Leseprobe
Inhalt
Vorbemerkung
1. Die Texte
1.1 Entstehung und Erstveröffentlichung
1.2 Selbsteinschätzung
2. Richard Wagners Vorbilder im Spiegel der autobiographischen Schriften
3. Der Einfluss E. T. A. Hoffmanns
3.1 Form
3.11 Rahmenhandlung
3.12 Kunstgespräch
3.2 Stoffe
3.3 Motive
3.4 Themen
3.5 Standpunkte
3.6 Stil
4. Der Einfluss Heinrich Heines
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
Vorbemerkung
Der hier vorgelegte Essay ist eine leicht überarbeitete Fassung einer Schrift, die 1983 während des Promotionsstudium s des Verfassers im Zusammenhang mit einem Hauptseminar „Die Schriften Richard Wagners“ entstand, das Prof. Dr. Carl Dahlhaus während des Sommersemesters 1983 an der TU Berlin abhielt. Die Arbeit spiegelt den damaligen Stand der Forschung wider, hat aber gleichwohl an Relevanz nichts eingebüßt und besitzt eine nicht geringe Aktualität vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Universität Würzburg in diesem Jahr ein groß angelegtes Forschungsprojekt zu den Schriften Richard Wagners beginnt.
Hamburg, im November 2013
Peter W. Schatt
1. Die Texte
1.1 Entstehung und Erstveröffentlichung
Die Jahre 1839-1842, die Wagner in Paris in der unentwegten Hoffnung auf Erfolg verbrachte, sind geprägt von den Bedingungen, an die dieser im Rahmen einer Gesellschaft geknüpft war, deren Gesicht vo m Aufstieg der bürgerlichen Klasse bestimmt wurde. Ihre Bedürfnisse, Ansprüche und Erwartungen sind es, die dem Spannungsfeld zwischen Künstler und Publikum seine spezifische Beschaffenheit gaben, die in verschiedensten Brechungen zu betrachten das Anliegen der Pariser Schriften ist.
Das Scheitern der Bemühungen Wagners, sich als Komponist zu etablieren, hatte dazu geführt, dass er für das Verlagshaus Schlesinger nicht nur musikalische Gelegenheitsarbeiten ausführte, um wenigstens das Existenzminimum zu sichern, sondern dass er sich auch als Musikschriftsteller betätigte. Bezeichnend für den rein materiellen Hintergrund zumindest der ersten Schriften ist der Anlass für die Entstehung von Über deutsches Musikwesen: Wagner verfasste diesen Aufsatz im Juli 1840 für Schlesingers Gazette musicale als Entschädigung für die Kosten, die diesem der Druck von Wagners Vertonung der Grenadiere von Heinrich Heine verursacht hatte, von dem nicht ein einziges Exemplar verkauft worden war. Da der Aufsatz gefiel, folgten weitere Angebote; damit hatte sich für Wagner nicht nur eine neue Möglichkeit des Gelderwerbs, sondern auch ein neuen Arbeitsfeld erschlossen, das er wiederum dafür nutzen konnte, sich in Paris bekannt zu machen.[1]
In der folgenden Zeit verfasste Wagner folgende Schriften für die Gazette musicale:
1. Über deutsches Musikwesen (12. - 24. Juni 1840)
2. „Stabat mater“ de Pergolesi (11. Oktober 1840)
3. Der Virtuos und der Künstler (18. Oktober 1840)
4. Eine Pilgerfahrt zu Beethoven (19. November - 3. Dezember 1840)
5. Über die Ouvertüre (10. - 17. Januar 1841)
6. Ein Ende in Paris (31. Januar - 11. Februar 1841)
7. Der Künstler und die Öffentlichkeit (1. April 1841)
8. Le Freischütz à Paris (I., 23. und 30. Mai 1841)
9. Ein glücklicher Abend (18. Oktober - 7. November 1841)
10. Halévy et „La Reine de Chypre“ (27. Februar - 1. Mai 1842).
Weitere Arbeiten entstanden für die „Dresdner Abendzeitung“ . D iese wurde von dem dortigen Theatersekretär Theodor Winkler herausgegeben, von dem Wagner als Gegenleistung Auskünfte über den Stand der Vorbereitungen zur Uraufführung des „Rienzi" erwartete. Hier erschienen unter den Titeln Eine Pilgerfahrt zu Beethoven, wichtige Erinnerungen aus dem Leben eines deutschen Musikers und Wie ein armer Musiker in Paris umkam die Nummern 4 und 6 sowie die Schriften
11. Le Freischütz à Paris (II., 16. - 21. Juli 1841)
12. Bericht über eine neue Pariser Oper: „La Reine de Chypre“ von Halévy (26. Januar 1842)
13. Neun Korrespondenzberichte (19 März 1841 - 11. Januar 1842)
Für Robert Schumanns Neue Zeitschrift für Musik schrieb Wagner
14. Rossinis „Stabat mater“ (28. Dezember 1841)
15. Extrablatt aus Paris (5. Februar 1842)
Außerdem berichtet Wagner von zwei Aufsätzen für August Lewalds Zeitschrift Europa (2. und 3. Jg. 1841):
16. Pariser Amüsements und
17. Pariser Fatalitäten für Deutsche [2] .
Neben diesen literarischen und feuilletonistischen Arbeiten entstand als Kunstwerk von Dauer Der Fliegende Holländer, dessen Dichtung 1841 abgeschlossen wurde.
1.2 Selbsteinschätzung
Gattungsmäßig gesehen bilden diese Schriften vier Gruppen:
- Novellen (Nr. 4, 6, 9)
- Aufsätze über musikästhetische und -soziologische Fragen (Nr. 1, 3, 5, 7)
- Berichte über Kompositionen und Aufführungen (Nr. 2 , 8, 10 , 11, 12, 14)
- Berichte über das Leben in Paris (Nr. 13, 15, 16, 17).
Für die von Wagner zusammengestellte Ausgabe der Gesammelten Schriften und Dichtungen (Leipzig 1871-73) wurden die Texte Nr. 4, 6, 9, 1, 3, 7, 14 unter dem Titel Ein deutscher Musiker in Paris. Novellen und Aufsätze (1840 und 1841) zusammengefasst und mit einer kurzen Rahmenhandlung versehen, in der der Verfasser sich nach dem Muster E. T. A. Hoffmanns als Herausgeber des Nachlasses eines verstorbenen Freundes ausgibt. Darüber hinaus sind nur die Texte Nr. 5, 8, 11 und 12 aufgenommen worden. Es fehlen also diejenigen, die direkt an das Pariser Publikum gerichtet waren. Außerdem wurde unterdrückt, was in Form von Korrespondentenberichten die deutschen Leser über das Pariser Leben hatte informieren sollen.
Die Gründe dafür sind zum einen darin zu sehen, dass es Wagners Anliegen bei der Herausgabe der frühen Schriften war, den „Pariser Drang“, wie Heinrich Laube es genannt hatte, seinen „Freunden zur Kenntnis (zu) bringen.“[3] Hierzu waren die eliminierten Texte zunächst aus stilistischen Gründen nicht geeignet: Die „launigen Darstellungen“ nach „Heinescher Manier“[4] lassen eher auf einen frivol-heiteren als auf einen unter den Verhältnissen leidenden Verfasser schließen. Außerdem enthielten sie keineswegs eigene Beobachtungen – Wagner hatte sich zu dieser Zeit völlig von der Öffentlichkeit zurückgezogen –, sondern waren ein Konglomerat von Erzählungen seiner Freunde und Zeitungsberichten. Dies aber hatte Wagner der Öffentlichkeit schon in Mein Leben mitgeteilt[5].
Der andere Grund besteht darin, dass Wagner seine Pariser Schriften weder als zeitlos gültige künstlerische und geistige Manifestationen , noch als historische Zeugnisse seines Schaffens, sondern vielmehr als biographische Dokumentationen seines Lebens verstanden wissen wollte. Diese Tatsache wird vor allem deutlich aus ihrer Einschätzung in der Mitteilung an meine Freunde. Hier nämlich stilisiert er sie von pragmatisch-zweckgebundenen Gelegenheitsarbeiten zu Dokumenten seiner Versuche, intellektuell und gefühlsmäßig das Leben zu bewältigen. Dabei akzentuiert er zum einen den autobiographischen Zug: „Hierin [ Pilgerfahrt; Ende in Paris; PWS] stellte ich, in erdichteten Zügen und mit ziemlichen Humor, meine eigenen Schicksale, namentlich in Paris, bis zum wirklichen Hungertode, dem ich allerdings entgangen war, dar.“[6] Zum anderen hebt er die kritische Tendenz hervor: „Ich betrat nun eine neue Bahn, die der Revolution gegen die künstlerische Öffentlichkeit der Gegenwart, mit deren Zuständen ich mich bisher zu befreunden gesucht hatte, als ich in Paris deren glänzendste Spitze aufsuchte.“[7] Dabei verweist er auf die Bedeutung der Schriften für seine Selbstwertschätzung: „Das Gefühl der Notwendigkeit meiner Empörung machte mich zunächst zum Schriftsteller [...], um die Demütigung zu rächen“[8]: als solche nämlich hatte Wagner u. a. die Arrangements Halévy ’ scher Melodien für Schlesinger empfunden. Letztlich entscheidenden Aufschluss über das Bild, das Wagner von sich zu entwerfen gedachte, gibt endlich der Satz: „So empörte ich mich aus Liebe, nicht aus Neid und Ärger; und so ward ich daher Künstler, nicht kritischer Literat.“[9] Die Leserinnen und Leser der Pariser Schriften hatten es also, will man Wagner folgen, weniger mit „dem Sammelwerke eines Schriftstellers, sondern mit der aufgezeichneten Lebenstätigkeit eines Künstlers zu tun [...], der in seiner Kunst selbst, über das Schema hinweg, das Leben suchte. Dieses Leben aber heißt eben die wahre Musik, die ich als die einzige wirkliche Kunst der Gegenwart wie der Zukunft erkenne.“[10]
Der Versuch, das „Schema“ zu überwinden, und die Suche nach der künstlerischen Identität spiegeln sich in Form und Inhalt der Texte. Wie ihre Hauptperson Richard Wagner ist, ist ihr Thema die Musik im Spannungsfeld zwischen ihm und dem zeitgenössischen Publikum, ist ihre Gestalt Ausdruck der Auseinandersetzung mit literarischen Vorbildern im Sinne emanzipatorischen Strebens.
So wenigstens versteht sich Wagner selbst, wenn er, wiederum in der Mitteilung, schreibt: „Alle Ironie, aller bittere oder humoristische Sarkasmus, wie er in ähnlichen Lagen all unseren schriftstellernden Dichtern als einzige gestaltende Triebkraft verbleibt, war von mir zunächst in den genannten und ihnen noch folgenden literarischen Ergüssen vorläufig so weit losgelassen und ausgeworfen worden, dass ich nach dieser Entledigung meinem inneren Drange nur durch wirkliches künstlerisches Gestalten genügen zu können in den Stand gesetzt war.“[11]
[...]
[1] Vgl. Wagner, Richard: Autobiographische Skizze, in: ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen in 10 Bänden, Bd. 1, hrsg. von Wolfgang Golther, Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart 1914, S. 17
[2] Nach Bülow, Paul: Die Jugendschriften Richard Wagners, Diss. phil. Rostock, Gießen 1916, S. 16 f.
[3] Wagner, Richard: Einleitung zu dem gesammelten Schriften, a. a. O., Bd. 1, S. 1
[4] Ders.: Mein Leben, hrsg. v. Martin Gregor-Dellin, München 1983, S. 209
[5] Vgl. ebenda, S. 208 f.
[6] Wagner, Richard: Eine Mitteilung an meine Freunde, a. a. O., Bd. 4, S. 262
[7] Ebenda
[8] Ebenda
[9] Ebenda, S. 264
[10] Wagner, Richard: Vorwort zur Gesamtherausgabe, a. a. O., Bd.1, S. VI
[11] Wagner: Mitteilung, a. a. O., S. 263