Die Neurobiologie gilt als die neue Leitwissenschaft unserer Zeit. Aufgrund schneller Fortschritte in der neurobiologischen Fortschritte wird das Wissen über die Funktionsweise des Gehirns permanent vermehrt. Die aktuellen neurobiologischen Erkenntnisse werden vielfach diskutiert, idealisiert oder auch kritisiert. Die Hirnforschung, als neuzeitliche Wissenschaft revidiert aktuell unser geisteswissenschaftlich geprägtes Menschenbild. “Der Mensch als “handelndes selbstbestimmtes Subjekt” wird durch Ergebnisse der neurobiologischen Forschung in Frage gestellt. “Dies schließt insbesondere eine Nivellierung der ursprünglich fundamentalen Unterschiede zwischen dem Menschen und der belebten und unbelebten Natur ein” (Pauen 2007, 41).
Natürlich können durch naturalistische Erklärungsmuster Akzente und Nuancen in der menschlichen Eigenwahrnehmung verändert werden. Ob neurobiologische Erkenntnisse unser Menschenbild verändern hängt nicht zuletzt davon ab, was wir als Erklärungsmuster akzeptieren und unter welchen Gesichtspunkten wir Experimente, wie das Libet-Experiment, interpretieren. Die wissenschaftliche Erörterung darüber, ob der Mensch ein selbstbestimmtes Wesen oder durch neuronal-determinierte Abläufe gesteuert ist, sorgt insbesondere unter Psychologen, Philosophen, Theologen und Neurologen für teils sehr emotionsgeladene Diskussionen.
Die bis dato sozialwissenschaftlich ausgerichtete Pädagogik hält sich bisher, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Neurobiologie, zurück. Großes pädagogisches Interesse an Ergebnissen der Hirnforschung besteht insbesondere im Bereich der Themen Bildung und Lernen. Man erhofft sich aufgrund gewonnener Kenntnisse hilfreiche Hinweise, um Lernprozesse und pädagogischen Förderungsbedarf effizienter gestalten zu können. “Die Heilpädagogik erhofft sich von differenzierteren hirnorganischen Befunden mehr diagnostische Aussagekraft und dadurch ein besseres Verstehen dieser Kinder, z.B. bei dem immer häufiger beobachteten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) oder Kinder mit Autismus” (vgl. Speck 2008, 12).
Eine intensive pädagogische Auseinandersetzung mit dem neurobiologischen Menschenbild hat bisher nicht stattgefunden. Dabei beeinflusst das der Pädagogik allgemein zugrundeliegende Menschenbild maßgeblich die pädagogische Haltung und hat erheblichen Einfluss auf pädagogische Zielsetzungen und Interventionen [..]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Menschenbilder
- Das geisteswissenschaftliche Menschenbild
- Das naturalistische Menschenbild
- Auf dem Weg zu einem neuronalem Menschenbild?
- Das neuronale Menschenbild nach Roth
- Willensfreiheit als Tatsache oder lediglich ein Gefühl?
- Das Libet-Experiment als Beweis für eine nicht existente Willensfreiheit?
- Der neurobiologische Determinismus und die persönliche Schuldfrage
- Der Homo neurobiologicus nach Roth
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert das neurobiologische Menschenbild, insbesondere die Thesen von Gerhard Roth, und untersucht dessen Auswirkungen auf das traditionelle geisteswissenschaftliche Menschenbild und die erziehungswissenschaftliche Praxis. Der Fokus liegt auf der Frage, ob der Mensch tatsächlich über einen freien Willen verfügt oder ob seine Handlungen durch neuronale Prozesse determiniert sind.
- Das geisteswissenschaftliche und naturalistische Menschenbild
- Die Rolle der Neurobiologie im Verständnis von Willensfreiheit und Determinismus
- Der Einfluss neurobiologischer Erkenntnisse auf das Verständnis von Verantwortung und Schuld
- Das Konzept des "Homo neurobiologicus" und dessen Auswirkungen auf die Erziehungswissenschaft
- Die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen eines neurobiologisch geprägten Menschenbildes
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die aktuelle Bedeutung der Neurobiologie im Kontext des Menschenbildes. Sie zeigt auf, wie neurobiologische Erkenntnisse unser Verständnis von Menschlichkeit und insbesondere von Willensfreiheit in Frage stellen.
Der erste Teil der Arbeit widmet sich den verschiedenen Menschenbildern. Zunächst wird das geisteswissenschaftliche Menschenbild vorgestellt, das den Menschen als freies, selbstbestimmtes Subjekt mit Willensfreiheit und Verantwortung definiert. Anschließend wird das naturalistische Menschenbild beleuchtet, welches den Menschen als Produkt der biologischen Evolution und durch seine Umwelt determiniert betrachtet. Schließlich wird die Frage aufgeworfen, ob neurobiologische Erkenntnisse zu einem neuen, neuronalen Menschenbild führen.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem neuronalen Menschenbild nach Gerhard Roth. Roth argumentiert, dass Willensfreiheit eine Illusion ist und dass unser Handeln durch neuronale Prozesse determiniert wird. Er stützt seine These auf das Libet-Experiment und zeigt, dass unser Gehirn bereits Entscheidungen vorbereitet, bevor wir uns ihrer bewusst werden. Roth diskutiert die Folgen dieser Erkenntnisse für das Verständnis von Verantwortung und Schuld und stellt das Konzept des "Homo neurobiologicus" vor, das den Menschen als biologisch determiniertes Wesen begreift.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen das neurobiologische Menschenbild, Willensfreiheit, Determinismus, Autonomie, Verantwortung, Schuld, Homo neurobiologicus, Erziehungswissenschaft, Bildung und Gesellschaft. Der Text untersucht die Frage, inwieweit neurobiologische Erkenntnisse unser Verständnis von Menschlichkeit und insbesondere von Willensfreiheit beeinflussen und welche Konsequenzen sich daraus für die erziehungswissenschaftliche Praxis ergeben.
- Arbeit zitieren
- Claudia Eichenberg (Autor:in), 2012, Die Illusion der Willensfreiheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267010