Das Konzept Zwischenstadt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

11 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Konzept Zwischenstadt – Wirkungen im Zusammenleben der Menschen

Sieverts (2001) beschreibt mit seinem Konzept der Zwischenstadt die Entwicklung von Städten in die Landschaft bzw. den ländlichen Raum hinein. Er behandelt das Phänomen der Auflösung der kompakten europäischen Stadt und tut dies aus primär städteplanerischer Sicht. Sieverts geht dabei, auch in aktiver Abgrenzung zu den Kritiker_innen dieses Phänomens, auf die Potenziale der Entwicklungen ein.

Der Diskussion der Relevanz dieses Phänomens auf das (Zusammen)Leben der Menschen möchte ich die Vermutung voranstellen, dass neben der Globalisierung und ihren Folgen für die Entwicklung von Städten, wie Sieverts es beschreibt (vgl. Sieverts 2001:17), weiterhin ein wenig genaues aber nachhaltig präsentes romantisches Bild vom Leben außerhalb der kompakten Stadt dazu beiträgt, dass Menschen sich jenseits wirtschaftlicher Notwendigkeiten aus der Stadt in Richtung ländlichen Raums orientieren. Auf die Möglichkeit einer solchen habituellen Motivation für die Flucht in die Landschaft geht Sieverts nicht vertieft ein. Gleichwohl spielt sie in seinen als Thesen formulierten Schlussfolgerungen eine Rolle, wenn er etwa die Schaffung von Anreizen für einen innerregionalen Tourismus oder die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls fordert (Back 2004:2).

In der Diskussion des Phänomens Zwischenstadt aus der Perspektive Sozialer Arbeit muss aus meiner Sicht die Frage der unterschiedlichen Motivationen der Akteure zur Aneignung und Gestaltung von Kernstadt, Zwischenstadt und ländlichem Raum bzw. zur jeweiligen Inanspruchnahme dieser drei Bereiche zumindest stattfinden.

Zu fragen ist zudem, inwieweit das Phänomen der Zwischenstadt nicht nur Ergebnis unterschiedlicher Gestaltungsmotivation ist, sondern in der Umkehrung Einfluss auf die Lebensstilgestaltung[1] verschiedener sozialer Gruppen hat. Es muss also betrachtet werden, in welcher Weise verschiedene soziale Gruppen an der Zwischenstadt-Entwicklung partizipieren oder in ihrer Folge Ausgrenzung erfahren. Wenn Sieverts (a.a.O.:16) beschreibt, dass unter anderem das Bauherrenverhalten – die Suche nach bezahlbarem Wohn-Bauplatz mit noch möglicher Anbindung an die Kernstadt bzw. das Ballungszentrum – zur Zerklüftung der Städte in den Randgebieten beiträgt, so wird schon erkennbar, dass dieses Phänomen eben nur jenen Teil der Bevölkerung betrifft, der sich individuelles Wohneigentum überhaupt leisten kann, dass ferner das so entstehende Wohneigentum kaum den wenig einkommensstarken sozialen Gruppen zur Verfügung stehen wird. Diese bleiben folglich in Teilen der verdichteten Kernstadt und werden hier wiederum eigene Lebensstile – entsprechend der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen – entwickeln.

Neben der Betrachtung wirtschaftlicher Einflüsse, der habituelllen Motivation zur Abwanderung tendenziell wohlhabender Bewohner_innen aus der Kernstadt sowie der Wirkung auf die sich unterscheidenden Lebensstile der sozialen Gruppen halte ich eine zweite Perspektive in der Betrachtung der städtischen Entwicklung für notwendig. Die Entwicklung der Stadt wird in meiner Wahrnehmung primär aus der städtischen Perspektive heraus betrachtet. Kritik wird ebenso wie eine mehr oder weniger euphorische Bejahung der Entwicklungen in der Stadt und der sie umgebenden Landschaft von der Ausgangsannahme formuliert, dass die Stadt[2] gegenüber dem ländlichen Raum die bestimmende Größe sei, Entwicklungen also primär von ihr ausgingen, der ländliche Raum bestenfalls für die Stadt benötigte Ressourcen bereit hielte. Im Schatten von Stadt und Zwischenstadt erfährt der ländliche Raum, auch bei Sieverts, kaum eine angemessene Aufmerksamkeit.

Die Entwicklung der Zwischenstadt kann jedoch meines Erachtens auch aus der Perspektive des ländlichen Raums betrachtet werden, wenn unterstellt wird, dass die oben angedeuteten nicht-wirtschaftlichen Beweggründe von Menschen zum Verlassen der Kernstadt mit einem bestimmten Bild vom Ländlichen verbunden sind. So wäre unter Umständen die Zwischenstadt aus Sicht des Ländlichen ein (letztlich nicht gelingender) Versuch der Annäherung der Stadt an das Ländliche, so betrachtet also möglicherweise eine belastbare Begründung für die Betrachtung des Ländlichen als positive Orientierungsgröße für zwischenstädtische Entwicklungen oder ggf. zumindest für das Zusammenleben in der Zwischenstadt.

Immerhin hält sich das konservativ romantische Bild vom Leben im traditionellen Dorf auch in Zeiten, in denen etwa 70 Prozent der Deutschen in Zwischenstadt-Strukturen leben (vgl. Back 2004:1). „'LandLust', 'Landliebe', 'Mein schönes Land – die Magazine zur neuen Lust aufs Landleben sprießen aus dem Boden und befüttern offenbar diese Sehnsucht nach der Einfachheit des Lebens“, so beschreibt es etwa Birgitt Kelle treffend in ihrer Kollumne „Landlust reloaded“ (Kelle 2013:o.S.). Sie verweist in der Folge zugleich auf das Mitschwingen eines konservativen Werteverständnisses, das nicht zuletzt in einem traditionalistischen Rollenbild, der „heilen Welt“ mit ihren der Frau zugedachten drei K's „Kinder-Küche-Kirche“ gipfelt. Die Zwischenstadt steht als Phänomen in ihrer vermeintlichen Diffusität eben auch symptomatisch für eine Überforderung der zwischenstädtischen Bevölkerung in der Gestaltung gelingender Lebenskonzepte. Scheinbar gefangen in der Komplexität des Nebeneinanders diverser Spezialräume, zwischen denen sich die Stadtbe-wohner_innen von früher Kindheit an bewegen, der als selbstverständlich geltenden permanenten räumlichen und geistigen Mobilität, der notwendigen Einkommens-sicherung und dem Streben nach individueller Optimierung wächst eine Sehnsucht nach bewährten Lebenskonzepten, wie sie das Leben auf dem Lande verspricht.

[...]


[1] In der Verwendung des Lebensstilbegriffs orientiere ich mich dabei an Bordieu, der Lebensstil primär als einen Ausdruck von Klassenzugehörigkeit sieht, indem das unterschiedliche „Haben“ in ein sich unterschiedendes spezifisches „Sein der Akteure“ umgewandelt wird (vgl. Bourdieu 1989:19).

[2] gemeint ist hier die traditionelle europäische Stadt (vgl. u.a. Siebel 2005)

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Das Konzept Zwischenstadt
Hochschule
Hochschule RheinMain  (Soziale Arbeit)
Veranstaltung
Modul Grundlagen sozial-räumlicher Praxis
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
11
Katalognummer
V263836
ISBN (eBook)
9783656528555
ISBN (Buch)
9783656531760
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Ausarbeitung behandelt grundsätzliche Aspekte des Konzepts Zwischenstadt.
Schlagworte
konzept, zwischenstadt
Arbeit zitieren
B.A. Mario Braun (Autor:in), 2013, Das Konzept Zwischenstadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263836

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