Seltsame Macht des Unterbewussten. Die Geschichte im Werk Siegfried Kracauers


Mémoire de Maîtrise, 2010

109 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Werkzugriff
2.1. Genese
2.1.1. Edition
2.1.2. Sprache
2.1.3. Aufbau
2.2. Eine Einleitung, zwei Lesarten
2.2.1. Eine anonyme Autobiographie?
2.2.2. Geschichte als Thema

3. Vor den letzten Dingen
3.1. Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs
3.1.1. Geschichtsbegriff
3.1.2. »Eine Wissenschaft, die anders ist.«
3.2. Historisches Arbeiten
3.2.1. Arbeitsbedingungen
3.2.2. Die Reise des Historikers
3.3. Historia magistra vitae
3.3.1. Erkenntnis ohne Fortschritt
3.3.2. Geltungsbereich

4. Spurensuche
4.1. Gestus der Rückwendung und Zeitempfinden
4.2. Ein altes Projekt?
4.3. Reise zur terra incognita
4.3.1. Geschichte schreiben: Jacques Offenbach
4.3.2. Methode und Epistemologie: Die Angestellten
4.3.3. Eintritt in die Wirklichkeit: Ginster und Georg
4.3.3.1. Historische Ortsbestimmung
4.3.3.2. Auszug aus der Innerlichkeit
4.4. Vom Film zur Geschichte

5. Abschließende Betrachtung

6. Quellen und Literatur
6.1. Quellen
6.2. Literatur

1. Einleitung

In der Paperback-Ausgabe von Siegfried Kracauers History - The Last Things Before the Last[1]von 1995 behauptet Paul Oskar Kristeller, der schon das Vorwort zur Erstveröffentlichung des Werkes 1969 verfasste, im Vorwort der Neuauflage Thesen, die in ihrer Radikalität im Verhältnis zu ihrer leichtfertigen Äußerung im Rahmen eines Vorwortes nahezu einen Affront darstellen. Grundsätzlich zeigt sich Kristeller erfreut über ein neuerliches Interesse einer jungen Gelehrtengeneration an Kracauer, doch erblickt er innerhalb der Bemühungen, Kracauers Denken, Schreiben wie auch seinen Charakter theoretisch einzupassen, eine Reihe von Problemen.[2]Diese Kritik trifft die Kracauerforschung grundlegend in ihren Hauptbemühungen. Gegenüber den Forschungsarbeiten, die sich unmittelbar mit Kracauers Geschichtsbuch befassen, schlägt Kristeller noch einen harscheren Ton an und bezieht sich dabei direkt auf die Aufsätze von Gertrud Koch[3]und Inka Mülder-Bach[4]in der Sonderausgabe der New German Critique zu Siegfried Kracauer. Die Autorinnen hätten Kracauers Geschichtsbuch weder zusam-mengefasst, noch in einer inhaltlichen Bezugnahme die grundlegenden Unterschiede zu seinen Frühwerken ausgewiesen. Ihre Zitation bezöge sich auf für Kracauer unbekannte Artikel und verweise auf frühere Arbeiten Kracauers, als stünden diese in unmittelbarer Übereinstimmung zu seinen Ausführungen in History. Darüber hinaus versäumten sie es anzuzeigen, dass sich Kracauer im Geschichtsbuch hauptsächlich auf historische, philologische und philosophische Quellen bezieht, niemals seine früheren Arbeiten erwähnt und sich nur selten auf die Soziologie beruft, die sein früheres Hauptbetätigungsfeld ausmachte. Am Schlimmsten aber erscheint für Kristeller, dass sie implizit wie explizit die Geschichte nicht als eigentliches Anliegen Kracauers anerkennen.[5]

Es ist hier bedauerlich, dass diese harte Kritik Gertrud Koch und Inka Mülder-Bach trifft. Beide Forscherinnen haben sich als ausgewiesene Kracauer Spezialistinnen hervorgetan und sich mehrfach um die Kracauer-forschung verdient gemacht.[6]In diesem Sinne nimmt Ingrid Belke in ihrem Nachwort zur gerade erschienen Neuauflage von History in deutscher Über-setzung beide Autorinnen wohl auch in Schutz: "Kristeller hat sich mit dem zweiten Vorwort keinen Gefallen getan; […]."[7]Doch so unverhältnismäßig diese Kritik erscheint, so problematisch dieses zweites Vorwort auch ist;[8]als allgemeine Beschreibung des Forschungsstandes ist Kristellers Kritik zutref-fend. Kracauers Geschichtsbuch ist als Werk über die Geschichte und als Diskursbeitrag zur Wissenschaftstheorie weitestgehend nicht rezipiert worden. Bis zum heutigen Tag liegt keine dezidierte Werkanalyse vor.[9]Zwar hat gerade Ingrid Belke in ihrer Nachbemerkung einige Grundgedanken zu History referiert,[10]doch spart sie dabei verblüffender Weise das Kapitel VI Ahasver und das Rätsel der Zeit,[11]Kapitel VII Allgemeine Geschichte und Ästhetischer Ansatz[12]und auch das letzte Kapitel Der Vorraum[13]aus. Belkes Einschätzung, dass Kracauer seine Grundgedanken über die Geschichte vorwiegend in den ersten fünf Kapiteln darstellt,[14]ist zwar durchaus zuzu-stimmen, doch übersieht sie dabei, dass Kracauer gerade in den folgenden Kapiteln und besonders in Kapitel VII seine eigentliche Pointe ausformu-liert.[15]Die in Ingrid Belkes Nachwort eingeflochtene, kurze Reprise zu einigen Grundgedanken in Kracauers Geschichtsbuch macht dahingehend zuallererst den enormen Diskussionsbedarf hinsichtlich einer inhaltlichen Bestimmung dieses eigenwilligen Werkes transparent. Vor diesem Hinter-grund stellt Kristellers Forderung nach einer angemessenen, wissenschaft-lichen Behandlung des Werkes auch fünfzehn Jahre nach ihrer Formulierung durchaus einen legitimen Anspruch dar.[16]

Diesem Anspruch Folge zu leisten, stellt sich diese Arbeit als Herausfor-derung. Doch die Problematik dieses Unternehmens weist eine Komplexität auf, die einem unmittelbaren, analytischen Zugriff auf das Werk zuwider läuft. Wie bei nur wenigen Autoren spiegelt sich das eigene Leben im Werk so deutlich wider, wie es bei Kracauer der Fall ist. Die Forschungslandschaft ist dahingehend von einem autobiographischen Interpretationsansatz domi-niert, der sich besonders innerhalb einer seit den 80ger Jahren bemerkbaren Tendenz "in Richtung auf eine fundierte Kenntnisnahme und Erforschung von Kracauers Werk im Ganzen […]"[17]auswirkt. Sein Geschichtsbuch ist davon unmittelbar betroffen, wie es innerhalb dieser Tendenz zunehmend ins Zentrum der Auseinandersetzung rückt.[18]Zudem finden sich in History tatsächlich Verweise auf die Biographie des Autors.[19]Die Anlage des Werkes begünstigt also die in der Forschung ohnehin überaus präsente biogra-phische Lesart. Hieraus resultiert die Situation, der Kristeller so engagiert entgegentritt, dass die Geschichte als eigentliches Anliegen Kracauers in History bis in die gegenwärtige Debatte hinein nur marginale Berücksichti-gung gefunden hat. Kristellers Empörung ist insofern nachvollziehbar; reiht sich Kracauers Geschichtsbuch so doch nahezu nahtlos in eine über weite Strecken überaus müßige Rezeptionsgeschichte ein.[20]Die allgemeine Beur-teilung Martin Hoffmanns, dass "[e]s kein leichtes Unterfangen [ist], sich dem Werk Siegfried Kracauers zu nähern, das der sogenannte 'offizielle Wissen-schaftsbetrieb' langsam und ein weinig zögerlich wieder zu entdecken beginnt, nachdem er es zuvor fast in Vergessenheit geraten ließ",[21]trifft da besonders auf Kracauers Geschichtsbuch zu.

Als drei Jahre nach Kracauers Tod am 26. November 1966 History. The Last Things Before the Last 1969 erstmalig erschien,[22]fiel das unmittelbare Echo darauf überaus bescheiden aus.[23]Die Resonanz auf Karsten Wittes Überset-zung in deutscher Sprache 1971[24]ist dann kaum mehr als solche zu bezeichnen.[25]Umso erfreulicher ist es da tatsächlich, dass dieses Werk nun doch, knapp 30-40 Jahre nach seiner Veröffentlichung, zunehmend Aufmerk-samkeit auf sich zieht. Doch dabei stellt sich eine paradoxe Situation ein. Gerade das neuerliche Interesse an History macht transparent, wie sehr Kracauers Geschichtsdenken auf weiten Strecken selbst noch terra incognita ist.

Eine Arbeit, die sich nun die Aufgabe stellt, die Bedeutung der Geschichte im Werk Siegfried Kracauers zu beleuchten, kann dies nur auf der Grundlage einer soliden Kenntnis der zentralen Theoreme Kracauers über Geschichte, wie er sie in History dargelegt hat, bewerkstelligen. Die Voraussetzung für einen Rückgriff auf eine fundierte Analyse des Werkes ist in der Forschung jedoch nicht gegeben. Die Erschließung in Bezug auf den theoretischen Gehalt von History liegt nur fragmentarisch vor. Erschwerend dominiert eine biographische Lesart den Forschungsdiskurs, die sich bezüglich einer inhaltlichen Bestimmung des Werkes als hinderlich erweist. In einem ersten Schritt hat diese Arbeit also zunächst ihren eigenen Zugriff auf das Werk auszuweisen und ebenso zu begründen. Es wird dabei in der Hauptsache darum gehen, sich von der biographischen Lesart abzusetzen, um das Sichtfeld für die essentiellen, geschichtstheoretischen Ausführungen Kracau-ers freizuschalten. Bei diesem Arbeitsschritt soll auch unter dem Gesichts-punkt der Werkgenese die Sprachwahl, der Aufbau bzw. die Grundstruktur des Werkes sowie die editorische Nachbereitung des nicht vollendeten Werkes Berücksichtigung finden. Nach dieser grundlegenden Vorarbeit wird sich diese Arbeit einer inhaltlichen Bestimmung von History zuwenden. Dabei wird sie sich auf die wesentlichen Aspekte des Werkes konzentrieren, die nach der hier vertretenen Meinung bisher zu wenig bis gar nicht heraus gearbeitet worden sind. Im Anschluss daran begibt sich die Arbeit an verschiedenen Stationen Kracauers intellektueller Biographie auf eine Spurensuche nach Motiven, Theoremen oder Positionen Kracuers, die sich je nach Befund in seinem Geschichtsbuch widerspiegeln, weiterentwickelt, transformiert oder modifiziert haben mögen. Dabei soll der Blick auf die Zusammenhänge innerhalb seines Gesamtwerkes über eine Ausweisung möglicher Verbindungslinien zwischen History und früheren Arbeiten gewagt werden. Dieser Ansatz ist der Notwendigkeit geschuldet, "einer Kohärenz der Interessenslage bei gleichzeitiger Absage an jegliche Geschlossenheit im Sinne eines übergreifenden Systems"[26]im Œvre Kracauers gerecht zu werden. Die Arbeit schließt mit einer obligatorischen, kurzen Reprise ihrer Argumentation und einer Zusammenfassung der Ergebnisse.

In Aussicht steht ein tieferes Verständnis über Kracauers Geschichtsdenken und damit die Ausweisung bisher nicht erkannter Zusammenhänge von Kracauers Gesamtwerk, die ihm während seiner Arbeit über die Geschichte selbst erst klar zu werden schienen. 1962 schrieb er an Adorno:

Wenn sich jemand fände, der das was ich meinte und meine -- und was ich vielleicht jetzt erst, wo es schon beinahe zu spät ist, selber erst zu verstehen beginne -- besser herausbrächte, wäre das ein großes Glück, jedenfalls für mich.[27]

Ihren Rückhalt bzw. ihre letztendliche Begründung findet diese Arbeit in der Erkenntnis, dass eine Beurteilung Kracauers Denken auf lange Sicht und damit seine Einschätzung und Einordnung als Denker des 20. Jahrhunderts unmittelbar mit der Frage nach der Bedeutung der Geschichte in seinem Werk verbunden ist.

2. Werkzugriff

2.1. Genese

2.1.1. Edition

Kracauer hatte sein Geschichtsbuch nicht vollenden können. Mit seinem unverhofften Tod am 26. November 1966 hinterließ er jedoch genug stehendes Material, um die editorische Arbeit aufnehmen zu können. Die Kapitel I-IV waren ausformuliert.[28]Kapitel V war bis zur Hälfte fertig gestellt.[29]Kapitel VI lag in vorveröffentlichter Form einmal für die Adorno-Festschrift[30]und einmal mit geringfügigen Änderungen für die Zeitschrift History and Theory[31]vor. Auch Kapitel VII war vorab im dritten Band von Poetik und Hermeneutik erschienen.[32]Kapitel VIII blieb unausformuliert, doch Kracauer hinterließ aufgrund seiner Arbeitsweise[33]und seiner Ge-wohnheit einer akribischen Dokumentation seines Schaffens[34]das gesamte Material seiner Vorarbeiten,[35]was die editorische Vollendung des Werkes überhaupt ermöglichte.[36]Diese Arbeit lief dann darauf hinaus, die nicht vervollständigten Kapitel ihrer Grundidee nach, sowie hinsichtlich ihrer Hinweise auf Zitate in den Tenor des Gesamtwerkes einzupassen. "Doch mußte die endgültige Wahl hinsichtlich des Inhaltes der Zitate wie des genauen Ortes ihrer Einfügung getroffen werden."[37]Ferner wurde "wichtiges Material an Gedanken und Kommentaren des Autors […] zu einem gewissen Grad in den Text eingewoben."[38]Auch "war es notwendig, verbindende Wörter und Sätze beizusteuern, Zitate einzufügen und oft aus anderen Quel-len zu übersetzen wie auch zwischen verschiedenen Fassungen derselben Abschnitte eine Entscheidung zu treffen."[39]Die große Herausforderung be-stand dabei darin, der Versuchung zu widerstehen, mehr für Kracauer zu wollen, als das vorhandene Material hergab, ebenso wie eigene Vorstellungen in das Werk einfließen zu lassen. Dieser Aufgabe stellte sich letztendlich[40]der Soziologe Rainer Koehne,[41]der unter der Aufsicht und Kontrolle Lili Kracauers arbeitete, "die streng nach dem Prinzip verfuhr, daß Siegfried Kracauers Version absoluten Vorrang habe […]."[42]Dahingehend repräsen-tiert die mehrfach wiederholte Rückfrage Lili Kracauers an Rainer Koehne: »Wo steht das bei Kracauer?«[43]den gemeinsamen Arbeitsprozess.

Aus dieser spezifischen Werkgenese resultiert ein relativer Vorbehalt hin-sichtlich einer inhaltlichen Bestimmung des Werkes. Er ist relativ, weil der Einschätzung Kristellers durchaus zuzustimmen ist, dass es gelungen ist, "dieses wichtige Werk zu erhalten und uns und anderen Lesern vorzustellen in einer Form, in der es zu uns sprechen kann."[44]Darüber hinaus sind mit der deutschen Neuauflage die nachbereiteten Passagen klar ausgewiesen und mit einem Anhang überaus hilfreich ergänzt.[45]Aber dennoch ist der letztlich tragischen Bemerkung Robert K. Mertons bis heute beizupflichten, dass von niemandem zu erwarten war, das Manuskript so abzurunden, wie es Kra-cauer selber getan hätte.[46]Die zweite Hälfte des V. Kapitels ebenso wie das gesamte VIII. Kapitel heben sich doch deutlich von der Präzision und wohl kalkulierten Argumentation und Formulierung der vollendeten Passagen ab, ohne jedoch gänzlich aus dem Text zu fallen.

Dieser Situation wird in dieser Arbeit Rechnung getragen, in dem alle Zitate Kracauers, die sich auf nachbereitete Passagen beziehen, in eckigen Klam-mern ausgewiesen werden. Damit wird die Absicht verfolgt, den editorischen Anteil des Werkes transparent zu halten. Sollten sich in der zukünftigen Kracauerforschung divergierende Meinungen bezüglich einer inhaltlichen Bestimmung des Werkes herauskristallisieren, sei an dieser Stelle auf die hervorragende Quellenlage hingewiesen, denn neben dem gesamten Arbeits-prozess Kracauers ist auch weitestgehend das Material der Nachbereitung dokumentiert.[47]Sollte sich also die Frage: »Wo steht das bei Kracauer?« in neuer Dringlichkeit stellen, liegen die Antworten im Deutschen Literatur-archiv, Marbach am Neckar.

2.1.2. Sprache

Auch hinsichtlich des Sprachgebrauchs sind in Bezug auf eine Werkbe-sprechung einige Anmerkungen im Vorfeld unumgänglich. Kracauer hat sich nach seiner Immigration in die USA bewusst dazu entschieden, in Englisch zu schreiben. Dieser Schritt wird durch die existentielle Notwendigkeit bedingt gewesen sein, sich ohnehin die englische Sprache angeeignet haben zu müssen, um den Lebenserhalt gewährleisten zu können. Andererseits hatte Kracauer, dessen Existenz nunmehr ganz dem Schreiben gewidmet und auch verpflichtet war, ein spezifisches Sprachverständnis entwickelt. Er erachtete Sprache "vor allem als prozessuales Kommunikationsmittel, weniger als Medium von Wahrheitssetzungen, die einfürallemal Entscheidendes stüt-zen."[48]Hinsichtlich der Einschätzung Adornos aus dem Jahre 1955, man könne nur in seiner Muttersprache Entscheidendes ausdrücken,[49]war Kracauer dahingehend zumindest "für Werke des Gedankens, der Theorie - und ich meine hier eigenste Gedanke, eigenste Theorie […]"[50]gegenteiliger Meinung.

Mein Stilideal ist, daß die Sprache in der Sache verschwindet wie der chinesische Maler im Bild, wobei ich mir bewusst bin, daß der Maler und das Bild, der Denker und die Sache eines sind - up to a point.[51]

In diesem Stilideal drückt sich zudem Kracauers Erkenntnisideal aus, "die Dinge zum Sprechen zu bringen, indem sie gleichsam von innen heraus betrachtet werden."[52]Für Kracauer bedeutete es einen fundamentalen Unterschied, mit Sprache etwas darzustellen als mit ihr über etwas zu sprechen. Sprache stellt dar, wenn sie in der Sache verschwindet. Schafft sie dies dem Ideal nach nicht, bleibt sie mindestens an der Oberfläche der Dinge verhaftet, wenn sie nicht als bloße Abstraktion über den Dingen schwebt.[53]Dabei reflektierte Kracauer deutlich den auktorialen Vermittlungsakt, der sich unter diesen Voraussetzungen bei der Darstellung der Sache vollzieht. Der Denker und die Sache sind bis zu einem gewissen Grad identisch in dem Maße, wie seine Erkenntnis im Medium der Sprache repräsentativ mani-festiert ist. Und für Kracauer resultiert diese solchermaßen der Erkenntnis adäquaten Sprache aus der Anschauung und Erfahrung heraus und speist sich nicht aus dem Begriffsapparat einer der Anschauung und Erfahrung voran geschalteten Theorie. In der Terminologie des Geschichtsbuches ist für Kracauer dahingehend, "der Denker im “Vorraum” historischer Erfahrung “immer schon selber” da - nicht anstelle der Theorie, wie Adorno ihm vorwarf, sondern vor der Theorie."[54]

Kracauer schien also den notwendigen Erwerb der englischen Sprache als Chance begriffen zu haben, seine eigensten Gedanken in einer neuen Weise formulieren zu können, wie es ihm in Deutsch so nicht möglich gewesen wäre. Der Entschluss in Englisch zu verfassen evozierte jedoch unmittelbar das Problem der Übersetzung, was Kracauer wie Adorno gleichermaßen zeitlich wie nervlich belastete. Die "Qualen",[55]die ihnen unzulängliche Übersetzungen ihrer Werke bereiteten, führten wohl auch nicht zuletzt dazu, dass Kracauer die deutsche Fassung seiner Filmtheorie selbst in Arbeit nahm. Aus der Überzeugung heraus, "daß es […] leichter ist, über dieselben Gegenstände in den beiden Sprachen ganz neu zu formulieren, als zu übersetzen"[56]hoffte Adorno dahingehend für die Filmtheorie, "daß die deutsche Übersetzung wirklich so ist, daß sie einen Text von Dir repräsentiert."[57]Dabei war sich Kracauer der Situation einer lingualen Interferenz[58]dem Titel seines Gratulationsbriefes zu Blochs 80. Geburtstags "Zwei Deutungen in zwei Sprachen" nach allgemein bewusst.[59]Doch sprach-liche Ambiguität war nichts wovor Kracauer zurückschreckte. Vielmehr formuliert er im Geschichtsbuch unter der Voraussetzung eines phänomeno-logischen Wahrheitsbegriffs mit seiner Skizze der geistigen Physiognomie Erasmus' von Rotterdam, "daß die Wahrheit aufhört wahr zu sein, sobald sie zum Dogma wird und so die Doppeldeutigkeit verwirkt, die sie als Wahrheit kennzeichnet."[60]Gerade auch in diesem Sinne machte sich Kracauer das Englisch ganz zu eigen.

Dahingehend sah sich Karsten Witte bei der Übersetzung des Geschichts-buches mit einem durchaus eigenwilligen Englisch konfrontiert:: "Seine Sprachgebung, gerade im Englischen, ist weder allerorten zeitgemäß, noch überholt; sie scheint mitunter >zeitenthoben< und vermeidet auch Eigen-tümlichkeiten des Stils wie Archaismen, Katachresen, Pleonasmen, Paradoxa nicht."[61]Aufgrund der guten Einsicht in die Entstehung des Werkes sowie der Eigenübersetzung der Filmtheorie und anderen Übersetzungen[62]Kracau-ers konnte Karsten Witte jedoch "die treffende Übersetzung finden."[63]Der Übersetzungserfolg liegt auch darin begründet, dass Witte über eine Begriffs-restauration Kracauers deutschen Sprachstil wieder zu beleben suchte, was auch bedeutete, die spracheigene Ambiguität Karcauers in der Übersetzung zu bewahren. "Bezog der Autor sich explizit auf seine Frühschriften, so versucht die Übersetzung, die Kracauer eigene Begrifflichkeit zu restituieren - selbst dort, wo sie heute zu irritieren vermag."[64]Dabei nahm Karsten Witte mit dieser Übersetzungsstrategie eines Rückgriffs auf die Terminologie des Frühwerkes jedoch das Risiko in Kauf, wohlmöglich die genuine Eigen-ständigkeit der Sprachwahl im Spätwerk Kracauers zu verschleiern. Dies stellt aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Problem dar. Es haben sich bei der Beschäftigung mit Kracauers Spätwerk und besonders mit seinem Geschichtsbuch noch keine Fragestellungen ergeben, die eine dezidierte Ana-lyse seines Sprachgebrauchs in Englisch forderten.[65]

Aufgrund dieser Situation zitiert diese Arbeit - nicht zuletzt auch für eine leichtere Lesbarkeit - die überarbeitete Übersetzung der deutschen Neuauf-lage, gibt jedoch in der Zitation die Seitenzahlen der deutschen Erstver-öffentlichung von 1971 sowie der englischen Originalversion der Paperback-ausgabe von 1995 mit an. Wo sich die Erstübersetzung von ihrer Überar-beitung unterscheidet, ist dies mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnet. An einer Stelle bezieht sich die Arbeit selbst auf eine terminologische Nähe von Früh- und Spätwerk. Dort wird der englische Wortlaut zum Eigenvergleich im Fußnotentext mit angegeben.[66]

2.1.3. Aufbau

Hinsichtlich der Gesamtstruktur von History ist zunächst anzumerken, dass das Werk keiner absoluten Trennung der einzelnen Themenkomplexe ver-pflichtet ist. "Vielmehr artikuliert die Abfolge der Kapitel […] deren Verfloch-tenheit: von den allgemeinen Fragen an das Verständnis des Verhältnisses von Natur und Geschichte zu seiner Spiegelung in historiographischen Positionen, zu Fragen des Selbstverständnisses und der Erfahrung des Historikers in ihrem Einfluß auf sein Geschichtsverständnis, zu Fragen der Zeit-Erfahrung im Kunstwerk und in der Historiographie."[67]Der durch eine Einführung eingeleitete, sieben Kapitel umfassende Aufbau des Werkes reflektiert dahingehend die strukturelle Zusammenhörigkeit der einzelnen Problemfelder, so dass schon die Grundstruktur des Werkes Kracauers Absicht widerspiegelt, die "besondere Natur" der Geschichtswissenschaft hervor zu heben, also den "vermittelnden Bereich" von Geschichte "als einen Bereich eigenen Anspruchs" zu einer Anerkennung zu bringen.[68]Es liegt also mit History ein Werk vor, das seinem formalen Aufbau nach einer Aufsatz- bzw. Essaysammlung gleicht, in dem Sinne, dass die einzelnen Kapitel durchaus separat zugänglich sind, sich aber aufgrund ihrer starken Vernetzung zu einem Gesamteindruck zusammenfügen. Diese Besonderheit mag der spezifischen Genese des Werkes geschuldet sein. Denn Kapitel VI, VII und die Erasmus-Passage der Einleitung waren durchaus mit Blick auf eine Vorveröffentlichung abgefasst. Und auch die eigentliche Nichtvollendung einiger Kapitel und ihre dadurch notwendige, editorische Nachbearbeitung mögen diesen Effekt evozieren. Andererseits war das Werk bei Kracauers Tod schon so weit gediehen, dass der grundsätzliche Aufbau nicht in Frage zu stellen ist. Der Aufbau von History, Kapitelstruktur und Namensgebung der Kapitel zeugen daher von Kracauers Bemühung, sein Geschichtsbuch ganz im Sinne seines Geschichtsverständnisses anzulegen.

Allgemein zusammengefasst formuliert Kracauer in der Einleitung sein grundlegendes Interesse an Geschichte und stellt seinen Themenkatalog vor. Im I. Kapitel entfaltet er seine Definition von Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs und grenzt sie von den Naturwissenschaften ab. Die Kapitel II, III, V und VI behandeln grundlegende Aspekte der Historiographie, die die Rahmenbedingungen historischen Arbeitens bemessen. Das IV. Kapitel, das schon dem Aufbau der Gesamtanrichtung nach darin eingefasst ist, präsen-tiert eine ideale Methodik historischer Forschung. Kapitel VII fasst die vorhergehenden Kapitel am Beispiel der Allgemeingeschichte zusammen und pointiert die Auffassung des Autors. Das letzte Kapitel zieht auf dieser Basis tendenziell Resümee hinsichtlich eines Geltungsanspruches der Geschichts-wissenschaft.

Aus der Absicht, Kracauers Ausführungen möglichst prägnant zusammen-zufassen, resultiert hier die Herausforderung, diese Werkstruktur zu trans-kribieren, ohne dabei jedoch Kapitelweise vorzugehen. Das dritte Kapitel dieser Arbeit wurde daher nach thematischen Gesichtspunkten strukturiert, die jedoch in ihrer Anordnung dem formalen Aufbau des Werkes folgen. Die Einleitung des Werkes wird aufgrund ihrer Doppeldeutigkeit noch in diesem Kapitel unter dem Aspekt eines Werkzugriffs gesondert behandelt. Damit wird ein rein auf den theoretischen Gehalt des Werkes gerichteter Zugriff vorbereitet.

2.2. Eine Einleitung, zwei Lesarten

2.2.1. Eine anonyme Autobiographie?

Kracauer bezieht sich in History auf die Geschichte in nahezu weltanschau-licher Hinsicht. Hiervon zeugen vor allen Dingen die Erasmuspassage und die Rede von der Botschaft der Geschichte in der Einleitung, sowie die im VIII. Kapitel diese Motive aufgreifende Bestimmung historischen Denkens als Vorraumdenken und die das Werk beschließende Allegorie Sancho Pansas. Michael Kessler sieht Kracauers Geschichtsbuch dann auch in den Allegorien der Figuren Erasmus und Sancho Panser eingerahmt. "Am Anfang Erasmus, am Ende Sancho Pansa, so mußte der Umkreis des Geschichtsbuches umschrieben werden."[69]Dieser Umkreis bzw. Rahmen verweist auf die Dimension eines persönlichen Anliegens von Kracauers Geschichtsdenken, das weit über eine rein theoretische Auseinandersetzung mit der Geschichte hinausweist. Deutlich vermittelt sich der Eindruck, dass es Kracauer in seinem Geschichtsbuch auch um eine konsolidierende Standortbestimmung seines Denkens gegangen ist. Wohlmöglich hatte sein Geschichtsbuch daher für ihn eine so große Bedeutung, wie aus einem Brief an Leo Löwenthal von 1962 hervorgeht: "So wird immer von neuem die Arbeit an meinem Geschichts-buch blockiert, die mir nun einmal das Leben bedeutet."[70]

In dieser Eigenart korreliert die Einleitung von History mit einer spezifischen Lesart von Kracauers Œuvre, nach der Kracauers Gesamtwerk eine auto-biographische Tiefenstruktur aufweist. Diese Lesart stellt eine überaus starke Strömung in der Kracauerforschung dar und ist auf Adornos kritische und mitunter herablassende Hommage Der wunderliche Realist[71]von 1963 zurückzuführen. Darin zeichnet er Kracauers "individuellen Weg durch die Einflüsse der Phänomenologie von Simmel und des Existentialismus von Kierkegaard hin zu einer materialen Philosophie, verstanden als Gesell-schaftskritik, die sich den zerstreuten, fragmentarisierten Erscheinungen an der Oberfläche zuwendet und sie zu pointierten empirischen Objekten ihrer Reflexion macht."[72]Doch Adorno entwirft Kracauers intellektuelle Bio-graphie unter dem Vorzeichen seines Schicksals als Verfolgter und Vertrie-bener und deutet dahingehend sein Denken als "komplexe Reaktionen auf die traumatischen existentiellen Erfahrungen von Unterdrückung und Ausgren-zung."[73]

Im Motivschatz seiner [Kracauers / T.S.] Gedanken dürfte man Aufbegehren wider die Verdinglichung vergebens suchen. Einem Bewusstsein, das argwöhnt, es sei von den Menschen verlassen, sind die Dinge das Bessere. An ihnen macht der Gedanke wieder gut, was die Menschen dem Lebendigen angetan haben.[74]

Damit legte Adorno den Grundstein für einen psychologisch-biographischen Interpretationsansatz, der eine unvoreingenommene, inhaltliche Bezug-nahme von Kracauers Werken deutlich erschwerte. So begreift beispiels-weise Ingrid Belke Kracauers Roman Ginster als "ganz bewusst [angelegte] anonyme Autobiographie",[75]und zieht dabei "als Beweis ihrer These von Kracauers Identitätsstörungen den Roman Ginster in einem Maße heran, in dem es zur Identität von Autor und Figur zu kommen scheint."[76]Dagegen kommt Dirk Oschman bei seiner Analyse von Kracauers literarischem Werk zu weitreichenden Ergebnissen, indem er sich grundsätzlich von der For-schungstendenz abgrenzt, Kracauers Romane "entweder autobiographisch zu „interpretieren” oder sie als autenthische Lebensberichte zu verstehen und sie als solche gar zu zitieren."[77]Hinsichtlich der Gesellschaftsbiographie Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit führt Harald Reil das Werk aus einer Betrachtungsweise, die es auf eine dem Gefühl der Exterritorialität ent-springende, "groß angelegte Reflexion von Kracauers innigster Befindlichkeit zur Zeit der Niederschrift"[78]reduziert.[79]Mit diesen beiden Beispielen sind zudem zwei in der Forschung nahezu omnipräsente Motive illustriert, denen Adorno mit seiner Typologisierung Kracauers als Einzelgänger, "einem Bewusstsein, das argwöhnt, es sei von den Menschen verlassen", Vorschub leistete. Gerade hinsichtlich der Schwierigkeit, Kracauer einer spezifischen Denkschule oder Institution zuzuordnen,[80]erstarkte infolge im Diskursver-lauf das Motiv eines charakterlich disponierten Außenseitertums Kracauers. Dieses Kracauer "förmlich in die Wiege gelegt[e]"[81]Außenseitertum kulmi-niert dann mit seiner Emigration in die USA in einer geistigen Ortsbe-stimmung Kracauers als Denker der Exterritorialität.[82]

Der Zugriff auf Kracauers Geschichtsbuch ist deutlich von diesem Ansatz geprägt, wie er sich durch die autobiographisch konnotierte Einleitung förmlich anbietet. Inka Mülder-Bach, die Kracauer grundsätzlich als Persön-lichkeit versteht, "welche die Destruktionskräfte der gesellschaftlichen Umwälzungen seiner Zeit als prägnanten Schock und intellektuelle Heraus-forderung zugleich erfahren hat“,[83]deutet History als Selbstdarstellung, die Kracauers Existenzentwurf der Exterritorialität gerecht zu werden sucht. Sie liest Kracauers Geschichtsbuch als intellektuelle Biographie der besonderen Art, die dem unsichtbaren, anonymen Dasein verpflichtet ist.[84]"Eben dies ist die Lösung des Geschichtsbuchs. In ihm entwirft Kracauer die eigene Exis-tenz, indem er ihr Züge der Geschichte einzeichnet. Die historische Welt wird zum Widerschein des eigenen Lebens, in den Strukturen der Peripherie spie-gelt sich der Raum der Exterritorialität. Wie der legendäre Maler in sein Bild, so geht der Autor Kracauer ein in das Buch, das History heißt."[85]Auch Tadashi Hirai fasst es als anonyme Autobiographie auf, sieht sich also weder mit einem Werk der Geschichtstheorie noch der Geschichtsphilosophie kon-frontiert.[86]Vielmehr erscheint es Hirai als "eine Art Reisebericht eines geistig Heimatvertriebenen."[87]Kracauer zeichne darin seinen Weg vom Gesell-schaftskritiker zum Historiker nach, der mit dem Gang ins Exil seinen Aus-gang nahm. "[I]n dieser bodenlos gewordenen Situation verwandelte er sich vom Kritiker zum Historiker, weil er nicht umhin konnte, nach Fundamenten in der „Geschichte“ zu suchen."[88]Tadashi Hirai sieht diesen Zusammenhang gar in der Sprachwahl Kracauers repräsentiert. Er bezeichnet Kracauers Sprache dahingehend als "Vorraum (anteroom)" -Englisch, will damit aber keine defizitäre Englischkenntnis im Sinne eines noch vorläufigen Fremd-sprachenerwerbs Kracauers bezeichnen, sondern vielmehr auf die dem Werk zugrundeliegende Intension der Exterritorialität hinweisen. "Er [Kracauer, T.S.] mußte Schritt um Schritt die englische Sprache erobern, um seine exterritoriale Intention zu erweitern."[89]

Die Nachhaltigkeit der Motivkombination von Außenseitertum und Exil zeigt sich auch deutlich bei Tobias F. Korta. Dieser begreift Walter Benjamins und Siegfried Kracauers Denken als Reaktion auf die Krise der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der Korta zufolge die Diskurshomogenität der Moderne in eine "Fragmentarität, [...] Heterogenität und Pluralität von Wahrheiten und Wirklichkeiten"[90]zerbrach. Indem er sich strikt bei einer geschichtsphilosophischen Rezeption auf die Entwicklung einer Epistemo-logie Kracauers konzentriert,[91]gelingt es ihm von dieser Ausgangsposition zwar erstmalig, die Geschichte als zentrale Kategorie in Kracauers Denken heraus zu stellen,[92]doch Korta vermag sich nicht von der im Diskurs vor-herrschenden Motivik zu lösen. Vielmehr dient sie ihm als argumentativer Bezugsrahmen für sein Hauptanliegen, Kracauer wie Benjamin als Denker bzw. Vordenker der Postmoderne auszuweisen.[93]Er sieht in beiden Protago-nisten den ideengeschichtlichen Epochenübergang von der Moderne zur Postmoderne vorweggenommen. Dahingehend kennzeichnen "Exzentrizität, Exterritorialität und Exil […] als Begriffe sowohl den biographischen wie auch den denkerischen Verlauf ihres Lebens"[94]in dem Maße, wie sie in ihrem Denken aus ihrer eigenen Epoche herausfallen. So kommt Korta zu der Einschätzung, dass das "Besondere nun an Benjamins und Kracauers Begriff der Geschichte, überhaupt ihres Denkens die sich entwickelnde geistige Heimatlosigkeit und Fremdheit gegenüber dem herrschenden Diskurs ihrer Zeit [ist], dem hermetischen Diskurs der Moderne."[95]

2.2.2. Geschichte als Thema

Aufgrund der Diskurslage und der autobiographischen Implikationen von History ist es nicht ganz verwunderlich, dass nur wenige Arbeiten vorliegen, die sich rein mit dem theoretischen Gehalt des Werkes befassen. Dass ein solcher Zugriff jedoch grundsätzlich möglich ist, zeigt beispielsweise der Aufsatz von Johann Kreuzer, der sich mit Kracauer dem "Rätsel der Zeit"[96]zuwendet, ohne dabei im Geringsten einen weiteren Zusammenhang bemühen zu müssen.[97]Auch Gerd Ueding, der der Meinung ist, dass sich Kracauer in History um die Rehabilitation eines antiken, topisch-rhetorischen Geschichtsdenken bemüht zeigt,[98]dringt mit diesem Ansatz, Kracauers rhetorische Auffassung der Historiographie nachzuweisen,[99]abseits aller psychologisch-biographischen Interpretationsansätze problemlos unmittel-bar in zentrale Problemfelder von Kracauers Ausführungen vor. Und ein derartiges Vorgehen ist so ergiebig, wie es legitim ist, geht Kracauer in History doch "die von altersher wichtigsten ungelösten Probleme der Historiographie"[100]an. In seiner Einleitung kündigt er in dieser Hinsicht auch ein kühnes Pensum an. Sein Katalog umfasst

das Wesen der historischen Realität, die Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die Beziehung zwischen historischen Darstellungen, die verschiedene Ebenen von Allgemeinheit repräsentieren, die Frage, ob die Subjektivität, die historischen Schriften zugrunde liegt, sich nicht vielleicht selbst transzendieren etc.[101]

Im letzten Satz der Einleitung zu History definiert Kracauer die Zielbe-stimmung für diesen Themenkatalog unmissverständlich.

Ich werde im Folgenden versuchen, einige dieser Probleme […] in einer Perspektive zu bestimmen, die ihrer besonderen Natur [der historischen Forschung, T.S.] gerecht wird. Mein Ziel dabei ist, den Zwischenbereich der Geschichte als einen Bereich eigenen Anspruchs zu begründen - jenen einer vorläufigen Einsicht in die letzten Dinge vor den letzten.[102]

Das Hauptmotiv für dieses Unternehmen beschreibt Kracauer als "Drang, mehr über den Charakter und die Bedeutung dieses umstrittenen Bereichs des Wissens herauszufinden."[103]Dabei leitet ihn die Frage, ob "Geschichte, nachdem sie sich, halbherzig, von der Herrschaft metaphysischer Spekulationen und theologischer Dogmen emanzipierte, eine Wissenschaft geworden"[104] sei. Das Ziel, "den Zwischenbereich der Geschichte als einen Bereich eigenen Anspruchs zu begründen", findet zudem seine Begründung in dem Umstand, dass der Zwischenbereich der Geschichte innerhalb der Denktraditionen dieser Disziplin noch nicht zu genüge als solcher anerkannt wurde.[105]Die materiale Geschichtstheorie bzw. die spekulative Geschichtsphilosophie, wie die formale Geschichtstheorie, erscheinen dabei für Kracauer als zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Die traditionsbedingte Gewohnheit des Denkens macht uns blind gegenüber seiner Existenz [des Zwischenbereichs, T.S.] . Besonders die naturwissenschaftliche Methode und die philosophische Besessenheit, nach letztgültigen Erkenntnissen zu fragen, verführen dazu, die Probleme zu entstellen, die die historische Forschung aufwirft.[106]

Kracauer leitet sein Geschichtsbuch also auch klar auf die Sache bezogen ein. Auf der Grundlage der prägnanten These der Geschichte als Wissenssparte eigenen Anspruchs stellt er eine Analyse der zentralen Problemzonen dieser Disziplin in Aussicht und macht kenntlich, dass er sich dabei weder im Sinne einer spekulativen Geschichtsphilosophie, noch im Sinne einer formalen Geschichtstheorie mit der Geschichte befassen möchte. Schon in dieser Hin-sicht scheint der vermittelnde Bereich von Geschichte dem Ansatz Kracauers nach einbegriffen. Das Augenmerk ist in diesem Rahmen unmittelbar auf die Probleme gerichtet, die historische Forschung aufwirft.

Das folgende Kapitel wird Kracauers Geschichtsbuch diesem Anspruch nach beleuchten. Auf dieser Grundlage einer rein werkimmanenten Interpretation wird im Anschluss eine Anbindung des Werkes in den Entwicklungsverlauf von Kracauers Denken im Sinne einer Spurensuche nach den Ursprüngen seiner Positionierung in History unternommen.

3. Vor den letzten Dingen

3.1. Geschichte als Bereich eigenen Anspruchs

3.1.1. Geschichtsbegriff

Kracauer unterscheidet grundsätzlich begrifflich zwischen der Geschichte als Erfahrungshorizont historischer Lebenswelt (history) und der Geschichte als narrativer Darstellung oder Erzählung (story). So umfasst Geschichte (history) alles vergangene Geschehen menschlicher Lebenswelt, wird also im weitesten Sinne als Vergangenheit oder vergangene Wirklichkeit mensch-licher Lebensbezüge aufgefasst (historische Wirklichkeit). In diesem Sinne repräsentiert Geschichte zunächst ein gestaltloses, potentiell unendliches Kontinuum möglichen vergangenen Geschehens, das in seinem Vergangen-sein grundsätzlich von der Gegenwart entkoppelt ist.[107]Geschichte ist nach Kracauer also an sich eine gestaltlose Größe, der keine weitere Bestimmung zukommt, außer die Summe des Vergangenen zu beinhalten. Sie weist keine eigenen Qualitäten wie Gesetzmäßigkeiten und/oder teleologische Bestim-mungen auf. Vielmehr setzt sie sich aus losen Elementen zusammen, deren Zusammenhang nur von ihrer Herkunft aus menschlichen Lebensverhält-nissen herrührt. Dementsprechend distanziert sich Kracauer deutlich von allen Geschichtskonzeptionen, die dem historischen Prozess an sich eine Gesetzmäßigkeit anheim stellen und einen wie auch immer gearteten naturgesetzlichen Verlauf der Geschichte vertreten. Auch jenen Ansätzen, die anhand von sozialempirischen Daten unter der Annahme einer Regel-mäßigkeit, Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der physischen Realität menschlicher Lebenswelt Geschichte als organischen oder näherungsweise natürlichen Prozess bzw. als Konglomerat solcher Prozesse wissenschaftlich zu fixieren suchen, begegnet Kracauer mit Skepsis. Gerade weil er die Geschichte strikt von der menschlichen Lebenswelt her denkt, betont er dagegen, die Heterogenität und Kontingenz ihrer Einzelphänomene,

[...]


[1]Kracauer, Siegfried: History - The Last Things Before the Last, Princeton 1995.

[2]Kristeller, Paul Oskar: Preface to the first paperback edition, in: Siegfried Kracauer: History - The Last Things Before the Last, Princeton 1995, S. V-IX.

[3]Koch, Gertrud: "Not yet accepted anywhere": Exile, Memory and Image in Kracauer´s Conception of History, in: New German Critique, Nr. 54: Special Issue on Siegfried Kracauer, hrsg. v. Mark M. Anderson und Andreas Hyssen, 1991, S. 95-109.

[4]Mülder-Bach, Inka: History as Autobiography: The Last Things Before the Last, in: New German Critique, Nr. 54: Special Issue on Siegfried Kracauer, hrsg. v. Mark M. Anderson und Andreas Hyssen, 1991, S. 139-157.

[5]Vgl. alle Vorwürfe Kristeller: Preface, S. VIII und IX.

[6]Siehe: Koch, Gertrud: Kracauer zur Einführung, Hamburg 1996. Ebenso grundlegend: Mülder-Bach, Inka: Siegfried Kracuer - Grenzgänger zwischen Theorie und Literatur. Seine frühen Schriften 1913-1933, Stuttgart 1985.

[7]Belke, Ingrid: Nachbemerkung und editorische Notiz, in: Kracauer, Siegfried: Werke in neun Bde., Bd. 4: Geschichte - Vor den letzten Dingen, hrsg. v. Ingrid Belke unter Mitarbeit v. Sabine Biebl, Frankfurt am Main 2009, S. 435-627.

[8]Belke macht auf Fehler und Widersprüche im Verhältnis zum ersten Vorwort Kristellers aufmerksam und korrigiert die falsche Angabe der Paperback-Ausgabe »Completet after Death of the Author P.O. Kristeller«. Vgl. Ebd., S. 612f. auch Kpt. 2.1.1. dieser Arbeit.

[9]Es liegen zwar einige Arbeiten vor, doch widmen sie sich entweder nur einzelnen Aspekten des Werkes oder beziehen sich aus einem übergeordneten Zusammenhang heraus in einer zumeist oberflächlichen Kenntnisnahme darauf.

[10]Vgl. Belke: Nachbemerkung, S. 569-610.

[11]Geschichte 2009: S. 154-180, 1971: S. 133-154, History: S. 139-163.

[12]Geschichte2009: S. 181-208, 1971: S. 155-178, History: S. 164-190.

[13][Geschichte 2009: S. 209-238, 1971: S. 179-201, History: S. 191-220.]

[14]Vgl. Belke: Nachbemerkung, S. 569.

[15]Vgl. Kpt. 3.2.3. dieser Arbeit.

[16]"An adequate scholarly interpretation of Kracauer´s last work is yet to be written." Kristeller: Preface, S. IX.

[17]Kessler, Michael / Levin, Thomas Y.: Vorwort der Herausgeber, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. von Michael Kessler und Thomas Y. Levin, Tübingen 1990, S. VII-XIII, S. VIII.

[18]Nahezu alle neueren Arbeiten, die Kracauer im Ganzen zu fassen suchen, behandeln zumindest in Anteilen sein Geschichtsdenken.

[19]Vgl. Kpt. 2.2.1. dieser Arbeit.

[20]Die vor allem dadurch kennzeichnet ist, dass Kracauer häufig zunächst Ablehnung erfuhr, um dann erst viel später mit seinen eigentlichen Anliegen begriffen zu werden; zum Beispiel im Falle seiner Offenbachbiographie. Vgl. Kpt. 4.3.1. dieser Arbeit. Auch entschied sich der Rowohlt Verlag erst 1958, also Zehn Jahre nach der Erscheinung From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film in deutscher Übersetzung, jedoch in stark gekürzter, „entpolitisierter“ Form zu veröffentlichen. Man hatte diese 360 Seiten schwere Psychologie der Geschichte des deutschen Films beinahe um die Hälfte auf einen Beitrag zu Geschichte des deutschen Films (so der Titel in deutscher Übersetzung) gekürzt! Es war dann ein Filmforscher der ehemaligen DDR, der sich diesen Vorgang zum Thema machte und ganz klar als das bezeichnete, was er war; ein Akt politischer Zensur. Vgl. Wallroth, Werner W.: Der entschärfte Kracauer, in: Deutsche Filmkunst, JG. 6 (1958), H.7.

[21]Hoffmann, Martin: »... sich der Massenseele dienstbar machen« Über Siegfried Kracauers Diagnose der Normierungstendenz in der kapitalistischen Moderne, in: Siegfried Kracauer - Fragmente einer Archäologie der Moderne, hrsg. v. Martin Hoffmann u. Tobias F. Korta, Sinzheim 1997, S. 11-51, S. 13.

[22]Kracauer, Siegfried: History - The Last Things Before the Last, New York 1969.

[23]Vgl. Belke, S. 610.

[24]Kracauer, Siegfried: Geschichte - Vor den letzten Dingen, in: Ders.: Schriften Bd. 4, hrsg. von Karsten Witte, Frankfurt am Main 1971.

[25]Vgl. Belke, S. 611.

[26]Kessler / Levin: Vorwort, S. VII.

[27]Kracauer an Adorno, New York, 27.11.1962, in: Theodor W. Adorno / Siegfried Kracauer. Briefwechsel 1923-1966, hrsg. v. Wolfgang Schopf, Frankfurt am Main 2008, S. 563. Kracauer bezieht sich in dem Zitat auf eine Studentin Adornos, Frau A., die sich im Kontext einer Diplom-arbeit mit Kracauers soziologischen Arbeiten befasste. Vgl. Ebd., S. 527.

[28]Vgl. Kracauer, Lili / Meyer, Sheldon: Vorbemerkung, in: Kracauer, Siegfried: Werke in neun Bde., Bd. 4: Geschichte - Vor den letzten Dingen, hrsg. v. Ingrid Belke unter Mitarbeit v. Sabine Biebl, Frankfurt am Main 2009, S. 9. Auch: Belke: Nachbemerkung, S. 617.

[29]Wie Anm. 28.

[30]Kracauer, Siegfried: Time and History, in: Zeugnisse. Theodor W. Adorno zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Max Horkheimer, Franfurt am Main 1963, S. 50-64. Auch Abgedruckt im Anhang von Werke Bd. 4: Geschichte, S. 377-393.

[31]Kracauer, Siegfried: Time and History, in: History and Theory. Studies in the Philosophy of History, Bd. 6, Beiheft 6, 1966, S. 65-78.

[32]Kracauer, Siegfried: General History and the Aesthetic Approach, in: Poetik und Hermeneutik, Bd. II: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen, München 1968, S. 111-127.

[33]die "[…] mit ersten Notizen und Themenverzeichnissen, Vorläufern des späteren Inhalts-verzeichnisses, begann, mit dem Exzerpieren umfangreicher Lektüre zum Thema der Geschichte und Geschichtsphilosophie fortgesetzt wurde und der mit den ersten, meist handschriftlichen Entwürfen zu den späteren »Synopsen« und der eigentlichen Abfassung der sogenannten »Synopsen«, die eine Art verdichteter Entwürfe zu den späteren Kapiteln darstellten, einen ersten Abschluß fand. Dabei wurde oft noch die Stufe einer »Concise outline« dazwischen-geschoben, die auf eine weitere Ebene präzisierter Vorarbeite hindeutete […]." Belke: Nachbemerkung, S. 616. Erst dann machte sich Kracauer -sehr gerne an öffentlichen Orten- an die Ausformulierung der eigentlichen Kapitel. Vgl. Belke: Nachbemerkung, S. 617.

[34]Die Ausführlichkeit und Genauigkeit, mit welcher Kracauer sein Schaffen dokumentierte, beschreibt Thomas Y. Levin in der Einleitung seiner Bibliographie der Schriften Kracauers äußerst detailliert. Kracauers bibliographische Bemühungen erscheinen ihm als "buchstäbliche Verwirklichung seines geschichtsphilosophischen Imperativs, daß »nichts je vergessen werden darf« […]." Levin, Thomas Y.: Der enthüllte Kracauer. Eine Einleitung, in: Ders.: Siegfried Kracauer. Eine Bibliographie seiner Schriften, Marbach 1989, S. 11-42, S. 27. Dagmar Barnouw bemerkt zu Kracauers Nachlass: "Ich habe noch nie einen auf so sinnfällige Weise organisierten Nachlaß gesehen […] mit seiner Aufbereitung der Materialien zur Dokumentierung nicht zwar der Person, aber der intellektuellen Tätigkeit." Barnouw, Dagmar: An den Rand geschriebene Träume. Kracauer über Zeit und Geschichte, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. v. Michael Kessler u. Thomas Y. Levin, Tübingen 1990, S. 1-16, S. 5.

[35]Für eine allgemeine Beschreibung des Nachlassbestandes von History siehe Belke: Nachbemer-kung, S. 621f.

[36]Lili Kracauer war unbeirrt in der Ansicht, ausgehend von dem fortgeschrittenen Zustand des Werkes und den vorliegenden Vorarbeiten die Arbeit ihres Mannes zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Vgl. Belke: Nachbemerkung, S. 618.

[37]Kracauer, Lili / Meyer, Sheldon: Vorbemerkung, S. 9.

[38]Ebd.

[39]Ebd.

[40]Zunächst suchte Lili Kracauer den Historiker Kristeller zu gewinnen, der mit Kracauer in vertrauter Diskussion über verschiedene Themen zum Geschichtsbuch gestanden hatte, aber nur allgemeine Hilfe zusagen konnte. Neben Kristeller waren noch James von Frank, sowie die Soziologen Robert K. Merton und Lewis Coser und andere befreundete Kollegen im Gespräch, wie aus der Korrespondenz Lili Kracauers vornehmlich mit dem Verleger Sheldon Meyer hervor-geht. Vgl. Belke: Nachbemerkung, S. 618f.

[41]Zwischen Koehne und Kracauer bestand ein freundschaftlicher Kontakt. 23 Briefe und 3 Karten sind von Rainer Koehne an Kracauer im Kracauer-Nachlass überliefert. Vgl. Belke: Nachbemer-kung, S. 619.

[42]Ebd., S. 619.

[43]Zit. n. ebd., S. 620.

[44]Kristeller, Paul Oskar: Vorwort von 1968, in: Kracauer, Siegfried: Schriften Bd. 4: Geschichte - Vor den letzten Dingen, hrsg. v. Karsten Witte, Frankfurt am Main 1971, S. 7-11.

[45]Die erste Ausgabe der Übersetzung aus dem Jahre 1971 wurde zum Ärgernis von Inka Mülder ohne jegliche Anmerkung oder Erläuterung publiziert. Vgl. Mülder-Bach, Inka: Grenzgänger, S. 16.

[46]"But in the end, Siegfried´s cast of mind was so much his unique own that no one else can be expected to round out the manuscript as he would have done." Robert K. Merton an Lili Krakauer, 16. März 1967, zit. n. Belke: Nachbemerkung, S. 619.

[47]Vgl. Ebd., S. 621f.

[48]Barnouw: Träume, S. 6.

[49]"Halte mich nicht für den alten Cato, wenn ich Dich immer wieder daran erinnere, daß das entscheidende, was unsereiner zu sagen hat, von uns nur auf deutsch gesagt werden kann. Englisch können wir allenfalls so schreiben wie die anderen, so wie wir selbst nur deutsch." Adorno an Kracauer, Frankfurt am Main, 01.09.1955, in: Briefwechsel, S. 482.

[50]Kracauer an Adorno, New York, 05.09.1955, Ebd., S. 483.

[51]Ebd.

[52]Oschmann, Dirk: Kracauers Ideal der Konkretion, in: Denken durch die Dinge - Siegfried Kracauer im Kontext, hrsg. v. Frank Guner und Dorothee Kimmich, München 2009, S. 29-46, S. 42.

[53]Diese Spezifik von Kracauers Schreibstil ist Ernst Bloch schon 1930 aufgefallen: "Sie sehen Worte wie Dinge, zum ersten Mal weder grammatisch noch gar ästhetisch." Ernst Bloch an Kracauer, 09.07.1930, in: Ernst Bloch: Briefe 1903-1975, Bd.1 hrsg. v. Karola Bloch u.a., Frankfurt am Main 1985, S. 340.

[54]Barnouw: Träume, S. 6.

[55]Adorno an Kracauer, Frankfurt am Main, 03.02.1959, in: Briefwechsel, S. 500.

[56]Adorno an Kracauer, Frankfurt am Main, 04.06.1962, ebd., S. 527.

[57]Adorno an Kracauer, Frankfurt am Main, 22.10.1962, ebd., S. 552.

[58]Dazu grundlegend: Tesch, Gerd: Linguale Interferenz: theoretische, terminologische und methodische Grundfragen zu ihrer Forschung, Tübingen 1978.

[59]Kracaer, Siegfried: Zwei Deutungen in zwei Sprachen, in: Ernst Bloch zu ehren Beiträge zu seinem Werk, hrsg. v. Siegfried Unseld, Frankfurt 1965. Auch in: Schriften Bd. 5.3.

[60]Kracauer: Geschichte 2009: S. 18, 1971: S. 21!, History: S.10.

[61]Witte, Karsten: Nachbemerkung, in: Kracauer, Siegfried: Schriften Bd. 4: Geschichte - Vor den letzten Dingen, hrsg. v. Karsten Witte, Frankfurt am Main 1971, S. 235-236, S. 235.

[62]Witte bezieht sich auf "Schriften von Autoren jener Zeit, die er [Kracauer, T.S.] seinem originalen Werk übersetzt inkorporierte." Ebd., S. 189.

[63]Belke: Nachbemerkung, S. 623.

[64]Witte: Nachbemerkung, S. 289.

[65]Es liegt damit aber grundlegend ein linguistisch historisches Desiderat bereit.

[66]Vgl. Kpt. 4.3.3.1., Anm. 455 & 456 dieser Arbeit, S. 80.

[67]Barnouw: Träume, S. 9.

[68]Geschichte 2009: S. 23, 1971: S. 26, History: S. 16.

[69]Kessler, Michael: Entschleiern und Bewahren. Siegfried Kracauers Ansätze für eine Philosophie und Theologie der Geschichte, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. von Michael Kessler und Thomas Y. Levin, Tübingen 1990, S. 105-128, S. 124.

[70]Vom 28. Oktober 1962, Marbacher Magazin, S. 119.

[71]Adorno, Theodor W.: Der wunderliche Realist, in: Ders: Noten zur Literatur III, Frankfurt am Main 1965.

[72]Lenssen, Claudia: Die >>Klassiker<< Die Rezeption von Lotte H. Eisner und Siegfried Kracauer, in: Recherche : Film. Quellen und Methoden der Filmforschung, hrsg. v. Hans-Michael Bock und Wolfgang Jacobsen, München 1997, S. 67-82, S. 75.

[73]Ebd.

[74]Adorno: Der wunderliche Realist, S. 108.

[75]Belke, Ingrid: Identitätsprobleme Siegfried Kracauers (1889-1866), in: Deutsch-jüdisches Exil: das Ende der Assimilation? Identiitätsprobleme deutscher Juden in der Emigration, hrsg. v. Wolfgang Benz u. Marion Neiss, Berlin 1994, S. 45-64, S. 45. Auch an anderer Stelle behauptet sie eine völlige Identifikation von Autor und und Figur. Vgl. Belke, Ingrid: Siegfried Kracauer als Beobachter der jungen Sowjetunion, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. von Michael Kessler und Thomas Y. Levin, Tübingen 1990, S. 17-38, S. 20.

[76]Oschmann, Dirk: Auszug aus der Innerlichkeit. Das literarische Werk Siegfried Kracauers, Heidelberg 1999, S. 79.

[77]Ebd., S. 78. Dieser Tendenz folgend: Haenlein, Leo: Der Denk-Gestus des aktiven Wartens im Sinn-Vakuum der Moderne. Zur Konstitution und Tragweite des Realitätskonzeptes Siegfried Kracauers in spezieller Rücksicht auf Walter Benjamin, Frankfurt am Main 1966; Schivelbusch, Wolfgang: Intellektuellendämmerung. Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den 20er Jahren, Frankfurt am Main 1982; Richard, Udo: Zur Subjektproblematik in den Romanen Ginster und Georg von Siegfried Kracauer, Bamberg 1993 (Unveröff. Diplomarbeit); Winkler, Michael: Über Siegfried Kracauers Roman Ginster mit einer Coda zu Georg, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. v. : Michael Kessler u. Thomas Y. Levin, Tübingen 1990. Hinsichtlich der methodologischen Illegitimität dieses Ansatzes resümiert Oschmann: "Da weder der Roman das Leben erklärt, noch das Leben gar den Roman, entzieht sich der ästhetische Gehalt […] einem Analyseverfahren, welches über den positivistischen Ausweis von Parallelen zwischen Leben und Werk nicht hinausgelangt, weil es Rohstoff und Produkt verwechselt." Oschmann: Auszug, S. 80.

[78]Witte, Karsten: Siegfried Kracauer im Exil, in: Exilforschung. Bd. 5 (1987): Fluchtpunkte des Exils und andere Themen, hrsg. v. Thomas Koebner u.a., München 1987, S. 135-149, S. 138.

[79]Vgl. Reil, Harald: Siegfried Kracauers Jacques Offenbach. Biographie - Geschichte - Zeitgeschichte, New York 2003, S. 50.

[80]Vgl. Steinmeyer, Georg: Siegfried Kracauer als Denker des Pluralismus. Eine Annäherung im Spiegel Hannah Arendts, Berlin 2008, S. 13ff. Kracauer bewegte sich zwar in relativer Nähe zu allgemeinen Denkströmungen des 20. Jahrhunderts, bewahrte dabei aber eine Autonomie in seinem Denken, die sich eher in einem Verhältnis der Distanz oder des Dissens dazu ausformuliert. Vgl. Ebd., S. 16. Martin Jay, der sich für die Einschätzung der Massenkultur deutscher Intellektueller in der Emigration interessiert, wählt gerade vor diesem Hintergrund einen Vergleich der Positionen von Horkheimer und Kracauer. "Weil das, wofür jeder der beiden stand, dermaßen unterschiedlich ist, wird eine Gegenüberstellung nützlich sein, um die ganze Spannweite der Positionen der Emigranten zur Massenkultur zu erfassen." Jay, Martin: Massenkultur und deutsche Emigration. Der Fall Max Horkheimer und Siegfried Kracauer, in: Exil - Wissenschaft - Identität. Die Emigration deutscher Sozialwissenschaftler 1933-1945, hrsg. v. Ilja Srubar, Frankfurt am Main 1988, S. 227-251, S. 229.

[81]Brodersen, Momme: Siegfried Kracauer, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 15.

[82]Kracauer als der Exterritoriale; dieses Motiv hat sich nahezu verselbstständigt. Für Martin Hoffmann erscheint er gar als "ein Emigrant, lange bevor man ihn in die Emigration getrieben hatte." Martin Hoffman, S. 19.

[83]Lenssen, S. 78.

[84]Mülder-Bach, Inka: Schlupflöcher. Die Diskontinuität des Kontinuierlichen im Werk Siegfried Kracauers, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. von Michael Kessler und Thomas Y. Levin, Tübingen 1990, S. 249-266, S. 263.

[85]Ebd.

[86]Vgl. Hirai, Tadashi: Siegfried Kracauer und „die Geschichte - vor den letzten Dingen“ und die Sprache des „Vorraums“, in: Doitsu Bungaku (2001), N. 106, S. 12-23, S. 22.

[87]Ebd.

[88]Ebd.

[89]Ebd.

[90]Korta, Tobias F.: Geschichte als Projekt und Projektion. Walter Benjamin und Siegfried Kracauer zur Krise des modernen Denkens, Frankfurt am Main 2001, S. 33.

[91]"Siegfried Kracauers Beschäftigung mit Geschichte ist vorwiegend erkenntnistheoretisch intendiert mit geschichtspolitischen und geschichtstheologischen Konsequenzen." Ebd., S. 32.

[92]Denn in dem Maße, wie sich der Einschätzung Kortas nach Kracauers Denken als Reaktion der Zeiterfahrung einer schwierigen Moderne aus eben dieser herausbewegt, alsbald es sich von der Idee einer absoluten Wahrheit entfremdet und eine vermittelnde Position "zwischen der noch unverstandenen lebensweltlichen Empirie und den Fragen um die letzten Dinge"einnimmt, wird Kracauers geschichtsphilosophische Entwicklung im Sinne einer die Moderne überwindende Epistemologie virulent. Ebd., S. 33.

[93]Vgl. Ebd., S. 36, siehe auch: Ders.: Siegfried Kracauer (1989-1966) >Long-shots< und >Close-ups< der materialen Wirklichkeit, in: Culture Club II. Klassiker der Kulturtheorie, hrsg. v. Martin Ludwig Hofmann, Tobias F. Korta und Sibylle Niekisch, Frankfurt am Main 2006, S. 38-60, S. 45f.

[94]Korta 2001, S. 35.

[95]Ebd., S. 33.

[96]Geschichte 2009: S. 154ff, 1971: S. 133ff, History: S. 139ff.

[97]Kreuzer, Johann: Augenblick und Zeitraum. Zur Antinomie, in: Siegfried Kracauer. Neue Interpretationen, hrsg. v. Michael Kessler u. Thomas Y. Levin, Tübingen 1990, S. 159-170.

[98]Vgl.: Ueding, Gert: Erzählte Geschichte - Über einige rhetorische und ästhetische Aspekte von Kracauers Geschichtsphilosophie, in: Aufklärung über Rhetorik. Versuche über Beredsamkeit, ihre Theorie und praktische Bewährung, Tübingen 1992, S. 203-212, S. 204 & 206.

[99]Vgl., Ebd., S. 210.

[100]Barnouw: Träume, S. 8.

[101]Geschichte 2009: S. 23, 1971: S. 26!, History: S. 16.

[102]Ebd.

[103]Geschichte 2009: S. 22f, 1971: S. 26!, History: S. 15.

[104]Geschichte 2009: S. 23, 1971: S. 26!, History: S. 15.

[105]Vgl. Geschichte 2009: S. 23, 1971: 26!, History: S. 16.

[106]Geschichte 2009: S. 23, 1971: S. 26!, History: S. 16.

[107]Aber dennoch ist sie permanent in der Gegenwart wirksam, da "Materialien wie Gebräuche, Riten, gewisse Institutionen, ständig wiederkehrende Routinetätigkeiten und Ähnliches gemein-sam bei der Bildung des Hintergrundes unserer gesellschaftlichen Existenz [wirken]." Geschichte reicht solchermaßen als "Überbleibsel aus vergangenen Tagen der Erregung und Inspiration […]", als "Sedimente oder Vereinbarungen, die für laufende Unternehmungen zu treffen waren […]", unmittelbar in die Gesellschaft hinein. Geschichte 2009: S. 31, 1971: S. 32f!, History: S. 23f.

Fin de l'extrait de 109 pages

Résumé des informations

Titre
Seltsame Macht des Unterbewussten. Die Geschichte im Werk Siegfried Kracauers
Université
Humboldt-University of Berlin  (Wissenschaftsgeschichte)
Note
1,7
Auteur
Année
2010
Pages
109
N° de catalogue
V265842
ISBN (ebook)
9783656555605
ISBN (Livre)
9783656555797
Taille d'un fichier
1199 KB
Langue
allemand
Mots clés
Geschichte, Geschichtstheorie, Wissenschaftsgeschichte, History, Siegfried Kracauer, the last things before the last, Theorie der Geschichte, Theorie, Erkenntnistheorie
Citation du texte
Tim Othmar Schintlholzer (Auteur), 2010, Seltsame Macht des Unterbewussten. Die Geschichte im Werk Siegfried Kracauers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265842

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