Regionalfranzösisch in Südfrankreich: "francitan"


Hausarbeit, 2009

21 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlegendes
2.1 Die français régionaux
2.2 Südfrankreich - geographische Eingrenzung

3. Diglossie: Französisch - Franzitanisch - Okzitanisch

4. Das Franzitanische - „un batârd linguistique“
4.1 Phonetik und Phonologie - „Der Akzent des Südens“
4.1.1 Vokalismus
4.1.2 Konsonantismus
4.2 Morphosyntax
4.3 Lexik - Archaismen und regionale Eigenheiten
4.4 „mise en scène“ des francitan - Texte, TV und Radio

5. Fazit

1. Einleitung

„Les Occitans ne parlent pas occitan [«]. Ils parlent francitan.“ (Codèrc Ives, „Francitan“, Occitania passat e present, n°3, 1974, p. 20. Zitiert in: Boyer, Henri, Langues en conflit: études sociolinguistiques, Paris 1991, p. 147)1

Ziel der vorliegenden Hausarbeit ist es, die sprachliche Situation Südfrankreichs, des okzitanischen Sprachraums, darzustellen.

Nachdem in einem ersten Schritt anhand wichtiger Definitionen die entsprechenden theoretischen Grundlagen geschaffen wurden, soll die diglossische Konfliktsituation zwischen dem Okzitanischen und dem Französischen und deren Einfluss auf die Entstehung des Franzitanischen2 analysiert werden.

Das Wort „francitan“ als Mischwort aus français und occitan3 deutet eine ebensolche Mischung an. Daher soll in einem zweiten Schritt das Franzitanische selbst untersucht werden und dabei Schritt für Schritt auf die verschiedenen Sprachebenen eingegangen werden. Zudem wird es ein Unterkapitel geben, in dem das Vorkommen des Franzitanischen außerhalb des mündlichen Gebrauchs der Südfranzosen, z.B. die Verwendung im Schriftsprachlichen, dargestellt werden soll.

In einem letzten Schritt sollen die Zukunftsaussichten für das Franzitanische aufgezeigtwerden.

2. Grundlegendes

„La langue de la République est le français“

(„Conseil Constitutionnel- Texte intégral de la Constitution de 1958“ <http://www.conseil-constitutionnel.fr/[...]> (19.04.09))

So lautet der erste Satz des zweiten Artikels der Verfassung der V. Republik von 1958.

Doch schon der Titel der vorliegenden Arbeit macht deutlich, dass es neben dem Französischen noch weitere Sprachvarietäten auf dem französischen Territorium gibt.

„Wenn man die Sprachsituation in Frankreich betrachtet, so finden wir dort vier romanischeSprachen (Französisch, Okzitanisch, Italienisch, Katalanisch) und vier nicht-romanische(Deutsch, Baskisch, Bretonisch, Niederländisch). Mit acht Sprachen auf seinem Territorium

(ohne Überseegebiete) übertrifft Frankreich die viersprachige Schweiz.“ (Eschmann 1986,90)

An dieser Stelle soll nun zunächst geklärt werden, was unter „Regionalfranzösisch“ zuverstehen ist und welcher geographische Bereich genau mit „Südfrankreich“ gemeint ist.

2.1 Die français régionaux

Müller definiert den Terminus français régional wie folgt:

„Unter einem français régional verstehen wir ein Register regionaler bis rein örtlicher Beschränkung, das von den Sprechern einer Region bzw. eines Ortes- nicht bloß untereinander- gebraucht wird und das Frankophone anderer geographischer Herkunft entweder als «Französisch von A, B, C«» lokalisieren oder- phonetisch- als Französisch «mit einem Akzent» qualifizieren.“ (Müller 1975, 116)

Deren Entstehung erklärt er folgendermaßen:

„Die meisten français régionaux sind durch die Ausbreitung der Gemeinsprache über dieDialektzonen und die Gebiete nichtfranzösischer langues ethniques entstanden. Beimlangsamen Erwerb «des Französischen» haben die Bewohner die lautlichen,morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Muster der Regionalsprachen auf diesesübertragen und so nach den jeweiligen regionalen Vorgegebenheiten eine zusätzlichemittlere Ebene zwischen der Ausgangs- und der Zielsprache geschaffen.“ (Müller 1975,117)

Im vorliegenden Fall erfolgte die Ausbreitung des Französischen über das okzitanische Sprachgebiet, die „mittlere Ebene“ ist das Franzitanische.4

Müller betont besonders den „konservativen Charakter“ dieser Regionalsprachen, d.h. veraltete Elemente (Archaismen) des Französischen bleiben im francitan, v.a. im Bereich Phonetik/Phonologie und Lexik, erhalten.5 (vgl. Müller 1975, 119)

2.2 Südfrankreich - geographische Eingrenzung

Grob lässt sich das französische Territorium unterteilen in die Gebiete der langue d’oïl imNorden und der langue d’oc im Süden, benannt nach den aus dem Lateinischenweiterentwickelten Bejahungspartikeln, die sich dort jeweils durchsetzten (vgl. Eschmann1986, 93).

„Das okzitanische Sprachgebiet umfaßt im wesentlichen das französische Festland südlich der Loire, abgesehen von den Gebieten, in denen Baskisch oder Katalanisch gesprochen wird.“ (Eschmann 1986, 91)

„L’espace où l’on parle aujourd’hui occitan (oc.) couvre à peu près 200.000 km² et compteainsi parmi les grands domaines linguistiques en Europe. Il se trouve à peu d’exceptionsprès à l’intérieur de l’Etat français. Dans une certaine mesure, il s’agit d’un espace fictif,étant donné que partout l’oc. est aujourd’hui en coexistence avec le fr. [...]“ (Kremnitz1997, 1188)

Die nachfolgende Karte soll diesen geographischen Sachverhalt veranschaulichen.

(Kremnitz 1981b, 12)

3. Diglossie : Französisch - Franzitanisch - Okzitanisch

„La situation de contact entre fr. et oc. est une situation clairement diglossique (emplois différents, différemment connotés, une partie des locuteurs seulement parlant la langue dominée).“ (Kremnitz 1997, 1191).

„Par diglossie il faut entendre la superposition de deux langues, ou de deux variétéslinguistiques dont l’une (qui occupe un niveau supérieur de pouvoir et de prestige) estconsidérée comme ,,haute“ (A) et est utilisée dans les relations „formelles“ (vie publique, enseignement, mass-média...). L’autre est considérée comme „basse“ (B) et s’utilisepresque exclusivement dans les relations informelles (famille, plaisanterie, animaux...).(Couderc, Yves, „D’après Ninyoles, Idioma i prejudici : le problème linguistique en Occitanie“, Cahier n°1 du Groupe de Recherche sur la Diglossie, Montpellier 1974, p. 3.Zitiert in : Boyer, Henri, Langues en conflit : études sociolinguistiques, Paris 1991, p.23.)

Die französisch-okzitanische Diglossie fällt unter die Definition von Diglossie nach Fishman,d.h. hier konkurrieren zwei vollwertige Sprachen und nicht zwei Varietäten einer Sprachemiteinander6. Couderc spricht auch von einer „Situation der Herrschaft von A über B“.(Couderc 1982, 109)

Kremnitz unterscheidet vier Etappen der Substituierung, der Verdrängung des Okzitanischen durch das Französische, durch die es zu dieser diglossischen Kontaktsituation und somit zur Herausbildung des Franzitanischen als „Zwischenebene“ kommen konnte:7

1. Langsames Eindringen des Französischen in den schriftlichen Bereich (1271-1539)
2. Durchsetzung des Französischen im offiziellen (schriftlichen) Verkehr und allmähliche Fortschritte im mündlichen Gebrauch (1539-1789)
3. Beginn der massenhaften Substitution im mündlichen Gebrauch im Zuge der politischen Neuorientierung seit der Revolution (1789-1881)
4. Planmäßige Durchsetzung des Französischen im Zuge der allgemeinen Schulpflicht (seit 1881)

Etappe drei und vier sind sicherlich die wichtigsten bezüglich der Herausbildung des Franzitanischen, da hier die Ausbreitung des Französischen im mündlichen Gebrauch erfolgt und es so, wie von Müller beschrieben8, auf der Grundlage des Okzitanischen zur Ausbildung einer Zwischenebene (auch als „Interlekt“9 oder „Kontinuum“10 bezeichnet) kommen kann. „[«] la période-clé [...] pour le développement du francitan: la période révolutionnaire et la première moitié du XIXe siècle.“ (Boyer 1990, 40)

Der unterschiedliche Gebrauch der beiden Sprachen erfolgt, wie die oben zitierte Definitionvon Diglossie zeigt, aus außersprachlichen Gründen, aufgrund von entsprechendenVorurteilen und Werturteilen, die jeweils auf das Französische und das Okzitanische, undwie sich zeigen wird auch auf das Franzitanische, angewendet werden. (vgl. Couderc 1982,109) Das Französische wird aufgewertet, das Okzitanische als „langage grossier, d’ouvriers,de paysans, le langage « que les bêtes comprennent »“ (Lafont 1971, 96) abgewertet undvergleichbare Vorurteile werden auch auf das Franzitanische, als Regionalfranzösisch mitokzitanischem Substrat, übertragen.

„Selbst wenn die sprachliche Analyse der Wirklichkeit nicht immer dieselbe ist, sind dasFranzösische, das Okzitanische und das Franzitanische in der Lage, dieselben Dingeauszudrücken. Das Wesentliche ist allerdings, daß in einer diglossischen Gesellschaft keinSprecher wirklich zweisprachig ist (A=B). Die jeder Sprache entgegengebrachtenWerturteile bedingen die Wahl von A oder B in Hinsicht auf das Prestige, dieGesprächssituation, das zur Sprache stehende Thema« [«] es handelt sich dabei nicht umeine praktische Arbeitsteilung zwischen zwei Codes, sondern um eine aufgrund einesentfremdeten Bewußtseins vorgenommene. [«] das Bewußtsein, Französisch zu sprechen(in Wahrheit: Franzitanisch) [beschränkt] sich auf den Gebrauch der Morpheme und desgrammatischen Instrumentariums des Französischen. Die anderen Elemente könnenokzitanischen oder französischen Ursprungs sein.“ (Couderc 1982, 116f.)

[...]


1 Ives Codèrc = Yves Couderc

2 In der vorliegenden Arbeit finden beide Begriffe, francitan und Franzitanisch, Anwendung.

3 Die Bildung dieses Mischwortes erfolgte wohl in Anlehnung an die Bildung des Wortes „franglais“ aus français und anglais. (vgl. Boyer 1991, 145)

4 Genaueres dazu in Kapitel 2.3 sowie. 3.

5 Beispiele hierfür werden in Kapital 3.1. sowie 3.3 angeführt werden.

6 Bußmann 2002, s.v. Diglossie.

7 Die folgenden Angaben beziehen sich auf Kremnitz 1981b, 23-31.

8 s. o. Kapitel 2.1

9 vgl. Boyer 1990, 72

10 vgl. Kremnitz 1981a, 187

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Regionalfranzösisch in Südfrankreich: "francitan"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,3
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V263873
ISBN (eBook)
9783656528906
ISBN (Buch)
9783656529507
Dateigröße
799 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
regionalfranzösisch, südfrankreich
Arbeit zitieren
Anonym, 2009, Regionalfranzösisch in Südfrankreich: "francitan", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263873

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