Motivierende Gesprächsführung bei Klienten mit Doppeldiagnosen und Depressionen


Dossier / Travail de Séminaire, 2012

25 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen und Konzept der Motivierenden Gesprächsführung
2.1 Stufen-der-Veränderung-Modell
2.2 Stil, Strategien und Methoden

3. Motivierende Gesprächsführung bei Klienten/Patienten mit Doppeldiagnosen
3.1 Probleme und Herausforderungen
3.1.1 Fokussierung mehrerer Zielbereiche (Entscheidungsmatrix)
3.1.2 Fokussierung Medikamenteneinnahme (Readiness Assessment Ruler)
3.1.3 Kognitive Beeinträchtigungen (Values Card Sorting Task)
3.1.4 Positive und negative psychotische Symptome/akute Symptome
3.2 Integrierte Versorgung und Zielplanung

4. Die Motivierende Gesprächsführung bei Klienten/Patienten mit Depressionen
4.1 Symptomatik der Depression
4.2 Ansätze der Motivierenden Gesprächsführung
4.2.1 Verringerung der depressiven Symptome (Wertschätzung, aktives Zuhören)
4.2.2 Entwicklung von Perspektiven (Ambivalenzen erkunden)
4.2.3 Zielplanung

5. Forschungsergebnisse

6. Konklusion und Bezüge zur klinisch-therapeutischen Sozialarbeit

Literatur

1. Einleitung

Die Motivierende Gesprächsführung (MI = "Motivational Interviewing") wurde im Kontext der Beratung und Behandlung von substanzabhängigen Menschen von William R. Miller und Stephen Rollnick entwickelt und fand mit der Publikation des Standardwerks "Motivational Interviewing" eine schnelle Verbreitung. In Deutschland wird das Verfahren seit etwa 15 Jahren eingesetzt und breitet sich zunehmend in den Bereichen Führung, Beratung, Therapie und Pflege aus. Das Beratungskonzept baut auf den humanistischen Therapieschulen auf und integriert verschiedene Konzepte und Methoden unterschiedlicher Therapierichtungen.[1]

Humanistische Ansätze der Motivierenden Gesprächsführung finden sich in der

Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers wieder. Rogers Leitgedanken sind das Streben des Menschen nach Selbstverwirklichung und Selbstaktualisierung. Eine Integration der gemachten Erfahrungen kann nur dann gelingen, wenn diese Erfahrungen mit dem Selbst kongruent sind. Gelingt diese Anpassung nicht, entsteht Spannung und der Mensch reagiert mit Ängsten und Verteidigungsstrategien. Ziel des Beratungsprozesses ist, die lebensweltlichen Erfahrungen dem Selbst anzupassen in einem von positiver Wertschätzung, emotionaler Wärme, Akzeptanz und einfühlendem Verstehen geprägten beraterischen und therapeutischen Stil.[2]

Sozialpsychologische Bezüge der Motivierenden Gesprächsführung lassen sich zu den Grundgedanken der sozial-kognitiven Lerntheorie von Albert Bandura herstellen. Selbstwirksamkeit ist in seinem Konzept ein zentraler Begriff. Banduras Grundannahme ist die Fähigkeit des Menschen zur Selbstreflexion und zum Modelllernen. Der Mensch kann durch Beobachtungen kognitive Fertigkeiten erwerben und emotionale Reaktionen können beim Beobachter ähnliche Emotionen auslösen.[3] Damit sind die Wechselwirkungen von Verhalten und Gefühlen in Interaktionen bzw. der Beobachtung von "Vorbildern" gemeint, die einen Einfluss auf die Selbstwirksamkeit haben können.

Auch die Kernpunkte von Frederick Kanfers Selbstregulationstheorie sind grundlegend für die Motivierende Gesprächsführung. Bei Kanfer verläuft Selbstregulation in den Phasen Selbstbeobachtung (Beobachten des eigenen Verhaltens in Beziehung zum entsprechenden

Zielverhalten), Selbstbewertung (Vergleich der erhaltenen Informationen mit Standards) und Selbstverstärkung (bei Erreichen des Standards folgt positive Selbstverstärkung).

Aufgabe des Beraters ist, den "Klienten" zu einer besseren Eigensteuerung anzuleiten und ihn zu motivieren und zu befähigen, seine Probleme möglichst aktiv und eigenständig zu bewältigen.[4]

Es gibt unterschiedliche Varianten für den Einsatz der motivierenden Gesprächsführung in der klinischen Praxis. Sie kann als eigenständige Behandlungsform genutzt werden oder als Vorbehandlung, um die Motivation für eine anschließende Behandlung zu verbessern. Ebenfalls lässt sie sich in andere Therapieverfahren integrieren und kann zu einem beliebigen Zeitpunkt in einem Therapieprozess dann einsetzen, wenn der Berater/Therapeut auf eine geringe Motivation oder Ambivalenz stößt.[5]

Die motivierende Gesprächsführung kann als eine Weiterführung oder Spezialform der klientenzentrierten Gesprächsführung von Carls Rogers bezeichnet werden.

In meiner vorliegenden Arbeit liegt der Schwerpunkt auf dem Einsatz der Motivierenden Gesprächsführung in der Beratung und Therapie von Menschen mit Doppeldiagnosen und Depressionen.

2. Grundlagen und Konzept der motivierenden Gesprächsführung

MI (Motivational Interviewing) ist eine "klientenzentrierte, direktive Methode zur Verbesserung der intrinsischen Motivation für eine Veränderung mittels der Erforschung und Auflösung der Ambivalenz."[6]

Diese Definition stellt folgende Merkmale heraus: erstens die Klientenzentrierung, die die Sichtweise und das Erleben des Klienten in den Vordergrund stellt, zweitens das direktive Vorgehen, das eine zielgerichtete Veränderung fokussiert, drittens die Erforschung und Auflösung der Ambivalenz, d.h. die Beachtung sowohl der positiven als auch der negativen Seiten des problematischen Verhaltens und viertens die Verbesserung der intrinsischen Motivation, d.h. das Freisetzen von Veränderungsimpulsen, die den Klienten zum Fürsprecher der eigenen Veränderung machen soll.

Kennzeichnend für die Motivierende Gesprächsführung ist, dass auf die jeweilige Änderungsmotivation des Klienten eingegangen wird. Im Folgenden stelle ich ein geeignetes Konzept vor, das die jeweiligen Stadien der Änderungsmotivation beschreibt.

2.1 Stufen-der-Veränderung-Modell

Das Stufen-der-Veränderung-Modell (Transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung), das von James O. Prochaska und seinen Kollegen entwickelt wurde, stellt im Kern 6 Stadien der Verhaltensänderung (Stages of change) dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[7]

Die Abbildung zeigt die 6 Stufen der Veränderung (oben/Mitte = Stufe 1 im Uhrzeigersinn). Auf Stufe 1 (precontemplation = Absichtslosigkeitsstadium) setzt sich der Klient wenig oder gar nicht mit dem Problem auseinander und sieht keine Nachteile in seinem Verhalten. Der Berater kann an diesem Punkt neue Informationen geben, z.B. bezüglich der Symptome der

Suchterkrankung und/oder der psychischen Störung. Auf Stufe 2 (contemplation = Absichtsbildungsstadium) beginnt der Klient sein Problem wahrzunehmen und der Berater erkundet die Gründe für und gegen eine Veränderung, um die Ambivalenz zu stärken. Diese Stufe entspricht der Phase 1 in MI. Auf Stufe 3 (decision = Vorbereitungs- /Entscheidungsfindungsphase) soll eine Entscheidung gefunden werden und der Berater klärt und festigt das Ziel und den Weg, z.B. mit einer offenen Frage wie "Was werden Sie Ihrer Meinung nach an diesem Punkt machen?" Der Klient erwirbt auf Stufe 4 (action = Handlungsphase) neue Kompetenzen, z.B. Strategien zur Rückfallprävention oder Ressourcenaktivierung, nimmt an Selbsthilfegruppen, Therapiegruppen teil oder macht eine Psychotherapie.[8] Auf Stufe 5 (maintenance = Aufrechterhaltungsphase) integriert der Klient die erlernten Fähigkeiten in den Alltag. Die Nachsorge ist wichtig, um die Veränderungen aufrechtzuerhalten. Es ist möglich, dass der Klient auf Stufe 6 (lapse/relapse = Abschluss- oder Rückfallphase) in alte Verhaltensmuster zurückfällt. An diesem Punkt findet eine erneute Problemanalyse und ggf. eine Modifizierung der Bewältigungsstrategien und/oder eine Erhöhung der Medikamentendosis oder der Therapiesitzungen statt.[9]

2.2 Stil, Strategien und Methoden

MI impliziert einen bestimmten "Geist", eine innere Haltung bzw. ein bestimmtes Menschenbild, das gekennzeichnet ist durch Kooperation statt Konfrontation, Wachrufen von Motivation statt Erziehung und Autonomie statt Autorität und Überzeugungsversuchen: "If motivational interviewing is a way of being with people, then its underlying spirit lies in understanding and experiencing the human nature that gives rise to that way of being. How one thinks about and unterstands the interviewing process is vitally important in shaping the interview."[10]

Wie in Absatz 2.1 beschrieben verläuft MI in zwei Phasen. In der ersten Phase arbeitet der Berater mit der Ambivalenz und fördert die Veränderungsmotivation des Klienten, indem er die vom Klienten vorgetragenen Ideen zur Veränderung heraushebt und verstärkt. In der zweiten Phase geht es darum, dass der Klient eine Selbstverpflichtung eingeht und das Handeln in den Vordergrund rückt. Der Klient ist an einem Punkt angekommen, an dem Ziele und ein konkreter Plan für die Veränderungen erarbeiten werden können.

Die Prinzipien des Beratungskonzepts können als Vermittlungsstück zwischen dem "Geist" und den Methoden verstanden werden.

Die empathische Grundhaltung (Prinzip 1) soll dem Klienten ermöglichen, dass er seine Zurückhaltung aufgibt und sich öffnet. Ein empathischer Berater/Therapeut versucht, den Klienten aus dessen Perspektive zu verstehen und beurteilt und wertet seine Äußerungen nicht.[11]

Das Entwickeln von Diskrepanzen (Prinzip 2) ist insofern wichtig, als dass es für einen drogenabhängigen Menschen z.B. ein hoher Wert sein kann, seine Elternrolle zu erfüllen. Es könnte sein, dass er ein sehr unangenehmes Gefühl empfindet, wenn er sich der Diskrepanz zwischen seinem Drogenmissbrauch und seiner Selbstverpflichtung zu einer guten Elternrolle bewusst wird. Das Bewusstwerden der Diskrepanz und das damit verbundene negative Gefühl kann also die Veränderungsmotivation oder Verhaltensänderung fördern.[12]

Widerstand wird als normaler Bestandteil des Veränderungsprozesses und wertvolle Informationsquelle über das Erleben des Klienten angesehen und nicht als zu überwindendes Hindernis angesehen. Das Abwägen von Vor- und Nachteilen des Klienten bei den Gedanken an eine Veränderung sind verbunden mit Wünschen, aber auch Befürchtungen,

z.B. die Angst vor Enttäuschung, fehlende Anerkennung und Misserfolg in Bezug auf Anforderungen und Verantwortlichkeiten. Das Respektieren beider Seiten der Ambivalenz ist seitens des Therapeuten/Beraters von Bedeutung. Wenn insbesondere auch die Vorteile, die mit dem Problem verbunden sind, verstanden werden und der Klient darüber sprechen kann, kann das eine wertvolle Erfahrung für den Klienten sein.[13]

Der Berater geht also nicht gegen den Widerstand vor, sondern geht mit ihm (Prinzip 4). Er argumentiert nicht für eine Veränderung und verzichtet auf Konfrontation. Er schreibt nicht vor, sondern lädt zu neuen Perspektiven ein.

Richard Hycner äußert zum "Widerstand": "Jeder so genannte Widerstand ist ein Ausdruck der Verletzbarkeit des Klienten, ist ein ´Signal´ für die Angst, Risiken einzugehen, die durch die vorangegangenen Erfahrungen nicht unterstützt werden. Widerstand ist eine wichtige Form des Selbstschutzes. Von ´außen´ betrachtet, scheint der Klient verschlossen; aber vom subjektiven Standpunkt aus gesehen vermeidet er psychische Verletzung. (Insofern) kann man durchaus von der ´Weisheit´ des Widerstands sprechen."[14]

Die Selbstwirksamkeit des Klienten wird gefördert (Prinzip 4) durch den Glauben des Therapeuten/Beraters daran, dass dem Klienten die Veränderung gelingen kann. Die erlebte Widersprüchlichkeit des Klienten kann als brauchbarer Ausgangspunkt für einen nächsten guten Schritt sein. Auch Beschwerden, Probleme und Störungen können als Sonderfall von Selbstwirksamkeitsbemühungen (an)erkannt werden, die innerhalb eines als relevant erlebten Kontextes "Sinn ergeben" und als Ressource genutzt werden.

[...]


[1] Vgl. http://www.sign-project.de/downloads/6_mi_ueberblick.pdf (01.12.2011 / offline: 14.02.2012). S. 1

[2] Vgl. Ningel, Rainer.: Methoden der Klinischen Sozialarbeit, Stuttgart 2011. S. 243ff.

[3] Vgl. www.iqb.hu-berlin.de/lehre/dateien/2007_05_14.pdf (05.01.2012). S. 1ff.

[4] Vgl. Kanfer, Frederick in Rahn, Isa.: Grundlagen der "Motivierenden Gesprächsführung" und ihre Anwendung in der Suchthilfe, Norderstedt 2007. S. 15f.

[5] Vgl. Arkowitz, Hal; Westra, Henny A.; Miller, William R..; Rollnick, Stephen: Motivierende Gesprächsführung bei der Behandlung psychischer Störungen, Basel 2010. S. 11f.

[6] Vgl. Miller, William R.; Rollnick, Stephen: Motivierende Gesprächsführung, Freiburg 2005. S. 47

[7] Vgl. http://www.gk-quest.de/shop/de/4/0/materialien/4-Unterrichtsmaterial.aspx - Seminarunterlagen: Motivierende Gesprächsführung, Heidelberg 2009. S. 5

[8] Vgl. Moggi, Franz; Donati, Ruth: Psychische Störungen und Sucht: Doppeldiagnosen, Göttingen 2004. S. 67

[9] Vgl. Moggi, Franz; Donati, Ruth. aaO, S. 77f.

[10] Miller, William R.; Rollnick, Stephen: Motivational Interviewing: Preparing people for change, New York 2002. S. 34

[11] Vgl. Arkowitz, Hal.; Westra, Henny A..; Miller, William R.; Rollnick, Stephen, aaO, S. 5

[12] Vgl. Arkowitz, Hal.; Westra, Henny A..; Miller, William R.; Rollnick, Stephen, aaO, S. 5

[13] Vgl. Arkowitz, Hal.; Westra, Henny A..; Miller, William R.; Rollnick, Stephen, aaO, S. 6

[14] Hycner, Richard: Zwischen Menschen: Aspekte der dialogischen Psychotherapie, Köln 1989. S. 141f.

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Motivierende Gesprächsführung bei Klienten mit Doppeldiagnosen und Depressionen
Université
University of Applied Sciences North Rhine-Westphalia Aachen
Note
1,0
Auteur
Année
2012
Pages
25
N° de catalogue
V265399
ISBN (ebook)
9783656551409
ISBN (Livre)
9783656551515
Taille d'un fichier
1632 KB
Langue
allemand
Mots clés
motivierende, gesprächsführung, klienten, doppeldiagnosen, depressionen
Citation du texte
Bernd Palmen (Auteur), 2012, Motivierende Gesprächsführung bei Klienten mit Doppeldiagnosen und Depressionen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265399

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