Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Hypertextualität nach Genette
2. Parodie und Pastiche
3. Sailor Ripley
Fazit
Bibliografie
Filmografie
Internetquellen
Einleitung
Vor einem Tanzsaal auf einer Marmortreppe an der amerikanischen Ostküste am Cape Fear - dem Kap der Angst - hier beginnt David Lynchs Wild at Heart. Nachdem ein schwarzer Killer auf den Protagonisten Sailor losgeht, wehrt sich dieser auf die brutalste Weise: der Kopf des Feindes wird so lange auf den Marmorboden gehämmert bis der Schädel zerbricht. Erst als Blut und Hirnteile aus dem Kopf sickern, findet Sailors Aggression ein Ende. So lernen wir ihn kennen, den Protagonisten Sailor, gespielt von Nicolas Cage, der sich schon in dieser ersten Szene als Mörder entpuppt. Ein auf den ersten Blick noch gewöhnlicher Junge, dessen Handlungen jedoch erahnen lassen, dass wir uns nicht in einer normalen Welt befinden und er doch nicht so gewöhnlich ist, wie es im ersten Moment erscheinen mag.
Lynchs Wild at Heart ist ein postmoderner Film „par excellence“ (Felix 2002: 9). Charakteristisch für das postmoderne Kino und die postmoderne Ästhetik ist der Pastiche. Diese Analyse unternimmt den Versuch, den Pastiche zu erkennen und in einem Text zu fassen. Dabei beschränkt sie sich auf den Protagonisten von Wild at Heart, Sailor Ripley. Als theoretische Grundlage dient Gérard Genettes Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, in dem er sich mit einem differenzierten Schema verschiedener Aspekte von textuellen Beziehungen befasst. Zunächst soll beantwortet werden, inwiefern Sailor - im Sinne Genettes - einen Hypertext vom Typ der indirekten Transformation, also der Nachahmung, darstellt. Anschliessend soll erläutert werden, wie es Lynch gelingt, die Figur als ein Pastiche erscheinen zu lassen.
Nachdem die wichtigsten Begriffe definiert sind, wird der Film untersucht. Es werden Zitate und Referenzen, die in der Figur Sailor zu finden sind, recherchiert. Im abschliessenden Kapitel sorgen sie zusammen mit dem Theorieteil dafür, dass die anfangs gestellten Fragen beantwortet werden können.
Da der Film mit seiner episodischen und stark an Bildern und Assoziationen orientierten Narration nur schwer greifbar ist, setzt die Analyse punktuell an. Hervorhebungen von Zitaten, Anspielungen und Verweisen konstruieren ein Bild von Sailor, das keineswegs einen Anspruch auf letzte Gültigkeit oder Vollständigkeit erhebt.
1. Hypertextualität nach Genette
Genette verwendet in seiner Studie Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe den Begriff der Hypertextualität. Dies ist der vorerst abstrakte Begriff, den er nur provisorisch für einen Text zweiten Grades verwendet. Gemeint sind sämtliche Beziehungen zwischen einem Prätext (Hypotext) und einem präsenten Text (Hypertext), sowie deren Ableitung voneinander. Diese Ableitung kann mit Hilfe einer Operation, quasi einer Abänderung, zu einer Transformation werden. Dabei unterscheidet Genette zwischen zwei verschiedenen Typen der Transformation: die direkte (oder einfache) Transformation und die indirekte (und komplexere) Transformation (1982: 15). Die direkte Transformation bezieht sich auf einen klar definierbaren Hypotext. Ein Beispiel: Sailor singt in Wild at Heart zwei Titel von Elvis Presley. Diese Lieder werden direkt übernommen, trotzdem sind sie anders, weil sie mit der Stimme von Sailor wiedergegeben werden und nicht mit der des Originals, also Elvis. Sie sind somit einer Operation unterzogen worden und dies macht sie zu einer Transformation. Da aber klar ersichtlich ist und im Film auch offengelegt wird, dass es sich um Hits von Elvis handelt, ist die Quelle der Referenz, also der Hypotext klar definierbar. Dies macht eine direkte Transformation aus.
Die indirekte Transformation hingegen hat keinen klaren und auch nicht nur einen einzigen Hypotext. Diese zweite Art von Transformation nennt Genette Nachahmung. Dazu schreibt er:
„Die Nachahmung ist zweifellos auch eine Transformation, stellt aber ein komplexeres Verfahren dar, da sie [...] zunächst die Erstellung eines Modells der [...] Gattungskompetenz erfordert, das [...] einzelnen Performanzen entnommen, zur Erzeugung einer unbeschränkten Zahl mimetischer Performanzen fähig ist. Dieses Modell stellt somit eine Zwischenstufe, eine unerlässliche Vermittlung zwischen nachgeahmten und dem nachahmenden Text dar, die bei der einfachen und direkten Transformation fehlt.“ (Genette 1993: 16)
Das heisst die indirekte Transformation setzt ein “Modell der Gattungskompetenz” voraus. Dieses Modell kann unzählige Hypotexte beinhalten. Dabei überlagern sich nur formale und thematische Gattungstypen der Hypotexte und lassen so eine Figur entstehen, die den Zuschauer vertraute Charakterzüge und Motive erkennen lässt, aber selten eine klare Referenzquelle kenntlich macht.
Dies geschieht auch bei Sailor. Der Grund, warum die Figur so vertraut erscheint, sind die unzähligen Zitate und Referenzen, die er aufweist. Zum Teil lassen sie klar erkennen woher die Idee Sailors Kleidung, Gesten oder Aussagen stammen, oft aber lassen sie nur eine Vermutung zu.
2. Parodie und Pastiche
Die Parodie und der Pastiche sind zwei narrativ-ästhetische Formen des Films, die charakteristisch sind für das postmoderne Kino beziehungsweise die postmoderne Ästhetik. In diesem Kapitel werden die zwei Begriffe definiert.
Nach Genette sind Pastiche und Parodie zwei hypertextuelle Formen, die als spezifische Arten von Nachahmung und Transformation aufgefasst werden, die sich auf hypotextuelle Referenzen beziehen. Das besondere dieser Referenzen ist ihr Ursprung. Sie weisen nämlich entweder intermedialen Charakter auf oder beziehen sich auf die Filmkultur selbst (vgl. Genette 1993).
Die Parodie setzt ernsten Elementen komische entgegen. „Die strengste Form der Parodie, die Minimalparodie, besteht somit in der wörtlichen Wiederholung eines bekannten Textes, dem eine neue Bedeutung verliehen wird [...]“ (Genette 1993: 29). Parodistische Elemente sind also aus dem Zusammenhang gelöste Zitate eines Hypotextes. Eine einfache Transformation, die auf eine spielerische Art mit dem Hypotext umgeht, diesen jedoch semantisch minimal abändert.
Der Pastiche ist zwar der Parodie nahe verwandt, vollzieht allerdings einen komplexeren Akt der Transformation. Der Pastiche ist eine stilistische Nachahmung, die sich semantisch vom Hypotext stark unterscheiden kann, trotzdem aber einen spielerischen Umgang mit ihm pflegt.
Beide hypertextuelle Formen werden von Genette als nicht-satirisch eingestuft.
Das folgende Kapitel wendet sich der Konstruktion von Identität im postmodernen Film zu. Im Mittelpunkt steht die Figur Sailor. Es werden Zitate, wiederkehrende Elemente und Motive recherchiert, die unsere Erinnerung anregen, aber dennoch oft nur unscharfe Züge schon bekannter Idole, Gesichter und Charaktere hervorrufen. Im Anschluss solll beantwortet werden, wie es Lynch gelingt, ein Pastiche aus dieser Figur zu machen.
3. Sailor Ripley
Die Konstruktion von Identität ist ein wesentliches Merkmal postmoderner Filme und sie bildet auch in Wild at Heart ein zentrales Thema. Lynch zeigt die Protagonisten in Wild at Heart nicht als reale Personen, vielmehr leben sie als erfundene Wesen, künstliche Geschöpfe.
So auch Sailor Ripley. In Wild at Heart ist er ein “Toughguy” auf der Flucht, ein amerikanischer “Dream Lover” , ein rebellischer Krimineller, der mit seiner Geliebten Lula einen Roadtrip unternimmt. Je länger wir dem Schauspiel von Nicolas Cage folgen, bekommen wir den Eindruck diesen “Badboy” schon ewig zu kennen. Denn kaum eine Geste oder Pose des Protagonisten wirkt rein von ihm oder für ihn erfunden - er ist ein Wesen, das aus Zitaten besteht.
Im diesem Kapitel wird Sailor als Figurenzitat beleuchtet. Durch das Erkennen der hypotextuellen Referenzen soll die Frage beantwortet werden können, wie seine Identität kreiert wird.
Sehr auffällig ist Sailors Elvis-Zitat. In der Clubszene (00:20:30) singt er seiner Geliebten Elvis’ “Love Me” vor und auch am fulminanten Ende des Films hören wir Elvis’ Evergreen “Love Me Tender” aus Sailors Mund (02:00:59). Die Lieder werden direkt übernommen, nur die Stimme von Elvis wird durch jene von Nicolas Cages ersetzt.
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