Judith Schalansky "Der Hals der Giraffe". Verarbeitung der eigenen Vergangenheit anhand der Familienkonstellation

Brüche in innerer Biographie


Hausarbeit, 2013

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gestaltung des Romans

3.Personen
3.1 Eltern Inge Lohmarks
3.1 Wolfgang, Ehemann
3.3 Claudia, Tochter
3.4 Erika, Schülerin
3.5 Inge Lohmark, Biologielehrerin

4. Schatten der Vergangenheit
4.1 Eltern
4.2 Wolfgang
4.3 Claudia
4.4 Erika

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

„Wir waren Flickwerk, die Summe aller vergangenen Teile, ein Provisorium, das mehr schlecht als recht funktionierte, voll von überflüssigen Merkmalen. Wir schleppten die Vergangenheit mit uns herum. Sie machte uns zu dem, was wir waren, und es ging darum, mit ihr klarzukommen. Das Leben war kein Kampf, es war eine Bürde. Man musste sie tragen. So gut es eben ging. Eine Aufgabe vom ersten Atemzug an. Als Mensch war man immer im Dienst. Man starb nie an einer Krankheit, sondern an der Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die uns nicht auf diese Gegenwart vorbereitet hatte.“[1]

1. Einleitung

In meiner Hausarbeit befasse ich mich mit der Protagonistin des Buches „Der Hals der Giraffe“ von Judith Schalansky. Die Erstauflage des Bildungsromans wurde 2o11 im Suhrkamp Verlag Berlin herausgegeben. Die Hauptdarstellerin ist eine kurz vor der Pensionierung stehende Lehrerin der Fächer Biologie und Sport, die nach ihren, im über dreißigjährigen Schuldienst ausgefeilten Methoden, unbeirrbar unterrichtet. Hinter der harten Fassade, die sie vor den Schülern vorgibt zu haben, verstecken sich jedoch Selbstzweifel und Unsicherheiten. In der vorliegenden Arbeit nehme ich insbesondere Bezug auf den dargestellten Verarbeitungsprozess der eigenen Vergangenheit Inge Lohmarks und zeige den familiären Hintergrund auf, der sie zu der Person machte, die sie nun, kurz vor dem Ende ihrer schulischen Karriere, sowohl im beruflichen, als auch im privaten Leben ist. Hierbei betrachte ich insbesondere ihre Familie, angefangen bei ihren Eltern, über ihren Mann und das besondere Verhältnis zu ihrer Tochter. Darüber hinaus gehe ich die beachtenswerte Beziehung zu einer ihrer Schülerinnen ein.

Zunächst einmal möchte ich jedoch auf eine Besonderheit des Buches kommen, welche dem Leser gleich zu anfangs auffällt und sich das gesamte Werk hindurch fortsetzt, die diesen Bildungsroman abseits des literarischen Wertes zu etwas Außergewöhnlichem macht: die Gestaltung.

2. Gestaltung des Romans

Noch vor dem Lesen des ersten Wortes fällt die gebundene Ausgabe des Bildungsromans „Der Hals der Giraffe“ auf: sie kommt in feinem Leinen daher, das Cover ziert neben dem obligatorischen Titel, Autorin, Genre und Verlag die Abbildung des Skeletts einer Giraffe nebst Silhouette, jedoch ohne Kopf; dieser verschwindet im Inneren des Buches. In schwarzem Prägedruck sind ebenfalls der Rückendeckel als auch der Buchrücken gehalten, lediglich das Skelett wurde in weißer Farbe abgebildet. Im Buchinneren stechen über zwanzig teils doppelseitige Illustrationen hervor, die aus alten Biologiebüchern und naturwissenschaftlichen Werken entnommen und teilweise von der Autorin bearbeitet wurden. Judith Schalansky ist gelernte Kommunikationsdesignerin und zusammen mit ihrer Auffassung, dass Literatur nicht bedeuten soll, dass es keine Bilder gibt [2], entstand ein auch optisch sehr interessantes Werk. Eines ihrer Maxime ist, das Optik und Inhalt untrennbar miteinander verbunden sind und kongruent sein sollen. Der Eindruck, der Leser habe es mit einem biologischen Fachbuch zu tun entsteht auch aufgrund der durchgehenden Fachbegriffe am oberen rechten Rand der Doppelseiten, die sich durch das komplette Werk ziehen. Menopause, Chloroplasten, Paarungssysteme, Chimären, Brückentier und Lamarckismus sind nur eine kleine Auswahl der Bezeichnungen, die sich unter die Kapitelnahmen Naturhaushalte, Vererbungsvorgänge und Entwicklungslehre reihen; allesamt grundlegende Prozesse der Natur.

Nach den äußerlichen Aspekten des Werkes möchte ich mich folgend des von mir gewählten Themas widmen, angefangen mit einer Auflistung der im Buch vorkommenden Personen, deren Beschreibung und Wirken auf die Protagonistin.

3.Personen

Der Duden definiert das Wort Bildungsroman als „Roman, in dem der Prozess der geistigen und charakterlichen Bildung des Helden bzw. der Heldin dargestellt wird.“[3] Die Handlung spielt an drei über das Schuljahr verteilten Tagen, beginnend mit dem Schulauftakt im September, über einen nicht genauer definierten Tag im November und endet bei Frühlingswetter unmittelbar vor den Osterferien. Über diesen Zeitraum hinweg entsteht dem Leser ein Bild jener Frau, die nun, Mitte der Fünfziger, allmählich ihrer körperlichen Gebrechen gewahr wird, und dem Ende ihrer Karriere als Lehrerin entgegenblickt. All dies vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Geschichte, die ihr ein ums andere Mal Nachdenken bereitet und in aufgrund derer ich folgend – insofern mir sie bekannt ist – den Ist-Zustand Inge Lohmarks ergründen möchte. Warum verhält sie sich derart ihren Mitmenschen gegenüber, kalt und herzlos? Warum das gestörte Verhältnis zu ihrer einzigen Kind, Claudia? Wie kommt es zu dem nebeneinander her leben von ihr und ihrem Mann Wolfgang? Was erfahren wir über ihre Eltern?

3.1 Eltern Inge Lohmarks

Im Roman erfährt der Leser nicht die Namen von Inge Lohmarks Eltern. Die erste Erwähnung der Mutter ist die Beschreibung, wie sie nach der Entnahme von Gebärmutter und Eierstöcken im Krankenhaus liegt. Anders, als es bei der eigenen Mutter zu erwarten wäre, ist die Beschreibung dieser Szene völlig kalt, das Verhalten Inge Lohmarks teilnahmslos „Gurgelnde Maschinen. Fiepende Monitore. [...] Die Scheiße lief direkt in den Beutel. Das war praktisch. Händestreicheln wie im Fernsehen. Irgendwas musste man ja tun.“[4] Auch die weiteren Beschreibungen fahlen negativ aus „Eine einfältige Frau. Kühl. In ihrer Jugend vielleicht einmal reizvoll. Später war ihre Schönheit nichts als eine kühne Behauptung gewesen. Sie war bestenfalls gepflegt.“[5] Sie starb nach langer Krankheit – im Gegensatz zu ihrem Mann – ihr Ende war ein „jahrelanges Siechtum.“[6]. Im Kommentar Inge Lohmarks zum Tod ihrer Mutter offenbart sich nicht nur deren Gefühlskälte, sondern auch die Abscheu gegenüber allen Schwächelnden[7]: „Zum Glück war sie tot.“[8]

Ihr Vater war nicht nur im Sterben das Gegenteil zu ihrer Mutter. Er liebte die Natur, ging zum Jagen in den Wald [9], sammelte mit ihr Federn und ähnliches, um es im Frühjahr zum Zwecke des Nestbaus der Schwalben wieder zu verstreuen, beobachtete Tiere, machte sich auf die Suche nach Pilzen.[10] Er starb kurz und schmerzlos in den 198oer Jahren, noch vor der Wende[11] „Einfach umgekippt, als ob er nicht den Mut hätte, von einem seiner langen Waldspaziergänge einfach nicht mehr zurückzukommen.“[12]. Ein Schock für die Tochter. Inge Lohmarks „Haare waren weiß geworden. In ein paar Wochen nur. Plötzlicher Melaninrückgang. Sie war gerade dreißig.“[13]

Die Ehe der Eltern wird als Zweckgemeinschaft beschrieben, welche die Tochter nie verstanden hat:

„Es war ihr immer noch ein Rätsel, warum ihre Eltern zusammen gewesen waren. Zwei Menschen, die aus unerfindlichen Gründen jede Nacht gemeinsam im selben Doppelbett schliefen. Ohne Not. Ein Paar waren sie jedenfalls nicht. Nie gewesen.“[14].

3.1 Wolfgang, Ehemann

Wie alle männlichen Personen ist auch Inge Lohmarks Mann nur kurz und knapp beschrieben, wörtliche Rede fehlt ganz. In Grunde genommen, ist die einzige Äußerung, die ihm zugestanden wird, ein Schnarchen in der Episode der Fledermausjagd „Sie hörte sein Schnarchen noch, als sie vor dem Regal mit den Einweckgläsern stand.“[15] Ansonsten erfahren wir von ihm lediglich, dass er, nachdem er anfangs der neunziger Jahre seinen Arbeitsplatz als Veterinärtechniker verlor, sich als Straußenzüchter betätigt und in dieser Rolle völlig aufgeht; das mit einem in dieser strukturschwachen und sich sukzessive entvölkernden Region Vorpommerns mit beachtlichem Erfolg, der in der Zeitung ein ums andere Mal Erwähnung findet: „Wolfgang Lohmark war der Held der Regionalbeilage. Schließlich gehörte er zu denen, die es noch einmal geschafft hatten.“[16] Er wird als schweigsame Natur beschrieben. Dies ist ein Charakterzug, der Inge Lohmann von Anfang an zusagt „Das hatte mir an ihm gefallen. Dass sie nicht reden mussten.“[17]. Zu seinen beiden Kindern aus erster Ehe hat er keinen Kontakt mehr, ein Wunsch, der von ihrer Seite kam. „Er würde seine Kinder wohl nicht mal auf der Straße wiedererkennen. Warum auch. Zu sagen hatten sie sich nichts.“[18] Erneute Sprachlosigkeit, wie auch zu seiner Tochter, aber darauf komme ich später zu sprechen. Sprachlosigkeit und Konfliktscheue bereits, als er seine erste Frau Ilona und die Kinder verließ „Immer, wenn es kompliziert wurde, verließ er den Raum. Damals war er auch einfach gegangen. Hatte Ilona und die Kinder zurückgelassen.“[19] Am treffendsten wird Wolfgang Lohmark in seiner letzten Szene beschrieben „Wolfgang war nicht zu sehen.“[20].

[...]


[1] S. 198

[2] bucher.at

[3] duden.de

[4] S. 74

[5] S. 123

[6] S. 177

[7] S. 178

[8] ebd.

[9] S. 123

[10] s. 152

[11] S. 177

[12] S. 152

[13] S. 154

[14] S. 152

[15] S. 55

[16] S. 89

[17] S. 92

[18] S. 123

[19] S 121

[20] S. 22o

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Judith Schalansky "Der Hals der Giraffe". Verarbeitung der eigenen Vergangenheit anhand der Familienkonstellation
Untertitel
Brüche in innerer Biographie
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Deutsch als Fremdsprache)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V265161
ISBN (eBook)
9783656550464
ISBN (Buch)
9783656547556
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
judith, schalansky, hals, giraffe, verarbeitung, vergangenheit, familienkonstellation, brüche, biographie
Arbeit zitieren
Hannes Blank (Autor:in), 2013, Judith Schalansky "Der Hals der Giraffe". Verarbeitung der eigenen Vergangenheit anhand der Familienkonstellation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265161

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