Osmanen- und Ständepolitik im Reich als Reformationsfördernde Faktoren


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

21 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. 1521
2. Von Reichstag zu Reichstag
3. Die Unaufhaltsamkeit des Reformationsprozesses
4. Der Weg zum Frieden

III. Schluss

IV. Bibliographie

I. Einleitung

Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit dem Prozess der Reformation zwischen 1521 und 1555 in Verbindung mit den Feldzügen der Osmanen gegen das Königreich Ungarn unter Sultan Süleymân I. und der Ständepolitik Kaiser Karls V. im Reich. Wie hat beides die Reformation bedingt? Inwiefern haben die Türken die Reichsstände „unterstützt“ und die Reformation „gefördert“?

Die Arbeit gibt zunächst einen Überblick über die historischen Gegeben- und Begebenheiten der Zeit, in der die Reformation auflebte. Dem folgt eine Quellenanalyse, mit Hilfe derer der parallele Verlauf der kaiserlichen Ständepolitik und der Osmaneneinfälle dargelegt und argumentiert wird. Als Quellensammlung dienen hierbei die Bände 15 und 16 der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe.

Die Politik Karls V., der 1519 zum Kaiser gewählt wurde und 1555/56 im Zuge des Reichstags zu Augsburg seine Abdankung vollzog, findet bedeutenden Anteil in der Gesamtheit der Arbeit, da dessen Handlungen und Entscheidungen untrennbar mit dem Reformprozess verbunden sind.

Die in der Forschung vertretene communis opinio sieht einen Zusammenhang zwischen Osmanenfeldzügen, Reichsständen und Reformation. Eine ausführliche Analyse des Prozesses der Kirchenspaltung unter Einbeziehung des Konfliktes mit den Türken findet sich in der neueren Forschungsliteratur jedoch nicht. Ohne zwar den Einfluss der Osmanen zu vernachlässigen, gibt das im Jahre 2003 erschienene Werk zur Geschichte Österreichs von Thomas Winkelbauer dem politischen Verhältnis von Kaiser und Reichsständen jedoch genauso den Vorrang wie die 2002 erschienene Überblicksdarstellung zu den Habsburgern im 16. Jahrhundert von Esther-Beate Körber.

Einen Focus auf einen verbindlichen Zusammenhang zwischen Expansion der Osmanen und Reformation setzt bzw. setzte Stephen A. Fischer-Galati in seiner 1959 erschienenen Schrift „Ottoman Imperialism and German Protestantism 1521 – 1555“.

II. Hauptteil

1. 1521

Die politische und religiöse Situation, die der Entwicklung im Reich ab 1521 zu Grunde liegt, beinhaltet drei für die spätere Kirchenspaltung wichtige Ausgangspunkte: Zum Ersten die Welle des Bestrebens, die Kirche in ihrer Ursprünglichkeit wiederherzustellen, d. h. ausschließlich den Urtext der Bibel als Grundlage für Leben und Lehre der Christen anzuerkennen. Diese Welle erfasste das Reich, insbesondere nachdem Dr. Martin Luther im Jahre 1517 seine 95 Thesen zum Ablass und zum Sakrament der Buße veröffentlicht hatte. Reformatorische Stimmen und Bewegungen gab es zwar bereits vor Luther. Im Unterschied zu diesen hatten seine Schriften jedoch sofort Massenwirkung, da er sie drucken ließ. Sie erreichten tausendfache Auflagen, mit dem Ergebnis, dass er und seine Ideen rasch bekannt wurden. Viele Theologen und andere Wissenschaftler fühlten sich von Luthers Ansichten angezogen und verbreiteten sie weiter[1]. Die Reformation wuchs schnell zu einer ernstzunehmenden Gefahr für die alte Kirche heran. Anfang des Jahres 1521 wurde Luther deshalb von Papst Leo X. gebannt. Kaiser Karl V. wollte nun die Reichsacht über ihn verhängen[2]. Die Reichsstände[3] bestanden jedoch zunächst auf der Anhörung Luthers auf einem Reichstag. Das mag nicht verwundern, war ihnen dadurch doch die Möglichkeit gegeben, ihrer Unzufriedenheit mit der päpstlichen Politik (der Papst bezog erhebliche Geldeinkünfte aus dem Reich) Ausdruck zu verleihen. Gegenüber dem Kaiser konnten die Stände insofern auftrumpfen, als sie ein Mitspracherecht in der Sache Luther forderten[4]. Diese hierbei deutlich zu Tage tretende Konfliktsituation zwischen Reichsständen und der Zentralgewalt bildete den zweiten wichtigen Faktor: Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gelang es den Ständen, ihre Stellung gegenüber dem Kaiser auszubauen und selbständig Politik zu betreiben[5]. Den Reichsständen war daran gelegen, ihren Herrschaftsbereich gegen eine Einmischung von oben zu sichern und auf diese Weise zur höchsten Autorität ihres jeweiligen Territoriums zu werden. Dieses Unabhängigkeitsbestreben empfanden sie auch gegenüber den kirchlichen Autoräten. Der Einschätzung Körbers, dass die Reformation vielen Territorialherren dazu eine gute Gelegenheit zu bieten schien und sie „deshalb bald nach ihrem Beginn zu einer politischen Auseinandersetzung sowohl zwischen Territorialherren und kirchlichen Autoritäten als auch zwischen Kaiser [...] und Reichsständen“[6] wurde, ist zuzustimmen. In der lutherschen Angelegenheit manifestierte sich dies erstmals überdeutlich. Der Reformator berief sich in seinen Anklagen gegen den Ablasshandel auf den puren Glauben, wie er in der Heiligen Schrift Ausdruck findet: „Sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie denn geschrieben steht: Der Gerechte wird seines Glaubens leben“[7]. Diesbezüglich ist die Aufrichtigkeit der Fürsten und Kurfürsten in Bezug auf den durch Luther gelehrten Glauben fragwürdig, da die ihnen die Reformation Gewinn bringen sollte und auch brachte[8].

Karl gewährte den Reichsständen oben genanntes Mitspracherecht und gestattete Luther, dem Reichstag zu Worms beizuwohnen. Zu seinen Ansichten befragt, verweigerte er mit Berufung auf die Heilige Schrift sowie auf sein Gewissen den geforderten Widerruf seiner Lehre. Karl sah sich in seinem Amt als Schützer der Kirche und kündigte den Kampf gegen die Häresie an. Nach Abschluss des Reichstages unterzeichnete der Kaiser das Mandat gegen Luther und erließ somit das „Wormser Edikt“, durch welches die Acht über Luther verhängt wurde[9]. Das Edikt verbot damit einhergehend den Besitz und die Verbreitung der Schriften Luthers und ordnete an, sie öffentlich zu verbrennen:

„[...] haben wir zu ewiger gedechtnus diss handels, zu volstreckung des decrets, [...], den gedachten Martin Luther, als von gots kirchen abgesündert gelide und einen verstopten zertrenner und offenbarn ketzer von uns und euch allen und jeden insonderheit zu achten und ze halten erkennet und ercleret und thun das wissentlich in kraft diss briefs. [...] Darzu sollet ir [...], all und jeglich solich obbestimpt des Luthers vergift schriften und bücher, als die so dienen zu ainem grossen auflauf, schaden, zertrennung und ketzereien in gotes kirchen, mit dem feur zu verbrennen und in den und ander weg genzlichen abzethun, zu vernichten und zu vertilgen. [...]: demnach [...] gepieten wir abermals [...], das hinfür eur kainer soliche smach und vergifte bücher [...] nit mer dichte, schreib, druck, male, verkauf, kauf, noch heimlich oder offenlich behalte [...], nit gestat, verhenge noch verschaffe.“[10]

Die Frage der tatsächlichen Durchführung dieses Edikts sollte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte insofern zu einem Dreh- und Angelpunkt der fortlaufenden Reformation entwickeln, als sie in einer Reihe von Reichstagen zum Beschluss anberaumt worden war, tatsächlich aber niemals in Ausführung stattfand, da die reformfreundlichen Reichsstände die „osmanische Karte“ ausspielen konnten. Diese kam 1521 akut ins Spiel und stellt den dritten wichtigen Ausgangspunkt dar. Die Türken unter Sultan Süleymân I. („der Prächtige“) bedrohten das Reich. Die Eroberung von Belgrad in demselben Jahr hätte den Habsburgern ein Warnzeichen sein müssen, dass die Osmanen die Eroberungspolitik nach Westen wieder aufnehmen würden[11]. Bereits zu Zeiten Sultan Mehmeds II. (1451 – 1481) hatten die Osmanen ein Konzept für ihre expansive Außen- und Militärpolitik. Das Reich der Habsburger bot sich als Ziel an, war es doch außer Stande, sich effizient zu verteidigen[12]. Das Heerwesen des Osmanischen Reichs, das der Struktur eines stehenden Heeres entsprach, war militärisch vielversprechender als die Söldnerheere des Kaisers, die zunächst erst organisiert werden mussten[13]. Der Sultan verfügte über ein diszipliniertes Berufsheer, das seit osmanischer Frühzeit durch Kriegsgefangene und Sklaven ergänzt wurde[14]. Aus diesem sogenannten System des kul-sistemi entwickelte sich unter Sultan Murat I. (1360 – 1389) die Janitscharentruppe (türk.: yeni çeri). Diese rekrutierte sich zunächst aus jugendlichen Kriegsgefangenen. Später wurde sie systematisch aus den Knaben unterworfener christlicher Völker ausgehoben (Knabenlese). Sie wurden von ihren Eltern entfernt, zum Islam erzogen und bedingungslos auf die Person des Sultans eingeschworen[15]. Zunächst versuchte Süleymân, den Aufmarsch gegen Österreich auf diplomatische Art vorzubereiten. Er bot Ungarn ein Bündnis an, um sich das Durchzugsrecht seiner Truppen in Richtung Steiermark und Kärnten zu sichern. Die ungarische Reaktion bestand jedoch aus Ablehnung, die sich in der Ermordung der osmanischen Botschafter äußerte. Seitens der Habsburger wurden die Monate nach dem diplomatischen Vorstoß Süleymâns nicht genutzt. Kaiser Karls Gedanken kreisten um Martin Luther und das Problem der Reformation, nicht jedoch um die osmanische Offensive im Osten des Reiches. König Ludwig II. von Ungarn sandte eiligst Botschafter zu Papst und Kaiser, doch beide maßen den Geschehnissen nur wenig Bedeutung zu und ließen die Ungarn mit ihrem Schicksal allein[16]. Gerade erst auf dem Thron, er wurde 1521 volljährig und übernahm auch die Regentschaft, musste der junge König Ludwig erkennen, dass in seinem Land nun Tür und Tor offen standen für die türkischen Invasoren[17].

2. Von Reichstag zu Reichstag

Dem Bestreben der Reichsstände, sich weiter von der Zentralgewalt des Kaisers und des Papstes zu lösen, steht die staatliche und konfessionelle Gemeinsamkeit aller im Reich gegenüber, die Osmanen als „public enemy“ zu betrachten. Das liegt insofern auf der Hand, als Reformierte und Katholiken sich darüber im Klaren sein mussten, dass die religiösen Querelen im Reich auf das Expansionsbestreben des Sultans einen durchaus anspornenden Einfluss haben konnten, war das Reich doch innerlich geschwächt. Die europäische Christenheit musste sich dessen bewusst sein, dass es den Türken fern lag, bezüglich der Konfessionen Partei zu ergreifen, was sich allein schon in deren Glauben begründete: „[...] according to Islamic constitutional concept, the inhabited world is fundamentally divided in the so-called Islamic general territory and the to-be-conquered land, the Islamic claim to world dominance is clear and the non-Muslim is automatically marked as the opposition [...]“[18]. Die Welt der Ungläubigen (dar-al-harb) muss hierbei durch einen allumfassenden Einsatz für die Sache Gottes (djīhād), gegebenenfalls auch im Rahmen eines „Heiligen Krieges“, in die Welt der wahrhaft Gläubigen (dar-al-islâm) integriert und zum wahren Glauben geführt und bekehrt werden[19]. Insofern war die Auseinandersetzung mit den Türken auch religiös untermauert. Für die Menschen des 16. Jahrhunderts war die Expansion des Osmanischen Reiches nicht nur ein säkularer Gefahrenfaktor, sondern auch eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen. Ob nun die alte Kirche die Sünderin war oder die aufkeimende Reformation, liegt wohl im Auge des Betrachters oder der Betrachterin. Die realen Verhältnisse wurden also theologisch gedeutet[20].

[...]


[1] Vgl. Körber, Esther-Beate, Habsburgs europäische Herrschaft. Von Karl V. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Darmstadt 2002, S. 47.

[2] Reichsacht bedeutete den Ausschluss aus der weltlichen Gemeinschaft. Der Ausschluss aus der kirchlichen Gesellschaft wird bewirkt mit der Verbannung durch den Papst.

[3] Vgl. Rosemarie Aulinger, Reichsstände. In: LThK, Bd. 8, Sp. 995:

Seit dem Spätmittelalter wurden die Reichsstände zur Entscheidung über politische Fragen herangezogen, woraus sich ihr Recht auf Sitz und Stimme auf Reichstagen des Heiligen Römischen Reiches entwickelte. Sie besaßen reichsunmittelbare Güter und Territorien und leisteten u. a. ihren Anteil zur Finanzierung der Reichskriege.

[4] Vgl. Körber S. 48.

[5] Vgl. Aulinger. In: LThK Sp. 995.

[6] Körber S. 47.

[7] Bibel, Römer 1, 17.

[8] Vgl. Reinhard, Wolfgang (Hrsg.), Probleme deutscher Geschichte 1495 – 1806. Reichsreform und Reformation 1495 – 1555, Stuttgart 200110 (Gebhardt – Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 9), S. 313 – 314.

[9] Ibidem S. 271 - 272.

[10] Vgl. Kohler, Alfred (Hrsg.), Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 15) S. 76 – 78.

[11] Vgl. Körber S. 65.

[12] Vgl. Majoros, Ferenc u. Rill, Bernd, Das Osmanische Reich (1300 – 1922). Die Geschichte einer Großmacht, Graz, Wien, Köln 1994 S. 217.

[13] Vgl. Vocelka, Karl, Das Türkenbild des christlichen Abendlandes in der frühen Neuzeit. In: Erich Zöllner, Karl Gutkas (Hrsg.), Österreich und die Osmanen – Prinz Eugen und seine Zeit, Wien 1988 (Schriften des Instituts für Österreichkunde 51/52), S. 30.

[14] Vgl. Vocelka, Karl, Die inneren Auswirkungen der Auseinandersetzung Österreichs mit den Osmanen. In: Südost-Forschungen 36, München 1977, S. 29.

[15] Vgl. Udo Steinbach, Geschichte der Türkei, München 2000, S. 38.

[16] Vgl. Majoros, Rill S. 218.

[17] Vgl. Molnár, Miklós, A concise history of Hungary, Cambridge 2001, S. 84.

[18] Alexander Sándor Unghváry, The Hungarian Protestant Reformation in the sixteenth century under the Ottoman impact. Essays and Profiles, Lewiston, Lampeter, Queenston 1989 (Texts and Studies in Religion 48), S. 116.

[19] Vgl. Vocelka, Südost-Forschungen 36, S. 15.

[20] Vgl. Vocelka. In: Zöllner, S.22.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Osmanen- und Ständepolitik im Reich als Reformationsfördernde Faktoren
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Note
2,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V26352
ISBN (eBook)
9783638287111
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit dem Prozess der Reformation zwischen 1521 und 1555 in Verbindung mit den Feldzügen der Osmanen gegen das Königreich Ungarn unter Sultan Süleymân I. und der Ständepolitik Kaiser Karls V. im Reich. Wie hat beides die Reformation bedingt? Inwiefern haben die Türken die Reichsstände 'unterstützt' und die Reformation 'gefördert'?
Schlagworte
Osmanen-, Ständepolitik, Reich, Reformationsfördernde, Faktoren
Arbeit zitieren
Katrin Eichhorn (Autor:in), 2004, Osmanen- und Ständepolitik im Reich als Reformationsfördernde Faktoren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26352

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