Die Metamorphosen der Figuren und Räume in Kafkas 'Die Verwandlung'

Unter Einbeziehung der verwendeten narrativen Verfahren


Dossier / Travail, 2011

16 Pages, Note: 1,7

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Narrative Verfahren zur Darstellung der Metamorphose

3. Semantische Räume im Verwandlungszustand

4. Die Metamorphosen der (anderen) Figuren
4.1. Der Vater
4.2. Die Schwester
4.3. Die Mutter und die Nebenfiguren

5. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1.Einleitung

Um die Geschichte „Die Verwandlung“ von Franz Kafka zu analysieren oder auch nur inhaltlich zu beschreiben, kann es nicht vermieden werden, sich mit dem ersten Satz der Erzählung zu befassen: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“[1] Dieser Satz führt den Leser in eine Welt ein, für die bis zum Ende des Textes ein Fakt festzustehen scheint: die Hauptfigur Gregor ist kein Mensch mehr, sondern ein Ungeziefer. Dass Gregor früher ein Mensch war, wird dem Leser durch seinen Namen – Gregor Samsa – und seine weiteren Gedanken suggeriert. Außer seiner äußeren Erscheinung und den damit verbundenen körperlichen Einschränkungen sowie den veränderten Stoffwechselprozessen scheint Gregor sich wenigstens in seinen Charakterzügen nicht verändert zu haben. Das soll den Ausgangspunkt der Analyse bilden. Die Verwandlung beziehungsweise Metamorphose muss also an anderen Merkmalen im Text zu erkennen sein. Diese Merkmale herauszufinden und die Mittel zu erforschen, durch die sie zustande kommen, soll Gegenstand dieser Arbeit sein.

Im zweiten Gliederungspunkt sollen zunächst die narrativen Verfahren zur Darstellung der Metamorphose untersucht werden. Wie werden zeitliche, modale und stimmliche Elemente dargestellt? Verändern sie sich im Laufe der Erzählung? Wenn ja, welche Veränderung der Handlung steht damit im Zusammenhang? Diese und andere Fragen sollen in diesem Punkt geprüft werden. Als Sekundärliteratur werden die Einführungswerke von Genette und von Martinez und Scheffel verwendet. Wenn es nicht Gregor ist, an dem eine tiefgreifende Wesensveränderung abgebildet werden kann, so muss die Metamorphose sich in seinem Umfeld vollziehen. Dazu zählen die Räume und die „Mitmenschen“ oder besser Mitbewohner, die Gregor umgeben. Im dritten Gliederungspunkt sollen die semantischen Räume durchleuchtet werden, die sich um Gregor herum bilden. So soll die Metamorphose von Gregors Zimmer und der restlichen Räume der Wohnung der Familie Samsa betrachtet werden. Weiterhin werden im vierten Punkt schließlich die anderen Figuren, die in der Erzählung vorkommen, auf ihre Veränderung überprüft. Ein besonderes Augenmerk gehört dabei der Figur des Vaters und der der Schwester. Die Mutter und die restlichen Nebenfiguren werden in einem weiteren Unterpunkt behandelt. Die Nachweise über die Wesensveränderung der Figuren sollen direkt im Text unter Bezugnahme der Figurenbeschreibungen in Gregors Gedanken und deren direkte Figurenrede gesucht werden.

2. Narrative Verfahren zur Darstellung der Metamorphose

So wie sich Figuren und Räume im Laufe der Geschichte verwandeln, so wandelt sich auch die Erzählweise des Erzählers, während der Text fortschreitet. Franz Kafkas „Die Verwandlung“ kann in die Kategorie einer fiktiven, nicht dichterischen Erzählung[2] eingeordnet werden. „Textinterne Fiktionssignale“[3] lassen sich anhand von Gregors Gedankengängen erkennen. So wendet der Erzähler Verben innerer Vorgänge auf die dritte Person[4] an, wenn es um Gregor geht. Gregor erklärt sich in diesen Gedanken die Dinge, wie sie ihm erscheinen. Die inneren Vorgänge der anderen Figuren bleiben dem Leser vorenthalten. Lediglich, was sie sagen, wird wie Gregors Gedanken in der direkten Rede dargestellt.

Auch die Erzählform verwandelt sich durch die Gedankengänge Gregors. So tritt aus der Er- Form das Ich Gregors hervor, wenn seine Gedanken im direkten Zitat angegeben werden. Allerdings lässt der Erzähler Gregor nicht immer zu Wort kommen, sondern berichtet über seine Gedanken in der Er- Form.

Auch die Zeitelemente verändern sich zunehmend innerhalb der Erzählung. Der Text ist in der Vergangenheitsform geschrieben und umfasst eine Erzählzeit von 65 Seiten. Die erzählte Zeit ergibt am Ende ungefähr vier Monate[5]. Der Aufbau des Textes ist chronologisch geordnet und enthält Einschübe aus der Vergangenheit. Diese basieren auf den Erinnerungen Gregors aus der Zeit vor seiner Verwandlung und umfassen vor allem alltägliche Dinge des Zeitraums seines achtjährigen Dienstes. Es gibt also anachronistische Elemente in Form von externen Analepsen, die nicht zum unmittelbaren Voranschreiten des Geschehens der Hauptgeschichte gehören[6]. Sie dienen dazu, den extremen Gegensatz zur gegenwärtigen Situation zu zeigen. Fast kommt es zu einer Achronie, da der Text meist keine genauen Zeitangaben enthält. So beginnen viele Abschnitte mit „Einmal“ oder es wird nur über einen Tag von morgens bis abends erzählt, an dem etwas Besonderes im Vergleich zu den anderen Tagen passiert.

Die Darstellung der Dauer kann anhand vieler verschiedener Elemente im Text nachgewiesen werden, die entsprechend der gegebenen Veränderungen angepasst werden. Es entsteht ein Wechsel zwischen zeitraffendem (summarischem) Erzählen und zeitdeckendem (szenischem) Erzählen.[7] Die Hauptgeschichte der Erzählung besteht aus verschiedenen Szenen, die ungewöhnliche Vorgänge und Veränderungen abbilden, wie zum Beispiel das Ausräumen von Gregors Zimmer. An diesen Stellen kommt es also zur Zeitdeckung. Unwichtige Ereignisse oder alltägliche Dinge werden zeitraffend zusammengefasst. Zum Beispiel wird nur erwähnt, dass ein Monat nach Gregors Verwandlung vergangen ist, danach geschieht aber ein unerwartetes Ereignis, über das wieder in einer zeitdeckenden Erzählweise berichtet wird (das erneute Erschrecken der Schwester aufgrund Gregors Aussehen). Das hat den Effekt, alle Momente, in denen die Verwandlung Gregors unmittelbar einen unnatürlichen Eingriff in das Leben der Familie darstellt, zu akzentuieren. Einige Zeitabschnitte werden durch unbestimmte Zeitsprünge völlig ausgelassen (implizite Ellipse), um schließlich den gesamten Zeitraum der Geschichte in vier Monate einzugliedern.

„In fiktionalen Erzählungen wird eine signifikante Dehnung der Dauer von Vorgängen in der äußeren Welt in der Regel durch Einschübe erreicht, die in erster Linie Vorgänge im Innern der erlebenden Figur präsentieren (…).“ Durch das indirekte und direkte Zitieren von den Gedanken Gregors, der in Kafkas Geschichte erlebenden Figur, wird die Zeit nicht nur gedehnt, es entsteht dadurch sogar eine Pause. Das Geschehen um Gregor herum, vor allem das Leben der anderen Familienmitglieder, geht in Wirklichkeit weiter, die Erzählung dieses Lebens bleibt aber stehen[8], weil an diese Stelle Gregors augenblickliche Gedanken treten.

Im Regelfall werden in der Erzählung nur einmalige Dinge erzählt, die, wie bereits erwähnt, dazu dienen, das Geschehen voranzutreiben. Die Erzählfrequenz ist in diesen Fällen also singulativ. Sie verändert sich aber, wenn einmal von alltäglichen Dingen berichtet wird, wie die Versorgung Gregors durch die Schwester. Der Ablauf dieser Handlung wird nur einmal ausführlich erzählt. Danach wird die Alltäglichkeit des Aktes konkretisiert und er wird nur noch erwähnt. Genauso verhält es sich mit dem Reinigen von Gregors Zimmer. Allerdings folgen auf eine Erwähnung des Essens- oder Reinigungsakts besondere Situationen. Die Frequenz dieser Erzählmomente ist also iterativ, hat aber repetitive Erwähnungselemente.

Die Distanz zum Erzählten stellt der Erzähler mit Hilfe einer kombinierenden Redeform[9] her: Der Dichter und seine Figuren kommen beide zu Wort. Der Erzähler lässt Gregor und dessen Familienmitglieder selbst reden und redet in gleichen Teilen über Gregor. Letzteres erweckt den Anschein, Gregor würde über sich selbst in der dritten Person reden. Außerdem stellt er sich Fragen über seinen gegenwärtigen Zustand und den der Anderen und beantwortet diese gleich selbst. Meistens wird einem direkten Zitat seiner Gedankenrede eine indirekte Gedankendarstellung über Gregor selbst nachgestellt, wie in dem folgenden Beispiel:

„Himmlischer Vater!“, dachte er. Es war halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig vorwärts,

es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel. Sollte der Wecker nicht geläutet

haben? Man sah vom Bett aus, dass er auf vier Uhr richtig eingestellt war; gewiss hatte er auch

geläutet. Ja, aber war es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig zu verschlafen? Nun,

ruhig hatte er ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto fester. Was aber sollte er jetzt tun?[10]

Es ist klar, dass es weiterhin Gregors Gedanken sind, die dem direkten Zitat folgen. Sie werden in der erlebten Rede dargestellt. Zu Anfang werden auch die Worte, die er versucht zu sprechen, in direkter Rede wiedergegeben, genauso wie die Rede der anderen Figuren. Durch diese Gedankengänge ergibt sich für den Erzähler eine Nähe zu seiner Hauptfigur. Er weiß auch nicht mehr als diese, was auf eine interne Fokalisierung schließen lässt. Als die Figur stirbt und ihre Gedanken somit abbrechen, baut der Erzähler eine Distanz zu den anderen Figuren im weiteren Geschehen auf. Die „Abwesenheit“ des Erzählers wird auch durch Beschreibungen - wie zum Beispiel des Zimmeraufbaus von Gregor - erzeugt.[11]

Der Zeitpunkt des Erzählens entspricht einer späteren Erzählweise. Das lässt sich an der Vergangenheitsform feststellen, die von Kafka gewählt wurde und sich durch den gesamten Text zieht. Der Ort des Erzählens könnte einfach als Regelfall eines extradiegetischen Erzählens aufgefasst werden. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, die gesamte Handlung, die geschieht, nachdem Gregor seine eigene Veränderung entdeckt hat, als eine Erzählung Gregors selbst zu erklären. Das würde eine weitere intradiegetische Ebene eröffnen, die mit dem Tod Gregors wieder geschlossen wird. Argumente dafür können in der Forschungsliteratur gefunden werden. „Vor allem psychologische Deutungen gehen gern von der Hypothese aus, dass die Verwandlung bloß eine Bewusstseinstatsache des Helden sei, indem sie vermuten, dass hier jemand einen schweren Traum hatte […].“[12] Denn „[…] schon im ersten Satz wird deutlich, dass sich diese Geschichte nicht in der wirklichen Welt abspielt.“[13] Das würde den gesamten Text auf eine neue Wirklichkeitsebene erheben, die Gregor zum intradiegetischen Erzähler werden lassen, der eine Binnenerzählung verfasst. Allerdings lassen sich anhand des Textes keine direkten Sätze als Belege für diese Theorie finden.

[...]


[1] Franz Kafka, Die Verwandlung, in: Sämtliche Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, 2007, S. 85

[2] vgl. Matias Martinez und Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, 8. Auflage , Verlag C. H. Beck München 2009, S. 10

[3] ebd., S. 16

[4] vgl. ebd.

[5] Hartmut Binder, Kafkas „Verwandlung“: Entstehung, Deutung, Wirkung, Stroemfeld Verlag Frankfurt am Main, 2004, S. 351

[6] siehe Matias Martinez und Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 35 Fußnotenangabe

[7] vgl. Matias Martinez und Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 41

[8] siehe ebd., S. 44

[9] vgl. Matias Martinez und Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 48

[10] Franz Kafka, Die Verwandlung, in: Sämtliche Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, 2007, S. 87

[11] siehe Matias Martinez und Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 50

[12] Hyuck Zoon Kwon, Der Sündenfallmythos bei Franz Kafka: der biblische Sündenfallmythos in Kafkas Denken und dessen Gestaltung in seinem Werk, Könighausen & Neumann Verlag Würzburg 2006, S. 89

[13] ebd., S. 88

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Die Metamorphosen der Figuren und Räume in Kafkas 'Die Verwandlung'
Sous-titre
Unter Einbeziehung der verwendeten narrativen Verfahren
Université
University of Erfurt
Note
1,7
Année
2011
Pages
16
N° de catalogue
V264179
ISBN (ebook)
9783656534877
ISBN (Livre)
9783656536192
Taille d'un fichier
523 KB
Langue
allemand
Mots clés
metamorphosen, figuren, räume, kafkas, verwandlung, unter, einbeziehung, verfahren
Citation du texte
Anonyme, 2011, Die Metamorphosen der Figuren und Räume in Kafkas 'Die Verwandlung', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264179

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