In der Berichterstattung über das politische Geschehen in der Türkei bemühen deutsche Medien seit einigen Jahren regelmäßig das urdeutsche Wort vom „Kulturkampf“, um die Auseinandersetzung zwischen islamischen und säkularen Kräften im Land zu umschreiben. Anders als im Deutschen Reich zu Bismarcks Zeiten befinden sich jedoch in der Republik Türkei die „Säkularen“ seit dem Wahlsieg der islamisch-konservativen AKP 2002 durchgehend in der Defensive. Selbst die türkischen Streitkräfte als traditionelle Verfechter des Laizismus gelten mittlerweile nicht mehr als unantastbar.
Doch handelt es sich, wie es die Kulturkampf-Rhetorik nahe legt, ausschließlich um einen Kampf darum, ob Religion in der Politik eine Rolle spielen darf oder nicht? Denn die von der AKP hinterfragte Gründungsideologie der Republik Türkei, der Kemalismus, umfasst wesentlich mehr als nur einen strikten Laizismus. Auf der anderen Seite haben die „Islamisten“ sich bereits vor Beginn der der Beitrittsverhandlungen zur EU immer wieder an Reformen in Bereichen herangewagt, die mit Religion wenig bis gar nichts zu tun haben – etwa in Bezug auf die Rechte für die kurdische Minderheit im Land oder in Hinblick auf die Medienregulierung. Es liegt daher nahe, in Bezug auf die Türkei weniger von einem Kulturkampf mit seinem starren Fokus auf eine Auseinandersetzung zwischen Laizisten und Religiösen zu sprechen, sondern weiter gefasst von einem „Kampf der politischen Kulturen“, bei dem der Streit um die Rolle der Religion nur einen (wenngleich zentralen) Aspekt darstellt.
Es soll daher in dieser Arbeit versucht werden, sich einem Teilgebiet der innenpolitischen Auseinandersetzungen – der Medienpolitik – mit dem Konzept der politischen Kultur anzunähern. In der Form, wie sie von Almond und Verba 1963 vorgestellt wurde, gilt das Konzept zwar heute nicht mehr als „en vogue“ – Kritik daran zielt etwa häufig auf die mangelnde Fähigkeit zur Erklärung politischer Entwicklungen ab. Es bietet mit seiner Typologie politischer Kulturen jedoch weiterhin ein plausibles und handhabbares Instrument zur Beschreibung politischer Systeme. Unter ergänzendem Einbezug weiterer Theorien erscheint es zudem durchaus möglich, den „klassischen“ Ansatz auch zur Erklärung konkreter politischer Prozesse zu nutzen. Dieser Versuch soll mit der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die türkische Medienpolitik gewagt werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Fragestellung
2. Aufbau der Arbeit
3. Literaturbericht
4. Abkürzungsverzeichnis
II. Theoretische Grundlagen – Das Konzept Politische Kultur
1. Der Ansatz von Almond und Verba
2. Weiterführende Überlegungen
2.1 Das AGIL-Schema
2.2 Die Stabilisierung politischer Kultur und die Rolle der Medien(politik)
3. Zwischenfazit: Politische Kultur und Medienpolitik
III. Politische Kulturen und Medienpolitik in der Türkei –
Die parochiale politische Kultur des Kemalismus
1. Der Aufstieg Mustafa Kemals
2. Die Grundzüge des Kemalismus
3. Medienpolitik in der Ära Atatürk (von 1923 bis 1938)
4. Medienpolitik in der Zeit der Militärinterventionen (bis 1983)
5. Zwischenfazit: Die „kemalistische“ Medienpolitik und deren Resultate
IV. Politische Kulturen und Medienpolitik in der Türkei –
Die Untertanenkultur des Politischen Islams
1. Der Politische Islam in der Türkei – Grundzüge und Entwicklung
2. Medienpolitik in der Ära Özal (zwischen 1983 und 1991)
3. Medienpolitik in der „Zwischenperiode“ (von 1991 bis 2002)
4. Medienpolitik während der Regierungszeit der AKP (ab 2002)
5. Zwischenfazit: „subject culture“ und Medienpolitik von 1983 bis heute
V. Empirische Befunde – die politische Kultur der Türkei im Wandel?
VI. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
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