Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen nach dem Zweiten Punischen Krieg
2.1. Die spätrepublikanische Geldwirtschaft und die Entwicklungen in der Landwirtschaft
2.2. Die ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Stadt Rom
3. Schlussbetrachtung
4. Literaturverzeichnis
5. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
„Der Bauer“, fuhr er dann fort, „den man von seinem Acker geholt hat, damit er die Punier, die Spanier und die Syrier besiegt, wird, zurückgekehrt, von den Sklaven besiegt, in die er die Feinde verwandelt hat. Sein Acker fällt an die großen Grundbesitzer, und er läuft in die Hauptstadt in der eitlen Hoffnung, dass man ihm als Almosen sizilisches Korn in sein Säcklein schütte.“
(Bertolt Brecht: Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar. Romanfragment, Berlin 1957, S.73.)
Was hier der Sklave Alexander dem Sklaven Rarus in Brechts Romanfragment erklärt, bezieht sich auf das „Phänomen der Landflucht“[1], also den massenhaften Strom römischer Kleinbauern in die italischen Städte in der Zeit, die auf die Punischen Kriege folgte. Dieses Phänomen steht im Zusammenhang mit sich ausprägenden spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen, um die es in dieser Arbeit gehen soll.
Das Ziel dieser Arbeit soll sein, wesentliche Entwicklungstendenzen im Bereich der römischen Ökonomie und Sozialordnung, sowie ihre Interdependenzen für den Zeitraum der Römischen Republik ab den großen Eroberungskriegen, also ab dem 2. Jahrhundert v. Chr., aufzuweisen. Dieser Zeitraum ist, gerade auch im Hinblick auf die Gesamtgeschichte Roms, deshalb von besonderer Bedeutung, weil in diesem eine Umschichtung bzw. eine Differenzierung der Gesellschaft stattfand in einer Weise, wie es sie in zuvor bestehenden römischen Sozialordnungen nicht gegeben hatte.[2] Viele Autoren sehen genau in diesen Entwicklungen wesentliche Gründe für die Krise der späten Republik, die anschließend in das Prinzipat mündete,[3] was die genauere Betrachtung jener Veränderungen notwendig macht. „Latifundia perdidere Italiam”[4] – die Latifundien haben Italien vernichtet! – dieser Ausspruch von Plinius kann als Andeutung dafür verstanden werden, was für weitreichende Folgen genannte Entwicklungen tatsächlich nach sich zogen. Das Aufkommen großer Landgüter in der späten Republik steht in dem gleichen historischen Zusammenhang wie die erwähnte Landflucht der Bauern. Welche ökonomische Dynamik lag aber all dem zugrunde und welche sozialen Verhältnisse resultierten hieraus? – Dieser Frage wollen wir in der folgenden Arbeit nachgehen.
2. Die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen nach dem Zweiten Punischen Krieg
Im Zuge der großen Eroberungskriege in Oberitalien, Karthago, Spanien, sowie Griechenland, entwickelte sich Rom zu einer Großmacht, die neuen ökonomischen Bedingungen ausgesetzt war.
Betrachtet man diese zunächst aus sozialer Perspektive, so fällt auf, dass in der Geschichtsforschung als mehr oder weniger direkte Folgen bzw. Begleiterscheinungen dieser wirtschaftlichen Entwicklungen die Produktion und Reproduktion starker sozialer Gegensätze angenommen werden. So sieht bspw. Alföldy in dieser Zeit die „Fronten zwischen verschiedenen benachteiligten sozialen Gruppierungen und der herrschenden Schicht“[5] und Kühnert schreibt, dass „auf dem Privateigentum beruhende Klassengegensätze in der späten römischen Republik objektiv vorhanden waren“[6] und weist auf die Bemühungen der obersten Klasse zur gezielten Reproduktion dieser Gegensätze hin.[7] Die beiden vorhin genannten Zitate machen es notwendig, zunächst die darin vorkommenden soziologischen Begriffe Schicht bzw. Klasse zu definieren. Es existieren im Wesentlichen zwei sich voneinander unterscheidende Klassenbegriffe, nämlich einmal von Max Weber und zum Anderen von Karl Marx. Im ersteren Fall wird eine Klasse aufgefasst als die Gesamtheit aller Personen in einer bestimmten Klassenlage, welche sich durch das spezifische Maß der Verfügungsmöglichkeiten der in ihr befindlichen Personen über gesellschaftlich knappe wirtschaftliche Güter (Produktionsmittel wie auch Versorgungsgüter) auszeichnet.[8] Wie sich hiervon die marxistisch geprägte Klassendefinition unterscheidet, lässt sich an folgender Textstelle Lenins aufweisen: „Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem […] Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen.“[9] Wenn also die Stellung innerhalb des Produktionsprozesses maßgeblich ist für die Klassenlage, so ergibt sich für das marxsche Klassenverständnis hieraus, dass im Großen und Ganzen eine Klasse existiert, die die Produktionsmittel besitzt und eine andere, die diese nicht besitzt und von der ersteren ausgebeutet wird. In diesem Sinne lässt sich die Aussage von Marx und Engels über die antike Gesellschaft nachvollziehen: „Das Klassenverhältnis zwischen Bürgern und Sklaven ist vollständig ausgebildet.“[10] Nun muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Stellung als Sklave noch nicht zwingend einen völligen Ausschluss vom „gesellschaftlichen Reichtum“ zur Folge hatte und dass (wenn auch bei Beibehaltung einer faktischen Bindung an den ehemaligen Herrn) unter gegebenen Umständen die Möglichkeit zur Freilassung oder zum Loskauf bestand.[11] Es erscheint uns daher als sinnvoller, für unsere weiteren Überlegungen den weberschen Klassenbegriff zugrunde zu legen, auch, da dieser den Zugriff auf die gesellschaftlichen Produktionsmittel ja durchaus mit einbezieht.
Woraus also ergab sich in der späten Republik eine bestimmte Klassenlage?
Da, wie immer wieder betont worden ist, die Landwirtschaft von jeher den wichtigsten Wirtschaftsfaktor im alten Rom darstellte,[12] lässt sich hieraus ableiten, dass der hohe Zugriff auf Produktionsmittel der Agrarwirtschaft eine entsprechend positiv privilegierte Klassenlage bedeuten muss. Alföldy schreibt hierzu: „Die privilegierte Position in der Gesellschaft war untrennbar mit dem Grundbesitz verbunden.“[13] Diesen Umstand noch weitergehend betrachtend konstatiert Marx für die römische Republik, dass „die Geschichte des Grundeigentums ihre Geheimgeschichte bildet.“[14] Als die beiden Stände, die es unter den sich verändernden wirtschaftlichen Bedingungen schafften, durch die Aneignung großer Grundbesitztümer eine privilegierte gesellschaftliche Stellung einzunehmen, werden der Senatorenstand (ordo senatorius) und der Ritterstand (ordo equester) angesehen, beide teilten weitgehend dieselbe Klassenlage.[15] Beide Stände hatten in hohem
Maße Zugriff auf Produktionsmittel, nicht nur, aber auch und insbesondere aus dem Bereich der Landwirtschaft. Diese waren: „Kapital, freies Land, das man
erwerben konnte“, sowie „Personal (Sklaven und Tagelöhner)“.[16]
Die Frage ist nun: Wie kam es dazu, dass den Senatoren und Rittern genug Kapital für derartige Unternehmungen zur Verfügung stand? Wie kam es, dass genug freies Land für große Grundbesitztümer zur Okkupation bereitstand? Und woher kam die große Zahl an Sklaven und Tagelöhnern, die für die Bebauung des Landes notwendig waren? Kurz: Was waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die sich ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. entwickelnde Sozialordnung? Dieser Frage wollen wir im Folgenden nachgehen.
Zuvor jedoch wollen wir uns kurz den negativ privilegierten Ständen, denen der Sklaven und der Plebejer, – im Allgemeinen zusätzlich unterteilt in ländliche (plebs rustica) und städtische Plebs (plebs urbana) – zuwenden.
Wir werden uns in dieser Arbeit im Falle der Unterschichtenforschung speziell auf die plebs urbana konzentrieren, weil dieser Gesellschaftsgruppe in der Forschung häufig eine spezielle Bedeutung für die Krise der Römischen Republik zugesprochen worden ist. So bezeichnet Nippel etwa die plebs urbana als „Substrat und/oder Referenzsubjekt“[17] der Rahmenbedingungen, die die vermehrten gewalttätigen Ausschreitungen in der späten Republik bedingten. Boren vertritt die Auffassung, „daß die schwierigsten Probleme für Rom städtische waren, obgleich diese sicher mit den ländlichen Verhältnissen in Zusammenhang standen; überdies war die stadtrömische Wirtschaftslage der bedeutendste Faktor in der unmittelbaren Krise.“[18]. Und selbst Marx erkennt, dass die realen politischen Kämpfe mit der privilegierten Klasse eher durch die Plebejer als durch die Sklaven ausgetragen wurden.[19] Insofern erscheint es uns sinnvoll, die stadtrömische Wirtschaftslage und -entwicklung im speziellen Hinblick auf die soziale Lage der städtischen plebs zu untersuchen.
[...]
[1] Backhaus, Wilhelm: Bemerkungen zur Bedeutung von Lohnarbeit und Sklavenarbeit in der römischen Landwirtschaft, in: Mommsen, Hans und Schulze, Winfried (Hg.): Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S.97.
[2] Vgl. Alföldy, Géza: Römische Sozialgeschichte, Stuttgart4 2011, S. 61f.
[3] Vgl. Meier, Christian: Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik, Frankfurt am Main3 1997, S. 201-205, vgl. auch Fellmeth, Ulrich: Pecunia non olet. Die Wirtschaft der antiken Welt, Darmstadt 2008, S. 93.
[4] Plin. nat. XVIII, 7, 35.
[5] Alföldy (2011), S. 62.
[6] Kühnert, Barbara: Die plebs urbana der späten römischen Republik. Ihre ökonomische Situation und soziale Struktur, in: Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse, Bd. 73, H. 3, Berlin 1991, S. 65.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Weber. Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Studienausgabe, Tübingen5 1976, S. 177.
[9] Lenin, W. I.: Die große Initiative. (Über das Heldentum der Arbeiter im Hinterland. Aus Anlass der „kommunistischen Subbotniks“), in: ders.: Ausgewählte Werke, Bd. 3, Berlin 1970, S. 255.
[10] Marx, Karl/Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 3 (MEW 3), Berlin 1969, S. 23.
[11] Vgl. Weber, Max: Agrarverhältnisse im Altertum, in: ders: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (GASW), hg, v. Weber, Marianne, Tübingen2 1988, S. 22.
[12] Vgl. Alföldy, Géza: Die römische Gesellschaft – Struktur und Eigenart, in: ders.: Die römische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge, Stuttgart 1986, S. 47f., vgl. auch: Kloft, Hans: Die Wirtschaft der griechisch-römischen Welt. Eine Einführung, Darmstadt 1992, S. 162.
[13] Alföldy: Gesellschaft (1986), S. 49.
[14] Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, in: MEW 23, Berlin 1971, S. 96, Anm. 33.
[15] Vgl. Kühnert (1991), S. 63f. Auf S. 64 geht Kühnert davon aus, dass zu jener privilegierten Klasse auch ein gewisser Teil der römischen plebs gehörte. Es ist dies jedoch nicht die Gelegenheit, um zu prüfen, in welcher Größenordnung dies tatsächlich zutraf.
[16] Kloft (1992), S. 164, vgl. auch De Martino, Francesco: Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, München 1985, S. 79.
[17] Nippel, Wilfried: Die plebs urbana und die Rolle der Gewalt in der späten römischen Republik, in: Mommsen, Hans und Schulze, Winfried (Hg.): Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 74.
[18] Boren, Henry C.: Die Rolle der Stadt Rom in der Wirtschaftskrise der Gracchenzeit (1957/58), in: Schneider, Helmuth (Hg.): Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der späten römischen Republik, Darmstadt 1976, S. 80.
[19] Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in: Marx, Karl/Engels, Friedrich: Ausgewählte Schriften, Bd. 1, S. 223.