Schulentwicklung und Lehrerprofession


Seminar Paper, 2003

38 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffliche Klärungen und theoretische Grundlagen
2.1. Gesellschaftlicher Bezug
2.2. Schulentwicklung
2.3. Lehrerprofession und -professionalität

3. Ilona Esslinger: Berufsverständnis und Schulentwicklung: ein Passungsverhältnis?.
3.1. Methodisches Vorgehen
3.2. Die empirische Untersuchung und ihre Ergebnisse
3.2.1. Kooperieren
3.2.2. Planen
3.2.3. Innovieren
3.2.4. Evaluieren
3.2.5. Lernen
3.3. Ergebnisse hinsichtlich Schulentwicklung und Lehrerprofession
3.4. Persönliche Kritik

4. Petra Herzmann: Professionalisierung und Schulentwicklung
4.1. Methodisches Vorgehen
4.2. Durchführung und Ergebnisse der Untersuchung
4.2.1. Die 'Profilbroschüre'
4.2.2. Die sechs Einzelfälle
Fall 1
Fall 2
Fall 3
Fall 4
Fall 5
Fall 6
4.3. Ergebnisse hinsichtlich Schulentwicklung und Lehrerprofession
Fachverständnis
Pädagogisches Selbstverständnis
Professionalisierung
4.4. Persönliche Kritik

5. Vergleich und kritische Würdigung
5.1. Untersuchungsvoraussetzungen
Gesellschaftlicher Wandel
Schulentwicklung
Lehrerprofession
5.2. Untersuchungsergebnisse
Das Kooperationparadigma
Profession und Professionalisierung
Erziehung zur Selbstständigkeit
Schulentwicklung als Organisations- oder Unterrichtsentwicklung?

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die massenmediale Aufarbeitung der Ergebnisse der PISA-Studien ist ein plakatives Beispiel für das öffentliche Interesse an Schule. Verschiedene Ansatzpunkte wurden zur Lösung des 'PISA-Problems' vorgeschlagen: Versagen von Bildungspolitik, elternverantwortete Erziehungsdefizite bei Schülern1, Kompetenz- und Motivationsprobleme von Lehrern oder Strukturprobleme im Schulsystem

Obwohl es wahrscheinlich nur sehr bedingt möglich ist, die Wirkung von Änderungen einer Teilkomponente eines komplexen Systems auf das Gesamtsystem vorherzusagen, scheint es mir trotzdem vertretbar, eine Komplexität reduzierende Entscheidung den Überlegungen voranzustellen: Thema der Arbeit seien die hauptamtlichen Träger schulischer Interaktion, also die Lehrer.

Und wenn es stimmt, was Niklas Luhmann über unser Wissen über die Gesellschaft sagt, dass wir nämlich alles „was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen [...] durch die Massenmedien“ (Luhmann 1996, S. 9) wissen, dann haben die Lehrer und die Gesellschaft ein Problem miteinander.

„Besonders schlecht kommen Lehrer in der Presse weg. Hier sind die Urteile und Zu- schreibungen zu 75 Prozent negativ. Das am häufigsten verwendete Adjektiv heißt 'überfordert', dicht gefolgt von 'faul'. Die 25 Prozent positiver Beurteilungen fallen dagegen kaum ins Gewicht, schon deshalb, weil sie meist im Konditional verpackt sind: Der Lehrer müsste (sollte, könnte) engagiert (kompetent, selbstsicher, motiviert) auftre- ten.“ (Etzold 2000, S.41).

Demgegenüber finden sich auch Zeitungsartikel (als Beispiele massenmedialer Kom- munikation), die eine mögliche Veränderung zum Positiven zum Thema haben. Hans- Günter Rolff träumt einen „Traum von einer Lehranstalt“, fordert mehr „Freiheit und Lust am Lernen, mehr Kontrolle und Wettbewerb“ und wagt einen „Blick in den Stundenplan der Zukunft“ (vgl. Rolff 2002). Hilbert Meyer möchte in der „Erhöhung der Präsenzpflicht [...] die entscheidende Zäsur in der Schulentwicklung der Pisa-Ge- winnerländer“ sehen, auch wenn es als Reaktion daraufhin „ein gewisses Aufjaulen“ gegeben hätte (vgl. Heyduck 2003).

Hiermit ist auf ein Themenspektrum verwiesen, dessen Bearbeitung in der pädagogisch- wissenschaftlichen Dikussion unter dem Schlagwort 'Schulentwicklung' zu- sammengefasst wird. Neben der willkürlichen Einschränkung auf Lehrer als Objekte einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion um Schule ist damit eine zweite Perspektive erschlossen, die das Thema der Arbeit weiter präzisiert: Welche Rolle oder Funktion übernehmen Lehrer in der Schulentwicklung? Welche Anforderungen stellt Schulentwicklung an Lehrertätigkeit und -ausbildung?

Anhand zweier empirischer Forschungsarbeiten soll exemplarisch beschrieben werden, wie in aktuellen pädagogischen Forschungsarbeiten mit dem genannten Thema umge- gangen wird. Zum einen, die in ihrer Hauptuntersuchung quantitative Studie von Ilona Esslinger: „Berufsverständnis und Schulentwicklung: ein Passungsverhältnis? Eine em- pirische Untersuchung zu schulentwicklungsrelevanten Berufsauffassungen von Lehre- rinnen und Lehrern.“ Zum anderen die qualitative Studie von Petra Herzmann: „Professionalität und Schulentwicklung. Eine Fallstudie über veränderte Handlungsan- forderungen und deren kooperative Bearbeitung.“ Illona Esslinger-Hinz ist Realschul- lehrerin und Diplompädagogin. Sie ist derzeit Dozentin am Institut für Erziehungs- wissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Petra Herzmann ist Juniorprofessorin an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes im Be- reich Erziehungswissenschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Schulentwicklungsfor- schung, Professionalisierungsforschung, Methoden qualitativer Sozialforschung und Kommunikationspsychologie in pädagogischen Kontexten.

Methodisch soll sich dem Thema in einem Dreischritt genähert werden. Zunächst scheint es angemessen einige Vorüberlegungen zu tätigen, um sicherzustellen, dass von einer ausreichend abstrakten Theoriebasis für beide Untersuchungen ausgegangen werden kann. Nachfolgend werden die Studien von Esslinger und Herzmann dargestellt, deren Ergebnisse anschließend kritisch gewürdigt werden sollen.

2. Begriffliche Klärungen und theoretische Grundlagen

Um einen Vergleich zweier Arbeiten durchführen zu können, ist zunächst zu klären, ob die Diskussion auf gemeinsamen Ebenen geführt werden kann. Hierzu möchte ich die beiden für den Untersuchungszusammenhang relevanten Theoriebereiche 'Schulentwicklung' und 'Lehrerprofession' grundlagentheoretisch einführen und ihre Verwendung in den beiden Arbeiten als Voraussetzungen der weiteren Untersuchung vorstellen. Als Ausgangspunkt soll eine Verbindung zu 'Gesellschaft' als allgemeine Bezugsgröße und Rahmen der Diskussion hergestellt werden.

2.1. Gesellschaftlicher Bezug

Sowohl Esslinger als auch Herzmann sehen Schulentwicklung als eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Damit wird Schulentwicklung in einen direkten gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gestellt. Beide Autorinnen beziehen sich auf Klafkis „epochaltypische Schlüsselprobleme“2 (vgl. Klafki 1996), zu denen Klafki zunächst lapidar feststellt: „Bildungsfragen sind Gesellschaftsfragen“ (S. 49). Damit sei allerdings nicht auf ein eindimensionales Wirkungsprinzip, sondern auf einen gegenseitigen Bezug von Gesellschaft und Bildung hingewiesen.

„Der Bildungstheorie und Bildungspraxis werden die Möglichkeiten und Aufgaben zugesprochen, auf gesellschaftliche Verhältnisse und Entwicklungen nicht nur zu rea- gieren, sondern sie [...] zu beurteilen und mitzugestalten.“ (S. 50 f.). Welche Probleme als 'epochaltypisch' anzusehen sind, sei daran festzumachen, dass der jeweils angesprochene Problemkomplex in die Zukunft verweise (vgl. S. 60). Seiner Struktur nach handele es sich um Probleme „von gesamtgesellschaftlicher, meistens so- gar übernationaler bzw. weltumspannender Bedeutung [...], die gleichwohl jeden einzel- nen zentral betreffen.“ (ebd.). Als Beispiele nennt Klafki die 'Friedensfrage' , die 'Um- weltfrage' , das 'unbewältigte Zentralproblem gesellschaftlich produzierter Ungleichheit' oder Gefahren und Möglichkeiten technischer Medien (vgl. S. 56 ff.). Zwar setze ein an Schlüsselproblemen orientiertes Bildungskonzept einen grundsätzlichen Konsens hin- sichtlich des Ausgangspunkts voraus, werde in der konkreten Umsetzung aber dennoch „durch höchst individuelle weltanschauliche Grundentscheidungen bedingt“ (S. 61), denen eine Heterogenität von Lösungswegen und -zielen entspreche (vgl. ebd.). Hiermit sei keine Beliebigkeit im Bewertungsmaßstab gemeint. Vielmehr werde als allgemeines Ziel die Entwicklung eines 'differenzierten Problembewußtseins' benannt, zu dem Kri- tik- und Argumentationskompetenzen (als Bereitschaft und Fähigkeit) nötig wären (vgl.

S. 63). Weiter ergebe sich „zwingend aus neueren Zeit- und Gesellschaftsanalysen“ (ebd.) die Betonung von „Empathie im Sinne der Fähigkeit, eine Situation [...] aus der Lage des jeweils anderen [...] sehen zu können“ (ebd.) sowie die Bereitschaft und Fähigkeit zu vernetzendem Denken (vgl. ebd.).

Ob die Autorinnen diesem Theoriekonzept in Gänze zustimmen würden, lässt sich leider nicht explizit nachweisen, da die Hinweise zum gesellschaftlichen Bezug häufig nur eingestreut und diesbezüglich keine eigenen Konzepte vorgestellt werden. Vermut- lich kommt damit die Ansicht zu Tage, dass gesellschaftlicher Wandel ohne Nachweis- verpflichtung vorausgesetzt werden kann. So stellt Esslinger zwar fest, dass über ein Drittel der von ihr befragten Lehrer „keinerlei Veränderungen“ (Esslinger 2002, S. 217) feststellen könnten, „obwohl sie zwangsläufig täglich mit diesen Veränderungen zu tun haben müssen“ (ebd.); denn „der Wandel selbst kann nicht bestritten werden“(S. 218). Parallel zu Klafki sieht Esslinger gesellschaftlichen Wandel in veränderten Lebenssitua- tionen von Schülern, in gesamtgesellschaftlichen Entwicklungprozessen und in neuen Wissenserkenntnissen (vgl. S. 107) gegeben. Schule müsse „auf gesellschaftliche Er- fordernisse rasch und angemessen [...] reagieren“ (S. 105), dürfe dem gesellschaftlichen Wandel aber nicht hinterherhinken (vgl. S. 11). Hiermit könnte auf den gegenseitigen Bezug von Schule und Gesellschaft hingewiesen sein. Als problematisch erweist sich für Esslinger die relative 'Künstlichkeit' von Schule, die „kein naturwüchsiges Element gesellschaftlicher Entwicklung darstellt“ (S. 107). Auch nach Herzmann „kann als unbe- stritten gelten, dass infolge gesellschaftlicher und kultureller Modernisierungsprozesse schulische Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten“ (Herzmann 2001, S. 9). Im Zuge gesellschaftlichen Wandels erscheine Schule im Modernitätsrückstand, als 'relikt- haftes Fossil' (vgl. S. 16). Hiermit gehe ein „Bedeutungsverlust von Schule“ (ebd.) einher.

Beide Autorinnen problematisieren die Frage nach dem 'richtigen' Umgang mit gesell- schaftlichen Wandlungsprozessen und verweisen zur Lösung implizit3 auf Schul- entwicklung.

2.2. Schulentwicklung

Unter Schulentwicklung verstehen die Autorinnen einen speziellen Zugang zur Debatte um eine Veränderung von Schule zum Besseren, der sich von Entwicklungsprozessen, die sich auf Schulpolitik oder auf das Schulsystem als Ganzes beziehen, abgrenzt. Charakteristisch ist der ausdrückliche Bezug auf die Einzelschule als Handlungseinheit, wie er von Fend4 (vgl. Fend 1986) formuliert worden ist. Fend vergleicht Schulen krite- rienbasiert (vgl. S. 276 ff.) und kommt „in Abgrenzung zu Auswirkungen von Bil- dungssystemen bzw. von Folgen einzelnen Lehrerhandelns“ (S. 276) zu dem Ergebniss, „daß der einzelnen Schule als pädagogische Handlungseinheit eine große Bedeutung zu- kommt“ (S. 275).

Esslinger beschreibt Schulentwicklung anhand eines Grundkatalogs von Begriffen: In- novieren, Kooperieren, Evaluieren, Lernen und Planen seien die unbestreitbare Minimalbasis jeder Schulentwicklung (vgl. Esslinger 2002, S. 21 ff.), so dass Esslinger zu dem zusammenfassenden Urteil gelangt: „Schulentwicklung heißt, dass die Mitglieder eines gesamten Kollegiums in Kooperation eine gemeinsam verantwortete Gestalt von Schule entwickeln und verwirklichen. Dieser Prozess ist auf Dauer angelegt, geplant und wird immer wieder evaluiert. Dabei finden Lernprozesse durch und über die ge- meinsame Entwicklungsarbeit statt. Das Ziel von Schulentwicklungspro- zessen besteht darin, sich der Aufgaben der Schule zu vergewissern, sie besser zu erfüllen und die Qualität des Arbeitslebens für alle, die am Schulleben beteiligt sind, zu erhöhen.“ (Esslinger 2002, S. 23).

Dem scheint auch Herzmann grundsätzlich zustimmen zu können, da ihrer Meinung nach „in sämtlichen Schulentwicklungskonzepten die Gestaltung von Schule als ein Zu- sammenspiel der Entwicklung der Institution, der Institutionsmitglieder und“ - womit Herzmann auf einen Bereich verweist, den Esslinger nur unter ganz bestimmten Be- dingungen mit einbezogen sehen möchte5 - „der Veränderung von Unterricht definiert wird“ (Herzmann 2001, S. 22). Für Herzmann ist der Bereich der Unterrichtsentwick- lung sogar zentral:

„Diese Konzentration [auf die unterrichtsbezogenen Reflexionen der Lehrer] nimmt das im Schulentwicklungsprozess Profiloberstufe zentrale Motiv und den zentralen Gegenstand des Entwicklungsvorhabens auf: die Unterrichtsentwicklung.“ (Herzmann 2001, S. 11).

Esslinger stellt dagegen fest: „Schulentwicklung basiert auf Erkenntnissen der Organisa- tionsentwicklung“ (Esslinger 2002, S. 19). Ob diese grundsätzliche Perspektivendiffe- renz einen Einfluss auf die Untersuchungsergebnisse hat, wird sich im weiteren Verlauf zeigen müssen.

Die Perspektive auf die Einzelschule nimmt die hauptamtlichen Akteure in den Fokus: Die Lehrer6. Hiermit ist auf die Berufsausübung, die Lehreraus- und -weiterbildung, die

2.3. Lehrerprofession und -professionalit Ät

Beide Autorinnen fassen Lehrerprofessionalität im Anschluss an Terhart8 als „berufsbio- grafisches Entwicklungsproblem“ auf (vgl. Terhart 1999, S. 452)9. Terhart konstatiert zunächst einen mehrfachen Mangel (vgl. Terhart 1992, S. 123 ff.). Lehrerprofession sei einerseits unsachgemäß verkürzt mit Verwissenschaftlichung gleichgesetzt worden. Andererseits hätte aber auch eine sachgemäße Analyse, der Lehrerprofession nur den „Status einer Semi-Profession“ (S. 123) zugebilligt. Für angemessener hält Terhart Ver- suche, „die spezielle Professionalität des Lehrers aus der besonderen Struktur seiner Tä- tigkeit zu definieren“ (ebd.). Gegen ein rein empirisch-normativ begründetes idealty- pisches Lehrerbild, will Terhart den Prozess der individuellen, berufsbiografischen Entwicklung von Professionalität betonen (vgl. S. 124). Hiermit sei neben der negativ begrenzenden Darstellung der „gemessen an pädagogischen Idealen immer schlechte[n] [...] Berufswirklichkeit „ (S. 125) eine den „Prozeß der Entwicklung einer beruflichen Identität“ (ebd.) positiv beschreibende Perspektive gewonnen.

Esslinger betont mit Bezug auf Berufsleitbilder das empirisch-normative Moment (vgl. Esslinger 2002, S. 25 f.): Von der Lehrerschaft selbstgewählte „Leitbilder stellen Orientierungspunkte hinsichtlich des Qualitätsverständnisses der Profession dar“ (S. 26), an deren Entwicklung Lehrer gemeinsam arbeiten müssten (vgl. S. 27). Für Herz- mann ist „die grundsätzlich paradoxe Struktur der Lehrerarbeit“ (Herzmann 2001, S. 19) die Lehrer als das professionelle Personal der Schule zu den Hauptakteuren der Veränderung“ (Herzmann 2001, S. 10).

entscheidendes Merkmal von Lehrerarbeit. Diese „Kernprobleme pädagogischer

Arbeit“10 (ebd.), könnten „nur auf der Grundlage einer ausgebildeten und kollegial weiterentwickelten Reflexionskompetenz bearbeitet werden (ebd.).

Hinsichtlich der Theoriegrundlagen findet sich ein erstaunlich einheitliches Bild, so dass von einer hinreichend übereinstimmenden Vergleichsbasis ausgegangen werden kann. Unterschiede zeigen sich erst in spezifischen Theoriebezügen, auf die in der verglei- chenden Würdigung der Untersuchungsergebnisse bezuggenommen werden soll.

3. Ilona Esslinger: Berufsverständnis und Schulentwicklung: ein Passungsverhältnis?

Ilona Esslingers „empirische Untersuchung zu schulentwicklungsrelevanten Berufsauffassungen von Lehrerinnen und Lehrern“ (Esslinger 2002, S. 3), soll den „Blick für Vorerfahrungen, Einstellungen, Haltungen und Sichtweisen des Berufes, die der Initiierung von Innovationsprozessen und der Reaktion auf Innovationsvorhaben vorausgehen bzw. sie begleiten“ (S. 15), öffnen, aber auch die „Chance, prognostizierbares Scheitern im Vorfeld zu erkennen“ (ebd.) nutzbar machen.

Ausgehend vom oben beschriebenen Professions- und Schulentwicklungsverständnis beginnt Esslinger ihre Untersuchung, indem sie 'Schulentwicklung' in fünf Bereiche ein- teilt: Kooperieren, Planen, Innovieren, Evaluieren und Lernen (vgl. S. 29). Diese Eintei- lung lasse sich zwar nicht empirisch nachweisen (vgl. ebd.), trotzdem gelte: „Keines der Merkmale läßt sich in Zweifel ziehen.“, da sie „aus der möglichen Negation gewonnen“ seien (S. 21). Ziel dieser Einteilung ist es, „Strukturelemente herausschälen zu können“ (S. 292), die „eine Charakterisierung von Auffassungsvoraussetzungen in Hinblick auf Schulentwicklungsprozesse“ (ebd.) leisten. Schlussendlich findet Esslinger ihre gesuch- ten Charakteristika: beispielsweise im grundsätzlich integrativen Lehrerhandeln, im er- zieherischen Selbstverständnis von Lehrkräften oder in der unklaren Struktur des Lehr- erberufs (vgl. S. 295 f.). Folglich müsse „die Lehrerbildung so konzipiert [werden], dass günstige Auffassungsvoraussetzungen als Arbeitsbasis herangezogen werden“ (S. 302) 10 Besondere Berücksichtigung finden bei Herzmann (vgl. Herzmann 2001, S. 35 f.): die 'Routineparado- xie', die auf die sowohl entlastende, aber zur Unterstützung individueller Lernprozesse womöglich un- geeignete Wirkung routinierter Handlungen verweist; die 'Arbeitsteilungsparadoxie', die das problema- tische Zusammenwirken fachbezogener Arbeitsteilung in Hinblick auf einen ganzheitlichen Lernpro- zess betreffe; das 'Rationalisierungsparadoxon', das auf den Gegensatz von Sozialisations- und Selektionsfunktionen hinweise; sowie das 'Zivilisierungsparadoxon', das die Einheit von Diszi- plinierung und Nähesehnsüchten bezeichne.

könnten, die „in der ersten Phase und zweiten Phase der Lehrerbildung grundgelegt werden muss.“ (ebd.) Gelingen könne das aber nur, „wenn Schulentwicklung durch Hochschulentwicklung gestützt wird.“ (ebd.).

3.1. Methodisches Vorgehen

Um Schwächen einer einseitigen Untersuchungsmethode zu mildern integriert Esslinger qualitative und quantitative Ansätze. 18 teilstandardisierte Interviews11 dienten als Grundlage zur Generierung von Fragebogenitems (vgl. S. 33 ff.). Abschließend wurde die Anzahl der Items aus Qualitätserwägungen auf 176 halbiert und die Fragerichtung zur Vermeidung von Antworttendenzen teilweise gewechselt (vgl. S. 45). Neben einer überwiegend sechsstufigen Antwortskala wurde für jede Untersuchungsdimension auch eine offene Antwortmöglichkeit angeboten (vgl. S. 46 f.). Durchgeführt wurde die Un- tersuchung an einer repräsentativen Stichprobe von 723 Lehrern an 24 Realschulen in Baden-Württemberg, von denen sich 22 Schulen an der Untersuchung beteiligten (vgl. S. 52). Von den 672 ausgegebenen Erhebungsbögen konnten 396 ausgewertet werden (vgl. S. 171). Neben quantitativer Analyseverfahren12 wurde zur zusammenfassenden In- terpretation der Erhebungsdaten ein faktorenanalytisches Verfahren verwendet.13 Grundsätzlich räumt Esslinger ein, dass Persönlichkeitsfragebögen „im Ergebnis ein idealisiertes Selbstbild erzeugen“ (S. 45), das sich „nicht konsequent in beobachtbarem Verhalten“ (ebd.) bestätige. Trotzdem seien auch diese idealisierten Selbstbilder „verhaltensrelevant“ (S. 46), da sie als „Wahrnehmungsbrille für alle Interaktionssitua- tionen“ (ebd.) dienten. Die Gefahr den Fragebogen als „Selbstbestätigungsinstrument“ (S. 49) zu verwenden, indem nicht ehrlich, sondern sozial gewünscht geantwortet wird, will Esslinger durch seine Konstruktion gemildert sehen (vgl. S 49). Der Erhebungsbo- gen messe nicht die tatsächlichen Berufsauffassungen von Lehrern, sondern „die Berufs- auffassungen, die die Lehrerinnen und Lehrer zu haben meinen“ (S. 46).

3.2. Die empirische Untersuchung und ihre Ergebnisse

Esslinger stellt die Darstellung der Untersuchungsbereiche den Ergebnissen voran.14 Um Wiederholungen zu vermeiden, soll hier die Darstellung der Bereiche und deren Ergeb- nisse gemeinsam in der jeweiligen Grundkategorie (Kooperieren, Planen, Innovieren, Evaluieren, Lernen) erfolgen. Auf eine Darstellung der „externen Variablen“ (vgl. S.160 ff. und S. 180 ff.) soll verzichtet werden. Der Bezug auf relevante Ergebnisse bezüglich Berufsmotive und -zufriedenheit, des beruflichen Selbstverständnisses und der Identifi- kation mit der Schule soll an jeweiliger Stelle erfolgen. Ebenso soll auf eine Betrach- tung der Kompetenzeinschätzung (vgl. 255 ff.) nur bei Bedarf eingegangen werden. Auf die Beschreibung der Schulen im Vergleich (S. 280 ff.) wird komplett verzichtet, da diese für verallgemeinernde Aussagen in Hinblick auf Lehrerprofession und Schul- entwicklung unwichtig erscheint.15

3.2.1. Kooperieren

Esslinger definiert Kooperation in Bezug auf Schulentwicklung:

"Unter Kooperation wird die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Personen verstanden, welche mit dem Ziel initiiert und durchgeführt wird, die Effek- tivität der Arbeit und die Zufriedenheit bei der Arbeit zu steigern.“ (S. 62).

Allgemein würde Kooperation zwar als zentrales Merkmal der Lehrerarbeit einhellig eingefordert (vgl. S. 59). Trotzdem mache „die Schule durch ihre Strukturen fehlende Kooperation bzw. Einzelarbeit möglich und befördere sie sogar“ (S. 60). Auch eine funktionale Anbindung an Kooperation sei kein Strukturmerkmal von Schule. Vorherr- schend sei vielmehr eine fragmentierte Inselstruktur (vgl. S. 61). Ausgehend von dieser negativen Beschreibung verweist Esslinger auf das Entwicklungspotenzial, das in Ko- operation ste>„Kooperation ist demnach nicht nur das Resultat von funktionalen Arbeitszusammenhängen, sondern auch eine Voraussetzung für deren Weiterentwicklung und Stärkung.“ (S. 61).

[...]


1 Aus Gründen der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit verwende ich das generische Maskulinum als Kollektivbezeichnung.

2 Vgl. Esslinger 2002, S. 107 und Herzmann 2001, S. 151.

3 Esslinger sieht einen 'Wendepunkt' hinsichtlich der Zuständigkeiten für Schulmodernisierung gegeben: ehemals staatliche Verantwortung solle vermehrt auf die Lehrerschaft übertragen werden (vgl. Esslinger 2002, S. 107).

4 Vgl. Esslinger 2002, S. 20 und Herzmann 2001, S. 10.

5 Vgl. Esslinger 2002, S. 251: „Man könnte nun den Schluss ziehen, doch besser bei der Unterrichts- entwicklung einzusetzen. Dieser Vorschlag ist günstig, wenn die Entwicklung dahin geht, dass neue Unterrichtsformen integratives Arbeiten erforderlich macht. Er ist ungünstig, wenn die Unterrichtsentwicklung [...] in die zelluläre Struktur einer Schule eingebettet wird.“

6 „Wenn es nämlich zutrifft, dass einzelne Schulen 'zentrale Gestaltungseinheiten' [...] sind, dann werden Berufserfahrungen und -auffassungen, kurz gesagt auf die Lehrerprofession, ihre Professionalität, ihre Professionalisierung und ihr Professionalisierungsbedürfnis7 hinge- wiesen.

7 Die verschiedenen Begriffe, in denen 'profession' als Bestandteil vorkommt, sollen stets auf den selben Sachverhalt verweisen: Lehrerarbeit sei (auf irgendeine Weise) professionell. Im Hinblick auf gelingende Professionalität kann dann von (bereits erfolgter bzw. noch zu erfolgender) Professio- nalisierung gesprochen werden. Als Mangelbeschreibung wird die jeweilige Situation als Professio- nalisierungsbedürfnis markiert. Mit 'Profession' sei zunächst eine professionell agierende Berufs- gruppe bezeichnet.

8 Vgl. Esslinger 2002, S. 17 und Herzmann 2001, S. 44.

9 An der Stelle, auf die Autorinnen verweisen, findet sich nur ein Hinweis auf einen älteren Aufsatz. Maßgeblich für das hinter dem Begriff stehende Theoriekonzept ist Terharts Aufsatz 'Lehrerberuf und Professionalität', auf den sich die weiteren Ausführungen beziehen.

11 Nach einer Gesprächsaufforderung, wurden den Interviewten Karten mit Obergeriffen präsentiert, zu denen sie in frei gewählter Reihenfolge antworten konnten. Zwischen- und Nachfragen wurden ge- stellt, wenn es „nötig erschien“ (vgl. Esslinger 2002, S. 36 ff.).

12 Z.B. grafische Darstellung von Alterstruktur (vgl. Abb. 12, S. 172), Alterstrukturabhängigkeiten (vgl. Abb. 22, S. 253) oder Antwortverhältnisse einzelner Items (vgl. Abb. 19, S. 231).

13 Dabei diente die verwendete Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation dazu, aus den Ein- zelfragen wenige verallgemeinernde Faktoren zu ermitteln. (vgl. S. 178).

14 'Darstellung der Untersuchungsbereiche' in 'Teil C' (S. 59-169) und 'Darstellung und Interpretation der Daten' in 'Teil D' (S. 170-300) (vgl. S. 6 ff.).

15 Auf ein Ergebnis des Schulvergleichs, nämlich auf die Bedeutung intrakollegialer Differenzierung wird trotzdem hingewiesen werden. Vgl. S. 289: „Die Differenz zwischen den Schulen macht außerdem deutlich, dass die Spannbreite der Positionen innerhalb eines Kollegiums breiter sein kann als die Unterschiede zwischen zwei Schulen.“

Excerpt out of 38 pages

Details

Title
Schulentwicklung und Lehrerprofession
College
University of Göttingen  (Pädagogisches Seminar)
Course
Proseminar Schulentwicklung und Lehrerinnenbiografien
Author
Year
2003
Pages
38
Catalog Number
V26704
ISBN (eBook)
9783638289597
File size
676 KB
Language
German
Notes
Schulentwicklung und Lehrerprofession werden anhand zweier empirischer Arbeiten (eine qualitative, eine quantitative) aufeinander bezogen. Ausgehend von den (erstaunlich homogenen) theoretischen Grundlagen werden die Arbeiten kritisch gewürdigt und die Ergebnisse in die aktuelle Diskussion eingeordnet: Klafkis epochaltypische Schlüsselprobleme, Fends Einzelschulparadigma, Terharts berufsbiografisches Entwicklungsproblem, Bezug von Schule und Gesellschaft ...
Keywords
Schulentwicklung, Lehrerprofession, Proseminar, Schulentwicklung, Lehrerinnenbiografien
Quote paper
Magister Artium Markus Szczesny (Author), 2003, Schulentwicklung und Lehrerprofession, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26704

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Schulentwicklung und Lehrerprofession



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free