Die indigene Bevölkerung im urbanen Raum: Die Mapuche-Frauen in Temuco (1980-1994)


Hausarbeit, 2013

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Mapuche in der Stadt und auf dem Land
2.1. Identität
2.2. Kultur
2.3. Sprache

3. Die Mapuche-Frauen in Temuco
3.1. Selbst- und Fremdbild
3.2. Rechte, Status und Arbeit
3.3. Staatliche Einrichtungen nach der Pinochet-Diktatur

4. Fazit

Literatur

1. Einleitung

Helmut Schindler schreibt über den indigenen, in Chile sesshaften, Stamm der Mapuche und stellt dabei heraus, dass nach einer Volkszählung im Jahr 1992 etwa ein Vierzehntel der vierzehn Millionen Chilenen sich selbst als Mapuche wahrnehmen und die meisten davon in der Stadt leben würden. Dieser Beitrag, der in einer älteren Ausgabe der 'Zeitschrift für Ethnologie' erschienen ist, gibt Anlass für weitere Überlegungen und Nachforschungen, denn er thematisiert, dass durch das Leben in der Stadt ein entschiedener Wandel in der Identifikation der Mapuche stattfgefunden habe. Ziel dieser Arbeit ist es nun die Einflüsse der Stadt als Motor des Wandels für die Mapuche, insbesondere die weiblichen, herauszufinden. Dabei soll außerdem herausgestellt werden, ob die Mapuche-Frauen im urbanen Raum einem rechtlichen, ökonomischen und persönlichen Wandel durch den Wechsel des Regierungssystems zwischen 1980 und 1994 unterlagen, oder nicht.[1]

Das Leben der weiblichen Mapuche im urbanen Raum wird dabei in Abgrenzung zu traditionell ländlich lebenden Mapuche-Frauen betrachtet. Temuco wird hier als Bezugsort gewählt, da es die Stadt einer der größten Populationen von Mapuche sei. Die zeitliche Eingrenzung vom Ende der Diktatur Pinochets bis zu den Anfängen der Demokratie in Chile von 1980 bis 1994 wird unternommen, da die Mapuche erst unter Pinochet zu einem Stadtleben kommen.[2]

Zuerst wird dieser Arbeit eine Basis gegeben, indem die Identität, Kultur und Sprache der Mapuche näher betrachtet werden. Dabei wird zwischen den urbanen und ländlichen Mapuche differenziert. Im folgenden Kapitel erfolgt eine Betrachtung des Lebens der weiblichen Mapuche in Temuco. Das Selbst- und Fremdbild der urbanen Mapuche- Frauen wird dabei zusammen mit den Rechten, dem Status der Mapuche sowie den Arbeitsverhältnissen innerhalb Temucos analysiert. Daraufhin rücken staatliche Einrichtungen nach der Pinochet-Diktatur in den Fokus. Im Anschluss an diese zwei Kapitel folgt das Fazit der Arbeit.[3]

2. Die Mapuche in der Stadt und auf dem Land

2.1. Identität

Die Mapuche sind ein in Chile angestammtes indigenes Volk. Im Jahr 1992 leben ca. 26 Prozent der Mapuche, demnach etwa 38000, in Temuco. Ein Grund für die Auswanderung in die Städte ist die Frage der Versorgung nach der Enteignung des Mapuche-Landes durch die Pinochet-Diktatur. Die Mapuche identifizieren sich als Angehörige der Mapuche durch ihren Nachnamen und Blut in Folge ihrer Geburt.[4] Dieses indigene Volk nimmt sich zwar als Mapuche in Abgrenzung zu Chilenen wahr, aber vielmehr noch als Menschen per se. Die ländlich lebenden Mapuche identifizieren sich außerdem als Bauern, da sie ihre Ländereien bewirtschaften und auf diesen im Familienverband leben. Demnach orientieren sich Mapuche in ihrer eigenen Wahrnehmung an Tätigkeiten und präsenten Umständen.[5]

Das Land, auf dem sie leben, hat weitreichende Bedeutung für die Mapuche.

From a Mapuche perspective, their right to the land stems from their ancestral occupation of the territory. For them, the land has profound cultural, mythical and symbolic meaning; much of their culture, language, knowledge, history, spiritual life and memory are linked to the land and to the natural environment.[6]

Während der Pinochet-Diktatur sollen die Mapuche in das Konstrukt der chilenischen Bevölkerung integriert und ihre Individualität aufgelöst werden. Dabei findet dennoch eine innerpolitische Abgrenzung der Mapuche zu der restlichen chilenischen Bevölkerung statt, da dem indigenen Volk nicht dieselben Rechte eingeräumt werden. Infolge dessen sind die Mapuche durch die gegebenen Umstände gezwungen, eben dieses differenzierende Identitätskonstrukt zu übernehmen.[7]

Innerhalb ihrer familiären Verbände, vor allem wenn sie außerhalb der Stadt leben, haben die Mapuche einen starken Zusammenhalt und unterscheiden traditionell in diesen nicht zwischen den Rechten von Frauen und Männern. Männer und Frauen bilden in der Kultur der Mapuche eine Einheit. Sollten sie jedoch differenziert voneinander betrachtet werden, ist eine traditionelle Aufgabe bzw. ein traditioneller Beruf der weiblichen Mapuche besonders hervorzuheben. Die weiblichen Mapuche werden in der Rolle der 'machi' geschätzt, die meist weiblichen Heiler der Mapuche.[8] Durch das Abwandern der Mapuche in die Städte und die Adaptierung der Gepflogenheiten der chilenischen Gesellschaft sei es laut Richards erst dazu gekommen, dass ein Abfall von den beschriebenen Mapuche- Traditionen möglich ist. Die Schuld werde den Spaniern und Chilenen durch die Mapuche zugewiesen. Darunter falle demnach auch das Konstrukt der Differenzierung zwischen männlichen und weiblichen Mapuche, die in der Kultur der Mapuche eine Einheit bilden. Aus dem traditionellen Blickwinkel ist es folglich nicht sinnvoll Mapuche-Frauen differenziert als eigene Gruppe mit Bedürfnissen und Ansprüchen wahrzunehmen, sondern sie sollten in der Gesamtheit der Mapuche betrachtet werden. Dieses 'westliche Konzept' um ' gender ' sei nicht mit den Traditionen der Mapuche vereinbar und existiere für diese nicht.[9]

Die Frauen der Mapuche kombinieren in ihrer Identität ' gender ' mit einer Rassen-, Klassen- und Nationszugehörigkeit. Von ihrem indigenen Hintergrund aus fühlen sie sich traditionell nicht mit nicht-indigenen nationalen und globalen Frauenbewegungen und dem Begriff des Feminismus verbunden. Die weiblichen Mapuche sollten sich aber auch nicht über Themen der Frauenrechte innerhalb der Mapuche äußern, da dies eine Abspaltung von der traditionellen Einheit von Mann und Frau bedeute, weshalb die Mapuche-Frauen für alle Mapuche gemeinsam sprechen, wie Richards es veranschaulicht. Dennoch wird die betrachtende Differenzierung aufgrund der gewählten spezifischen moderneren Betrachtungsweise, wie sie auch einige urban lebende Mapuche vertreten, in dieser Arbeit fortgesetzt.[10]

2.2. Kultur

Zu der Kultur der Mapuche gehört das gleichwertige Zusammenleben von Frau, Mann und Natur. Sie leben in einem generationsübergreifenden Familienverband und für jede weit verzweigte Familie gibt es ein Oberhaupt, genannt „ lonko[11]. In dieser familiären Gemeinschaft erfahren und lernen die Jüngeren die Traditionen und Lebensweisen der Mapuche von den Älteren. Durch das Leben in der Stadt ist der Erhalt dieser Lebensweise jedoch nicht mehr gegeben, was nach Theil ein Argument der traditionellen Mapuche gegen das Leben im urbanen Raum darstellt.[12]

Im Kontext der urban lebenden Mapuche wünschen sich eben diese traditionell denkenden Mapuche eine Rückeinführung der angestammten Werte. Diese traditionellen Teile der Mapuche-Kultur seien durch den Einfluss der westlichen Welt, wozu Gesetze, Städte und Alkohol zu zählen seien, in Abspaltung geraten. Sie fordern eine erneute Zusammenführung der gleichwertigen Teile der Welt der Mapuche aus Frau, Mann und Natur, demnach die Rückbesinnung auf die eigene Kultur. Die Mapuche-Frauen werden dennoch weiterhin getrennt von den männlichen Mapuche betrachtet, was einem emanzipierten Wertebild entspricht und entgegen den Mapuche- Traditionen Anwendung findet.[13]

Die traditionelle Haltung findet sich treffend in einer Äußerung von Yolanda aus Temuco wieder, der Koordinatorin eines Projektes für Mapuche-Frauen, Gesundheit und Entwicklung:

Mapuche women have their own knowledges, medicine and experience. But feminist foreigners and Chileans come with stereotypes, with the idea that they (Mapuche women) know nothing and impose their own ideas, systems, models and goals on Mapuche women Mapuche women’s worlds, lives, priorities need to be respected. Each community, family has different priorities We have women’s organizations but we don’t work against our men as the feminists do. Both men and women work together for the family, for the community. We do not try to destroy and compete with each other.[14].[15]

[...]


[1] Vgl. Schindler, Helmut: Neuere Fachliteratur über die Mapuche, in: Zeitschrift für Ethnologie 123 (1998), Nr. 1, S. 71.

[2] Vgl. Merino, María E./ Oteíza, Teresa: Am I a genuine Mapuche?. Tensions and contradictions in the construction of ethnic identity in Mapuche adolescents from Temuco and Santiago, in: Discourse & Society 23 (2012), Nr. 3, S. 300.

[3] Innerhalb der Kapitel wird nur der Zeitraum von 1980 bis 1994 betrachtet und besonderes Augenmerk auf die weiblichen Mapuche gelegt. Als Sprache dient das (historische) Präsens, da die Ungerechtigkeiten gegenüber den und Zwiste innerhalb der Mapuche weiterhin andauern.

[4] Vgl. Ray, Leslie: Language of the Land. The Mapuche in Argentina and Chile, Copenhagen 2007, S. 176; Webb, Andrew: Negotiating optimum distinctiveness. Cognitive tendencies toward primordialism among Mapuche youth, in: Ethnic and Racial Studies (2012), S. 16.

[5] Vgl. Bacigalupo, Ana Mariella: Rethinking Identity and Feminism. Contributions of Mapuche Women and Machi from Southern Chile, in: Hypatia 18 (2003), Nr. 2, S. 35; Carter, Daniel: Chile’s Other History. Allende, Pinochet, and Redemocratisation in Mapuche Perspective, in: Studies in Ethnicity and Nationalism 10 (2010), Nr. 1, S. 66. Die Äußerungen im Zusammenhang mit der Identität der Mapuche stellen durch die eigene europäische Sichtweise lediglich einen Blick von 'außen' dar.

[6] Waldman, Gilda M.: Historical memory and present-day oblivion. The Mapuche conflict in post- dictatorial Chile, in: Time & Society 21 (2012), Nr. 1, S. 56f.

[7] Vgl. Carter, Chile’s Other History, S. 67.

[8] Vgl. Richards, Patricia: The Politics of Gender, Human Rights, and Being Indigenous in Chile, in: Gender and Society 19 (2005), Nr. 2, S. 200.

[9] Vgl. ebd., S. 200.

[10] Vgl. Richards, Patricia: Pobladoras, Indígenas, and the State. Conflicts Over Women's Rights in Chile, New Brunswick 2004, S. 153; Richards, The Politics of Gender, Human Rights, and Being Indigenous in Chile, S. 209, 211. Fremdsprachige Begriffe werden fortan kursiv und in einfachen Anführungszeichen geschrieben, sofern sie nicht Inhalt eines Zitates sind.

[11] Theil, Stefanie: Ethnische Identität im Wandel. Mapuche-Indianer in Chile, München 2004, S. 66.

[12] Vgl. ebd., S. 65ff.

[13] Vgl. ebd.; Richards, The Politics of Gender, Human Rights, and Being Indigenous in Chile, S. 213.

[14] Bacigalupo, Rethinking Identity and Feminism, S. 50.

[15] Vgl. ebd..

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die indigene Bevölkerung im urbanen Raum: Die Mapuche-Frauen in Temuco (1980-1994)
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
Lateinamerikanische Städte als Motoren des Wandels
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V267485
ISBN (eBook)
9783656578178
ISBN (Buch)
9783656578147
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mapuche, Lateinamerikanische Städte, Lateinamerika, indigene Bevölkerung, urbaner Raum
Arbeit zitieren
Lisa Blech (Autor:in), 2013, Die indigene Bevölkerung im urbanen Raum: Die Mapuche-Frauen in Temuco (1980-1994), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267485

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