Die Perspektive der Helmkamera als Form der First Person Perspective im Computerspiel NEED FOR SPEED: SHIFT 2 UNLEASHED


Dossier / Travail de Séminaire, 2013

22 Pages, Note: 2,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Avatar

3. Die First Person Perspective und ihr Point of View
3.1. Formen des Point of View

4. Die First Person Perspective im Computerspiel Need for Speed: Shift 2 Unleashed
4.1. Die Helmkamera als Form der First Person Perspective

5. Schlussgedanken

6. Abbildungsnachweis

7. Abbildungen

8. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Im Gegensatz zu den Medien Film und Fernsehen, versucht das Computerspiel den virtuellen Raum mit dem Realraum zu verbinden und so eine Erweiterung in einen Handlungsraum zu eröffnen. Wo die subjektive Sicht im Film eher für Momente der Desorientierung, Schockwirkung oder Entfremdung eingesetzt wird, erfährt das Computerspiel durch sie einen Effekt der Subjektivierung, welcher durch das Verschmelzen der Blickpunkte der spielenden Person vor dem Bildschirm und der repräsentativen Avatarfigur in der diegetischen Spielwelt entsteht. Zudem wird eine Verdopplung der Position geschaffen – die der spielenden Person in der realen Welt (als Beobachter) und die in der Spielwelt (als Akteur). Während des eigentlichen Spielprozesses interagieren diese beeinflussenden und beobachtenden Funktionen miteinander und bilden somit den Grad der Immersion[1]. Diese Effekte werden im Computerspiel am ehesten durch die First Person Perspective erzielt, welche heutzutage fast schon synonym für den First-Person-Shooter (auch Ego-Shooter) verwendet wird. Doch was zeichnet den First-Person-Avatar und damit letztendlich die First Person Perspective eigentlich im Unterschied zu beispielsweise der Rückenfigur der Third Person Perspective, die eine lange bildhistorische Tradition aufweist[2], aus?

Die vorliegende Arbeit nimmt zunächst eine kurze Definition und Eingrenzung des Avatar-Begriffs vor. Im weiteren Verlauf wird die First Person Perspective als subjektiver Point of View des Avatars näher erläutert. Hierbei wird zum einen auch auf die Anfänge der Perspektive in der Renaissance verwiesen sowie zum anderen eine partielle Abgrenzung zu anderen Formen möglicher Avatar-Perspektiven vorgenommen. Da die meisten Theorien zum Thema First Person Perspective auf Beispielen zum Genre Ego-Shooter basieren, soll hier in einem letzten Schritt das Spiel Need for Speed: Shift 2 Unleashed, stellvertretend für simulative Spiele des Genres Sport- und Rennspiele, mit der Perspektive der Helmkamera vorgestellt werden. Hierbei soll der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei dieser Art der Avatar-Perspektive ebenfalls um eine subjektive Sichtweise des First-Person-Avatars sowie sie auch im Ego-Shooter dargestellt wird, handelt.

2. Der Avatar

Bevor sich der First Person Perspective angenommen wird, welche eine mögliche Art der Perspektivierung beziehungsweise Positionierung der Spielfigur darstellt, soll zunächst eine Eingrenzung des Avatar-Begriffs vorgenommen werden. Da es mehrere verschiedene Beiträge zur Avatar-Theorie gibt, ist es sinnvoll auch für die vorliegende Arbeit vorweg eine kurze Begriffsdefinition zu geben[3].

Wenn im Weiteren von Avatar gesprochen wird, ist damit die steuerbare Avatarfigur innerhalb der Spielansicht des Computerspiels gemeint. Denn, wie bereits Benjamin Beil erörterte, wird der Avatar hierbei zum wesentlichen und eigenständigen Element der „Bild-Spieler-Schnittstelle“. Diese Eingrenzung schließt also die Darstellung der Figur in so genannten nicht-interaktiven Cut-Scenes aus.[4] Der Avatar wird hier in vielen Fällen gleichzeitig zu einer Prothese des Spielenden und zu einer diegetischen Figur. Hierbei wird also die diegetische Handlung der Avatarfigur beschrieben. Das heißt, wenn der Avatar eine Handlung ausführt, impliziert diese, dass der Spielende eine interaktive Aktion vor dem Bildschirm durch Knopfdruck befohlen hat.

James Newman unterscheidet zwischen einem „On-Line-“ und „Off-Line-Avatar“. Hierbei sieht er den Off-Line-Avatar als Charakter, ähnlich einer Filmfigur. Der On-Line-Avatar verliert, während der Interaktion, die Eigenschaften einer Figur und wird zum Werkzeug („vehicle“). Dabei geht es vorrangig um seine Funktionalität, sein Äußeres tritt in den Hintergrund ‒ er Avatar wird sozusagen zum Cursor. Er verbindet den Spielenden nicht direkt mit der virtuellen Spielwelt, sondern generiert einen neuen gesonderten Körper innerhalb dieser – er wird zu einer Kopplungsmöglichkeit und verschmilzt nicht mit dem User ‒, welcher lediglich Handlungsoptionen in der Spielwelt ausführt.[5] So stellt Rune Klevjer treffend fest: „The 3D avatar is not the poor man’s VR [Virtual Reality].“[6]

Die Positionierung beziehungsweise Perspektivierung des Avatars zeigt eine große Varianz. So ist zum Beispiel die Mario-Figur aus Super Mario World[7] als 2D-Avatar in der Seitenansicht nicht an eine bestimmte Position im Spiel gebunden (er kann von rechts nach links und sogar von oben nach unten laufen, Abb.1). Dem gegenüber ist ein Avatar als 2D-Rückenfigur in einem Ego-Shooter-Spiel überwiegend zentral am unteren Bildrand positioniert (Abb.2). Nachstehend soll hier eine Übersicht über die Eigenschaften der subjektiven First Person Perspective (im Weiteren FPP abgekürzt), so wie sie in den meisten Ego-Shootern dargestellt wird, gegeben werden.

3. Die First Person Perspective und ihr Point of View

Kurz zusammengefasst, bezeichnet der Begriff der Perspektive die Abbildung eines Raumes oder eines räumlichen Objektes auf eine zweidimensionale Fläche. Hiermit soll vorrangig die Illusion einer Raumtiefenwirkung durch sich perspektivisch verkleinernde Gegenstände und Personen erzielt werden – es entsteht ein dreidimensionaler Eindruck auf einem zweidimensionalen Untergrund.[8]

Den Ausgangspunkt des Point of View (im Weiteren PoV abgekürzt) der FPP bildet die Zentralperspektive der Renaissance (Vordenker zur Perspektive waren unter anderem Euklid und Alhazen). Diese wurde erstmals vom Bildhauer und Architekten Filippo Brunelleschi 1413 angewandt und durch den italienischen Theoretiker Leon Battista Alberti in seiner Schrift De Pictura ( Über die Malkunst,1435/1436 ) theoretisch fundiert. Die Zentralperspektive beschreibt damit eine Umorientierung des menschlichen Blicks. Später wurde Albertis anfänglicher Begriff der ‚Sehpyramide‘ von Jacques Lacan zur Systematisierung des Raumes erweitert. Dabei entsprach der Fluchtpunkt nun auch dem Augenpunkt des Betrachters. Das Dargestellte zentrierte sich so im Sehenden und wurde von diesem Punkt aus auf den Horizont projiziert. Hierbei anzumerken ist aber, dass die Zentralperspektive nicht dem ‚natürlichen‘ Sehen entspricht, sondern nur eine mögliche Projektionsart neben anderen ist. Dies ist auch für das Computerspiel relevant, denn dieses ist nicht an die linearperspektivische Geometrie des Spielraums gebunden.[9]

Einen interessanten Ansatz findet man bei Benjamin Beil, der auf Ernst Machs Selbstporträt Selbstanschauung Ich verweist (Abb.3) und hierin Ähnlichkeiten zur FPP beziehungsweise der Décapité-Figur im zeitgenössischen Computerspiel sieht. Das erstmals 1886 als Holzstich in Machs Werk Analyse der Empfindung erschienene Bild zeigt ein ungewöhnliches Selbstporträt, bei dem Mach seine subjektive Perspektive beziehungsweise einen im Bild visualisierten Blickträger widergibt. Das Porträt zeigt einen auf einer Chaiselongue liegenden Körper, vor dem sich ein Fenster, worin sich eine Landschaft erstreckt, befindet. Die zentrale Fluchtpunktperspektive, die unter anderem durch die Dielen und den sich links befindlichen Bücherschrank gebildet wird, endet oberhalb der mittleren Fensterverstrebung. Das Porträt wird durch die linke Augenhöhle des Malers selbst, an der man auch den Nasenflügel sowie Teile eines Bartes erkennen kann, eingerahmt. Vom Blickträger selbst sieht man den linksseitigen Körper von der Brust abwärts sowie die Beine samt Füße und eine in den Blick reinragende rechte Hand, die einen Zeichenstift hält.[10]

Doch trotz Machs Darstellung einer subjektiven Perspektive, empfindet man Irritation. So besitzt das Porträt eine durchgängige Schärfentiefe (dieses trifft ebenfalls auf Computerspiele zu, so zum Beispiel bei Far cry 2[11] ), gleichzeitig zeigt es ein kombiniertes Spiel aus Außen- und Innenperspektive, da der Blick des Betrachters aus einer suggerierten Augenhöhle hinaustritt – anders als es in der Regel bei der FPP in Computerspielen der Fall ist. Machs Selbstporträt macht also die Grenze zwischen Innen und Außen bewusst. Im zeitgenössischen Computerspiel entfallen diese Umrisse des Gesichtsfeldes und werden nicht direkt dargestellt. Hierbei geht es vielmehr um die Strategien einer „stilisierten Präsenz“ des Avatars und seinem Blick. Zudem sind bei der FPP meist nur (bewaffnete) Hände oder eventuell noch knappe Körperausschnitte am Bildrand zu erkennen und nicht wie bei Mach der komplette Rumpf (in den neueren Computerspielen kann sich der Avatar partiell betrachten, zum Beispiel seine Füße oder seinen Unterleib beim Herunterschauen). Der Betrachter wird zu einer Art „Humunculus“ und nicht zum Ich der Selbstanschauung. Beil stellt fest, dass dieses die Künstlichkeit sowie auch die Komplexität der Décapité-Figur und die damit korrelierende Disparität der Beziehung zwischen Blickträger und Avatar-Körper beziehungsweise Betrachter-Körper wiedergibt.[12]

[...]


[1] Vgl. Neitzel, Britta: Point of View und Point of Action. Eine Perspektive auf die Perspektive in Computerspielen. In: Computer/Spiel/Räume. Materialien zur Einführung in die Computer Game Studies, hrsg. von Klaus Bartels und Jan-Noël Thon, Hamburger Hefte zur Medienkultur, hrsg. vom Institut für Medien und Kommunikation des Departments Sprache, Literatur, Medien SLM I der Universität Hamburg, Nr. 5, 2007, S. 8-28, online verfügbar unter: http://www.slm.uni-hamburg.de/imk/HamburgerHefte/hamburgerhefte. html (07.03.2013), S. 9f.

[2] Vgl. Beil, Benjamin: First Person Perspectives. Point of View und figurenzentrierte Erzählformen im Film und im Computerspiel. (Medien‘ Welten. Braunschweiger Schriften zur Medienkultur, hrsg. von Rolf F. Nohr, Bd. 14) Lit, Münster 2010 sowie Ders.: Avatarbilder. Zur Bildlichkeit des zeitgenössischen Computerspiels. (Kultur- und Medientheorie) Transcript Verlag, Bielefeld 2012.

[3] Mit Avatar können mehrere Bedeutungen gemeint sein. So z.B. auch jegliche computergenerierte Figur, auch wenn sie unabhängig vom Spielenden funktioniert, also auch in integrierten Filmszenen im Computerspiel, mit einschließt. In der vorliegenden Arbeit wird diese Auslegung des Begriffs jedoch ausgeschlossen. Als erster ‚organischer‘ Avatar kann Pac-Man (Pac-Man, Atari 1981) bezeichnet werden. Die vorigen Avatare waren eher mechanisch in Form einer Waffe oder eines Raumschiffes. Vgl. Lehmann, Claus: „Untersuchung des Zusammenwirkens von Repräsentation, Perspektive und Interaktion im Computerspiel“. Großer Beleg, Technische Universität Dresden, 2010, online verfügbar unter: http://mg.inf.tu-dresden.de/studentische-arbeiten/arbeiten/341 (07.03.2013), S. 20.

[4] Beil (2012): Avatarbilder, S. 12f.

[5] Vgl. Newman, James: The Myth of the Ergodic Videogame. Some Thoughts on Player-Character Relationships in Videogames. In: Game Studies. The international journal of computer game research, Nr. 2, Ausg. 1, Juli 2002, online verfügbar unter: http://www.gamestudies.org/0102/newman/#top (12.03.2013) und Beil (2010): First Person Perspectives, S. 59-62.

[6] Klevjer, Rune: What is the Avatar? Fiction and Embodiment in Avatar-Based Singleplayer Computer Games. Diss. Universität Bergensis, 2006, online verfügbar unter: folk.uib.no/People/smkrk/docs/Rune Klevjer_What%20is%20the%20Avatar_finalprint.pdf (13.03.2012), S. 199.

[7] Super Mario World, Nintendo 1992.

[8] Schwingeler, Stephan: Die Raummaschine. Raum und Perspektive im Computerspiel. (Game Studies) VWH Verlag Werner Hülsbusch – Fachverlag für Medientechnik und- wirtschaft, Boizenburg 2008, S. 21.

[9] Stephan Schwingeler gibt eine gute Übersicht über die Anfänge der Perspektive und ihrer Konstruktion über die verschiedenen Epochen hinweg bis zur heutigen computergestützten Animierung. Vgl. ebd., S. 21-72 und Schulte-Sasse, Jochen: Perspektiven/Perspektivismus. In: Barck, Karlheinz u.a.: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Metzler, Stuttgart u.a. 2002, S. 758-778.

[10] Vgl. Beil (2012): Avatarbilder, S. 182-184 und Scholl, Michael: Imaginäre Räume. In: Medien/Theorie/ Geschichte, Nr. 2, November 1996, online verfügbar unter: http://www.ekphorie.de/museal/ mtg/scholl.htm (19.03.2013).

[11] Far cry 2, Ubisoft 2008.

[12] Vgl. Beil (2012): Avatarbilder, S. 187f.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die Perspektive der Helmkamera als Form der First Person Perspective im Computerspiel NEED FOR SPEED: SHIFT 2 UNLEASHED
Université
Braunschweig Academy of fine arts  (Institut für Medienforschung)
Cours
Räume des Computerspiels
Note
2,7
Auteur
Année
2013
Pages
22
N° de catalogue
V263547
ISBN (ebook)
9783656522423
Taille d'un fichier
2160 KB
Langue
allemand
Mots clés
Computerspiel, Need for Speed, Shift 2 Unleashed, First Person Perspective, FPP, Ego Shooter, Shooter, Second Person Perspective, Third Person Perspective, Helmkamera, First Person View, Avatar
Citation du texte
Janina Schizmer (Auteur), 2013, Die Perspektive der Helmkamera als Form der First Person Perspective im Computerspiel NEED FOR SPEED: SHIFT 2 UNLEASHED, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263547

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