Haarige Metamorphosen

Trans*geniales Haar


Hausarbeit, 2013

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschlecht als Konstrukt

3 Haare als Marker für Geschlecht

4 Transsexualität und Drag

5 Haarmodifikation und Geschlechter[de]konstruktion
5.1 Strategien
5.2 Haarentfernung
5.3 Hinzufügen von Haaren
5.4 Übertreibung und Brüche

6 Fazit

7 Verwendete Literatur und Quellen

8 Filme

9 Abbildungsnachweis

10 Abbildungen

1 Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht und fragt danach, ob und wie eine De-Konstruktion vermittels der Modifikation von körpereigenen, fremden und künstlichen Haaren stattfinden kann. Um zunächst zu klären, ob es sich bei der Kategorie ͣGeschlecht“ um eine soziale Konstruktion handelt, stellt Kapitel 2 exemplarisch das widersprüchliche Verhältnis von staatlicher und alltags- praktischer Geschlechterdichotomie zur Tatsache intersexuell geborener Menschen vor. Kapitel 3 legt anhand der ontogenetischen Entwicklung der Behaarung und der kulturellen Ableitungen daraus dar, dass Haare als soziale Marker auch auf Geschlecht hinweisen. In- dem Kapitel 3 mit Drag Queens und transsexuellen Frauen die Gruppen vorstellt, auf denen mit ihrer Weiblichkeitsdarstellung das Hauptinteresse liegt und sich an einer Definition versucht, leitet es über zum Hauptteil, in welchem am Beispiel von doing drag und Transse- xualität die verschiedenen Strategien und Methoden zur Herstellung aber auch Infragestel- lung von Geschlecht anhand von Haarmodifikationen aufzeigt werden. Nach einer Vorstel- lung der verfolgten Strategien, wird auf Praxen und Methoden eingegangen und der entlar- vende Charakter derselben aufgezeigt (Kapitel 5). Den Abschluss bildet ein Fazit.

2 Geschlecht als Konstrukt

Wir leben in einer sozialen Ordnung, die Menschen als Merkmalsträger in zwei verschiede- ne Geschlechter einteilt. Da dieses System dichotom ist und nur die Zuordnung ͣMann“ oder ͣFrau“ vorsieht, findet die Zuweisung zu einem der beiden Geschlechter sowohl er- schöpfend als auch ausschließlich statt (vgl. Schmidt 2005, S. 119; Villa 2006, S. 87f). Die traditionelle Teilung der Geschlechter ist durch die Alltagspraxis wie auch den Staat legitimiert und wird anhand vermeintlich natürlicher Merkmale objektiviert. So fordert das deutsche Personenstandsgesetz (PStG 2007), dass für jedes Neugeborene innerhalb einer Woche nach der Geburt eine amtliche Eintragung des Geschlechtes vorgenommen wird. Vor dem Staat gibt es also Männer und Frauen (respektive Jungen und Mädchen). Jede_r ist entweder das eine oder das andere, niemand kann beides sein und niemand kann keins von beidem sein. Die Entscheidung, ob ein Säugling männlich oder weiblich ist, wird anhand seiner anatomischen Merkmale getroffen. Kinder, die aufgrund zwischengeschlechtlicher gonadaler und genitaler Ausprägung nicht eindeutig einer der beiden vorgegebenen Ge- schlechterkategorien zuordenbar sind, werden in vielen Fällen nach einem Aushandlungs- prozess der Medizin mit den Eltern wenige Tage nach ihrer Geburt operativ einem der bei- den Geschlechterpole zwangszugewiesen (ͣzugerichtet“, Voß 2012, S. 26) und die vermeint- lich natürliche Ordnung dadurch wieder hergestellt (ebd. S. 31; Lang 2006, S.83).

Die Situation intersexuell geborener Kinder soll als Beispiel genügen, um die Zweige- schlechtlichkeit als konstruiert zu entlarven. Hierbei ist zu betonen, dass der Tatbestand der sozialen Konstruktion sowohl für die Dimension des biologischen Geschlechts (sex) als auch für die der kulturell und gesellschaftlich bedingten Geschlechtsidentität (gender) gilt, wel- che Butler (1991, S.15f) beschreibt1. Das System zweier opponierender Geschlechter, ba- sierend auf einer ent-historisierten und dadurch als normal und natürlich angesehenen Konstruktionsarbeit (Bourdieu 2005, S. 44f), ist etwas, das angesichts anderer Realität zu seiner Aufrechterhaltung verteidigt wird und auch verteidigt werden muss. Dies geschieht auf Basis einer biologistischen Argumentation, unter anderem vermittels symbolischer Ge- walt durch den Staat und physischer Gewalt durch die Medikalisierung von Geschlecht im Sinne eines Operationszwangs für Transsexuelle, die ihren Vornamen ändern wollen (Regh et al. 2005, S. 26f; TSG §1) oder der postnatalen chirurgischen Geschlechtszuweisung Neu- geborener.

Die uns gleichsam in den Personalausweis wie auch in den Körper eingeschriebene, ewig währende und quasi-natürliche Konstruktion von zwei durch spezifische Unterschiede ge- trennte Geschlechter bildet das Fundament für sämtliche Anschauungen davon, was männ- lich und was weiblich ist. Dies umfasst von geschlechtlicher Arbeitsteilung, über die Vorstel- lung von aktiven, männlichen Spermien und passiv-empfangenden, weiblichen Eizellen bis hin zu geschlechtsspezifischen Charakterzuschreibungen auch Gestik, Körper, Kleidung etc. betreffende Geschlechtergegensätze wie Mädchen- und Jungenfarben, geschlechterbeding- te Körperhaltungen, Damen- und Herrenbekleidung aber auch Codes welche die Behaarung und Enthaarung des männlichen oder weiblichen Körpers betreffen (vgl. Bourdieu, S.144; Villa, S.106).

3 Haare als Marker für Geschlecht

Während der Embryonalentwicklung des Menschen bildet sich zwischen der 13. und 16. Schwangerschaftswoche auf der gesamten Körperoberfläche eine als Lanugo bezeichnete, wollige Behaarung, die erst kurz vor der Geburt abgestoßen und mit Ausnahme von Kopf- behaarung, Augenbrauen und Wimpern durch die Sekundärbehaarung (Vellushaar) abge- löst wird. Die Behaarung ist unabhängig von Geschlecht bis dahin bei allen Individuen gleich. Erst durch hormonelle Veränderungen während der Pubertät, werden diese flaumi- gen Vellushaare durch die sogenannte Terminalbehaarung ersetzt. Dies kann, je nach Ver- hältnis von als Androgenen und Östrogenen bezeichneten Sexualhormonen, 25 bis 90% der Körperoberfläche betreffen (Jany et al. 2009, S. 30f).

Die unterschiedliche Behaarung des Körpers ist in der alltagspraktischen Vorstellung ge- schlechtsgebunden und Geschlechterdifferenzen werden mit dem Verweis auf die sexual- hormonell bedingt unterschiedliche Menge und Verteilung der Behaarung naturalisiert, also durch die Annahme naturgegebener Gesetzmäßigkeiten zementiert. Volcano (2009, S. 1) stellt fest, dass Haare zwar ͣeindeutig ein geschlechtsspezifisches Merkmal“ darstellen, bezieht dies jedoch darauf, dass sie ͣgesellschaftlicher Kontrolle unterworfen“ sind. Dies gilt sowohl für die Körperbehaarung, die je nach Geschlechterbildern und Moden entfernt, gestutzt oder stehen gelassen wird, als auch für Behaarung des Gesichts und das Kopfhaar, für welches spezifische Vorgaben zu Frisuren gelten, die als Männer- oder Frauenschnitte nicht nur eine optische, sondern im Frisiersalon auch eine preisliche Unterscheidung finden. In einer ethnomethodologischen Untersuchung von Kessler und McKenna (1978) zeigte sich zudem, dass schon bei Zeichnungen und Puppen die Frisuren neben Körperformen und Kleidung als Parameter für die Einschätzung von Geschlecht dienen und nach der Identifika- tion eines Merkmals als ͣmännlich“ oder ͣweiblich“ auch weitere äußere Eigenschaften des Körpers dementsprechend geschlechtlich gelesen werden (Villa, S. 93). Zudem lassen die Ausführungen von Bolin (1988, S.134) zu dem Schluss kommen, dass geschlechtsspezifische Behaarung auch männlich oder weiblich konnotierte Gesten, wie etwa das ͣmännliche“ Bartstreichen oder das mit Weiblichkeit assoziierte Spielen mit langen Haarsträhnen, her- vorruft und damit geschlechtsstiftend wirkt.

Der weibliche haarlose/enthaarte Frauenkörper, wie ihn Baudrillard (2011, S. 189f) am Bei- spiel des Films ͣGoldfinger“ beschreibt, bildet den Gegensatz zum Archetypus des voll be- haarten männlichen Körpers2 ; das lange, helle Kopfhaar von Marilyn Monroe, den Hitch- cock-Blondinen und Pamela Anderson steht ebenso für Weiblichkeit, wie seine kurzhaarige, dunkle Frisur James Bond zu einem Sinnbild für Männlichkeit macht3. Den idealtypischen Geschlechterbildern zu entsprechen, bedeutet, sich gemäß den geschlechtsspezifischen Vorgaben zu enthaaren und zu frisieren, das Haar zu modifizieren. Diese Akte von doing gender (vgl. Villa, S. 127f) betreffen Frauen, die ihre Beine wachsen (lassen), Männer, die ihr Kopfhaar kurz schneiden (lassen), aber in besonderem Maße auch Drag Queens und Transsexuelle, denen ͣdie kulturell normalen Geschlechterbilder […΁ einfach nicht ‚auf den Leib geschnitten͚“ sind. (Hirschauer 1993, S.42).

4 Transsexualität und Drag

Transsexualität und doing drag (Brown 2001, S. 37) sind anschauliche Orte, an denen Ge- schlechtertransformationen mithilfe von Haarmodifikationen unterschiedlich ausgetragen werden. Während das Alltagswissen die Drag Queen als eine Vertreterin der Travestiekunst kennt, in welcher Geschlechterbilder und Geschlechterrollen gleichzeitig überspitzt darge- stellt, aber durch das immer präsente Wissen über den Mann unter der weiblichen Maske- rade, die Geschlechtsunterschiede verflüssigt werden (ebd., S. 37f, ), werden Transsexuelle als Menschen wahrgenommen, die unter der Unvereinbarkeit ihrer geschlechtsdeterminie- renden Merkmale mit ihrem Selbstbild leiden und sich durch umfassende Behandlungen an ihr Wunschgeschlecht, Zielgeschlecht oder eigentliches Geschlecht angleichen (Pfeiffer und Pick 2009, S. 3). Während gemäß der allgemeinen Vorstellung die Drag Queen also Ge- schlecht persifliert und Kunst macht, ist die Transformation von Transsexuellen verknüpft mit Identität und hat kein parodistisches Element.4 In ihrer Unterschiedlichkeit, was die Intentionen und - worauf in Abschnitt 5 .1 eingegangen wird - die Strategien angeht, vereint Drag Queens und Transsexuelle dennoch der Umstand, dass sie durch ihr Handeln klassi- sche Geschlechterklischees aufrufen und sowohl in ihren karikierenden als auch ihren af- firmativen Momenten deren Konstruiertheit zeigen (Bergermann 2009, S. 73). So fragt auch Butler (1991, S. 9) in der Betrachtung von Travestie, ob diese nun geschlecht- liche Identität imitiert und damit ͣ‚weiblich sein͚ eine ‚natürliche Tatsache͚ oder eine kultu- relle Performanz“ ist, welche der Identität ihre charakteristischen Gesten diktiert, und Schröter (2002, S. 208) beschreibt eindrücklich den Unmut, den eine Transfrau auf einer feministischen Tagung auslöst, indem sie durch den Versuch, sich möglichst weiblich zu geben, als feindlicher Betrüger wahrgenommen wird, der provozieren will.

Eine eingrenzende oder abgrenzende Definition von ͣdrag“ und ͣtranssexuell“ ist kaum möglich, da die Übergänge fließend sind und die Übermacht der Ausnahmen keine Regel- mäßigkeit zulässt. Während die New Yorker Drag Queen Miss Understood, die Panja Jürgens (1996, S. 17) in ihrem Bildband zu Wort kommen lässt, klar erklärt, dass sie kein female impersonator ist (ͣHave you ever seen a woman with green day-glow eyeshadow and purple glitter lips?“), schließt female impersonator Sybil für sich aus, eine Drag Queen zu sein: „I do not consider myself as a drag queen because I do not live in them.“ (ebd. S. 141). Dem gegenüber stehen Künstler_innen, wie etwa Jessica Walker, Kelly Heelton und Rosa Opossum (Abb. 10, 11, 12), aus dem Rhein-Main-Gebiet, die keinen Widerspruch da- rin sehen, beides zu sein.

Auch ist es nicht möglich, Transsexualität und doing drag klar voneinander abzugrenzen, wie die transsexuelle Drag Queen Marlene Deluxe oder der große Anteil an Drag Kings die in eine transsexuelle Biografie einmünden (Schirmer 2010, S. 129ff) offenbaren. Schon allein die Definition des medizinischen Diagnoseschlüssels der WHO (ICD-10 2013), nach der Transsexualität mit dem Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung verknüpft ist, wird durch die von Bergermann beschriebene Gruppe der no-ho, no-op people (S. 76), die sich als transsexuell verstehen, jedoch ihren Körper und ihre Psyche keinen Operationen und Pharmaka aussetzen wollen, geschwächt.

Mit dem Wissen über Ausnahmen sollen im Folgenden als Transsexuelle jene benannt wer- den, die die vorherrschenden Geschlechtskonstruktionen ernsthaft reproduzieren, während sich die Travestie der Drag Queens und Drag Kings als Übertreibung und Parodie derselben versteht.

5 Haarmodifikation und Geschlechter[de]konstruktion

Es gibt kulturelle Vorstellungen davon, wie Männer und Frauen auszusehen haben. Diese beziehen sich einerseits auf biologistisch interpretierte Geschlechterdifferenzen wie etwa Bartwuchs beim Mann und sind andererseits Moden unterworfen, wie etwa glatte Beine bei der Frau. Die geschlechtsspezifische Behaarung ist also keineswegs ausschließlich von der Natur gesteuert, sondern ein kulturelles Phänomen, dem mit Modifikationen nachge- holfen wird. Das Herstellen des eigenen Geschlechts ist ein sozialer Akt und mit verschie- denen Strategien und Praxen verbunden, die wir alle bewusst und unterbewusst anwenden (vgl. Villa, S. 89ff).

[...]


1 Bergermann (2009, S. 73) sieht den Körper als von sex und gender doppelt codiert. 3

2 Preckel (2012, S.140f) beschreibt anschaulich, wie das unpopulär gewordene Brusthaar durch Männer-Verkörperungen wie Burt Reynolds wieder in die Mode kam und bis heute für eine Männlichkeit steht nach der Zeitschrift Brigitte 95% hierzu befragten Leserinnen sehnen.

3 Dies zeigt sich deutlich im Widerstand gegen Daniel Craig als ersten blonden James Bond-Darsteller. Die Betreiberin der Webseite www.bondisnotblond.com attestiert Craig, er sei ͣeffeminate“ (Schlus- sel 2012) und ͣmetro-sexual“ (dies. 2006).

4 Es sei betont, dass es sich hierbei um eine vereinfachte Anschauung handelt. Es ist schwer vorstellbar, dass das regelmäßige Annehmen von Indizien des anderen Geschlechts, wie Drag Queens es vollführen, nichts mit Identität zu tun habe.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Haarige Metamorphosen
Untertitel
Trans*geniales Haar
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Pädagogik)
Veranstaltung
Behaart/Enthaart
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
23
Katalognummer
V264849
ISBN (eBook)
9783656540762
Dateigröße
1860 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drag Queen, Drag Queens, Tunte, Tunten, DG, TS, TV, Trans, Mode, Frisur, Makeup, Transformation, gaOP, TS/TV, Dragqueen, Schwule, schwul, DragKing, Drag Kinging, Make up, Schminke, Perücken, Haare, Körperbehaarung, Geschlecht, Geschlechterkonstruktionen, Geschlechterdekonstruktion, queer, queerness, szene, transsexuelle, Transfrau, Transmann
Arbeit zitieren
Stefan Kräh (Autor:in), 2013, Haarige Metamorphosen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264849

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