkeit und Legitimation zum Handeln, des Entwerfens und Erprobens von Handlungsplänen und der Auswertung des Geschehens“ (MEINHOLD, S. 185).

Methodisches Handeln ist somit ein systematisches, planvolles Handeln. Im Gegensatz zum intuitiven Handeln sind an das methodische Handeln Vorüberlegungen und Reflexion geknüpft. Allgemein versteht man unter methodischem Handeln ein planmäßiges Vorgehen. Hierbei ist das ‚Wie‘ bei einer Handlung entscheidend und nicht das ‚Wohin‘. Die transparente Gestaltung des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit muss als wesentlich gelten. Der Sinn von einzelnen Handlungsschritten sollte für den Adressaten, aber auch für Außenstehende, verständlich sein und zur Legitimation der Arbeit herangezogen werden können. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Erfolg methodischen Handelns nicht allein an die Person des Professionellen geknüpft ist. Vielmehr findet methodisches Handeln, wie im folgenden zu verdeutlichen ist, innerhalb der drei Dimensionen Raum, Zeit und Personen statt.

1.1 Handlungskontext des methodischen Handelns

An dieser Stelle erläutere ich zwei Modelle, die jeweils Methoden bzw. methodisches Handeln innerhalb der sozialpädagogischen Praxis in einen Gesamtzusammenhang stellen. Nach diesen Modellen, die zum einen von Karlheinz Geißler und Marianne Hege und zum anderen und von Marianne Meinhold erstellt worden sind, folgt eine kurze kritische Würdigung bzw. Bewertung dieser.

Geißler und Hege unterscheiden in der Sozialen Arbeit zwischen Konzept, Methode und Technik/Verfahren: Ein Konzept ist ihnen zufolge ein „Handlungsmodell, in welchem die Ziele, die Inhalte, die Methoden und die Verfahren in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht sind. Dieser Sinn stellt sich im Ausweis der Begründung und Rechtfertigung dar“ (GEIßLER/HEGE, S. 21). Sozialpädagogische Konzepte stellen sich nach Geißler/Hege aber nicht immer nach den oben genannten strukturellen Merkmalen dar. Aus diesem Grunde müssen einzelne Momente von Konzepten als angewandte Methoden und Techniken herausgearbeitet werden (vgl. GEIßLER/HEGE, S. 22 f).

Eine Methode hat sich nach Geißler und Hege einem Konzept unterzuordnen: Methoden sind ein konstitutiver Teilaspekt von Konzepten. Würden sie von konzeptionellen Überlegungen abgelöst werden, „kann die Methodenentscheidung nicht mehr mit den jeweiligen subjektiven und gesellschaftlichen Problemen des Einsatzfeldes in einen überzeugenden Zusammenhang gebracht werden“ (GEIßLER/HEGE, S. 24). Als Methode kann ein vorausgedachter Plan zur Vorgehensweise verstanden werden, im Vordergrund steht das jeweilige Handlungswissen, weniger das Erklärungswissen. „Ein unverzichtbarer Bestandteil methodischen Handelns ist die Zielgerichtetheit, wobei sich Ziel und Methode in einem Prozeß gegenseitiger Wechselwirkung entfalten und entwickeln“ (GEIßLER/HEGE, S. 24).

Nach Geißler/Hege soll ein Methodeneinsatz ‚gegenstandsadäquat‘ sein, d.h. „daß die Methode dem Wesen des anstehenden Problems und dessen konkreter, historischer und gesamtgesellschaftlicher Einbettung gerecht werden muß“ (GEIßLER/HEGE, S. 28).

Verfahren und Techniken sind nach Geißler und Hege „Einzelelemente von Methoden. [...] Methoden und Verfahren (Techniken) sozialpädagogischen Handelns unterscheiden sich nach dem Grad ihrer Komplexität“ (GEIßLER/HEGE, S. 28 f). Obwohl auch Techniken im Zusammenhang mit Zielen und Inhalten stehen, werden sie oft losgelöst von diesen eingesetzt. Als problematisch sehen Geißler/Hege jedoch an, wenn Techniken von den Sozialpädagogen als Ausweis ihrer Kompetenz benutzt werden und nicht im Zusammenhang zu den anstehenden Problemen eingesetzt werden. Der Klient wird somit zum Objekt der jeweiligen Verfahrenskompetenz des Sozialpädagogen (vgl. GEIßLER/HEGE, S. 29).

Meinhold entwirft ein Rahmenmodell zum methodischen Handeln, das sich in folgende drei Ebenen unterteilt: Arbeitskontext, Arbeitsprinzip und Verfahren/Techniken. Die Ebene Arbeitskontext „läßt sich im wesentlichen durch den ‚offiziellen Arbeitsauftrag‘ und den sich daraus ergebenen Handlungsspielraum beschreiben, der den Fachkräften zur fachlichen Ausgestaltung ihrer Arbeit verbleibt“ (MEINHOLD, S. 186). Nach Meinhold bleibt trotz äußerer Einflussnahme auf die Soziale Arbeit (vgl. 1.2.1) in allen Feldern ein „mehr oder minder großer Handlungsspielraum“, da Arbeitsaufträge allgemein formuliert sind und nach Konkretisierung verlangen. So vertritt Meinhold die Position, dass selbst „offizielle Arbeitsaufträge“ in einem Jugendamt - wie rechtliche und administrative Vorgaben sowie Pflichtaufgaben - durch „,sozialpädagogische Arbeitsaufträge‘, welche auf pädagogischen Überzeugungen, Arbeitsprinzipien und dem beruflichen Selbstverständnis gründen“ (MEINHOLD, S. 186) ausgestaltet werden können. Arbeitsprinzipien hingegen sind „grundlegende und umfassende Aussagen über das Selbstverständnis und die Ziele der Fachkräfte“ (MEINHOLD, S. 293). Sie sind allgemeine Grundsätze, an denen sich das Handeln orientiert. In Arbeitsprinzipien sind „Ansätze zur Lösung sozialer Probleme auf einen prägnanten Begriff hin komprimiert“ (MEINHOLD, S. 293), wie zum Beispiel ‚Anfangen, wo der Klient steht‘ und ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘. Diese normativ begründete Aufforderung zum Handeln ist nur bedingt mit wissenschaftlichem Wissen verknüpft und soll eine Richtung nahe legen, wie diesen Maximen durch praktisches Handeln nachzukommen ist (vgl. MEINHOLD, S. 293). Somit stellen Arbeitprinzipien die Brücke zwischen Denken und Handeln dar. Konzepte sind nach Meinhold gewöhnlich eine Ansammlung von Arbeitprinzipien (vgl. MEINHOLD, S. 187).

Auch Meinhold benutzt die Begrifflichkeiten Verfahren und Techniken. Damit bezeichnet sie zum Beispiel die Fertigkeiten des Spielens, der Animation, des Aufbaus von Lerneinheiten (vgl. MEINHOLD, S. 187). Kritik an angewandten Verfahren und Techniken, so Meinhold, wird von Autoren geäußert, denen es an praktischen Erfahrungen mit diesen Arbeitsformeln mangelt. Hinzu kommt, dass die Wirkungen dieser methodischen Hilfen oft drastisch unterschätzt werden (vgl. MEINHOLD, S. 187).

Nach Meinhold ist beim praktischen Vorgehen, z.B. bei der Reflexion über die Arbeit, nicht eine bestimmte Reihenfolge der Ebenen zwangsläufig. So können die Techniken im Arbeitsalltag näher betrachtet werden und im Anschluss darauf hin ausgewertet werden, inwieweit sie im Einklang mit dem Arbeitsprinzip stehen (vgl. MEINHOLD, S. 189).

Der Vorteil des zweiten Modells gegenüber dem ersten liegt meines Erachtens in der größeren Praxisnähe. Dadurch, dass die Einteilungen im Gegensatz zu Geißler/Hege von Meinhold nicht kategorisch verstanden werden, unterliegen sie nicht einer Zwangsläufigkeit bei der Verknüpfung von Konzept, Methode und Technik. Erst dadurch können Konflikte zwischen Arbeitskontext und eigenen Vorstellungen von einem gelingenden methodischem Handeln offen dargelegt und diskutiert werden. Ebenso ist es meines Erachtens eher möglich, anhand eines ‚Arbeitsprinzips‘ die persönliche Intention des Professionellen einzubeziehen. Damit erschließt sich eine Möglichkeit, eigene ethische Vorstellungen in ein Modell vom methodischen Handeln einzubeziehen, welche mit den Vorstellungen des eigenen ‚Menschenbildes‘ korrelieren. Diese individuellen Vorstellungen von einem methodischen Handeln werden in dem Modell von Geißler/Hege nicht explizit berücksichtigt.

1.2 Erschwernisse des methodischen Handelns

Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit wird von bestimmten Bedingungen determiniert. Diese Bedingungen werde ich in drei Punkten darstellen und in einem weiteren Punkt abschließend kommentieren. Meines Erachtens ist es unerlässlich, sich mit diesen Rahmungen auseinander zu setzen. Dieses erleichtert zum einen eine kritische Reflexion der Arbeit und zum anderen eine präzisere Standortbestimmung des eigenen Handelns.

1.2.1 Verschiedene Arbeitsaufträge an die Soziale Arbeit

Hiltrud von Spiegel konstatiert äußere Erwartungen an die Soziale Arbeit und stellt fest, dass diese Einflussfaktoren nicht ausdrücklich analysiert werden. Diese verschiedenen ‚Arbeitsaufträge‘, so bezeichnet sie die äußeren Erwartungen, sind nicht alleine mit der staatlichen Zwecksetzung Sozialer Arbeit benannt, sie werden von ihr weiter ausdifferenziert. Institutionelle Settings sind demnach geprägt von der weltanschaulichen Ausrichtung des Trägers, gesetzlichen Vorgaben, Verwaltungsvorschriften, administrativen Verfahrensregeln und den verfügbaren institutionellen Ressourcen, aber auch Erwartungen von Kollegen, Vorgesetzten und außenstehenden, einflussreichen Personen (vgl. VON SPIEGEL, S. 222 f).

Neben der Hilfe für die Adressaten übt Soziale Arbeit gleichzeitig in vielen Fällen eine Kontrollfunktion gegenüber denselben aus. Es kann somit zu einem Widerspruch zwischen den Interessen der Adressaten und den Interessen der Institution bzw. den staatlichen Vorgaben kommen. Als ein anschauliches Beispiel für die unterschiedlichen Arbeitsaufträge möchte ich hier erlebnispädagogische Reiseprojekte auf Segelbooten nennen, die nach den Hilfen zur Erziehung bewilligt werden (vgl. 3.2.2). Das Interesse des Jugendamtes, einem Jugendlichen eine solche Hilfe zu bewilligen, könnte neben dem angenommenen ‚pädagogischen Wert‘ auch darin begründet sein, den Jugendlichen so unterzubringen, dass er zunächst aus seinem angestammten Milieu ‚entfernt‘ wird, um weitere Auffälligkeiten, wie zum Beispiel Straftaten, zu verhindern. Für den Träger des Segelprojektes ist unter anderem entscheidend, dass sich seine Arbeit finanziell trägt. Er wird bestrebt sein, möglichst viele Jugendliche aufzunehmen, so dass sich seine Hilfe rechnet. Ein frühzeitiger Abbruch der Maßnahme von Seiten des Jugendlichen wäre aus dieser Sicht nicht wünschenswert. Der Jugendliche selber könnte sich von der Maßnahme ein Ausbrechen aus seiner Alltagswelt, die für ihn problembehaftet ist, oder eine ‚schöne Urlaubsfahrt‘, die Abenteuer verspricht, erhoffen. Oder aber er erachtet das erlebnispädagogische Projekt als ‚kleineres Übel‘ im Gegensatz zu einer für ihn unattraktiveren Maßnahme (wie z.B. Heimunterbringung).

Die in diesem Beispiel vorgetragenen Arbeitsaufträge sind nur ein Ausschnitt und lassen sich noch um einige weitere ergänzen. Verdeutlicht werden soll an dieser Stelle, dass Arbeits-aufträge mannigfach und sehr unterschiedlich in ihrer Intention sein können. Professionelle der Sozialen Arbeit sollten daher in ihrer Praxis die verschiedenen Arbeitsaufträge und die jeweiligen Perspektiven der Beteiligten - dazu gehört auch, die eigene Position kritisch zu hinterfragen - erkennen und innerhalb des methodischen Handelns berücksichtigen.

1.2.2 Methode als Chance für die Spezialisierung der Professionellen

und Gefahr für eine ganzheitliche Sichtweise auf den Adressaten

Anders als bei Arbeitsfeldern anderer Professionen, wie zum Beispiel der Medizin oder der Justiz, ist das Aufgabenfeld von Sozialpädagogen nicht klar definiert. Selbst die über siebzig Jahre alte, oft wiederholte, negative Abgrenzung von Gertrud Bäumer, Sozialpädagogik sei „alles, was Erziehung, aber nicht Schule und nicht Familie ist“ (BÄUMER, in: GALUSKE, S. 31) kann in Zeiten der Schulsozialarbeit und der Hilfen zur Erziehung - wie zum Beispiel der sozialpädagogischer Familienhilfe - als nicht mehr stimmig angesehen werden. So ist Galuske zuzustimmen, der feststellt, dass alles was das (Alltags-) Leben an Problemen hergibt, Gegenstand sozialpädagogischer Intervention werden kann (vgl. GALUSKE, S. 32).

Damit bleibt zu konstatieren, dass die Praxis der Sozialen Arbeit von einer Allzuständigkeit gekennzeichnet ist[3]. Die Tatsache, dass Sozialpädagogen auch ‚alltägliche Probleme‘ bearbeiten hat zur Folge, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit einen viel größeren Legitimationsdruck ausgesetzt sind als Professionelle, die ein spezifisches Handlungswissen haben, das sie nicht mit Laien teilen[4]. Vor diesem Hintergrund ist ersichtlich, dass Soziale Arbeit potenziell eine Gefahr der Überforderung an die Professionellen beinhaltet. Demnach kann die Verwendung von Methoden zwei Funktionen erfüllen. Zum einen die „Reduktion von Komplexität, ein Stück Sicherheit angesichts unübersichtlicher Anforderungen“ (GALUSKE, S. 34) und zum zweiten die Legitimation der Profession nach außen und somit die Aufwertung des eigenen Berufsstandes. Diese beiden genannten Funktionen beinhalten aber gleichzeitig die Gefahr, dass der Blick auf die Anliegen und Problemlagen der Adressaten verstellt wird und diese nicht mehr in einem ganzheitlichen Verständnis in ihren sozialen Zusammenhängen betrachtet werden.

1.2.3 Die Unmöglichkeit von zielgerichtetem methodischen Handeln

Die Unmöglichkeit zielgerichteten Handelns ist in der Sozialen Arbeit und der Pädagogik hinlänglich bekannt. Die Bearbeitung dieses Themas und die daran anschließende Frage, inwieweit diese Unmöglichkeit abgebaut werden kann, hat in der Pädagogik eine lange Geschichte. Niklas Luhmann und Karl Eberhard Schorr greifen dieses Problem auf und versuchen, es mit einem ‚Technologiedefizit‘ im erzieherischen Handeln zu begründen. Den Hintergrund für diese Überlegung bildet die Systemtheorie: In dieser arbeiten personale Systeme ,operational geschlossen‘, d.h. auf sich bezogen. Ihr primäres Interesse ist die eigene Bestandswahrung und Reproduktion. Personale Systeme können dabei die der Professionellen oder die der Adressaten sein.

Als Technologie bezeichnen die Autoren „einen Zusammenhang von Verfahren, die dazu benutzt werden, um Materialien mit vorsehbaren Wirkungen und erkennbaren Fehlerquellen von einem Zustand in einen anderen umzuformen“ (LUHMANN/SCHORR, S. 14). Für Luhmann und Schorr hätte eine funktionierende Technologie in der Pädagogik folgende Vorteile: „Gäbe es für die Erziehung eine funktionstüchtige Kausaltechnologie, könnte auf dieser Basis nicht nur eine einheitliche Organisation, sondern auch eine theoretische konsolidierte, praxisanleitende Erziehungswissenschaft aufgeführt werden“[5] (LUHMANN/ SCHORR, S. 9).

Auf die Soziale Arbeit bezogen besteht das Technologiedefizit nun darin, dass ein bestimmtes personales System (z.B. das der Sozialpädagogen) in seinem methodischen Handeln keine Technologien besitzt, um in das andere personale System (z.B. das der Adressaten) so zu intervenieren, dass es von Zustand A sicher in den Zustand B überführt wird (vgl. GALUSKE, S. 49). Technologiedefizit meint somit die Unmöglichkeit, einen Nachweis in Form einer ‚Wenn-Dann-Relation‘ zu erbringen: Auf das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit bezogen wäre das der nie erbrachte Nachweis, dass auf Maßnahme X sich tatsächlich Folge Y einstellt (vgl. KUNSTREICH, S. 301). Nach Luhmann/Schorr kommt für die Erziehungswissenschaften nur eine „‚intensive technology‘ in Betracht, das ist eine Technologie, die am reagierenden Objekt operiert und ihre Entscheidungen treffen muß“ (LUHMANN/SCHOOR, S. 28). Luhmann und Schorr schlagen vor, „mit Hilfe von typisierender Erfahrung oder routinierten Verhaltensprogrammen Situationen zu erfassen und auszunutzen“ (LUHMNN/SCHORR, S. 28).

1.2.4 Zusammenfassung - Probleme des methodischen Handelns

An dieser Stelle greife ich die drei genannten Punkte zu den Problemen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit auf und kommentiere diese.

Durch die Übernahme von Kontrolle und Verantwortung der Sozialpädagogen gegenüber den Adressaten besteht die Gefahr, dass die Adressaten von ihrem Subjektstatus in einen Objektstatus degradiert werden, d.h. dass aus einem Handeln ‚mit‘ den Adressaten ein Handeln ‚für‘ die Adressaten wird. Ein solcher Verlauf wird begünstigt, wenn der Subjektstatus des Klienten in dem methodischen Handeln nicht abgesichert ist und wenn in der ethischen Grundhaltung der Professionellen nicht ein partnerschaftlicher und parteilicher Umgang mit den Adressaten verankert ist.[6]

Verhängnisvoll könnte sich zudem ein falsch verstandenes Streben nach Professionalisierung der Fachkräfte der Sozialen Arbeit auswirken. Wie unter 1.2.2 angemerkt, verfügen diese nicht über ein klar definiertes Handlungswissen wie andere Professionelle. Es hängt ihnen vielfach der Ruf an, semiprofessionell zu arbeiten. Eine Reaktion auf diesen Sachverhalt könnte sein, nach einem festen Methodenkanon arbeiten zu wollen, der nach außen die Soziale Arbeit als eine klar definierte Profession kennzeichnet und den Handelnden ein ‚Mehr‘ an Handlungssicherheit suggeriert. Für das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit würde das bedeuten, dass Methoden zu Techniken mutieren würden[7]. In diesem Sinne merkt Galuske zurecht an, dass Soziale Arbeit es „im Gegensatz etwa zu naturwissenschaftlichen Professionen, nicht mit der technischen Beherrschung unbelebter Natur zu tun [hat; d.A.], sondern mit der ‚Veränderung‘ von Menschen im Medium sozialer Beziehungen“ (GALUSKE, S. 45). Dieser Sachverhalt weist auf die Unfähigkeit zielgerichteten Handelns in der Sozialen Arbeit hin, welches Willke im folgenden verdeutlicht: „Keiner kann in das Gehirn, das Bewußtsein, die ‚Schaltzentrale‘ des anderen schauen und beobachten, nach welchen Operationsregeln der andere arbeitet. Kein Berater weiß, wie sich die Gedanken des Klienten bilden, verknüpfen, verändern und reproduzieren“ (WILLKE, in: GALUSKE, S. 50).

In die gleiche Richtung zielt das herausgestellte Technologiedefizit im erzieherischen Handeln. Luhmann und Schoor versuchen ein bekanntes Phänomen, nämlich die Unmöglichkeit Menschen zielgerichtet zu verändern, bzw. provokativ ausgedrückt: Menschen so zu manipulieren, dass sie sich so verhalten, wie man es gerne hätte - theoretisch fundiert zu erklären. Maja Heiner sieht es als Paradoxie der Pädagogik und Sozialen Arbeit an, „daß ein Mensch einen anderen Menschen dazu veranlassen soll, selbst zu wollen, was andere von ihm wollen. [...] Für Paradoxien kann es allerdings keine Technologien geben, zumal wenn man unter ‚Technologie‘ eine kausal zurechenbare Produktion versteht“ (HEINER 1995, S. 529). Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob die Diskussion über ein Technologiedefizit in der Sozialen Arbeit überhaupt angebracht ist. Anstatt der ethisch bedenklichen Frage nachzugehen, warum sich Menschen nicht im Sinne von einer „kalkulierbaren Input-Output-Logik“ (GALUSKE S. 51) verändern lassen, sollte meines Erachtens in der Methodendiskussion eher gefragt werden, wie sozialpädagogische Hilfe gestaltet sein sollte, die trotz aller determinierenden Rahmenbedingungen den einzelnen Menschen mit seinen Anliegen zum Mittelpunkt macht. Ein Technologiedefizit kann meines Erachtens erst dann zu einem ersichtlichen Problem in der Sozialen Arbeit werden, wenn das Handeln der Professionellen von ‚Lern- oder Erziehungszielen‘ bestimmt wird[8]. Daher lässt sich formulieren: Wenn ich nicht den Anspruch habe, Menschen zielgerichtet zu verändern, stellt sich auch nicht die Frage nach einem Technologiedefizit. Soziale Arbeit basiert, wie Begegnungen generell, auf zwischenmenschlicher Interaktion. Niemand würde auf die Idee kommen, bei einer Begegnung zweier Menschen von einem Technologiedefizit zu sprechen. Vor diesem Hintergrund ist es folglich fragwürdig, ein Technologiedefizit im erzieherischen Handeln zu bearbeiten und damit eventuell abzubauen.[9]

Meiner Einschätzung nach stellt die Unmöglichkeit zielgerichteten Handelns für die Fachkräfte der Sozialen Arbeit, die mit festen Zielvorstellungen arbeiten, ein Problem dar. Frei nach dem Motto: Unsere Ziele - wie Integration, Prävention - haben wir gesetzt, nur die Technologie, mit der wir sie erreichen, ist noch unbestimmt. Ein solches Handeln müsste nach einem klar strukturierten Ablauf angelegt sein. Folglich kommt der Adressat in dem Hilfeprozess nur als Objekt vor, eine ‚Verhaltensabweichung‘ des Adressaten wird nicht toleriert. Verhält sich der Adressat dann doch anders, als im Hilfeplan vorgesehen, liegt das aus der Sicht der Professionellen nicht an ihrem fehlgeschlagenen Handeln, sondern daran, dass der Klient nicht kooperiert oder mangelnde Einsichtsfähigkeit besitzt u.s.w..

Ein Schema, das nach dieser Art ‚funktioniert‘, ist das Modell Anamnese-Diagnose-Behandlung-Evaluation (kurz: A-D-B-E), welches nach Timm Kunstreich noch heute das deutungsmächtigste Modell in der Sozialen Arbeit ist und auf eine Geschichte, bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, zurückblicken kann (vgl. KUNSTREICH, S. 299). Kunstreich charakterisiert das Modell wie folgt: „Die Grundoperation dieses Modells ist einfach [...] : Die Konstruktion von Wirklichkeit entwirft Individuen, die mit ‚Defiziten‘ und ‚Störungen‘ behaftet sind, die Konstruktion für Wirklichkeit weist Wege, wie diese zu beheben sind“ (KUNSTREICH, S. 299 f, Hervorhebung im Original).

1.3 Wege aus der ‚Methodenfalle‘

Methodisches Handeln wird meines Erachtens dort von Misserfolgen gekrönt sein, wo Professionelle in Stellvertretung für die Adressaten wissen zu meinen, was für diese gut ist[10]. Eine solche Handlungsorientierung muss mit einer Grundhaltung verbunden sein, die Adressaten Sozialer Arbeit als ‚defizitär‘ oder ‚unreif‘ versteht. Solche Kategorisierungen finden zudem immer auf der Folie der selbst gesetzten Normvorstellungen statt. Wolfgang Hinte führt vor dem Hintergrund einer „Pluralität von Lebensentwürfen“ aus: „Da wir nun alle überhaupt nicht mehr präzise sagen können, welche Fähigkeiten denn benötigt werden, um in dieser Gesellschaft glücklich zu werden, könnten wir beruhigt damit aufhören, nach Möglichkeiten der Anerziehung solcher Fähigkeiten zu suchen“ (HINTE, S. 21). Diese Gedanken greift Hans Thiersch auf, der zurecht anmerkt, dass Soziale Arbeit verantwortlich ist „für Anregungen, Provokationen, Unterstützungen - aber nicht dafür, was die AdressatInnen damit machen: Sie leben ihr eigenes Leben. Die pädagogischen Ansprüche können und müssen auch abgelehnt und verweigert werden. Die Grenzen, vor allem auch die Überlappungen zwischen Eigensinnigkeit, Stellvertretung und Verantwortung können nur im einzelnen ausgehandelt werden“ (THIERSCH, in: GALUSKE, S. 53).

Um nicht in eine ‚Methodenfalle‘ zu tappen, die zumeist mit Frustration und Resignation der Professionellen mit ihrer Arbeit einhergeht, ist meines Erachtens ein anderer Blick auf die ‚Arbeit am Sozialen‘ vonnöten. Ansonsten werden sich die Fachkräfte der Sozialen Arbeit

immer wieder fragen, warum der Adressat sich nicht so verhält, wie sie es für richtig halten. Aus meiner Sicht sollte vielmehr im Vordergrund stehen, wie ein methodisches Handeln aussehen kann, welches im Dialog mit dem Adressaten eine für beide Seiten zufriedenstellende ‚Arbeit am Sozialen‘ gestaltet. Bekannten Überlegungen aus den Sozialwissenschaften möchte ich daher, als einen anderen Blick auf das Menschsein ‚an sich‘, die Membership-Theorie entgegensetzen.

1.4 Die Membership-Theorie - ein neuer Blick auf die ‚Arbeit am Sozialen‘

Nach Hans S. Falck, dem ‚Urheber‘ der Membership-Theorie, verwirft das Konzept des Members „in gleichem Maße den Individualismus wie den Kollektivismus. Es sieht den Kern des Lebens weder ausschließlich im Physischen noch im Psychischen noch im Sozialen. Es geht vielmehr davon aus, daß der Member ein funktionierendes menschliches Wesen ist, ein Teil einer Welt voller Menschen“ (FALCK, S. 21). Somit lehnt die Membership-Theorie eine Sichtweise ab, die Menschen in verschiedene Systeme verorten möchte: „Das Wort Member besagt, daß es keine absoluten Grenzen zwischen Personen gibt, da Selbstentscheidung und Selbstentscheidungsrecht soziale Phänomene und nicht individuelle sind, eben weil es niemals wahr ist, daß ein Mensch ausschließlich für sich, unberührt von anderen oder auch für andere handeln kann“ (FALCK, S. 134). Daraus ist aber nicht der Schluss zu ziehen, dass die Membership Theorie das Gruppenverhalten von Menschen beschreibt. Vielmehr wird das Verhalten von einzelnen Mitgliedern innerhalb einer Gruppe gesehen (vgl. FALCK, S. 53).

Somit deutet die Membership-Theorie menschliches Dasein unter dem Aspekt sozialer Mitgliedschaft bzw. Zugehörigkeit; sie geht von einer ständigen Verbundenheit mit einem bedingten Zugang aller Menschen zueinander aus. Wenn Klient und Sozialarbeiter in einer Membershipbeziehung stehen, ist es nicht möglich, dass der Sozialarbeiter für den Klienten handelt. Vielmehr kommt es zu einer Interaktion der beiden. Somit haben nach Falck Klient und Sozialarbeiter die gemeinsame Aufgabe, Lösungen für die Probleme des täglichen Lebens zu finden (vgl. FALCK, S. 39).

1.5 Das Arbeitsprinzip Partizipation von Timm Kunstreich

Der Versuch, Leitsätze für ein methodisches Handeln zu artikulieren, lässt sich meines Erachtens am besten durch ein Arbeitsprinzip darstellen (vgl. 1.1). Als einen gelungenen Beitrag, ein solches Arbeitsprinzip zu formulieren, betrachte ich das Arbeitsprinzip Partizipation von Timm Kunstreich. In ihm sehe ich eine praxisnahe Möglichkeit, die Sichtweise der Membership-Theorie auf das ‚Menschsein‘ in die Soziale Arbeit zu übertragen. Falck geht davon aus, dass jegliche menschliche Handlung soziale Interaktion ist (vgl. FALCK, S. 55). Diese Grundannahme kann auch als ein Ausgangspunkt für das Arbeitsprinzip Partizipation gelten.

Im folgenden möchte ich die vier Komponenten des Arbeitsprinzips Partizipation wiedergeben[11]. Diese sehe ich als eine tragfähige Basis an, vor deren Hintergrund eine eigene Auseinandersetzung mit methodischem Handeln in der Sozialen Arbeit und somit auch mit der Erlebnispädagogik als Methode stattfinden kann.

Für Kunstreich sind Arbeitsprinzipien und Methoden „soziale Konstruktion von und für Wirklichkeit, beide Modelle dafür, wie Akteure soziale Relationen verstehen und in ihnen handeln“ (KUNSTREICH, S. 298, Hervorhebung im Original). Kunstreich setzt sein Arbeitsprinzip Partizipation gegen das von ihm kritisierte Modell ‚Anamnese-Diagnose-Behandlung-Evalutation‘ (vgl. 1.2.4) und bildet die vier Komponenten Problemsetzung, Handlungsorientierung, Assistenz und Verständigung heraus. Diese Komponenten sind nicht in einer festgelegten und zwangläufigen Ablauffolge zu sehen, vielmehr sind sie gleichwertig und können gleichzeitig passieren (vgl. KUNSTREICH, S. 302). Wie der Begriff ‚Komponenten‘ erahnen lässt, sind sie integrierter, unwiderruflicher Aspekt des Ganzen und können somit nicht unabhängig von einander gesehen werden (vgl. FALCK, in: KUNSTREICH, S, 302).

Bei der Komponente Problemsetzung ist laut Kunstreich ein grundlegender Perspektivwechsel nötig und zwar „weg von der institutionell vorgeprägten Problemdefinition hin zu den Anliegen der Adressaten“. Dabei sind zwei Aspekte für die Soziale Arbeit wesentlich: Die sozialräumliche Fundierung und die ,Allzuständigkeit‘ (vgl. KUNSTREICH, S. 312 und 1.2.2). Der Problemsetzung sollte eine Problemformulierung vorausgehen: „Nicht immer werden Anliegen in eindeutige Problemformulierungen umgesetzt, vielmehr müssen Professionelle zusammen mit Sozialitäten der Adressaten zunächst einen Suchprozeß beginnen, in dessen Verlauf die Problemformulierung auf einer Konkretionsebene möglich wird, die Handlungsoptionen für Teilnehmer eröffnet“ (KUNSTREICH, S. 315).

[...]


[1] Anders als in vielen Veröffentlichungen zum Thema ‚Erlebnispädagogik‘ werden aus diesem Grunde in meiner Arbeit die Verbindungen der Erlebnispädagogik zu Anleihen aus der Psychologie, der Soziologie und der Philosophie nur am Rande betrachtet.

[2] Die Spannbreite der Zielgruppen erstreckt sich von Managern über Auszubildende, Fachkräfte der Sozialen Arbeit (als Multiplikatoren), Jugendlichen und Kindern bis zu Menschen mit Behinderungen und Krankheiten sowie Menschen, die in den verschiedensten Formen sozial benachteiligt sind.

[3] Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle alltäglichen Probleme ein ‚Fall‘ der Sozialen Arbeit werden. Der größte Teil der in diesem Bereich anfallenden Anliegen wird von den Menschen innerhalb ihrer Selbsthilfepotenziale bzw. sozialen Netzwerke bearbeitet.

[4] Hinzu kommt noch die Deutungsmacht von anderen Professionen im Bereich der Sozialen Arbeit (wie z.B. Psychologen, Soziologen und Theologen): Diese übersteigt zum größten Teil, bedingt durch ihre gesellschaftliche Stellung bzw. ihre Position innerhalb sozialer Einrichtungen, die der Sozialpädagogen.

[5] Allerdings hinterfragen sie gleichzeitig, ob dies wünschenswert wäre.

[6] Selbstverständlich spielen in diesem Zusammenhang auch die verschiedenen Arbeitsaufträge an die Soziale Arbeit eine Rolle (vgl. 1.2.2). Vgl. zur ‚ethischen Grundhaltung‘ die Ausführungen zum Arbeitsprinzip unter 1.1.

[7] Vgl. die Unterscheidung von Arbeitsprinzip und Verfahren/Techniken bei Meinhold unter 1.1.

[8] Im pädagogischen Diskurs wird in diesem Zusammenhang von ‚Teleologie‘, der Lehre von der Zielgerichtetheit und Zielstrebigkeit der Erziehung gesprochen (vgl. 1.2.3).

[9] Im Gegensatz dazu muss wohl die folgende Ausführung von Luhmann/Schorr verstanden werden: „Verglichen mit den im Rechtssystem und in manchen Organisationsbereichen möglichen konditionalen „Wenn/Dann‘ -

Programmen, die eine solche Zuordnung so stark fixieren, daß Fehler – sei es in der Diagnostik, sei es in der Verhaltenswahl – leicht erkennbar sind, liegt die Pädagogik offenbar weit zurück. Aber sie hätte hier Entwicklungsmöglichkeiten, wenn der Schutt eines langen Kampfes gegen Technologie einmal abgeräumt ist“ (LUHMANN/SCHORR, S. 30).

[10] Wer vermutet, dass solche Sichtweisen im pädagogischen Diskurs keine Rolle mehr spielen, der sei auf einen Artikel von Werner Michl aus dem Jahre 1993 verwiesen: „Verstehen als pädagogischer Fachbegriff meint aber nicht mitleiden, sondern setzt Abstand, Überblick, Wissen und Erfahrung voraus, um jugendliche Phänomene verorten zu können. So gesehen versteht der ‚professionelle‘ Pädagoge den Jugendlichen nicht selten besser als dieser Jugendliche sich selbst“ (MICHL, S. 20).

[11] Meine Darstellung des Arbeitsprinzips Partizipation ist notwendigerweise gekürzt und verzichtet auf die angeführten erklärenden Beispiele. Als Grundlage dient der „Grundkurs Soziale Arbeit Band II“, Seiten 298 - 361 von Kunstreich; sowie die angegebene, ergänzende Sekundärliteratur.

Fin de l'extrait de 76 pages

Résumé des informations

Titre
Chancen und Grenzen von Erlebnispädagogik als Methode Sozialer Arbeit
Université
Protestant University of Applied Sciences Hamburg
Note
1,3
Auteur
Année
2000
Pages
76
N° de catalogue
V263422
ISBN (ebook)
9783656522065
ISBN (Livre)
9783656527268
Taille d'un fichier
550 KB
Langue
allemand
Annotations
Anmerkung Erstprüfer: Stephan Putensen ist eine wirklich ausgezeichnete, kritische Einlassung zur Relevanz der Erlebnispädagogik gelungen, die die kulturkritischen Argumentationsmuster heraus arbeitet, ihren instrumentell-teleologischen Blick kommentiert und sie vom Kopf auf die Beine stellt: sie auf den Boden der Entspezialisierung und des einfachen und anregenden methodischen Handelns zurückholt und sie nicht der Behandlungssystematik überlässt. Ich danke dem Autor für die solide und breit angelegte Arbeit und für den Mut, den Sprung in die Methodendebatte unternommen zu haben [...].
Mots clés
Erlebnispädagogik, Methoden, Methoden Sozialer Arbeit, Soziale Arbeit, Sozialpädagogik, Geschichte Erlebnispädagogik
Citation du texte
Stephan Putensen (Auteur), 2000, Chancen und Grenzen von Erlebnispädagogik als Methode Sozialer Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263422

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