Die „Buddenbrooks“ – Eine Analyse von Thomas Manns Gesellschaftsroman


Libro Especializado, 2013

149 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Der Roman Buddenbrooks. Verfall einer Familie als Porträt der Wilhelminischen Gesellschaft

Einleitung
Die Familien Mann und Buddenbrook - autobiographische Elemente im Roman .
Lübeck im Roman und in der Geschichte
Buddenbrooks als Porträt der Wilhelminischen Gesellschaft
Zusammenfassung
Literatur

Thomas Mann und die Rezeption der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches in den “Buddenbrooks”

Vorwort
Thomas Manns Schopenhauer-Leseerlebnis
Schopenhauer-Lektüre als religiöses Erlebnis
Die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches im Vergleich
„Kreativer Missbrauch“ der Philosophie bei Thomas Buddenbrook
Die Quintessenz des Romans aus Philosophischer Perspektive
Schlusswort
Bibliographie

Identitätskrise und ungehemmte Entbürgerlichung - Das Motiv der Entbürgerlichung in Thomas Manns Buddenbrooks

Einleitung
Gedichtete Bürgerlichkeit in den Buddenbrooks
Identitätskrise und ungehemmte Entbürgerlichung
Fazit
Literaturverzeichnis

Improvisation als Erlösung - Die Bedeutung der Klavierimprovisation Hannos in Thomas Manns 'Buddenbrooks'

Einleitung
Die Improvisation des Hanno Buddenbrook
Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis

Literatur und Theater in Thomas Manns Buddenbrooks

Einführung
Christian Buddenbrook: `Das ist doch alles nur Theater!´
Literatur in den Buddenbrooks
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis

Widerstand der weiblichen Figuren gegen den Verfall in „Buddenbrooks“...

Einleitung
Vorstellung des Autors: Thomas Mann
Inhaltsangabe
Der Verfall
Figuren, die sich dem Verfall widersetzen
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis

Dekadenzphänomene in Thomas Manns Roman Buddenbrooks

Einleitung
Verfall und Dekadenzphänomene in „Buddenbrooks“
Schluss
Literatur
Der Roman
Buddenbrooks. Verfall einer Familie als Porträt der
Wilhelminischen Gesellschaft
Bettina Nolde,

Einleitung

„ [ … ] vielfältige und heterogene Bildungserlebnisse: der französische Naturalismus und Impressionismus, der gigantische Moralismus Tolstois, die motivische Musik von Wagners Nibelungen, niederdeutsche und englische Humoristik, die leidenskundige Philosophie Schopenhauers, der dramatische Skeptizismus und Symbolismus Henrik Ibsens, strömen während zweijähriger Arbeit in das Werk ein, und was zustande kam, war eine Seelengeschichte des deutschen Bürgertums [ … ] “ [1]

Das angesprochene Werk ist der Roman Buddenbrooks Verfall einer Familie, der Verfasser der obigen Zeilen der Autor selbst, Thomas Mann. Er ist zum Zeitpunkt des Erscheinens seines ersten und wohl bekanntesten Romans 1901, 25 Jahre alt, ein junger Mensch also, der im Stande war einen der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Geplant hatte er dies wohl nicht, wie sich aus zahlreichen Briefen und Schriften Thomas Manns erkennen lässt. Im Gegenteil, sein erstes größeres Prosastück, um welches ihn der Verleger Samuel Fischer bat, sollte eigentlich eine Knabennovelle von nicht mehr als 250 Seiten werden. Den Inhalt dieser Knabennovelle findet man nun allerdings erst am Ende des Werkes, das stattdessen entstand.

Die Geschichte des sensitiven Spätlings[2], Hanno Buddenbrook, beendet nur den Verfall der Familie Buddenbrook und das Werk selbst. Die eigentliche Vorgeschichte, nahm schon in den Vorarbeiten sehr viel mehr Raum ein, als der junge Autor gedacht hatte, sie entwickelte sich zu einem komplexen Familienroman. Buddenbrooks erzählt die Geschichte einer Lübecker Kaufmannsfamilie vom Höhepunkt ihrer Prosperität um 1835 bis zu ihrem Verfall mit dem Niedergang des Geschäfts und dem Tod des letzten männlichen Spross des Hauses, Hanno Buddenbrook, 1877.

Entstanden ist der Roman in der Zeit des Wilhelminischen Kaiserreiches, die Geschichte, die er erzählt umfasst jedoch zeitlich eher die Biedermeierzeit. Im Folgenden soll untersucht werden inwieweit der Roman trotz der erzählten Zeit, als Porträt der Wilhelminischen Gesellschaft verstanden werden kann.

Die Familien Mann und Buddenbrook - autobiographische Elemente im Roman Im Jahr 1898 beginnt Thomas Mann mit den Vorarbeiten zum späteren Roman Buddenbrooks und findet schnell ein geeignetes Thema. „Bei der Umschau nach einem Stoff, der mir taugen könnte, lag naturgemäß am nächsten meine eigene Kindheitserfahrung, die Geschichte meiner eigenen Familie; als Milieu: meine Heimatstadt.“[3] Seine Heimatstadt ist Lübeck und so spielt die Handlung des Romans also dort. Über den Ort der Handlung, der im Folgenden noch näher untersucht werden wird hinaus, enthält der Roman sehr viele weitere autobiographische Züge aus dem Leben Thomas Manns. Er ist der Sohn einer Lübecker Großkaufmannsfamilie, deren Geschäft seit mehreren Generationen in den Händen der Familie liegt und gedeiht. Doch Thomas und sein älterer Bruder Heinrich entziehen sich der Familientradition, das Geschäft zu übernehmen, sie werden beide Schriftsteller und so wird mit dem Tod des Vaters Thomas Johann Heinrich Mann 1891 die Getreidefirma „Johann Siegmund Mann“ liquidiert.

Auch die Familie Buddenbrook ist eine Kaufmannsfamilie aus Lübeck und im ersten Kapitel wird die Familiengeschichte beleuchtet, die derer der Familie Mann sehr ähnelt. Schon die Wahl der Namen lässt einige Rückschlüsse auf die Vorbilder aus dem Familien- und Bekanntenkreis des Autors zu, die die Gestaltung der Romanfiguren beeinflusst haben. Während des Entstehungsprozesses wendet sich Thomas Mann an verschiedene Personen, die ihm tiefergehende Auskünfte über die Familiengeschichte und die Geschichte der Stadt Lübeck geben können.

So bittet er z. B. seine Mutter Julia Mann ihm die Familienpapiere nach Italien zu schicken, seinen Onkel Wilhelm Marty um Auskünfte über wirtschaftliche und soziale Entwicklungen der Stadt Lübeck in der Vergangenheit und seine Schwester Julia um Auskunft über bestimmte Familienmitglieder, so z. B über die Tante Elisabeth.[4]

Die gebräuchlichen, mit jeder Generation vererbten Namen der Familie Mann finden sich in den Buddenbrooks wieder. Konsul Johann Buddenbrook sen. bzw. jun., Thomas Buddenbrook und Hanno, als Kurzform für Johann, Buddenbrook bilden im Roman die männliche Linie, die die Firma, und damit die Familie, nach außen vertritt bzw. vertreten soll. Den vier Hauptpersonen, Thomas, Christian, Antonie und Hanno widmete Thomas Mann in den Vorarbeiten besonders viel Zeit und sie haben auch die deutlichsten Vorbilder in der Familie Mann. Der Senator Thomas Buddenbrook ist dem Vater Thomas Manns nachempfunden, womit sich schlussfolgern lässt, dass in der Figur Hanno viele Empfindungen des Autors selbst eingearbeitet sind. Das Verhältnis zwischen Thomas und Hanno Buddenbrook ähnelt dem, das Thomas Mann nach Aussage vieler seiner Briefe zum eigenen Vater hatte. Die Beziehung ist vor allem von Respekt teilweise Angst des Jungen vor dem Vater geprägt, vor allem vor dessen Erwartungen an den Sohn, die dieser nicht erfüllen kann und will. In der Familie Mann soll der zweite Sohn Thomas die Leitung der Firma übernehmen, da sich beim älteren Bruder Heinrich früh andeutet, dass dieser dazu ungeeignet ist. Doch auch der zweite Sohn im Hause Mann ist im Grunde seines Herzens mehr Künstler denn Kaufmann und so muss auch er die Erwartungen des Vaters enttäuschen. In der Person Hanno findet sich dieser Konflikt, den beide Söhne der Familie Mann hatten, wieder, Hanno ist das einzige Kind und wird es bleiben, so ruhen alle Hoffnungen auf ihm.

Doch schon früh in seiner Kindheit merkt der Senator Buddenbrook, dass sein Sohn nicht die gewünschte Entwicklung nimmt. Er lässt ihn Straßennamen hersagen und nimmt ihn mit zu einer Schiffstaufe (beides Erinnerungen aus Heinrich Manns Kinderzeit[5]) um die Entwicklung des Jungen positiv zu beeinflussen, doch es hilft nichts, im Gegenteil das Verhältnis wird schlechter. Dennoch muss Hanno, wie sein reales Vorbild Thomas Mann das Realgymnasium besuchen, das auf eine kaufmännische Laufbahn vorbereiten soll. Diese Schulerfahrung Thomas Manns ist eines der berühmtesten Kapitel des Buches, das so genannte Schulkapitel, und wird in der Pädagogik oft als Darstellung der Schule in der Wilhelminischen Zeit benutzt. Der Autor selbst sagte über seine Schulzeit: „Ich verabscheute die Schule und tat ihren Anforderungen bis ans Ende nicht Genüge. Ich verachtete sie als Milieu, kritisierte die Manieren ihrer Machthaber und befand mich früh in einer Art literarischer Opposition gegen ihren Geist, ihre Disziplin, ihre Abrichtungsmethoden.“[6]

Auch Hanno Buddenbrook kann sich mit den Sitten am Realgymnasium wenig anfreunden. „[…] Doktor Marotzke […] Reserveoffizier, und zwar mit Begeisterung. Als Beamter, der zugleich Militär war, stand er bei Direktor Wulicke aufs beste angeschrieben. Er hielt von allen Lehrern am meisten auf Disziplin, musterte die Front der strammstehenden Schüler mit kritischem Blick und verlangte kurze und scharfe Antworten.“[7] Diese Szene zeigt, wie zum Ende des 19. Jh. nach der Reichsgründung 1871 auch an den Schulen mehr und mehr ein militärischer Geist zu verspüren war, der im Wilhelminischen Kaiserreich bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zu einem ausgeprägten Militarismus heranwuchs.

Neben Hanno und Thomas Buddenbrook sind auch Christian und Antonie Buddenbrook reellen Vorbildern in der Familie Mann nachempfunden. Das Schicksal von Antonie Buddenbrook findet sich in der Lebensgeschichte der Tante Elisabeth wieder, die der Autor jedoch persönlich wenig kannte und somit auf die Berichte seiner Schwester Julia angewiesen war.

Der Figur Christian, einem hypochondrischen Sonderling, der seine Zeit lieber im Theater als im Kontor verbringt und sein Vermögen schnell verschwendet, dient Thomas Manns Onkel Friedrich („Friedel“) als Vorbild. Dieser allerdings war von diesem Umstand alles andere als begeistert und schrieb seinem Neffen:

„Dein Buch „Die Buddenbrooks“ haben mir sehr viele Leiden bereitet. Ein trauriger Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt.“[8] Später veröffentlichte der Onkel sogar eine Anzeige in einer Zeitung, in der er sich öffentlich von seinem Neffen und dessen Werk distanzierte. Ähnliche Empfindungen hatten andere Bürger Lübecks, die sich im Buch unangemessen dargestellt fanden. Buddenbrooks wurde so als eine Art Schlüsselroman wahrgenommen, in welchem der Autor mit seiner Heimatstadt und deren Bürger „abrechnet“. Dies war jedoch keineswegs die wirkliche Intention des Autors und mit der Zeit wandelte sich das Verhältnis der Lübecker Bürger zum Roman. Mit zunehmender Popularität des Werkes und der literarischen Begeisterung, die es auslöste, wuchs der Stolz der Lübecker auf „ihren Autor“. Auch die zunächst als negativ empfundenen realen Vorbilder der Stadtbewohner im Roman gaben nunmehr Anlass zu Freude und Stolz, für ein solch großes Werk eine Art Inspiration oder Beitrag gewesen zu sein.

Lübeck im Roman und in der Geschichte Thomas Manns Onkel Wilhelm Marty versorgte den jungen Autor während seiner Arbeit an seinem ersten Roman mit den nötigen Hintergrundinformationen über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt

Lübeck, die er benötigte um ein genaues Bild vom Ort der Handlung zu zeichnen.

Vom historischen Entwicklungsstandpunkt her betrachtet war Lübeck schon im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine rückständige Stadt. Es war bis weit über die Mitte des Jahrhunderts in alten und überkommenen politischen und wirtschaftlichen Traditionen und Systemen verhaftet. 1834 wurde der deutsche Zollverein gegründet um Monopolstellungen von Zünften und Städten aufzuheben und die Gewerbefreiheit, die z.B. in Preußen schon 1811 eingeführt wurde, zu garantieren.[9] Beiden Entwicklungen schloss sich die Stadt Lübeck nur zögerlich und äußerst verspätet an. Die Gewerbefreiheit wurde mehr als 50 Jahre später, 1866, etabliert, für den Beitritt zum Zollverein benötigte Lübeck immerhin 34 Jahre und schloss mit Hamburg 1868 ein solches Abkommen.[10] Im Roman spielen die historischen Entwicklungen in und um Lübeck hintergründig durchaus eine Rolle. So wird im ersten Kapitel nach einem Familienessen in einer Herrenrunde über eben diesen Zollverein mit Hamburg diskutiert. Die Szene gibt einen Eindruck davon, wie die lange Zeit, die Lübeck benötigte, um diesen wirtschaftlich sinnvollen Schritt zu vollziehen, zu Stande kam. Der alte Johann Buddenbrook spricht sich für den Beitritt aus, doch er erfährt eine starke Opposition durch den Weinhändler Köppen:

„ ,Und unsere Selbständigkeit? Und unsere Unabhängigkeit? ‘ fragte er beleidigt und sich kriegerisch auf sein Queue stützend. ,Wie steht es damit? Würde Hamburg es sich beifallen lassen bei dieser Preußenerfindung mitzutun? Wollen wir uns nicht gleich einverleiben lassen, Buddenbrook? Gott bewahre uns, nein, was sollen wir mit dem Zollverein, möchte ich wissen! ‘“ [11]

Auch der Doktor Grätjens findet mehr Gefallen am alten System in Lübeck, „die Einklarierung auf Bürgereid“[12] und ist gegen die Neuerungen eines Zollvereins. Die Stimme der Opposition war offensichtlich sehr verbreitet in Lübeck und so verhinderte der Stolz der Hanseaten einen rechtzeitigen Anschluss. Schon zur Zeit der Diskussion im Buch 1835 steht es mit dem literarischen und historischen Lübeck nicht zum Besten und durch die politische Erstarrung seiner Bürger ändert sich daran bis zur Jahrhundertwende recht wenig.

Die vormals blühende Hansestadt hatte nicht nur an den Folgen des 30jährigen Krieges im 18. Jahrhundert und den napoleonischen Plünderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts schwer zu tragen, Hamburg übernahm nach der Fertigstellung des Nord-Ostsee-Kanals eine führende Stellung im Norddeutschen Handel. Zudem war Stettin im 19. Jahrhundert eine immer stärkere Konkurrenz im Ostseehandel geworden und Dänemark, dessen Hafen Kiel ein weiterer Machtfaktor im Ostseehandel darstellte, betrieb zum Schutz des Selben eine Einschränkungspolitik gegen Lübeck.[13]

Auch die industrielle Revolution war in Lübeck kam zu verspüren, kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überall in Deutschland zu Gründungen im Bereich Schwerindustrie und Transportwesen, so war in Lübeck die Zahl solcher Entwicklungen verschwindend gering.[14]

Neben den wirtschaftlichen Entwicklungen vollzogen sich auch politische Neuerungen in der Hansestadt eher langsam. Da sich wirtschaftlich kaum etwas veränderte blieb die ständische Sozialstruktur der Stadt sehr viel länger erhalten als in den Gebieten Deutschlands, die von den tiefgreifenden Veränderungen der industriellen Revolution ergriffen wurden. Die Exekutive und Judikative Gewalt lag in Lübeck in den Händen des Stadtrates. Zu diesem Rat konnten nur Gelehrte, Kaufleute und die heimischen Patrizierfamilien gehören, die natürlich alle männlich sein mussten. Die Patrizier bildeten eine Art Adelsschicht in Lübeck, obwohl sie formal gesehen nur dem Stand der Kaufleute angehörten. Sie hatten jedoch ihren Besitz soweit vergrößert und lebten daher in Verhältnissen, die durchaus als feudal bezeichnet werden konnten. Zudem wurden sie von ihren Mitmenschen auch als eine adlige Oberschicht wahrgenommen.

Bei größeren Entscheidungen musste ein zweites Gremium herangezogen werden, das bezeichnenderweise Kollegien der „Bürger zweiter Klasse“ genannt wurde, und zu dem Krämer, Handwerker und Ladenbesitzer zählten. 1848 im Revolutionsjahr wurde dann eine allgemeine bürgerliche Volksvertretung in Lübeck eingeführt. Die Ereignisse der Revolution selbst in Lübeck werden im Roman eher komisch dargestellt. Statt an bedeutende politische Ereignisse, erinnert die Szene im Buch eher an die Besänftigung von unmündigen Kindern, denn an bedrohliche Protestmärsche. Johann Buddenbrook zerstreut nach einem einzigen Gespräch die protestierende Menge.

„ Je, Herr Kunsel …“ , brachte Corl Smolt kauend hervor. „ [ … ] Wi maken nu Revolutschon. “ „ Wat ’ s dat för Undög, Smolt! “ [ … ] „ Je, Herr Kunsel, dat seggen Sei woll! Öä wer dat is man bloßwegen das allgemeine Prinzip von dat Wahlrecht …“ „ Großer Gott, du Tropf! “ rief der Konsul [ … ] „ Smolt, wat wull Ji nu eentlich! Nu seggen Sei dat mal! “ „ Je, Herr Kunsel, ick seg man bloß: wi wull nu ’ ne Republike, seg ick man blo ß…“ „Ö wer du Döskopp … Ji heww ja schon een! “ [ … ] „ Na Lüd “ , sagte schließlich Konsul Buddenbrook, „ ick glöw, dat is nu dat beste, wenn ihr alle naa Hus gaht! “ Corl Smolt, gänzlich verdutztüber die Wirkung, die er hervorgebracht, antwortete: „ Je, Herr Kunsel, dat is nu so, un denn möht man de Saak je woll up sick beruhn laten [ … ] “ Die Menge fing an sich in allerbester Laune zu zerstreuen. [15]

Diese Darstellung ist natürlich ein literarischer und kein historischer Ereignisbericht, dennoch brachte auch in Lübeck die Revolution keine dramatischen Veränderungen mit sich. Denn die neu geschaffene bürgerliche Volksvertretung veränderte die Verteilung politischer Macht durchaus nicht. Von 120 Abgeordneten wurde eine überwältigende Mehrheit von 105 Abgeordneten von Bürgern gewählt, die seit drei Jahren mehr als 2000 Mark versteuerten, die anderen Bürger durften die restlichen 15 Abgeordneten wählen. Das politische Gewicht in der Volksvertretung dürfte damit wieder aus Seiten der reichen Kaufleute und der gelehrten Oberschicht aus den Patrizierhäusern gelegen haben. Hinzu kam, dass der Senat, dessen 14 Mitglieder von den Abgeordneten auf Lebenszeit gewählt wurden, aus wenigstens fünf Kaufleuten und sechs Juristen bestehen musste, auch der Bürgermeister musste immer ein Jurist sein.[16] Dieses politische System etablierte die alte Ständegesellschaft sehr viel länger als in anderen Gebieten Deutschlands.

Alles in allem war Lübeck im 19. Jahrhundert eine rückständige und rückwärtsgewandte Stadt, die diese Mentalität bis in die Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs beibehielt. Der Roman veranschaulicht diese Situation an Hand der Familie Buddenbrook, die in vergangenen Zeiten verhaftet bleibt und somit den Anschluss an eine neue Zeit verpasst. Ebenso wie Lübeck den wirtschaftlichen Anschluss verpasst und von der einstigen führenden Macht im Ostseeraum zu einer kleineren Handelsstadt degeneriert, werden die Buddenbrooks unter der Führung des glücklosen und zögerlichen Thomas Buddenbrook von der neuen Elite, den Hagenströms und Kistenmakers überflügelt und die Familie verfällt.

Buddenbrooks als Porträt der Wilhelminischen Gesellschaft Obwohl die Handlung des Romans literarisch in der Biedermeierzeit, also vor der Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs, spielt, sind Elemente enthalten, die durchaus in die Wilhelminische Zeit eingeordnet werden können.

Zunächst liegt der eigene Erfahrungshorizont des Autors selbst eher in dieser Zeit, da er erst 1875 geboren wurde, also nach der Gründung des Kaiserreichs 1871. Der Roman enthält, wie im Vorangegangenen gezeigt, sehr viele autobiografische Elemente seines Verfassers. Figuren, Orte und Handlungen sind keine bloßen Phantasiegebilde, in ihnen stecken immer auch eigene oder dem Autor überlieferte Erlebnisse.

Des Weiteren kann die verzögerte und verspätete Entwicklung Lübecks, das als Handlungsort den gesellschaftlichen Rahmen im Roman steckt, teilweise als Synonym für die Entwicklung Deutschlands zur Jahrhundertwende verstanden werden. So wie Lübeck im 19. Jahrhundert wichtige wirtschaftliche Entwicklungsschritte verspätet durchmacht, so ist auch die deutsche Geschichte zu Beginn der Wilhelminischen Zeit von Verspätung geprägt. Mit dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg 1871 wurde das deutsche Kaiserreich gegründet, das die deutsche Kleinstaaterei der vorangegangenen Jahrhunderte beendete und den ersten deutschen Nationalstaat bildete. Viele andere Staaten, vor allem die europäischen Großmächte England und Frankreich hatten die Phase der Nationalstaatsbildung zu diesem Zeitpunkt längst abgeschlossen. Zudem war die Nationalstaatsgründung keine Entscheidung des Volkes, sie wurde nicht wie in England und Frankreich durch eine Revolution hervorgerufen.

Bestrebungen dieser Art hatten sich 1848 nicht durchsetzen können, die Revolution scheiterte. Danach zog sich das Bürgertum im Biedermeier eher aus politischen Auseinandersetzungen zurück. Als nun 1871 ein deutscher Nationalstaat auf den Beschluss der Regierenden gegründet wurde, waren die meisten Deutschen noch im Denken der alten Zeit verhaftet, denn die „neue“ Zeit brach im Prinzip über sie herein, ohne, dass sie daran besonders viel Interesse bekundet hätten. Im Roman geht es den Buddenbrooks ähnlich, sie verkörpern mit ihrem Denken eine alte Zeit, die noch lange nachwirkt, doch deren Ende absehbar ist und dann vor allem in Person der Hagenströms den Untergang dieser Zeit und auch der Familie einläutet. Der Roman endet im Prinzip wie er beginnt, das Haus in der Mengstraße, sozusagen ein Symbol für den gesellschaftlichen Rahmen, muss von einer ruinierten, untergegangenen Familie verlassen werden und eine neue im Aufstieg begriffene Familie zieht ein. Im ersten Teil wird beim Essen das neue Heim der Buddenbrooks, eben

jenes Haus in der Mengstraße eingeweiht, und das traurige Schicksal der Familie Ratenkamp besprochen.

„Ein allgemeiner Stillstand des Gespräches trat ein und dauerte eine halbe Minute. Man blickte in seinen Teller und gedachte dieser ehemals so glänzenden Familie, die das Haus erbaut und bewohnt hatte und die verarmt, heruntergekommen davongezogen war…“[17] In diesem Zusammenhang wird von einer Unabänderlichkeit solcher Prozesse gesprochen, „damit das Schicksal erfüllt würde“[18]. Schon mit dieser Aussage des alten Johann Buddenbrook wird zu Beginn des Romans ein Kreislauf eröffnet, der am Ende seinen kontinuierlichen Verlauf fortsetzt, indem nun die Buddenbrooks, als heruntergekommene Familie das Haus verlassen müssen und die Vertreter einer neuen Zeit und eines anderen Denkens, die Hagenströms, einziehen.

Der Roman endet an dieser Stelle, doch die Geschichte und der Kreislauf der Erneuerung gehen weiter. Die Hansestadt Lübeck und die vielen kleinen deutschen Staaten haben sich lange gegen diese Erneuerungen gewehrt, verhindern konnten sie sie dennoch nicht.

Nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch auf wirtschaftlicher waren wichtige Entwicklungen in Deutschland erst verspätet zu verspüren. Die industrielle Revolution und die damit einhergehenden sozialen Umwälzungen konnten auf Grund des komplizierten und überkommenen politischen Systems der deutschen Kleinstaaterei erst sehr viel später greifen, als in anderen Ländern.

Erst mit der inneren politischen Einheit der deutschen Staaten zu einem Bundesstaat aus 25 Einzelstaaten[19], die vor allem durch das politische Geschick des späteren Reichskanzlers Bismarck zu Stande kam, erleichterten der Wegfall der vielen Einzelbestimmungen, der kleinen Länder das Voranschreiten der industriellen Revolution und die damit verbundenen rasanten Entwicklungen in Technik und Wirtschaft.

Die wirtschaftlichen Entwicklungen sorgten nun auch für soziale Umwälzungen (Verstädterung, Herausbildung der breiten Gesellschaftsschicht der Arbeiter) und das Bürgertum, vor allem das Wirtschaftsbürgertum, gewann immer mehr an Bedeutung und Macht. Die Besitzer führender Großunternehmen, wie z. B.

Friedrich Alfred Krupp, unterhielten sehr gute Beziehungen zum Kaiser Wilhelm II.[20]

Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in den Buddenbrooks beobachten, die wirtschaftlich aufstrebende Familie Hagenström unterhält nicht nur gute Beziehungen zum regierenden Bürgermeister Oeverdieck, sie sind durch Einheiraten in die Familie sogar mit ihm verwandt. Auch die Buddenbrooks suchen die Nähe zur obersten politischen Instanz Lübecks und gewinnen schließlich den Bürgermeister zum Taufpaten des kleinen Hanno Buddenbrook, dennoch reicht dies nur aus, um kurzfristig das gesellschaftliche Ansehen zu heben.

Auch andere Merkmale der Wilhelminischen Gesellschaft sind im Roman zu finden. So ist auch die Welt der Buddenbrooks eine Herrengesellschaft, die Frau kann, wenn überhaupt nur privat auf politische und wirtschaftliche Geschicke Einfluss nehmen, die Vertretung von Firma und Familie ist Aufgabe der Männer. Sie dürfen, wenn sie über 25 Jahre alt sind, wählen (Frauen wird dies erst mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918 gewährt), können politische und öffentliche Ämter bekleiden (Frauen ist dies untersagt) und einen Beruf ausüben. Das Handlungsfeld der Frau ist begrenzt, selbst Berufstätigkeit ist zwar möglich, aber eher verpönt in bürgerlichen Kreisen. Im Roman wird diese Situation an Tony Buddenbrook deutlich, deren einzige Chance ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern in einer guten Vermählung besteht. Allerdings scheitert sie zwei Mal in diesem Bestreben und erfährt als geschiedene Frau eine deutliche soziale Ausgrenzung. Auch zur Zeit des Wilhelminischen Kaiserreiches war eine Scheidung keineswegs so normal wie zur heutigen Zeit, sondern ein Skandal oder zumindest ein deutlicher gesellschaftlicher Makel.[21] Hinzu kam, dass die gesetzlichen Bestimmungen im Kaiserreich eine Scheidung für Frauen ohne Vermögen wirtschaftlich nahezu unmöglich machte, da es für den Mann nur in Ausnahmefällen zur Verpflichtung auf Unterhaltszahlungen kam.[22]

Erschwerend kam für die Frau weiterhin hinzu, dass sie auf Grund ihrer gesellschaftlich festgelegten Rolle als Ehefrau und Mutter selten eine ausreichende Bildung genoss um auch ohne einen Mann ihren Lebensunterhalt

abzusichern. Ihre Bildung bestand zumeist nur aus einer schulischen Grundausbildung, der Zugang zur höheren Bildung an den Universitäten blieb ihnen bis 1899 (erstmalige Zulassung von Frauen an den Universitäten Heidelberg und Freiburg) verwehrt. Im Roman kommt die Bildungssituation der Frauen durch die Figur Tony Buddenbrook mit einer gewissen Komik zum Ausdruck, die dennoch verdeutlicht, wie prekär die Lage für die Frau sein konnte. Wie die meisten Frauen in der Wilhelminischen Gesellschaft, ist auch Tony in der Lübecker Gesellschaft nur indirekt in politische Ereignisse involviert und trägt ihrer Aufgabe als Frau, sich nicht in diese männlichen Belange einzumischen zwar Rechnung, doch nicht immer gelingt ihr das erwartungsgemäß. So schnappt sie von dem jungen Studenten und Burschenschaftler Morten Schwarzkopf eine politische Idee auf („Die Adligen sind - im Prinzip gesprochen - verächtlich!“)[23] und bringt diese als „politische Weisheit“ auch 20 Jahre später noch in den verschiedensten Zusammenhängen ins Gespräch.

Zusammenfassung

Der Roman Buddenbrooks Verfall einer Familie enthält also trotz der Zeit, in der die Handlung spielt sehr viele Elemente, die die Wilhelminische Zeit prägten. Die Gründe dafür sind einerseits in der Biografie des Autors, der in dieser Zeit geboren wurde und auch das Buch schrieb, zu finden. Schließlich war es Thomas Mann ein Bedürfnis „nichts zu erfinden, da hieß es finden und sich aneignen, damals wie später und immer. Sache der Phantasie war es nicht, sich ’etwas auszudenken’, sondern das Gegebene sich anzuverwandeln und zu Eigenem zu verdichten.“[24] Und so fließen viele Kindheitserinnerungen und Familienüberlieferungen in das Werk mit ein, die vor allem in der Wilhelminischen Zeit stattfanden und daher auch ihre Prägung erhielten.

Auf der anderen Seite wurde dieses Buch für ein Publikum der Wilhelminischen Zeit geschrieben und von ihm auch begeistert aufgenommen und gelesen. Das spricht dafür, dass gerade das Bürgertum, die ja vor allem die Rezipienten solcher Literatur waren, sich in der Geschichte ein Stück weit wieder gefunden haben müssen. Es charakterisierte vielleicht nicht ihre gesellschaftlichen Gegebenheiten in Gänze, dennoch sprach es sicherlich bei vielen eine nostalgische Ader an, mit der oft noch an noch nicht allzu lang vergangenen Zeiten gehangen wird. So kann es auch bei der Wilhelminischen Leserschaft gewesen sein, die nach den plötzlichen und tiefgreifenden Veränderungen um die Jahrhundertwende noch nicht ganz mit bestimmten Vorstellungen und Traditionen abgeschlossen hatte.

Daher ist es durchaus zulässig Buddenbrooks als Porträt der Wilhelminischen Gesellschaft zu beschreiben, mit der Einschränkung, dass diese Gesellschaft in mancherlei Hinsicht nur noch in den Vorstellungen der Menschen, vor allem des Bürgertums existierte, und andere gesellschaftliche Facetten im Buch nicht verarbeitet wurden, doch das muss der Autor eines literarische Werkes ja auch nicht tun.

Literatur

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Angeblich handelte es sich „ bei Thomas Manns Verhältnis zur Philosophie [ … ] recht besehen um ein Unverhältnis “ [25], die philosophischen Kenntnisse Thomas Manns seien gering gewesen. Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche aber wurden von Thomas Mann immer wieder herangezogen.

Thomas Manns intensive Schopenhauer-Lektüre ist nach eigenen Angaben in späteren Briefen im Jahre 1899 anzusiedeln. Eine Vordatierung auf 1895/1896 ist unwahrscheinlich, da die frühen Romankonzeptionen keine schopenhauerschen Motive zeigen und die Verarbeitung des Leseerlebnisses in den Buddenbrooks sich auf Thomas Buddenbrooks Schopenhauer-Rausch beschränkt und ein „ auffallend untypisches Einsprengsel darstellt[26].

Die Lektüre hingegen ist viel früher, schon im Jahre 1894 anzusetzen und streckte sich über Jahrzehnte hin. Thomas Mann soll sich nicht nur mit Nietzsches eigentlichem philosophischen Werk, sondern auch mit dessen Briefen und zahlreichen Werken über Nietzsche beschäftigt haben. Jedoch ist seine Nietzscheauffassung und -auslegung, je nach politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen argen Schwankungen unterworfen.

Der Einfluss der Philosophie Schopenhauers auf die „Buddenbrooks“ ist umstritten. Nach Thomas Manns Selbstaussagen in einem Brief an Agnes E. Meyer vom Januar 1951 hat er Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ erst kennen gelernt, als er bereits im letzten Drittel des Buches stand. „ Aber außer diesem Kapitel ist nichts in dem Roman Produkt meiner Schopenhauer- Lektüre “.

Später heißt es, „Schopenhauers pessimistische Moral, Nietzsche´s Décadence- Psychologie […] waren die Bildungselemente, die dem Erzählwerk des

Dreiundzwanzig- bis Fünfundzwanzigjährigen (Thomas Mann), >Buddenbrooks< […] zur Gestalt verhalfen“[27].

Die Selbstaussagen Thomas Manns sind immer mit äußerst kritischem Blick zu betrachten und gründlich zu überprüfen, da sich Thomas Mann mit seinen Selbstkommentaren in die Tradition Lavaters und anderer öffentlicher autobiographischer Selbstdarstellungen einreihen lässt.

Die Forschung, insbesondere Hans Zeller, ist, unbeirrt der widersprüchlichen Selbstaussagen Thomas Manns, der Ansicht, dass der Roman in seiner gesamten Konzeption von der schopenhauerschen Philosophie geprägt und strukturiert ist. Der gesamte Roman ist nach Zellers Auffassung von einer `Strukturlinie durchzogen, einer kontinuierlich abnehmenden Vitalität und Lebenskraft (Wille zu Leben nach Schopenhauer) bei umgekehrt verlaufender, also stetig zunehmender intellektueller und sensitiver Vertiefung` (Erkenntnis). Diese Strukturlinie ist eine „ Linie, die in der Auslöschung von Vitalität und biologischer Existenz (Verneinung des Willens) enden wird[28].

In wie weit die Philosophie Nietzsches und Schopenhauers Thomas Manns Werk „Buddenbrooks“ nun tatsächlich beeinflusst hat, werde ich kaum klären können. Dennoch sind in den „Buddenbrooks“ einige Spuren Thomas Manns - mehr oder weniger - intensiven Auseinandersetzungen mit den beiden Star- Philosophen zu finden, denen ich in dieser Ausarbeitung nachgehen möchte. Insbesondere möchte ich mich dabei mit dem Kapitel 5, dem zehnten Teil der „Buddenbrooks“, beschäftigen, da dort etwaige Einflüsse der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches am offensichtlichsten sind und schauen, welcher Art diese Einflüsse sind.

Thomas Manns Schopenhauer-Leseerlebnis

Thomas Manns Brockhaus-Ausgabe von Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ war nur ein Gelegenheitskauf gewesen „ geschehen mehr um des Besitzes als um des Studiums willen [ … ] “ So Thomas Mann: „ Aber die Stunde kam, die mich lesen ließ, und so las ich denn Tage und Nächte lang, wie man wohl nur einmal liest “ [29].

Für Thomas Mann war diese Lektüre „ein seelisches Erlebnis ersten Ranges und unvergesslicher Art […]“

„ So liest man nur einmal. Das kommt nicht wieder. “ [30]

Weiter beschreibt er das Leseerlebnis mit den Wörtern Erfülltheit, Hingerissenheit, Genugtuung und als metaphysischen Rausch. Diese Wortwahl findet man auch in der Beschreibung Thomas Buddenbrooks Leseerlebnis wieder. Explizit sagt Thomas Mann:

„ Es ging mir in diesen Büchern ein wenig so, wie ich es meinem Thomas Buddenbrook mit dem Bande Schopenhauer ergehen ließ[ … ] “ [31] .

Thomas Mann hat das Erlebnis in den Buddenbrooks, Teil 10, Kapitel 5 verarbeitet:

„ Es war eine glückliche Fügung, daßsich mir sogleich die Möglichkeit bot, mein unbürgerliches Erlebnis in das zu Ende gehende Bürgerbuch einzuflechten “ [32] . „ Zwei Schritte von meinem Kanapee lag aufgeschlagen das Manuskript, welches eben bis zu dem Punkte gediehen war, daßes galt, Thomas Buddenbrook zu Tode zu bringen. Ihm schenkte ich das teure Erlebnis, das hohe Abenteuer, in sein Leben, dicht vor dem Ende, wob ich es erzählend ein. “ [33]

Thomas Buddenbrooks Leseerlebnis

„Es war Hochsommer des Jahres vierundsiebzig.“ (S. 653) als Thomas Buddenbrook „in einem Buche“ liest, das ihm „halb gesucht, halb zufällig in seine Hände geraten war“.

Er hatte es „in einem tiefen Winkel des Bücherschrankes, hinter stattlichen Bänden versteckt, gefunden und sich erinnert daß er es einst […] beim Buchhändler zu einem Gelegenheitspreise achtlos erstanden hatte: ein ziemlich umfangreiches, auf dünnem und gelblichen Papier schlecht gedrucktes und schlecht geheftetes Werk, der zweite Teil nur eines berühmten metaphysischen Systems.“ (S. 654) „Es trug aber dieses Kapitel den Titel: „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit des Wesens an sich.“ (S. 655)

Mit dieser Kapitelüberschrift kann man dieses metaphysische Werk eindeutig als Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ identifizieren.

Er las „vier volle Stunden lang mit wachsender Ergriffenheit“, „vom ersten bis zum letzten Buchstaben“, „ mit fest geschlossenen Lippen und zusammengezogenen Brauen“. „Die Stunden schwanden, ohne daß er vom Buche aufgeblickt oder auch nur seine Stellung im Stuhle verändert hätte“ (S. 655). Er las „in tiefer Versunkenheit“ und empfand eine „ungekannte, große und dankbare Zufriedenheit“ und „unvergleichliche Genugtuung“ (S. 654). Er fühlte sein Wesen „von einer schweren dunklen Trunkenheit erfüllt; seinen Sinn umnebelt und vollständig berauscht von irgendetwas unsäglich Neuem, Lockendem und Verheißungsvollem […]“ (S. 655).

Ob dieses Kapitel als Kernszene und konstruktiver Höhepunkt des gesamten Romans gelten kann und darf, weil es in der Zeit des Fin de Siècle der philosophischen Strömung und Nietzsche-Rezeption der Philosophie Rechnung trägt, und ob man aufgrund des einen Kapitels eine gesamtphilosophische Konzeption unterstellen kann, das halte ich für zweifelhaft. Wie dieses philosophische Einsprengsel zu verstehen und möglicherweise sogar als Anti- klimax zu deuten ist, möchte ich in den folgenden Punkten zeigen.

Schopenhauer-Lektüre als religiöses Erlebnis

Zwar hat Thomas Buddenbrook gewisse Sympathien für den Katholizismus, er ist aber eher vom leidenschaftlichen Protestantismus ergriffen. Dennoch kann ihm das Höchste und Letzte in diesem Augenblick, wo er sich von seinem einzigen Sohn als Erbfolger abwendet[34] und seine Ehe kriselt „ keine Vermittlung, Absolution, Betäubung oder Tröstung “ bieten (S. 653).

Zuflucht und Hoffnung auf Antwort und Beistand sucht er in Schopenhauers Schriften. So kann man Thomas philosophischen Ausflug als den Versuch einer Religionssubstitution und sein Leseerlebnis als Erlebnis mit religiösem Charakter bezeichnen.

Als Beleg für diese These dient die Beschreibung seines nächtlichen Erlebnisses in Folge der Nachwirkungen der Lektüre:

„ Plötzlich war es, wie wenn die Finsternis vor seinen Augen zerrisse [ … ] und eine unermesslich tiefe, eine ewige Fernsicht von Licht enthüllte “

Dieses Erlebnis ließe sich aufgrund der Licht-Finsternis-Symbolik auch als Nahtoderfahrung oder doch zumindest als eine, auf Thomas naiv-religiösen Vorstellungen beruhende Erscheinung deuten.

Anschließend fragt Thomas: „War das der Tod? […] Der Tod war ein Glück […] Es war die Rückkunft von einem unsäglich peinlichen Irrgang, die Korrektur eines schweren Fehlers, die Befreiung von den widrigsten Banden und Schranken - und einen beklagenswerten Unglücksfall machte er wieder gut.“ (S. 656/657)

Thomas empfindet dies nächtliche Erlebnis als Erleuchtung, als „ plötzliche, beseligende Erhellung seines Innern “ (S. 658), still und inbrünstig mit gefalteten Händen. Sein Verhalten und das verwendete Vokabular weisen darauf hin, dass es sich hier mehr um ein emotionales religiöses Erlebnis denn um ein intellektuelles philosophisches geht.

Die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches im Vergleich

Ich möchte an dieser Stelle - auch wenn es den Lesefluss stören mag - einen Exkurs über die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches einschieben, Ähnlichkeiten und Unterschiede kurz skizzieren, um später Thomas Manns Rezeption der beiden Philosophen nachvollziehen zu können.

Sicher nicht zufällig benutzt Thomas Mann in dem metaphysischen Religionserlebnis seiner Romanfigur Thomas Buddenbrook das Vokabular dieser beider Philosophen, zitiert und rezitiert diese. Das metaphysische System beider Philosophen wirkt ähnlich, unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten, nämlich in ihren Lösungsansätzen. Die Ähnlichkeit beider Philosophen begründet sich darin, dass Nietzsche Schopenhauer als Menschen und Philosophen verehrte, weite Teile seiner Philosophie übernahm, ihn später aber kritisch sah und letztlich völlig ablehnte. Dennoch sind die Spuren, die Schopenhauer in der Philosophie Nietzsches hinterlassen hat, nicht zu übersehen.

Der Wille

Der nicht objektivierte Wille ist bei Schopenhauer eine diffuse Kraft, ein blinder erkenntnisloser Drang, der den Ursprung der Welt in sich trägt und auch eine deutlich erotische und schöpferische Komponente beinhaltet. Schopenhauers Auffassung vom Weltwillen ist konform mit Nietzsches Bezeichnung des Leibes, in dem das Selbst wohnt: „ Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens[35].

Vergleichbar ist Schopenhauers Wille auch mit dem Es, dem Libido, den Trieben Freuds psychologischem Instanzenmodells.

Wenn man dies mit Heideggers Vokabular ausdrückt, bedeutet der Wille die reine Vorhandenheit einer beseelten Existenz und ist zugleich der Grund und Ursprung seiner indifferenten Vorhandenheit.

Die Abwendung des Willens vom Leben führt zum Tode, da der Leib selbst nur eine Erscheinung des Willens ist. Jedes Individuum ist ein Teil des allgemeinen Weltwillens, das aperos. Durch den Austausch der beiden Systeme Weltwille und Individuum entsteht für das Individuum eine Bringschuld. Die Bringschuld seiner Existenz ist der stetige Verfall[36]. So Schopenhauer: das „ Leben des Leibes ist nur ein fortdauerndes Sterben, ein immer aufgeschobener Tod. “ [37]

Der Verstand

Der Parameter, der erst zu einer Individualität, zu einem Bewusstsein und subjektiven eigentlichen Sinn führt, ist das, was Schopenhauer als Intellekt und Vorstellung bezeichnet. Der Mensch ist im schopenhauerschen Sinne eine platonische Idee, ein Ideal, nach dem der Mensch mittels der Objektivierung seines Willens strebt. Die Objektivierung (Objekt werden) des subjektiven Willens in einem Organ (Gehirn) führt zum Erkennen der Welt als eine Vorstellung der Welt. Die Welt wird Objekt des erkennenden Subjekts.

Schopenhauers Intellekt und Vorstellung lässt sich gleichsetzten mit Nietzsches Ich, dem „ Werkzeug des Leibes “. Nietzsche hat sich hier Schopenhauers Vokabular bedient, denn auch Schopenhauer bezeichnete den Intellekt als Werkzeug des Willens.

Erst die Vorstellung des Intellekts, der Diener und Antagonist des Willens, führt zu einer individuellen Zuhandenheit und eigentlichen Seinsform. Die eigentliche Zuhandenheit des Individuums ist seine subjektive Vorstellung der Welt.

Zwar ist der Intellekt zur Autonomie fähig, aber der Wille ist stärker als sein Gegenspieler und führt das Individuum in Qual, Leid und Getriebensein.

Die Lösungsmodelle

Was das Verhältnis zwischen Wille und Verstand, zwischen Selbst und Ich und das Verhältnis des Individuums zur Welt betrifft, gelangen Schopenhauer und Nietzsche zu völlig anderen Lösungsansätzen.

Schopenhauers Lösungsmodell

Der Wille ist es, der zur Erkenntnis treibt und sich selbst in der Welt gespiegelt sieht. Jedoch kontaminiert der Verstand den Willen, sodass dieser sich letztendlich selbst aufhebt und das Leben verneint. Schopenhauer zieht die Konsequenz aus der Verneinung und Todessehnsucht des Willens bei gleichzeitiger fuga mortis (Flucht vor dem Tod) und sieht den Tod als Auflösung dieses Konfliktes zwischen Willen und Intellekt, und Erlösung von den daraus resultierenden Qualen.

Aber „wenn der Wille das Schöpfungsprinzip der Welt darstellen soll und wenn also nichts existiert, was nicht vom Willen geschaffen ist - was bleibt dann übrig, wenn dieser Wille verneint wird?“[38].

Die Antwort lautet: Nichts! Die Verneinung des Willens und somit des Lebens führt ins Nichts, in die Auflösung der Welt ins absolute Nichts. Somit steht die Schopenhauersche Auffassung des Todes als Auflösung, Ende der Welt und Nichts der christlichen Todesauffassung von einem Leben nach dem Tod und jüngsten Gericht im Jenseits, in Paradies oder Fegefeuer entgegen.

„ [ … ]so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere “ [39] . Nietzsches Lösungsmodell

Friedrich Nietzsche wendet sich von der platonischen Ideenwelt und diesem schopenhauerschem Pessimismus und Verneinung des Willens und des Lebens als Lösungsmodell ab. Er sieht dem entgegen nicht den Willen, den Leib und das Selbst als Konfliktgrund an, sondern umgekehrt sind bei ihm der Geist und der Intellekt die Konfliktquelle, die die natürlichen lebensbejahenden Triebe und Instinkte zurückdrängen und zu einer Lebensunfähigkeit und zum Verfall des Individuums führen.

Nietzsche erhebt den Leib und das Selbst zur wertgebenden und rechthabenden Instanz.

Das Selbst soll Quelle der neuen Werte des neuen Menschen der Löwen und Kinder, des Übermenschen sein. Nietzsche will neue Werte schaffen, die nicht nur eine Umwertung aller Werte bedeuten, also eine Umkehrung und Verlagerung der Werte aus dem metaphysischen Bereich in die Lebenswirklichkeit, sondern er fordert eine Neuschaffung von Werten.

Werte, sind im mathematischen Sinne Punkte/Koordinaten, die in einem System eingetragen sind und somit eine Orientierung und ein Maß bieten. Zeichne ich nun zwischen diesen beiden Koordinaten in dem System eine Linie ein, so ist es mir nur möglich die Länge der Linie zu bestimmen, wenn ich den Anfangs- und Endpunkt als Maßeinheit nutze.

So ist es auch mit unseren ethischen Werten, Normen und Tugenden. Zu diesen Werten gibt es jeweils auch Unwerte und Gegensatzpaare. All unser Denken bewegt sich zwischen Antonymen. Wir sind nicht imstande uns in unserem Denken außerhalb dieser Antonyme zu bewegen, da sie unseren Gedanken jederzeit Maß und Orientierung bieten. Die Zeit ist noch nicht reif für den Übermenschen, der völlig neue Werte schafft.

„Kreativer Missbrauch“ der Philosophie bei Thomas Buddenbrook

Thomas Buddenbrooks Sinn ist in solcher Lektüre ungeübt, dennoch findet während seiner nächtlichen „Erleuchtung“ eine intensive emotionale Auseinandersetzung mit dem Gelesenen statt.

„ Er begriff nicht alles; Prinzipien und Voraussetzungen blieben ihm unklar [ … ] “

„ Ich weißnicht, was es war … ich weißnur, daßes zu viel, zuviel für mein Bürgerhirn …“ ( S. 655)

Er setzt sich nicht intellektuell mit dem Schopenhauerschen Gedankengut auseinander, sondern überträgt es in seine eigene Lebenswelt, als „ kreatives Mißverständnis des Schopenhauer-Textes[40].

Thomas Mann will hier anhand seiner Figur Thomas Buddenbrook zeigen, „daß man im Sinn eines Philosophen denken kann, ohne im geringsten nach seinem Sinn zu denken […] daß man sich seiner Gedanken bedienen - und dabei denken kann, wie er durchaus nicht gedacht haben will“. Worauf es Thomas Mann ankam, war „der naive Mißbrauch einer Philosophie“[41].

Ausgehend von der Philosophie Schopenhauers findet eine wirre Durchmischung mit der Philosophie Nietzsches statt. Die Philosophen werden zitierend und erzählend übernommen und in Thomas Monologe und innere Dialoge integriert. Er spricht mit ihren Worten.

So stellt Thomas Buddenbrook mit Arthur Schopenhauers Worten fest:

Sein Leben, „das ist nur eine Täuschung, das war nur ein Irrtum, den der Tod berichtigen wird. So ist es, so ist es!“ (S.656)

Hier finden wir deutlich Schopenhauers Gedanken, von der Welt als reine Vorstellung, als subjektive Täuschung der Sinne und des Verstandes.

So lautet die entsprechende Stelle in Schopenhauers Werk, der Tod sei „im Grunde die fabelhafteste Sache von der Welt […] Im Grunde ist doch jede Individualität nur ein spezieller Irrtum, Fehltritt, etwas, was besser nicht wäre, ja wovon uns zurückzubringen der eigentliche Zweck des Lebens ist.“[42]

Der eigentliche Zweck des Lebens ist nach Schopenhauer der Tod als Lösung, dem Konflikt zwischen Wille und Verstand zu entfliehen und von den Qualen befreit zu werden. Er sieht das Leben als reinen Kampf und den kontinuierlichen Verfall an Geist und körperlichen Kräften als Folge dieser Kämpfe. Thomas „ so ist es, so ist es! “ (s.o.) drückt deutlich den Fatalismus aus, dem die beiden Antagonisten der menschlichen Psyche unterworfen sind. Der Wille wird immer über den Verstand siegen und mit dem Tod des „Dividuums“ wird es wieder Teil des allgemeinen Weltwillens. Seine Vorstellungen werden zu nichts und nichtig.

Weiter fragt Thomas:

„ War nicht jeder Mensch ein Missgriff und Fehltritt? [ … ] Gefängnis! Gefängnis! Schranken und Bandeüberall! [ … ]bis der Tod kommt und ihn zu Heimkehr und Freiheit ruft “ ( S. 657).

Die entsprechende Textstelle bei Schopenhauer lautet: „Über dies alles nun aber ist der Tod die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu sein: wohl dem, der sie benutzt. Während des Lebens ist der Wille des Menschen ohne Freiheit. Daher löst der Tod jene Bande: der Wille wird wieder frei […]Das Sterben ist der Augenblick jener Befreiung von der Einseitigkeit einer Individualität“[43].

Was Schopenhauer mit Banden und Schranken meint, nämlich den Konflikt zwischen Willen und Intellekt, die sich gegenseitig kontaminieren, überträgt Thomas Buddenbrook in seine Lebenswelt.

„ Durch die Gitterfenster seiner Individualität starrt der Mensch hoffnungslos auf die Ringmauern seineräußeren Umstände “ . Die Ringmauern seineräußeren Umstände sind die „ Mauern seiner Vaterstadt “ , der Zwang, in den ihn die Familientradition und die Firma stellen. „ Individualität “ (S. 657) ist etwas, was Thomas Buddenbrook durch das familiär tradierte Vorbild, Ich-Ideal und durch seine Pflichten gegenüber Familie und Firma verwehrt wird. Er bedauert das, weil er glaubt, „ den Keim, den Ansatz zu allen Befähigungen und Betätigungen der Welt “ (S.657) in sich zu tragen, diese aber nicht leben zu können.

Thomas Buddenbrook monologisiert weiter:

„ Blinde, unbedachte, bedauerliche Eruption des drängenden Willens! “

Thomas sehnt sich danach, seinen Willen erhören zu können. Schon zuvor wurde deutlich, dass er seinen missratenen Bruder Christian in diesem Punkt doch darum beneidet. Dennoch ist Thomas Intellekt, Disziplin und Pflichtbewusstsein der Firma gegenüber seinem Willen überlegen, der „ in einem Kerker schmachtet, der von dem zitternden und wankenden Flämmchen des Intellekts notdürftig erhellt wird! “ (S. 657).

Hier findet ein Wechsel von Schopenhauers zu Nietzsches Philosophie statt. Friedrich Nietzsche wendet sich von diesem Schopenhauerschem Pessimismus und Verneinung des Willens und des Lebens als Lösungsmodell ab. Nietzsche erhebt den Leib und das Selbst zur wertgebenden und rechthabenden Instanz und wartet auf den neuen Übermenschen, der nach diesen neuen Werten seines Selbst lebt - lebenswillig, gesund, stark und glücklich ist.

In Nietzsche-Manier fragt nun Thomas Buddenbrook:

„ Wo werde ich sein, wenn ich Tod bin? [ … ] In allen denen werde ich sein, die je und je Ich gesagt haben, sagen und sagen werden: besonders aber in denen, die es voller, kräftiger und fröhlicher sagen … Irgendwo in der Welt wächst ein Knabe auf, gut ausgerüstet und wohlgelungen, begabt, seine Fähigkeiten zu entwickeln, gerade gewachsen und ungetrübt, rein, grausam und munter [ … ] “ (S. 658).

Die Vorstellung Thomas Buddenbrooks über Seins- oder Nichtseinsform nach dem Tode erfahren einen kompletten Perspektivwechsel. Noch zuvor nach Schopenhauerscher Auffassung bedeutete der Tod ihm die völlige Negierung und Auflösung jeglicher Seinsformen, die Auflösung ins metaphysische Vakuum. Nun sieht er sich in denen zu ewiger Wiederkehr und ewigem Leben verwirklicht und reincarniert, die nach ihm kommen, die stark und lebensbejahend sind.

In diesem inneren Dialog Thomas Buddenbrooks folgt seine Antwort, die analog zu einer Passage aus Nietzsches Zarathustra ist:

„ Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen [ … ] nicht die Menschen der großen Sehnsucht, des großen Ekels, des großenüberdrusses [ … ]Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf andere warte ich hier in diesen Bergen [ … ] - auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: lachende Löwen müssen kommen! [ … ] - höret ihr noch nichts von meinen Kindern? [ … ] Was gäbe ich nicht hin, dass ich Eins hätte: diese Kinder, diese lebendige Pflanzung, diese Lebensbäume meines Willens und meiner höchsten Hoffnung! Also sprach Zarathustra und plötzlich inne in seiner Rede: denn ihnüberfiel eine Sehnsucht …“ [44] .

[...]


1 de Mendelssohn, Peter. Der Zauberer. Das Leben des Schriftstellers Thomas Mann. Erster Teil 1875 - 1918. Berlin 1975, S. 489

2 Müller, Fred. Thomas Mann. Buddenbrooks: Interpretation von Fred Müller. München, 1998, S. 8

3 de Mendelssohn, Peter. Der Zauberer. Das Leben des Schriftstellers Thomas Mann. Erster Teil 1875 - 1918. Berlin 1975, S. 393

4 Vogtmeier, Michael. Die Familien Mann und Buddenbrook im Lichte der Mehrgenerationen-Familientherapie. Untersuchungen zu Thomas Manns Buddenbrooks Verfall einer Familie. Frankfurt/M., 1987, S. 78f.

5 ebd., S. 53

6 ebd., S. 54

7 Mann, Thomas. Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin, 1965, S. 758

8 Wysling, Hans (Hrsg.). Thomas Mann. Selbstkommentare: Buddenbrooks. Frankfurt/M., 1990, S. 28

9 Vogt, Jochen. Thomas Mann. Buddenbrooks. München, 1983, S. 58

10 Vogtmeier, Michael. Die Familien Mann und Buddenbrook im Lichte der Mehrgenerationen- Familientherapie. Untersuchungen zu Thomas Manns Buddenbrooks Verfall einer Familie. Frankfurt/M., 1987, S. 28

11 Mann, Thomas. Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin, 1965, S. 38

12 ebd., S. 39

13 Vogtmeier, Michael. Die Familien Mann und Buddenbrook im Lichte der Mehrgenerationen- Familientherapie. Untersuchungen zu Thomas Manns Buddenbrooks Verfall einer Familie. Frankfurt/M., 1987, S. 27

14 ebd., S. 28

15 Mann, Thomas. Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin, 1965, S. 194f.

16 Vogtmeier, Michael. Die Familien Mann und Buddenbrook im Lichte der Mehrgenerationen- Familientherapie. Untersuchungen zu Thomas Manns Buddenbrooks Verfall einer Familie. Frankfurt/M., 1987, S. 27

16 ebd., S. 32

17 Mann, Thomas. Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin, 1965, S. 20

18 ebd., S. 21

19 Ullrich, Volker. Die nervöse Großmacht 1871 - 1914. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs. Frankfurt / M., 1999, S. 31

20 ebd., S. 280

21 Vogtmeier, Michael. Die Familien Mann und Buddenbrook im Lichte der Mehrgenerationen- Familientherapie. Untersuchungen zu Thomas Manns Buddenbrooks Verfall einer Familie. Frankfurt/M., 1987, S. 37

22 Ullrich, Volker. Die nervöse Großmacht 1871 - 1914. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs. Frankfurt / M., 1999, S. 313

23 Mann, Thomas. Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin, 1965, S. 157

24 de Mendelssohn, Peter. Der Zauberer. Das Leben des Schriftstellers Thomas Mann. Erster Teil 1875 - 1918. Berlin 1975, S. 403

25 Thomas-Mann-Handbuch, Thomas Mann und die Philosophie, S. 259

26 Buddenbrook-Handbuch, Die Philosophie, S. 296

27 Thomas Mann in „Meine Zeit“ März 1950, zitiert nach Wysling, Hans (Hrsg.): „Schopenhauer“ in: Thomas Mann, Selbstkommentare, „Buddenbrooks“, S. 123

28 Vogt, Jochen: Thomas Mann „Buddenbrooks“, UTB, S. 81

29 Lebensabriss S. 110

30 BeU S. 71 (BeU=Betrachtungen eines Unpolitischen)

31 Lebensabriss S. 110

32 Lebensabriss S. 110

33 BeU S. 71

34 „Eben darauf, daß der Erzeuger im Erzeugten sich selbst wiedererkennt, beruht die Vaterliebe…“ Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung, Bnd. I. S. 650

35 Nietzsche, Zarathustra, Erster Teil, Von den Verächtern des Leibes, S. 32ff

36 Goethe, Faust I, Studierzimmer, V. 1338-1344: „Ich bin der Geist der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles was entsteht Ist werth daß es zu Grunde geht; Drum besser wär's daß nichts entstünde

37 Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung, Bnd. II, S. 169

38 Fred Müller, Oldenbourg Interpretationen zu Thomas Manns Buddenbrooks, S. 55

39 Zarathustra, Vorrede, S.18 *Das Zitat scheint fehlplaziert, denn es geht um Schopenhauer, aber Nietzsches Zarathustra umfasst die gesamte Genese seiner Philosophie, die sich hier chronologisch entfaltet, von der Paraphrasierung Schopenhauers bis zur Idee vom Übermenschen und dem ungebrochenen Willen zur Macht.

40 Buddenbrook-Handbuch, Die Philosophie, S. 299

41 „Schopenhauer“ in: Thomas Manns „Selbstkommentare Buddenbrooks“

42 Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung, Band II, Kapitel 41, Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit des Wesens an sich, S. 650

43 Schopenhauer Welt als Wille und Vorstellung, Bnd. II, S.

44 Also sprach Zarathustra, Vierter Teil, Die Begrüßung, S. 296

Final del extracto de 149 páginas

Detalles

Título
Die „Buddenbrooks“ – Eine Analyse von Thomas Manns Gesellschaftsroman
Autores
Año
2013
Páginas
149
No. de catálogo
V264352
ISBN (Ebook)
9783656534853
ISBN (Libro)
9783956871047
Tamaño de fichero
1136 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
buddenbrooks, eine, analyse, thomas, manns, gesellschaftsroman
Citar trabajo
Bettina Nolde (Autor)Kerstin Schramm (Autor)Mario Schüler (Autor)Katharina Marr (Autor)Marcel Ernst (Autor)Jana Schäfer (Autor)Nikolai Sokoliuk (Autor), 2013, Die „Buddenbrooks“ – Eine Analyse von Thomas Manns Gesellschaftsroman, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264352

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